Autor: Dr. med. Thomas Walser

  • Art of Aging

    Art of Aging

    Man muss lange leben, um ein Mensch zu werden.
    [Antoine de Saint-Exupéry]

    Mensch, werde wesentlich.
    [Angelus Silesius]
    The young become the old, and mysteries do unfold.
    [Benard Ighner, Everything Must Change.]

    Wie kann man lange leben, ohne körperlich und psychisch abzubauen?

    Zuerst mal: Der Begriff „Anti Aging“ trägt zu einem negativen Altersbild bei. Ich will statt Anti-Aging besser Art of Aging, Pro-Aging oder Better-Aging sagen und mich damit für ein kompetentes und gesundes Älterwerden einsetzen.
    Wilhelm Schmid hat es in seinem wunderbaren Buch (Gelassenheit. Was wir gewinnen, wenn wir älter werden) „Art of Aging“ genannt. Also eine Kunst des Älterwerdens, um mit diesem Prozess zu leben, statt dagegen anzuleben. „Eine Lebenskunst im Umgang mit dem Älterwerden kann helfen, mit den Herausforderungen, die diese Phase bereithält, so zurechtzukommen, dass das Leben schön und bejahenswert bleibt –und wenn nicht mehr das eigene Leben in dieser Zeit, so doch das Leben als Ganzes…“
    Wir wollen nicht gebrechlich werden und dahinsiechen, sondern wir wollen, dass die Jahre, die uns durch die längere Lebenserwartung heute geschenkt werden, erfüllte Jahre werden. Dazu kann die Gesellschaft und jeder Einzelne etwas tun.

    Für Schnellleser hier in Kürze was Langlebigkeit fördert >>>

    Der Jungbrunnen von Lukas Cranach d.Ä.

    Das Paradies der Unsterblichkeit

    „Das Leben ist eine sehr endliche Veranstaltung, und ab einem bestimmten Punkt ist man auf der anderen Seite.
    Ich bin mit Mitte 50 aus dem Paradies der Unsterblichkeit gekippt. Ich habe immer gespielt, nichts wirklich ernst genommen, aber auf einmal war er da, der Moment, und ich merkte: Jetzt bin ich angeschossen…“
    Ulrich Tukur, deutscher Schauspieler

    Jedermann, jede Frau erlebt irgendwann im Leben diesen „Kipppunkt, an dem ich aus dem Paradies der Unsterblichkeit falle“. Die Männer häufig schon mit 30 bis 40 Jahren beim Auftreten eines Haarausfalls, Frauen meist schon früher beim ersten Bemerken eines äusseren „Makels“ (Orangenhaut, Falten, graue Haare…). Wir Kippen dann endgültig aus dieser Makellosigkeit mit dem Auftreten einer Funktionseinbusse, wie Hör- oder Sehstörungen, Hinken, Versiegen der Menstruation,…

    Menschen altern mit 44 und 60 besonders stark

    Eine US-Studie zeigt: Menschen altern sprunghaft, besonders Mitte 40 und Anfang 60 – bei Männern und Frauen.

    Altern verläuft nicht gleichmässig, sondern in Sprüngen, so eine neue US-Studie. „Wir verändern uns nicht nur allmählich, es gibt dramatische Veränderungen“, sagt Professor Michael Snyder, Direktor des Zentrums für Genomik und personalisierte Medizin an der Stanford University. Er ist Hauptautor der Studie, die in „Nature Aging“ erschien.

    Während bekannt war, dass das Risiko für Alzheimer, Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen ab 60 steigt, war der Alterssprung Mitte 40 unerwartet. Zuerst dachten die Forscher, die Menopause könnte die Resultate verzerren, stellten dann aber fest, dass die Veränderungen bei Frauen und Männern auftreten.

    Abbau von Koffein, Alkohol und Fetten verändert sich

    Mit etwa 44 Jahren verändern sich Moleküle, die mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusammenhängen. Auch die Fähigkeit, Koffein, Alkohol und Fette zu verstoffwechseln, verändert sich stark. Betroffen sind auch Moleküle, die für die Alterung von Haut und Muskeln verantwortlich sind.

    Warum die „dramatische“ Alterung Mitte 40 auftritt, bleibt unklar. Weitere Untersuchungen sind nötig. Die Beobachtungsdauer war zu kurz und die Teilnehmerzahl relativ gering. Längerfristige Forschung soll die Zusammenhänge besser erfassen.

    Ein Zusammenhang mit dem Lebensstil ist möglich. Der veränderte Alkoholstoffwechsel könnte auf erhöhten Konsum zurückzuführen sein, mutmassen die Forscher. Die Lebensphase Mitte 40 sei oft stressig, viele Menschen trinken dann mehr. „Wir wissen nicht immer, was Ursache und Wirkung ist“, sagt Hauptautor Snyder.

    Lebensstil Mitte 40 und ab 60 anpassen

    Unabhängig von der Ursache könne man mit dem Wissen um den Alterssprung gegensteuern. Kontrolluntersuchungen sind dann sinnvoll. Weil die Muskeln Mitte 40 und ab 60 schneller abbauen, muss man in diesem Alter mehr Sport treiben. Auch Ernährung und Lebensstil sollten an den veränderten Altersprozess angepasst werden.

    So kann jemand in jungen Jahren täglich mehrere Tassen Kaffee trinken, ohne Probleme zu haben. Mitte 40 reicht dann plötzlich eine einzige Tasse, um den Schlaf zu stören. Den Lebensstil anzupassen, ist natürlich sinnvoll, solange man noch gesund ist.

    Alter schützt vor Jugendlichkeit nicht

    Alt werden wollen alle, alt sein nur wenige. Die Angst zu altern ist so alt wie der Mensch. Warum?
    Gerade heute hätte der Mensch wenig Grund, das Alter zu fürchten, weil wir nicht nur älter als unsere Eltern, sondern auch gesünder als sie älter werden („Happy-Well“).
    Seit Urzeiten suchen wir nach der Quelle der ewigen Jugend und des ewigen Lebens, doch den Jungbrunnen haben wir nie gefunden. Erstaunlich, denn der Jungbrunnen ist so nah – die Reise dorthin ist keine für Pauschaltouristen, es ist eine Reise zu sich selber.

    Der Psychologe und Altersforscher Andreas Kruse hat darauf die folgende Antwort: »Wenn du von dir glaubst, nichts Positives mehr bewirken zu können, geht es körperlich bergab.« Im Interview mit der ZEIT erzählt er, warum wir uns vor der zweiten Lebens­hälfte nicht fürchten müssen und wie man innerlich „jung“ bleibt. Neben der körperlichen Aktivi­tät ist für Andreas Kruse vor allem eins ent­scheidend: Open-Mindedness – geistig, emotional und spirituell offen zu bleiben. Sich also fortwährend in Premieren des Lebens zu stürzen und neue Erfahrungen zu machen. Damit sind jetzt nicht Bungee-Sprünge für Senioren gemeint. Man kann es im schnöden Alltag auch einfach mal damit versuchen, häufiger Ja zu sagen – zu Ein­ladungen, Begeg­nungen und allem, was sich da zwischen Aufstehen und Zubettgehen so anbietet.
    Lesen Sie hier im Interview, warum das mit der Angst vorm Alter nicht sein muss. 

