Trailrunning ist gesünder
Ich bin ein überzeugter Fan von Bergläufen, die mir aus verschiedensten Gründen gesundheitlich viel lohnender erscheinen wie monotone Stadtläufe auf harter, ebener Unterlage.
Bergläufe beanspruchen das menschliche Gewebe auf unterschiedlichste Weise (ebenaus, bergauf, bergab – meist auf weicher, unebener Unterlage) und verhindern durch fehlende Monotonie einseitige Abnützungen und Überbeanspruchungen von kritischen Laufzonen unseres Körpers (wie Sehnenansätze, einzelne Gelenke, gewisse Muskelgruppen) und machen mehr Spass.
Laufen wir im Gelände, sind wir stetig fokussiert. Wir schauen immer auf den Boden vor uns, wo die nächste Wurzel ist oder ein grosser Stein liegt. Wir sind ganz im Moment, nicht abgelenkt durch andere Gedanken oder durch unser Handy. Unser Gehirn ist genau für das gemacht, für die absolute Fokussierung im Einklang mit unserem Körper. Das haben wir heute nur noch selten in unserem Alltag.
Schon mein Trainingsgelände befindet sich weitgehend an einem Hügel- und Berghang, der unterschiedlichste Waldwege und Pfade aufweist. Komplexe Kraftanteile sind damit beim alltäglichen Joggen bereits enthalten und müssen nicht mehr mühsam an Kraftmaschinen unnatürlich isoliert nachgeholt werden.
Dasselbe gilt aber auch für Wanderungen in den Bergen, z.B. Passwanderungen durch die Alpen, die man auch in wunderschönen, mehrtägigen Etappen hintereinander begehen kann (www.wanderland.ch/de/nationale-routen.html).
Die Elemente des „Ökonomischen Lauf- und Gehmusters“, die man auf ebenem Gelände aus den neuen Erkenntnissen der Orthopädischen Medizin anwenden kann (Einbezug des Körpergewichts/Schwerkraft, Tiefenaktivierung, Entspannung in der Schwungphase,…) kann auch 1:1 in den Berglauf übernommen werden: oekonomie_der_bewegung.pdf
Bergauf
Man probiert möglichst mit dem Gewicht des Oberkörpers in Vorlage in den Hang „reinzuliegen“. Man lässt sich bildlich wie eine Standseilbahn schräg nach oben ziehen. Das Seil ist am Brustbein angehängt. Man ist aber nur im Hüftgelenk gebogen, der Po bleibt hinten und das Brustbein und der Kopf drauf bleiben senkrecht (vorne konvexe Mittellinie des Oberkörpers). Dieser auf dem Hals balancierende Kopf (mit Blick nach vorn und nicht nach unten) wiegt nur 6 bis 8 Kilogramm, im Gegensatz zum Kopf, der nach vorne hängt und dann 40 bis 50 Kg schwer ist, was vor allem vom Trapezius-Muskel gehalten werden muss, der stark zu Verspannungen und Verkürzungen neigt. Was aber noch schlimmer wiegt, ist die Verkürzung im Innenraum durch die mangelnde Aktivität unserer tiefen Rumpfstabilisatoren.
Dies ist also eher ein „Vorschieben“ der Brust, als eine „Vorlage“ des Oberkörpers. Das ganze Gewicht des Oberkörpers wirkt so als Schwerkraft gegen vorne und zieht uns bildlich den Hang rauf.
Im Schwungbein beuge ich das Knie zuerst etwas mehr als im ebenen Gelände und lasse dann das Bein locker und entspannt aus der Hüfte raus nach vorne schwingen (auch dies eine Aktion der tiefen Kernmuskeln, hier des Psoasmuskels). Der Fuss „schlägt“ dann mit kleinen Schritten wieder in den Hang – man „stolpert“ quasi den Berg rauf. Die gefühlte Anstrengung sollte dabei beim Laufen kaum grösser sein als wenn man Gehen würde. Man macht wirklich ganz kleine Schritte.
Ich versuche auch hier immer zuerst mit der Ferse zu landen – der entspannte Fuss wird dann federartig gegen den Boden gespannt (seine Form ist ja wie eine Längsfeder und gibt so – auch dies ein Wunder unseres fantastischen Körpers – 70% der Energie zurück).
Des Weiteren kann ich mit dieser Haltung versuchen auch die Hüllmuskeln des Oberkörpers zu entspannen: vor allem die oberflächliche Bauchwand, der Po, der Schultergürtel und Nackenneigen zu Verspannungen und können mit dieser Haltung locker bleiben.
