Nahrungsmittelunverträglichkeit
Von den 20% der Menschen, die an Nahrungsmittel-Unverträglichkeit leiden, haben nur 10% eine echte Nahrungsmittel-Allergie, also nur etwa 2-4% der Gesamtbevölkerung! Dann 40% eine Kreuzreaktion mit Pollen und 50% eine Fruktose-, Laktose– oder Histamin-Intoleranz (je zu einem Drittel etwa). Daneben ist noch die Zöliakie, die Pseudoallergie und psychische Unverträglichkeit (Bestimmte Nahrungsmittel werden nicht vertragen, weil sie der eigenen Überzeugung widersprechen.) abzugrenzen.
Histaminintoleranz – eine Pseudoallergie
Histamin ist eine biologisch hochpotente Substanz: Es reguliert unter anderem die Magensaftsekretion, erweitert die Gefässe, wirkt als Wachstumshormon und Neurotransmitter im Gehirn und wird auch mit einer verbesserten Lernfähigkeit in Zusammenhang gebracht. Und es ist absolut hitze- und kältestabil. Zu einem Histamin-Überschuss kommt es dann, wenn der Körper zu viel davon produziert, wie in einer plötzlichen Stresssituation oder durch histaminreiche Nahrung: Rotwein, Bier, Käse, Nüsse, Fisch, Rohwurst, Tomaten. An einer „Fischvergiftung“ ist meist eine Histamin-Intoleranz schuld. Zu Symptomen kommt es, wenn der Histamin-Abbau durch das Enzym Diaminoxidase (DAO) nicht funktioniert, wenn also zu wenig oder inaktive DAO vorhanden ist. Aber, DAO ist nicht nur für den Abbau von Histamin, sondern auch für den anderer biogener Amine zuständig (z.B. Tyramin). Das heisst: Auch Speisen, die wenig bis kein Histamin dafür aber viele andere biogene Amine enthalten, können Beschwerden machen beziehungsweise verstärken.
Eine Modekrankheit? – meist Angst- und Essstörung!
Geradezu Leitsymptom beim hohen Histaminspiegel ist der Kopfschmerz. Aber auch niedriger Blutdruck, Herzrhythmusstörungen, Hitzegefühl, ein flauer Magen, Schweissausbrüche nach dem Essen, auch Gesichtsröte, laufende Nase und Juckreiz nach Essen.
Erschwerend auf die Diagnostik wirkt nicht nur die Vielfalt an Symptomen, sondern dass sich diese oft zeitverzögert, also Stunden nach dem Essen, zeigen.
Histamin-Intoleranz scheint zu einer Modekrankheit geworden zu sein. Zu mir kommen immer mehr Patienten, die eine Histamin-Intoleranz vermuten, aber bei den meisten haben ihre Beschwerden andere Ursachen. Diese Störung ist meist nur ein Teil eines „Teufelkreislaufes“ mit einer Angststörung und damit einhergehenden Essstörung.
Die Histaminintoleranz ist eine sog. Pseudoallergie und keine echte Allergie. Es ist keine immunologische Reaktion, es werden keine IgE oder Antikörper gebildet. Charakteristisch für Pseudoallergien ist eine Dosis-Wirkungskurve, die bei Allergien nicht beobachtet werden kann. So können geringe Mengen Histamin freisetzender Substanzen oder Histamin haltiger Lebensmittel toleriert werden, ohne dass Symptome auftreten. Mit steigender Menge an Histamin freisetzenden Substanzen oder aufgenommenem Histamin nimmt die Schwere der Symptome zu. Weil die Pseudoallergien nicht-immunologische Reaktionen sind, also nicht über spezifische Antikörper vermittelt werden, können sie bereits beim ersten Kontakt mit Histamin freisetzenden Substanzen bzw. stark Histamin haltigen Lebensmitteln auftreten. Eine Diagnose von Pseudoallergien kann daher auch nicht über das Messen von Antikörpern in Blutproben erfolgen.
Kopfschmerz nach Wein
Den meisten ist bekannt, dass Wein Kopfschmerzen verursachen kann. Insbesondere natürlich, wenn zuviel konsumiert wird. manchmal aber treten Kopfschmerzen und allergische Hautrötungen bereits schon bei kleinen Mengen auf. Auslöser dafür sind in erster Linie diese biogene Amine. Hinzu kommt, dass Alkohol die Wirkung von Histamin verstärkt. Wichtig zu wissen ist, dass Wein beileibe nicht der einzige Histamin Lieferant ist. Durch bakterielle Tätigkeit bei Reifungsvorgängen in Lebensmitteln entstehen teilweise beträchtliche Mengen an Histamin. Als Faustregel gilt: Frische Lebensmittel enthalten meistens wenig Histamin. Lange gelagerte Käsesorten, Essig, Sauerkraut, Salami und vor allem überlagerte Lebensmittel wie beispielsweise nicht mehr frischer Fisch (insbesondere Thunfisch und Makrelen) können beträchtliche Mengen Histamin aufweisen. Alkoholgenuss und Rauchen verstärken die Wirkung. Ein anderes biogenes Amin, Tyramin, kann in Kakao (Schokolade) in grösseren Mengen vorkommen und bei Migränepatienten Kopfschmerzen auslösen. Tyramin ist auch in gewissen Weinen in erhöhten Konzentrationen vorhanden. Weissweine haben in der Regel einen tieferen Histamin Gehalt als Rotweine. Wird bei der Weinherstellung und -lagerung unsauber gearbeitet, liegt der Histamin Gehalt höher, während frisch vergorene Weine kaum Histamin enthalten. heikel ist der biologische Säureabbau, den praktisch alle Rotweine durchlaufen. Dabei wird die sauer schmeckende Apfelsäure in die mildere Milchsäure umgewandelt. Probleme beim Säureabbau resultieren sofort in hohen Histamin Werten. Untersuchungen zeigten, dass insbesondere Rioja und Châteauneuf-du-Pape anfällig auf höhere Histaminwerte sind.