    Wir können weitgehend selbst bestimmen, wie wir altern

    Eine Untersuchung der Harvard Medical School, eine der längsten (Beginn 1938 mit über 85 Jahre Beobachtung der bisher 3 Generationen mit mehr als 1300 Kinder der ursprünglich 900 Frauen und Männer) und umfassendsten Forschungen zur menschlichen Entwicklung (Grant Study of Adult Developement) zeigt:

    Der genetische Einfluss auf die Lebenserwartung liegt beim Menschen weit unter einem Drittel. Also sind sicher zwei Drittel dann doch Umweltfaktoren. Das weiss man insbesondere aus Studien an eineiigen Zwillingen. Einen ungesunden Lebensstil sollte sich deshalb niemand erlauben. 

    Was unterscheidet Menschen, die im Alter von 60 bis 80 zufrieden und gesund sind (Happy-Well) von den traurigen Kranken (Sad-Sick), fragten sich George E. Vaillant und sein Team (Interview mit Vaillant über seine Grant-Studie & Aging Well. Little, Brown & Company, Boston 2002 & Robert Waldinger, Marc Schulz: The Good Life … und wie es gelingen kann).

    (Viel) Geld hingegen macht uns nicht glücklicher oder gesünder und auch nicht die überbewerteten Gene. Jedoch die Armut verkürzt unser Leben >>> siehe unten.

    50-Jährige, die 5 Faktoren für einen gesunden Lebensstil berücksichtigen, haben eine deutlich längere Lebenserwartung frei von chronischen Krankheiten verglichen mit Gleichaltrigen, bei denen keiner der Faktoren Teil ihres Lebensstils ist.

    Lebensstil-Faktoren wirken bereits früh im Leben. Es ist aber auch nie zu spät, mit dem Rauchen aufzuhören, sich gesund zu ernähren und mit dem Sport anzufangen. Dies hat auch noch bei Männern und Frauen in den 70ern einen positiven Effekt.

    Die körperliche Fitness ist das Allerwichtigste

    Die Lebenserwartung ist stark gestiegen. Auch mit chronischen Erkrankungen oder Bewegungsbehinderungen wird man heute über 80 Jahre alt. Wie kann man noch älter werden? Forscher untersuchten 195 Personen, die im Durchschnitt 82,3 Jahre alt waren, um Unterschiede zwischen Menschen, die 95 Jahre oder älter werden, und jenen, die dieses Alter nicht erreichen, zu finden. Entscheidend sind nicht Herzkrankheiten, chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Diabetes, Demenz, Parkinson, Krebs, Depression, Multimorbidität oder Polypharmazie, sondern die körperliche Fitness. Ein Test, der Balance, Koordination und Laufgeschwindigkeit prüfte, erfasste diese. Auch ohne Kausalitätsbeweis motivieren diese Daten, körperlich aktiv zu bleiben, wenn man den 100. Geburtstag feiern möchte.
    (J Am Geriat Soc. 2024, doi.org/10.1111/jgs.18941.)

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    Inflammaging

    In den vergangenen Jahren hat die Medizin erkannt, dass viele Erkrankungen eine mehr oder weniger ausgeprägte Entzündungskomponente haben. Das gilt selbst für Krankheiten wie Atherosklerose, Darmkrebs oder neurologische Erkrankungen. Die Gerontologie betrachtet chronische Entzündungen inzwischen als zentralen Mechanismus des Alterns. Dieser Zusammenhang wird als Inflammaging bezeichnet. Deswegen ist eine antientzündliche Ernährung so wichtig.
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    Gute Beziehungen machen uns glücklicher und gesünder

    Es ist weder Geld noch körperliche Gesundheit, was uns primär glücklich macht. Diese Langzeitstudie zeigt eindrücklich, welche zwei Elemente am meisten zählen:
    Das eine ist die Liebe. Das andere ist es, einen Lebensweg zu finden, der Liebe nicht vertreibt.
    Die Studie zeigt, welche positiven Auswirkungen die Liebe auf unsere emotionale Stabilität und die Gesundheit hat. Wer sich über lange Zeiten einsam fühlt, neigt laut Vaillant sogar zu schlechterer Gesundheit und stirbt womöglich früher.
    Die Anwesenheit eines geliebten Menschen dagegen kann sowohl psychischen als auch physischen Schmerz lindern (also auch „Happy-Sick“ ist möglich). Ausserdem trägt eine vertrauensvolle Beziehung zu einem entspannten Nervensystem und einem gesunden Gehirn bei!

    >>> Mehr über diese Grant-Glücks-Studie von Vaillant
    >> Mehr  über „gute“Intimität
    >>> Einsamkeit ist ein weiterer Dauerstress und fördert chronische Entzündungen

    Wieviel spielen die Gene bei der Langlebigkeit mit?

    Eine aktuelle Studie im Fachjournal «Nature Medicine» zeigt, dass man sich wenig auf dem gesunden Altern seiner Anverwandten ausruhen kann. Ein Forscherteam von der Universität Oxford hat untersucht, was mehr Einfluss auf Krankheit und einen frühen Tod hat: die Gene oder der Lebensstil. Die Daten zeigen in sehr überzeugender Weise: Umwelteinflüsse, sozioökonomische Faktoren und persönliches Verhalten sind vorrangig, die Gene spielen nur eine weit untergeordnete Rolle.

    Die Faktoren, die ein frühes Ableben am meisten beförderten, waren der Analyse zufolge: das Lebensalter, die Zahl der bisher gerauchten Zigaretten, männliches Geschlecht, ob man aktuell raucht, Arbeitslosigkeit, häufige Müdigkeit, wenig Bewegung, ein niedriges Haushaltseinkommen, ob man mit einem Partner oder Partnerin zusammenlebt und ob man mehr als neun oder weniger als sieben Stunden pro Nacht schläft.

    Manche Einflüsse erwiesen sich als sehr beständig: Wenn die Mutter rund um die Geburt rauchte oder Kinder im Alter von zehn Jahren besonders schwer waren, beeinflusste das ihr Altern und ihr Risiko für einen frühzeitigen Tod noch 30 bis 80 Jahre später.

    5 Faktoren für eine deutlich längere Lebenserwartung

    50-Jährige, die 5 Faktoren für einen gesunden Lebensstil berücksichtigen, haben eine deutlich längere Lebenserwartung frei von chronischen Krankheiten verglichen mit Gleichaltrigen, bei denen keiner der Faktoren Teil ihres Lebensstils ist. Zu diesem Ergebnis kommen Dr. Yangping Li, Harvard T.H. Chan School of Public Health, Boston, USA, und seine Kollegen im British Medical Journal.