Das ökonomische Bewegungsmuster beim Treppensteigen kann dabei auch als optimale Vorlage fürs Bergsteigen und Berglaufen benützt werden:
Bergab
Auch hier mit fast noch grösserer „Vorlage“ als beim Bergauf-Laufen (mit konvexer Mittellinie des Oberkörpers mit senkrechtem Brustbein weit vorne – also mehr ein „Vorschieben“ der Brust) und starker Beugung im Hüftgelenk . So hat man den Schwerpunkt immer weit vorne über den drei wichtigen Federn unseres Körpers: Fuss, Knie und Hüftgelenk.
Bei der häufig gesehenen Rücklage werden die Knie durch den schlechten Hebel und durch den Ausfall der Federung im Hüftgelenk und auch im Fuss massiv belastet. Zudem ist der Stand durch den Schwerpunkt, der hinter den Füssen liegt, sehr schlecht und bei nassem, glitschigen Grund ist die Gefahr gross, dass man nach hinten hinfällt. Die Bergsteiger kennen dies schon immer: „Wie ein Affe“ sollte man mit Falten im Hüftgelenk (Po hinten und Brustbein vorne, oben) eine steile Geröllhalde oder nasse Wiese runtergehen – aber auch einen normalen Bergweg abwärts.
Auch bei anderen Sportarten mit geringer Reibung würde uns nie in den Sinn kommen, Rücklage zu geben (Skifahren, Snowboard, Eislaufen…).
Das Becken scheint vergleichsweise weit hinten zu „hängen“. Dadurch schwingen die Beine wie von selbst (aus den tiefen Schwingmuskeln, dem Filet = Iliopsoasmuskeln) und es entsteht kein muskelaktives Vorsetzen (durch den „oberflächlichen“ Quadriceps-Muskel). So vermeidet man auch den „Knieschnapper“, der allein durch diese Überlastung des Quad-Muskel und seiner Sehne um die Kniescheibe entsteht.
Auch bergab kann das optimale Treppabsteigen als Vorlage verwendet werden:
Beim Bergablaufen hat man zudem alle Vorteile des exzentrischen (negativ dynamischen) Krafttrainings: Die Spannungsspitzen sind weit über dem positiv dynamischen (konzentrischen – beim Bergauflaufen) mit Maximalkraftwerten (exzentrisches Kraftmaximum 30-40% grösser als das isometrische, dieses 10-15% über dynamisch-konzentrischem Kraftmaximum). Es kommt zu einer ausgeprägteren Hypertrophie des Muskels (langer Reiz) und zu einem deutlichen Muskelzuwachs auch bei hohem Trainingsniveau.
Diese Haltung ist nicht nur die (tritt-)sicherste, sondern aus verschiedenen Gründen (Tiefenaktivität und oberflächliche Entspannung, grösste Federung, Trittsicherheit und Gleichgewicht) die gesündeste!
…und zudem ist das Laufen damit ökonomisch, d.h. Kräfte sparend und deshalb schneller!
Die meisten der Vorbehalte zum Bergablaufen sind inzwischen ausgeräumt oder zumindest relativiert. Besonders interessant ist, was die Wissenschaft über die Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System nachweisen konnte. Um zu prüfen, ob auch das Bergablaufen das kardiovaskuläre Risiko senkt, liessen österreichische Forscher 45 Erwachsene (29 Frauen, 16 Männer) eine Alpenroute begehen: eine Gruppe bergauf, die andere bergab (für den Rückweg stand eine Seilbahn zur Verfügung). Die Strecke hatte einen Höhenunterschied von 540 Metern und musste drei- bis fünfmal pro Woche bewältigt werden. Das Fazit nach zwei Monaten: Die Bergabwanderer verbesserten ihre Blutzucker- und Blutfettwerte fast genauso wie die Bergaufwanderer.
Mehr zu Wanderungen hier: www.dr-walser.ch/wandern/
Mehr zum Joggen hier: www.dr-walser.ch/jogging/
Mehr zum Marathonlaufen: www.dr-walser.ch/jogging/#marathon
Die Essenz der Strukturellen Bewegungslehre nach Ida Rolf als Grundlage auch im Berglauf: oekonomie_der_bewegung.pdf
Das Ganze zusammengefasst in Kürze auf meinem Blog: http://rolfingwalser.blog/2017/05/19/berglauf/
Veröffentlicht am 17. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
07. September 2024