Als Fazit gilt: Nicht immer ist der Wein schuld an Kopfschmerzen. Sind Sie empfindlich, sollten Sie gewisse Lebensmittel meiden oder nur in kleinen Mengen verzehren, insbesondere dann, wenn Sie gleichzeitig Alkohol konsumieren.
Wie testen?
Schwierig ist auch die Testung in der Praxis, da es wohl ein Testkit für das Enzym DAO gibt, aber für den Histamin-Nachweis das Blut sofort in Eiswasser und in eine Kühlzentrifuge gelangen muss.
Es ist bisher auch überhaupt nicht nachgewiesen, dass die beschriebenen Symptome tatsächlich durch einen Mangel an dem Diaminoxidase-Enzym verursacht werden. Durch Messung des Enzyms im Blut kann man ausserdem nicht darauf schliessen, wie gut das Enzym im Darm wirklich arbeitet.
Inzwischen kennt man zudem mindestens vier verschiedene Stoffwechselwege, über die Histamin abgebaut werden kann. Eine Schwäche in einem dieser Wege sollte also nicht dazu führen, dass man Histamin nicht mehr verträgt.
(vielen Dank an Prof. Peter Schmid-Grendelmeier, Dermatologie, USZ – Ärztekongress Arosa, 2014)
Auch hier – wie so oft bei Nahrungsmittelbedingten Krankheiten – zeigt nur ein Verzicht auf die vermuteten Nahrungsmittel und später das Testessen mit einzelnen dieser Esswaren, was genau schuld ist.
Ich bitte die Patienten, einige Wochen lang genau aufzuschreiben, was sie essen und welche Beschwerden auftreten. Ich prüfe anschliessend, ob diese mit dem Histamin Gehalt in den Nahrungsmitteln korrelieren. Verträgt man Histamin nicht, sollten nach einer zweiwöchigen Histamin armen Diät die Symptome verschwinden und bei Wiedereinführung einer Histamin reichen Ernährung wieder auftreten.
Bei über 95 Prozent der Patienten ist das aber nicht der Fall. Daraus lässt sich schliessen, dass sie keine Histamin-Intoleranz haben.
Manche Experten raten – ähnlich wie bei Allergien – zu einem Provokationstest, bei dem man entweder Histamin oder Placebo-Kapseln schluckt und wartet, ob dadurch Symptome ausgelöst werden. Das Problem dabei ist aber, dass die üblicherweise verwendete Dosis von 75 mg Histamin auch bei vielen gesunden Probanden zu Beschwerden führt. Man empfiehlt stattdessen einen titrierten Provokationstest mit steigenden Dosen Histamin, um die individuell verträgliche Dosis zu ermitteln. Die kann aber auch bei einem Betroffenen selbst stark schwanken. So hemmen etwa bestimmte Medikamente oder Alkohol die Aktivität der Enzyme.
Therapie
Bei Histamin entscheidet die Menge über das „Gift“. Die nachhaltigste Therapie ist natürlich eine Diät (siehe hier eine genaue Anleitung).
…und hier vom Unispital Zürich:
Nach kurzer Zeit nimmt die Zahl der Histamin-Rezeptoren ab und es werden wieder grössere Mengen Histamin haltiger Speisen vertragen. Ob das allerdings auf biologische Effekte zurückzuführen ist oder sich die Patienten durch die ausführliche Ernährungsberatung besser fühlen, ist unklar. Die Psyche spielt dabei eine Rolle. Auch Stress im Beruf oder in der Partnerschaft verursachen manchmal solche Beschwerden.
Wer auf seinen Käse und seine Schokolade nicht verzichten will, für den gibt es auch medikamentöse Hilfe. Gerade bei Patienten mit Durchfall haben sich H1-Rezeptorblocker bewährt (Dimetinden, Clemastin). Diese wirken so blitzartig, dass man sie eventuell auch zur Diagnose verwenden kann.
Ein sehr guter Übersichtsartikel hat Brunello Wüthrich in der Dermatologie Praxis 2/2011 geschrieben: Hier zu lesen.
Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
07. Mai 2020