    • Ernährung: Die Werte sollten innerhalb der oberen 40% im Alternate Healthy Eating Index liegen, was einer gesunden Ernährung entspricht,
    • Rauchen (niemals vs jemals),
    • moderate körperliche Aktivität (mindestens 30 Minuten/Tag),
    • moderater Alkoholkonsum (5-15 g/Tag für Frauen, 5-30 g/Tag für Männer) und
    • Body-Mass-Index (18,5-25 kg/m2). Die zu erwartende Lebensspanne frei von Krebs, kardiovaskulären Erkrankungen und Typ-2-Diabetes betrug für die 50-Jährigen zwischen 24 Jahren für Frauen, die keinen der 5 Lebensstil-Faktoren umsetzten, bis 34,5 Jahre für Frauen, die einen Score von 4 bis 5 hatten. Für Männer rangierten die entsprechenden Werte zwischen 23,5 und 31 Jahren. Frauen gewannen damit durch den gesunden Lebensstil 11 Jahre frei von chronischen Erkrankungen, Männer 7,5 Jahre.Bei genauerer Analyse der einzelnen Erkrankungen stellten die Forscher fest, dass sich bei Beachtung von 4 der 5 Lebensstil-Faktoren für Frauen eine um 8,5 Jahre, für Männer eine um 6 Jahre längere Lebenszeit ohne Krebs ergab. Für kardiovaskuläre Erkrankungen waren es 10 Jahre bei den Frauen und 8,5 Jahre bei den Männern. Am grössten war der Gewinn an Lebenszeit frei von Typ-2-Diabetes: für Frauen 12,5 Jahre, für Männer 10,5 Jahre.

      Die geringste noch zu erwartende Lebensspanne ohne schwere chronische Erkrankung stellten die Forscher bei Männern fest, die mindestens 15 Zigaretten am Tag rauchten, sowie bei fettleibigen Männern und Frauen. Für diese Personengruppen war die krankheitsfreie Lebenserwartung im Alter von 50 Jahren mindestens 75% geringer.

    Geistiger Verfall ist nicht programmiert

    Eine altersbedingte Abnahme der geistigen Fähigkeiten ist nicht unausweichlich. Seniorinnen, die weder an Bluthochdruck, noch an Diabetes leiden und nicht rauchen, haben gute Chancen, im Alter von 85 Jahren noch geistig fit zu sein (amerik. Studien publiziert in Journal of the American Geriatrics Society).
    Heute sind die 75jährigen kognitiv fast 20 Jahre jünger als noch vor zwei Jahrzehnten (www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.498497.de/diw_sp0738.pdf)!
    Zudem weiss man aus der Hirnforschung, dass auch ein „altes“ Hirn noch lernen und wachsen kann, wenn Begeisterung und Freude im Spiel ist. The brain run on fun!
    In diesem Zusammenhang erwähne ich, dass auch ein junges Hirn in Sachen Lern- und Gedächtnisleistungen mickrig wenig leistet. Auch jugendliche Akademiker können sich nach einer Tagung gerade mal an 8% des Programms erinnern – und nur gerade 50% davon richtig. Diese Ergebnisse tauchen die Annahme, dass wir im Alter langsam aber sicher unser Gedächtnis verlieren, in ein anderes Licht. Unser Gedächtnis ist zu keinem Zeitpunkt unseres Lebens präzise, unfehlbar und vollständig.
    Vergesslichkeit ist das eine, Zuverlässigkeit das andere. Das Gedächtnis versucht nie auch nur annähernd, das dauerhaft abzuspeichern, was wir exakt erlebt und erfahren haben. Als junge Erwachsene bemerken wir das nicht und sind voller Selbstbewusstsein hinsichtlich unserer Gedächtnisfähigkeiten. Im Alter aber werfen wir uns dies selbst vor (Lit: Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden, Martin Korte).

    Man hat gemerkt, dass jede Lebensdekade ihre kognitive Höchstleistung hat. Menschen über sechzig sind besonders wortgewandt. Sie zeigen einen aussergewöhnlich grossen Wortschatz. Und erstaunlicherweise behalten diese Menschen neue Worte leichter als Jüngere. Ein gutes Gedächtnis, so viel wird aus Studien deutlich, ist also kein Vorrecht der Jugend.
    Menschen arbeiten heute bis in ein höheres Alter und ihre Arbeit erfordert sehr häufig das kontinuierliche und breit gefächerte Lesen. Dies baut ihren Wortschatz nicht nur aus, sondern pflegt und hält ihn auch aufrecht.

    Das Gehirn älterer Menschen wird also nicht leistungsschwächer. Ganz im Gegenteil: Es weiss einfach mehr!

    Zu viel Info im Kopf

    Einen ganz anderen Blick als Neurophysiologen und Mediziner haben Sprachwissenschaftler an der Universität Tübingen auf die Hirnleistung im Alter. Sie widersprechen der gängigen Ansicht, dass diese mit dem Älterwerden abnehme: «Das menschliche Gehirn arbeitet im Alter zwar langsamer, aber nur, weil es im Laufe der Zeit mehr Wissen gespeichert hat», sagt Dr. Michael Ramscar, Philosoph, Sprachwissenschaftler und Fachmann für künstliche Intelligenz am Seminar für Sprachwissenschaft und quantitative Linguistik.
    Ramscar und seine Kollegen studierten anhand «lernfähiger» Computermodelle, die menschliches Verhalten in Tests zu kognitiven Fähigkeiten simulieren sollen, wie sich Datenfülle und kognitive Leistungsfähigkeit zueinander verhalten. Wenn sie ihren Computer mit nur wenigen Datensätzen speisten, sei seine Lernleistung derjenigen von Jugendlichen ähnlich gewesen. Waren es sehr grosse Datensätze, um die Erfahrung eines ganzen Lebens zu simulieren, lernte er «langsamer», weil mehr Informationen verarbeitet werden mussten. Genauso sei das auch bei älteren Menschen, meinen Ramscar und seine Kollegen. Ein weiteres Problem gängiger Tests sei die Lebenserfahrung. So müssen sich die Probanden in typischen «Paired-associate-learning»Tests zur Beurteilung kognitiver Fähigkeiten Wortpaare einprägen. Manche davon sind logisch, wie zum Beispiel oben/unten, manche davon völlig sinnfrei. Junge Menschen haben kein Problem damit, auch die unsinnigsten Kombinationen fast genauso schnell zu lernen wie logische. Anders bei den Älteren: Sie merken sich zusammenpassende Wortpaare leichter als unsinnige Kombinationen. Die Tübinger Forscher fordern, dass die Messung der kognitiven Fähigkeiten älterer Menschen anders gestaltet werden müsse:
    «Das Gehirn älterer Menschen wird nicht leistungsschwächer, ganz im Gegenteil, es weiss einfach mehr » , so Ramscar.
    (Ramscar M. et al.: The Myth ot Cognitive Decline: Non-Linear Dynamics of Lifelong Learning. Topics in Cognitive Science 2014; 6: 5-42)

    Der Sinn des Vergessen

    Vergessen ist sogar eine Voraussetzung für Intelligenz. Wenn kleine Kinder den Unterschied zwischen Hunden und Katzen lernen, müssen sie auch verstehen, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Hunden irrelevant sind. Man vergisst also nach Möglichkeit gewisse Dinge, wenn man Kategorien und Prototypen bildet. Das ist wichtig für das Denken im Allgemeinen!

    Stellen Sie sich vor, Sie haben eine harsche Auseinandersetzung mit einem Kollegen, böse Worte fallen. Wäre die Erinnerung daran nach einem Monat immer noch gleich scharf wie nach einer Stunde, so wäre es sehr schwierig, sich je zu versöhnen. Auch in sozialer Hinsicht ist es also nützlich, dass unsere Erinnerungen erodieren.
    Im Gehirn werden dauernd neue Verbindungen geknüpft und alte gekappt. Hirnzellen sterben. Da verschwinden automatisch gewisse Dinge.

    Tiefschlaf hält Erinnerungen wach

    Viele ältere Menschen haben einen gestörten Schlaf. Dies kann Auswirkungen auf ihre Gedächtnisleistung haben: Weiterlesen >>>

    See you later, Rollator!
    Keine Rollatoren und Krücken um die Plastizität des „alten“ Gehirns“ voll zu nutzen

    Seit Jahren ist die Gewissheit gewachsen, dass nicht nur unser Körper eine enorme Selbstheilungs- und Umbaufähigkeit besitzt (eindrückliches Beispiel hier walserblog.ch/2014/05/16/regeneration/), sondern auch unser Nervensystem mit unserem Hirn. Diese Erkenntnis wuchs, als man erlebte wie das Hirn sich auch nach einer grösseren Zerstörung zum Beispiel durch Hirnschlag oder Trauma erstaunlich erholen kann, falls man das Hirn auch sofort und stark fordert und nicht schont. Regeneration, neue Synapsenbildung und Übernahme von gestörten Funktionen durch neues Nervengewebe, respektive durch andere Hirnregionen geschieht durch Anregung und nicht durch Schonung.

    Man kann diese Plastizität unseres ganzen Wesens auch beim Altwerden beobachten. Der Feind dieser Plastizität ist die Schonhaltung „Das war‘s!“ – sich selbst als wirklich „alt“ sehen und nichts mehr „Anstrengendes“ und Neues anpacken. Gut wären wenig „Rollatoren“ und Krücken! Jeder „Rollator“ – ausserhalb von schweren Gangstörungen natürlich – lässt unser Hirn verarmen und verhindert Wachstum.
    So gesehen, ist bereits eine Gleitsichtbrille ein Rollator für unser Auge und lässt unser Sehnerv und Sehhirn verarmen.
    Hingegen kann eine früh eingesetzte Hörhilfe die noch guten Hörzentren stärken und unseren sozialen Radius wieder vergrössern.
    Auch Wanderstöcke lassen übrigens unser Gleichgewichtsorgan schwächer werden: walserblog.ch/2016/08/11/wanderstoecke-beim-berggehen/.
    Auch eine sogenannte „altersgerechte“ Wohnung ohne Schwellen und ohne (Stolper-)Teppiche wirkt kontraproduktiv. Das Gegenteil davon, also viele Stufen und Hindernisse, dann Ortswechsel, neue Küchenschrankeinteilungen, natürlich auch neue Freundschaften und unbekannte Reiseziele lassen unser Hirn wachsen und lebendig bleiben.

    90% aller Blockaden im Alter sind selbstgemachte, angstgesteuerte, unnötige, fürs Hirn lähmende, einschläfernde, …

    Weiterlesen in meinem Blog >>>

    Ältere fühlen sich weniger müde und sind zufriedener

    Ältere Menschen sind weniger oft müde als jüngere. Das stellten Forscher der London School of Economics fest, als sie eine Umfrage mit 13 000 Teilnehmern auswerteten. Der Zusammenhang war unabhängig davon, wie viel die Teilnehmer schliefen, und wie gesund sie waren.
    Heike Bischoff, Direktorin der Klinik für Altersmedizin am Unispital Zürich, hält das für plausibel: «Müdigkeit ist eine subjektive Grösse.»

    Auch nach Operationen, etwa einem Kunstgelenk, seien Senioren oft zufriedener als Junge: «Jüngere Menschen erwarten mehr.» (Journals of Gerontology, 2013, Series B)

    Zufriedenheit steigt im Alter

    Glück im Alter

    Wir halten Glück für etwas Zufälliges, was ich nicht ganz zutreffend finde. Glück hat mit Wachsamkeit zu tun, mit dem Bemerken der Gelegenheiten, die sich einem bieten – also mit dem bewussten Leben der Übergänge und dem Wahrnehmen der vielen Zwischenräume im Alltag (Weiterlesen).
    Man kann dem eigenen Glück nachhelfen – wenn man sich nicht auf einen Standpunkt versteift, sondern beweglich, offen und weit bleibt.

    Morphium ist der Botenstoff des Alters

    Der menschliche Körper kann Morphium produzieren, einen Botenstoff, der ein besonderes Hochgefühl auslöst, ein Gefühl tiefer innerer Zufriedenheit.
    Doch es gibt noch zwei weitere Botenstoffe des Menschen: Dopamin und Adrenalin. Der erste ist eine Vorstufe des Morphiums, er löst Vorfreude aus, Glücksmomente, die beim Erleben dann rasch zerrinnen. Der zweite wird bei Stress ausgeschüttet, versetzt den Körper in Alarm und hilft so, Hindernisse zu überwinden. Adrenalin beeinflusst seinerseits die Morphiumbildung – und andersherum. Die Botenstoffe können ineinander übergehen: Aus Dopamin wird mithilfe von Adrenalin Morphium gebildet. 
    Es herrscht eine biologische Logik. Welche wird klar, wenn man die U-Kurve der Lebensfreude ansieht (siehe oben) – die Wirkung der Stoffe passt genau zu den Lebensphasen. Dopamin steht für das jugendliche Glück, den Aufbruch, die Ekstase, das Lernen. Bei Adrenalin geht es um das Meistern von Problemen, um die Leistungsbetontheit, die steile Karriere. Und Morphium bringt die Glückseligkeit des Alters.
    Es gibt ein komplexes Wechselspiel zwischen Lebensabschnitt, Lebensumständen und der Konzentration der Botenstoffe im Körper, das dazu führt, dass bei den Jungen besonders viel Dopamin ausgeschüttet wird, bei den Mittelalten mehr Adrenalin und bei den Älteren mehr Morphium.

    Ganz allgemein behaupte ich, dass die Drogen eher etwas für Ältere (in ihrer Integrität ruhend) als für die Jugendlichen (die noch mühsam ihre Identität suchen) sein sollten:  Paul Parin über die „Weisen Pharmagreise„! und auch Michael Pollan über den guten LSD-Trip.

    Drei Arten Glück je nach Alter

    Glück A ist das jugendliche Glück des Wollens, »Wanting«. Der Mensch entwickelt sich durch Erfahrungen. Sind es gute Erfahrungen, schüttet der Körper Dopamin aus, was Euphorie auslöst. In dieser Phase sind wir lernbereit und kreativ. Diese Hochmomente, in denen wir uns wach und glücklich fühlen, streben wir an. Also suchen wir immer wieder nach Erlebnissen, die diese Glücksgefühle hervorrufen. In jungen Jahren sind wir abenteuerlustig, neugierig und entwickeln uns ständig weiter.

    Glück B ist das Nicht-haben-wollen, die Erleichterung. Hier geht es darum, Unglück und Stress zu vermeiden. Gelingt es, ein Problem zu umgehen, fühlen wir uns erleichtert und seufzen hörbar auf. Das Angstzentrum, die Amygdala, ist hier aktiv. In der mittleren Lebensphase zwischen 40 und 50 Jahren, wo uns oft Themen wie Karriere, Kinder, kranke Eltern, kriselnde Beziehungen, erste Verluste, Krankheiten und das Älterwerden stressen, geht es eher um Absicherung als um Abenteuer.

    Glück C ist das Gefühl, dass alles genau richtig ist: das Glück des Daseins, Zufriedenheit. Eigene Botenstoffe kommen hier zum Einsatz und schenken Gelassenheit. Es braucht alle Lebensphasen, um Glück C zu erreichen. Dopamin, das Lernen und Kreativität fördert, ist auch ein Baustein für die körpereigene Herstellung von Morphium. Dieses ist wichtig, um sich nach aktiven Phasen zu entspannen und Zufriedenheit zu empfinden. Es fördert das Glück älterer Menschen, im Moment zu sein.

    In Rente gehen

    Wer heute in Rente geht, hat statistisch noch mindestens 20 aktive Jahre vor sich. Sie zu gestalten ist für viele nicht einfach. Ein guter Bericht, der dies anschaulich und hilfreich beleuchtet:  Birgit Schönberger: Grosse Freiheit oder grosses Loch (in Psychologie Heute, 09/2016)?

    Neue Formen von „Karriere“ und Pension: Bogenkarriere & Sinuskarriere.

    Altersvor-Sorge

    „Altersvorsorge“ enthält ja bereits im Namen die „Sorgen“:
    Sorgen um die Zukunft und sich dabei das Hier und Jetzt noch vermiesen…

    Eine optimale Altersvorsorge ist die Pflege seiner Persönlichkeit und seines Umfelds (Beziehung, Familie, Nachbarn, Gemeinde…) – und nicht, wie die Banken und Versicherungen uns vorgaukeln, mehr zu arbeiten, um mehr Geld zu sparen!

    Im Alter geht es um neue Werte

    Kürzlich in einem Interview nuschelte Udo Lindenberg, heiser wie immer, folgenden Satz vor sich hin:
    «Alter steht für Radikalität und Meisterschaft.»

    Oder Peter Sloterdijk auf der phil.COLOGNE 06/2023: „Wir dürfen uns vom Status quo nicht zu sehr verzaubern lassen“. Diese Radikalität ist Sloterdijk im Alter, auch wenn es wie ein Bruch im Denken des oft als konservativ charakterisierten Philosophen scheint. Denn, wie der 75-jährige über sich selbst sagt: „Nur die Menschen an der Schwelle des Todes sind wirklich frei“. Womit er meint: Frei zu denken.

    Neue Werte sind: Frei denkend, wesentlich-essentieller, gelassener, gleichmütiger, also radikaler, in Meisterschaft.
    Die passende Philosophie für ein gelungenes Alter ist der Stoizismus. Sie kreist um Gelassenheit, Gleichmut und immer mehr Freiheit von negativen Gefühlen/Gedanken.

    Neue Werte sind auch Verlangsamung, Hängen lassen und Ent-Spannen. Man verlässt idealerweise das jugendlich Straffe und Gehaltene, das auch mit Schnelligkeit, Zwang, Zusammenziehen, (Ver-) Spannung und Verkürzung zu tun hat.

    Ältere Menschen, die nichts an sich korrigieren liessen, sehen mit ihrem natürlichen Gesicht nicht alt aus, sondern nach sehr viel Spass im Leben. Das lässt sie jung wirken – ganz im Gegensatz zu den Festgezurrten, Kontrollierten, Optimierten.

    Was dies auf der körperlich-strukturellen Ebene heisst: einen längeren, grösseren Innenraum zu bekommen und damit viel Platz für Körper und Geist zu haben. Wie man dies erreicht, erfahren Sie weiter unten auf dieser Seite.

    Neue Werte sind auch Humor und Selbstironie

    Die eigenen Ansprüche an die Realität anzupassen, fällt vielen schwer. Das betrifft auch unsere Freundschaften. Gerade im Alter sind sie fundamental für unser Wohlbefinden, wie verschiedene Studien zeigen. Wer schnell von anderen enttäuscht ist und sich deshalb zurückzieht, wird im Alter eher unglücklich und einsam. Deshalb ist es wichtig, frühzeitig die eigenen Verhaltensmuster zu erkennen und gegebenenfalls zu ändern. 

    Das ist keine einfache Übung, aber man kann es trainieren. Nicht jedem fällt es leicht, auf andere zuzugehen und sich zu öffnen. Doch man kann sich in kleinen Schritten vorwagen. Zum Einstieg empfiehlt es sich, die Beziehung zu den Nachbarn zu pflegen. Frauen sind normalerweise besser auf das Alter vorbereitet als Männer, weil sie frühzeitig Freundschaften aufbauen und pflegen. Kommt es zu einer Trennung, haben manche Männer im Alter Schwierigkeiten, weil sie sich vorwiegend auf die sozialen Beziehungen ihrer Partnerinnen verlassen haben. 

    All diese Strategien, sich auf das Alter vorzubereiten, erfordern Anstrengung und Selbstreflexion. Aber sie lohnen sich. Eine besonders hilfreiche Strategie: Humor und Selbstironie. Wer es schafft, nachsichtig mit sich zu sein und über sich selbst zu lachen, gewinnt viel. Man lässt los und nimmt sich nicht so wichtig. Je früher wir diese Haltung kultivieren, desto besser.

    Die Fähigkeit, Schönheit zu sehen

    „Die Jugend ist glücklich, weil sie die Fähigkeit hat, Schönheit zu sehen. Wer die Fähigkeit behält, Schönheit zu sehen, wird nie alt.“ ~ Franz Kafka

    Sie haben immer die Fähigkeit, das war nie das Problem. Sie besitzen aber vielleicht nicht mehr die Werkzeuge, um das bösartige Selbsturteil zu erkennen und zu revidieren, Ihre Identität umzudeuten – und das war es, was die Schönheit verbarg, die Sie zu jeder Zeit umgab.
    Es hat lange gedauert, bis ich gelernt habe, die Schönheit zu sehen, und jetzt ist sie überall, wo ich hinschaue. Und, lieber Franz Kafka, ich bin immer noch dabei, alt zu werden.

    Die Lebensaufgaben erledigen

    George A. Vaillant zeigt anhand der „Lebensaufgaben“ gemäss dem entwicklungspsychologischen Modell von Erik H. Erikson, was sie im Einzelnen für den Prozess des „guten Alterns“ bedeuten. Er fügt zu den letzten vier Phasen (Identität, Intimität, Generativität und Integrität), noch zwei weitere hinzu: Zwischen Intimität und Generativität schiebt er „Konsolidierung“ (career consolidation) und zwischen Generativität und Integrität „Bewahren des Sinns“ (keeper of the meaning).

    • Identität: Noch vor dem Eintritt ins eigentliche Erwachsenenalter löst sich ein Mensch nach Möglichkeit von seinen Eltern und entwickelt eine eigene Identität: Er besitzt dabei am besten die Gewissheit, dass seine Werte, Leidenschaften, Lebensziele, Geschmacksurteile und so weiter wirklich seine und nicht die der Eltern sind. Wer seine Identität nicht erringt, tut sich lebenslang schwer, feste Freundschaften und Bindungen einzugehen oder eine befriedigende Arbeit zu finden.
      Man könnte auch raten: Bleiben Sie sich immer treu! Also: „wesentlich werden!“
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    • Intimität: Es gilt, bereits im frühen Erwachsenenleben zu lernen, stabile, von wechselseitiger Wertschätzung getragene Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, vorzugsweise zu einem Lebenspartner, aber auch mit Freunden. Ohnehin erlauben intime, stabile Bindungen und Freundschaften die besten Prognosen für ein „erfolgreiches Altern“ und psychische Gesundheit. Wenn man älter wird, bessern sich die Beziehungen zu anderen. Das Zusammenspiel von Respekt und Nachsicht mit älteren Menschen und weniger Konfrontationsbereitschaft ihrerseits sorgt für einen freundlicheren Umgang miteinander (Karen L. Fringermann u.a.: It takes two to tango: Why older people have the beset realtionships. Current Directions in Psychological Science, 19/3, 2010, 172-176).
      Mehr über die „Midlife-Boomer“ hier >>> midlife-boomer/
      Ein gutes Netzwerk aus Freunden und Nachbarn erhöht die Lebenserwartung deutlich. Gemäss einer Studie (Holt-Lunstad J et al., PLoS Med. 2010 Jul 27;7(7):e1000316), ist wenig Freunde zu haben, genauso schädlich wie 15 Zigaretten am Tag zu rauchen oder ein Alkoholiker zu sein.
      >>> Weiterlesen über leidenschaftlichen Sex im Alter
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    • Konsolidierung der beruflichen Karriere: Es gilt, im fortgeschrittenen Erwachsenenleben eine stabile soziale Identität in der Arbeitswelt aufzubauen. Voraussetzung dafür ist, dass man ein bestimmtes Kompetenzniveau und damit den Respekt anderer Menschen erwirbt, dass man sich beruflich weiterentwickelt, sich langfristig in ernsthaften Projekten engagieren kann und mit der Arbeit im Grossen und Ganzen zufrieden ist. Vaillant betont, dass auch „Hausfrau und Mutter“ eine Karriere in diesem Sinne sein kann.
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    • Generativität: Diese spezifische Lebensaufgabe besteht darin, „das eigene Selbst selbstlos wegzugeben“ (Vaillant), vor allem an die jüngere Generationen. Generativität betrifft die Fragen: Was bleibt von mir? Was will ich hinterlassen? Wie behalten mich andere in Erinnerung? Es geht um das ideelle und materielle Erbe, das wir weitergeben – nicht nur den eigenen Kindern, sondern überhaupt der „Nachwelt“. Generativ sind wir, wenn wir als Ratgeber, Mentor, Lehrer, Coach, Trainer oder Führer aktiv werden und andere an unserem Erfahrungsschatz und Wissen teilhaben lassen. Diese Phase kommt im mittleren Lebensalter, um die 40, auf uns zu, wenn das Leistungsmotiv abklingt und eher Gemeinschaftswerte und gesellschaftliche Aufgaben ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit rücken.
      Geben Sie mehr als Sie nehmen! >>> siehe unten
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    • Bewahren des Sinns: Es gilt nun als Nächstes, kulturelle Werte zu bewahren und wertvolle Institutionen in der Gesellschaft zu festigen – indem man als älterer Mensch die Tugenden von Weisheit und Gerechtigkeit praktiziert. Ein „Bewahrer des Sinns“ ist ein im besten Sinne „Wertkonservativer“. Er übernimmt etwa die Rolle des weisen Richters, der Streit schlichtet und Feinde miteinander versöhnt. Er ist ein Bewahrer, der Traditionen rettet und dabei weit über den engeren persönlichen Radius hinaus wirkt.
      Als Beispiel steht hier Stéphane Hessel, der französische Philosoph, der mit 93 Jahren eine kleines politisches Büchlein, 32 Seiten dünn, mit dem imperativen Titel „Indignez-vous!“ („Empört euch!“) schreibt. Er schreibt kurz und wesentlich, wie es eben nur in diesem Alter möglich ist von seiner Wut über die Ungerechtigkeit auf dieser Welt: das Gefälle zwischen Arm und Reich; die Arroganz der Finanzmärkte; der Umgang mit Migranten; die Zerstörung der Umwelt. Hessel fürchtet sich vor gar nichts mehr. Er eckt rechts wie links an. Das ist ein Privileg des Alters.
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    • Integrität: Die letzte grosse Aufgabe im Leben ist es , das eigene Leben zu akzeptieren und anzunehmen, indem man das Gute und auch das weniger Gute, die Schattenseiten in die eigene Lebensgeschichte integriert und seinen Frieden mit sich und der Welt machen kann. Es wird immer wichtiger, seine Gedanken, Urteile und Glaubenssätze zu beleuchten, hinterfragen und zu verstehen, dass wir nicht beeinflussen können, WAS wir erleben, aber (positiv), WIE wir wahrnehmen, was wir erleben!
      Integrität bedeutet, auch im Angesicht des Todes nicht zu verzweifeln, sondern zu seiner Geschichte zu stehen und ihr einen Sinn zu geben. Wer diese Aufgabe meistert, ist vor den Ängsten und Depressionen der letzten Lebensphase einigermassen gefeit.
      Ein anderes Wort dafür ist auch „Gelassenheit“ >>>

    50:50-Modell

    Dieses Modell sieht vor, dass wir uns in der ersten Lebenshälfte bis 50 eine Fülle von Wissen und sozialem Knowhow aneignen, die wir dann im zweiten Teil, in den nächsten 50 Jahren an unsere Umgebung und die Gesellschaft zurückgeben. Dies ist eine Art soziales Sicherungssystem: Erst erwirbt man Kompetenzen, dann gibt man sie an das System, an nachfolgende Generationen zurück.
    Hier wird also das 50. Lebensjahr zu einem positiven Wendepunkt: Mit 50 wird das Leben erst richtig interessant. Mit 50 können die Menschen gesellschaftlich wichtige Beiträge leisten – in ihrem kommunalen Umfeld, bei der Arbeit, in der Familie. Die zweite Lebenshälfte ist so eine Ära persönlichen Wachstums und sozialem Engagements. Und dafür sind die über 50-Jährigen auch gesundheitlich – emotional wie körperlich – gut ausgestattet. Studien zeigten, dass Ältere weniger psychiatrische Erkrankungen haben, sie leiden weniger oft an Depressionen, Angsterkrankungen, Phobien und Süchten als Jüngere.
    Auch körperlich sind die über 50-Jährigen so gesund wie nie zuvor in der Geschichte. Wenn ich mir eine Gruppe von Menschen wünschen dürfte, die sich um die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Welt kümmern, dann wären das die Menschen über 50. Sie profitieren von der Vielfalt an Wahlmöglichkeiten, die sie aufgrund ihrer Lebenserfahrungen erworben haben. Diese Weitsicht des Alters müsste die Gesellschaft viel stärker nutzen.
    Scheitern könnten wir bei dem Projekt nur, wenn wir zu wenig Vorstellungskraft entwickelten und das Alter weiterhin als Abstieg statt als eine ganz normale Lebensphase verstehen. Diese Phase steht am Ende eines, sagen wir, „optimierten Skripts für Gesellschaften des langen Lebens“. Warum arbeiten wir nicht ein paar Jahre länger, schinden uns dabei aber weniger?
    Um nicht auszubrennen und die Familienphase zu entzerren, sollte dabei die Arbeitslast besser über die Lebensjahre verteilt, die Rushhour des Lebens vermieden und statt dessen länger und durchschnittlich weniger gearbeitet werden. Das würde den Zeitdruck auf Erwachsene in der Lebensmitte mildern und Menschen jeden Alters mehr Optionen für die Zeit- und Lebensplanung eröffnen.
    (L. Carstensen: A long bright future. Happiness, health and financial security in an age of increased longevity. Public Affairs, New York 2009).

    Positives Selbstbild und Zufriedenheit

    Ältere Menschen mit einer positiven Einstellung zum Alter, also auch einem positiven Selbstbild, leben im Durchschnitt 7 bis 8 Jahre länger als Senioren, die mit dem Älterwerden hadern. Dies ergab eine Studie von Forschern der Yale University in New Haven USA, die über 23 Jahre US-Bürger beobachteten. Zufriedenheit wirkt sich demnach stärker auf die Lebensdauer aus als etwa ein normaler Blutdruck oder ein niedriger Cholesterinspiegel.

    Man weiss auch mit Studien aus der Neurophysiologie, weshalb dem so ist: Die Telomere sind wie die Schutzkappen bei Schnürsenkel – sie verhindern das Ausfransen der Genstränge an deren Enden. Sie verkürzen sich mit fortschreitendem Alter und gelten deshalb als Mass unserer Alterung. Dies geschieht nun langsamer, wenn wir zum Guten fokussiert sind – auch wenn wir denken, das Altern passiere nur im Kopf und ist deshalb durch Gedanken beeinflussbar. Übrigens auch weniger Stress, also mehr Entspannung schützt die Telomere!

    Wer sich jung fühlt, lebt länger

    Man ist so alt, wie man sich fühlt – das sind mehr als leere Worte, wie eine Untersuchung des «University College London» zeigt. Forscher befragten fast 6500 britische Frauen und Männer um die 65 zu ihrem Alter. Rund zwei Drittel von ihnen fühlte sich mindestens drei Jahre jünger als sie waren. Die anderen Personen fühlten sich älter.
    Erstaunlich: Von diesen starb jeder Vierte. Bei denen, die sich jünger fühlten dagegen nur jeder Siebte. Auch wenn die Forscher chronische Krankheiten und ungesunden Lebensstil berücksichtigten, konnten sie diesen Unterschied nicht erklären (Jama Internal Medicine).

    Geben ist seliger als Nehmen

    Wer als alter Mensch seine Zeit, seine Kraft und sein Wissen anderen zur Verfügung stellt, kann auch sein Leben verlängern. In einer Studie von Stephanie Brown ging es zum einen um praktische Hilfe – Arbeiten im Haushalt, Unterstützung bei der Kinderbetreuung, Mithilfe beim Hausbau -, aber auch um emotionale Zuwendung wie zum Beispiel dem anderen zuhören, wenn er Probleme hat. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass es nicht darauf ankommt, was wir von anderen dabei bekommen. Ausschlaggebend ist, dass wir Zuwendung geben.
    Weiterlesen zur Kindness im Alter: walserblog.ch/2021/01/16/kindness/

    Gelassenheit ist eine anmutige Form des Selbstbewusstseins (Marie von Ebner-Eschenbach)

    Die Befunde der Harvard Study of Adult Development strafen nach Ansicht von George Vaillant all jene Theoretiker Lügen, die ein eher pessimistisches Bild des Alterns entworfen haben – darunter auch so einflussreiche Forscher wie Sigmund Freud und William James. Die sorgfältige Empirie der Längsschnittstudie zeigt, dass Altern ein offener Prozess ist. Er kann scheitern und in geistigem Abbau und psychischem Leid enden, aber er muss es nicht. Im Gegenteil: Altern kann in vielerlei Hinsicht eine Aufwärtsentwicklung sein – eine Chance, sein Leben im besten Sinne zu vollenden und abzurunden. Es ist im Wesentlichen ein langer seelischer Reifungsprozess, eine Entwicklungsmöglichkeit, die man spätestens in mittleren Jahren wahrnehmen und an deren Verwirklichung man nach Möglichkeit bewusst arbeitet.

    Weiterlesen über Gelassenheit, den Inneren Friedens und ihre Hindernisse >>>

    Sechzigjährige haben den besseren Sex

    Sechzigjährige haben wesentlich mehr Persönlichkeit. Durch ihre Erfolge und Fehlschläge kennen sich ältere Menschen einfach besser, im Guten wie im Schlechten. Sie heissen vielleicht nicht alles gut, was sie an sich sehen, aber ihnen ist viel klarer, wer sie sind und wer sie nicht sind. Sie bringen mehr Individualität in die sexuelle Begegnung mit und können sich auch offener und wahrhaftiger zeigen, weil sie in ihrer Differenzierung weiter fortgeschritten sind. Ein reifer Mann glaubt nicht mehr, er müsse im Bett immer wissen, wie es weitergeht, fühlt sich weniger bedroht, wenn seine Partnerin ihm von gleich zu gleich gegenübertritt und kann es zulassen, dass sie ihn auffängt und stützt.
    Eine reife Frau kann im Bett selbst die Initiative übernehmen und braucht sich nicht zu rechtfertigen, dass sie selbst erotische Wünsche hat. Auch bei ihr liegen viele Jahre zwischen Geschlechtsreife und sexueller Reife.
    Sinnerfüllte Sexualität beruht nicht auf physiologischen Reflexen, sondern setzt eine bestimmte Stufe der persönlichen Entwicklung voraus. Leidenschaftlicher Sex wird im Alter möglich und häufiger!
    Weiterlesen über „Besseren Sex“ >>>

    Körperliche Bewegung und Gelenkigkeit

    Als einer der wichtigsten Faktoren im komplexen Wirkungsgefüge wurde immer wieder kontinuierliche körperliche Bewegung und Gelenkigkeit im Alter erkannt.

    In den sogenannten  „Blue Zones“, d.h. in Gegenden, in denen die Chance hoch steht, 100 Jahre alt zu werden (wie im bergigen Sardinien, in Ogimi an der Nordküste der japanischen Insel Okinawa, auf der griechischen Insel Ikaria, auf der Halbinsel Nicoya in Costa Rica oder in Smaland, Schweden), verbringt man als Selbstversorger viel Zeit im Garten. So bleiben sie gelenkig und müssen kaum zu Hause herum sitzen – etwas, das besonders schnell alt macht. Man treibt keinen exzessiven Sport, kein Yoga und übrigens auch kein Essen ohne jegliche Sünden.

    Die bekannteste Arbeit stammt von Ralph S. Pfaffenbarger und seinen Mitarbeitern, die seit Mitte der 60er Jahre den Lebenslauf von 17000 männlichen Harvardabsolventen wissenschaftlich begleiten. Dabei zeigte sich, dass diejenigen, die mehr als 2000 Kilokalorien pro Woche durch körperlichen Einsatz verbrannten, eine deutlich höhere Überlebensrate aufwiesen als die körperlich weniger aktiven. Dies sind etwa 30 Minuten mässiges Wandern pro Tag – aber der alltägliche Mix ist dabei wichtig (alle Treppen steigen, im Garten arbeiten, einkaufen mit vollen Taschen… und dann noch etwas wandern).
    Bei einem Verbrauch von etwa 3500 Kilokalorien ist dann aber eine Schwelle erreicht: Noch mehr Sport führt zu keiner bedeutsamen Erhöhung der Lebenserwartung. Andererseits muss die körperliche Belastung einen bestimmten Schwellenwert überschreiten, um überhaupt Effekte zu erzielen.

    Diese Studie zeigte ferner, dass der Nutzen mit steigendem Alter deutlich zunimmt. Es ist offenbar nicht möglich, sich durch Sport in jüngeren Jahren sozusagen ein Gesundheitsguthaben anzulegen – entscheidend ist, ob man aktiv bleibt. (A mail survey of physical activity habits as related to measured physical fitness. Kohl HW, Blair SN, Paffenbarger RS Jr, Macera CA, Kronenfeld JJ. Am J Epidemiol 1988 Jun;127(6):1228-39 und Physical activity, diet, and health: independent and interactive effects. Wood PD. Med Sci Sports Exerc 1994 Jul;26(7):838-43).

    Kann eine langfristige körperliche Aktivität die Sterblichkeit und die biologische Alterung beeinflussen?

    Dieser Frage widmeten sich jetzt Forschende der Universität von Jyväskylä in Finnland mit einem überraschenden Ergebnis: Eine moderate körperliche Aktivität wirkte sich am stärksten positiv auf die Langlebigkeit aus und konnte die Sterblichkeitsrate in einem Zeitraum von 30 Jahren um 7% verringern.

    Die WHO empfiehlt 150 bis 300 Minuten moderater bzw. 75 bis 150 Minuten stärkerer körperlicher Aktivität pro Woche. Die Forschenden nahmen diese Empfehlungen zum Anlass, deren Auswirkungen auf die Sterblichkeit und das genetisches Erkrankungsrisiko zu untersuchen.

    Eine höhere Aktivität brachte hingegen keinen zusätzlichen Vorteil im Hinblick auf die Sterblichkeit. Die sehr aufwendige Zwillingsstudie wurde im European Journal of Epidemiology veröffentlicht.

    Im Gegenteil: Die hochaktive Gruppe war jedoch im Durchschnitt 1,2 Jahre biologisch älter als die moderat aktive Gruppe und 1,6 Jahre älter als die aktive Gruppe.

    Die biologische Alterung war bei denjenigen beschleunigt, die sich am wenigsten und die sich am meisten bewegten!

    Übrigens ist die Trainierbarkeit der Muskelkraft bis ins hohe Alter normal erhalten. Zum Beispiel liess sich selbst bei 90-jährigen Frauen und Männer die Maximalkraft des Kniestreckers nach 24 Trainingseinheiten in acht Wochen um 177 Prozent steigern. Oder: Vergleicht man z.B. die Spitzenzeiten des Olympiamarathons von 1936 mit denen des Berliner Volksmarathons der 50- bis 59-Jährigen (!) aus dem Jahr 1990, so zeigen sich nahezu identische Leistungen. Auch sportlichen Späteinsteigern gelingt es im Alter hohe sportliche Leistungen zu erzielen. Dies gilt besonders für die aerobe Ausdauer, die etwa im Marathonlauf leistungsbestimmend ist (auch für Schnelligkeit und Kraft gilt dies, weniger für Bewegungskoordination, wie z.B. im Tennis oder Skifahren nötig).
    Und zudem ist durch Bewegung im Alter nicht nur die körperliche Fitness gesteigert, sondern auch das psychische Wohlbefinden. In der Berliner Altersstudie von Karl-Ulrich Mayer und Paul Baltes zeigte sich, dass das subjektive Wohlbefinden umso grösser war, je gesünder sich die Leute fühlten. Und die Gesundheit war umso positiver, je sportaktiver die Person noch ist. Dieser Zusammenhang wird mit wachsendem Alter immer deutlicher.
    Sport scheint also nicht nur die Lebenserwartung, sondern auch die Lebensqualität zu steigern. Erfolgreich altern, so die Berliner Forscher Paul und Margret Baltes, das sei „dem Leben Jahre und den Jahren Leben geben“.
    Und nochmals bestätigt: In einer grossen mehr als 20jährigen Beobachtungsstudie (Arch Intern Med; 168(15):1638-1646, 11/15 August 2008; Reduced Disability and Mortality Among Aging Runners. Eliza F. Chakravarty et al.) zeigte sich ein eindrucksvoller Zusammenhang von regelmässigem Rennen (im moderaten Tempo!) bei über 50jährigen mit kleinerer Mortalität (längerem Leben) und besserer Gesundheit. Am Schluss blieb ein im Schnitt fast 40 Prozent niedrigeres Sterberisiko für die vernünftigen Läufer!

    Die norwegische Uni Trondheim hat einen Fitness-Kalkulator aus einer grossen Studie erschaffen, der ganz einfach aus 5 Faktoren (Geschlecht, Alter, Bewegungsquantität und -qualität, Bauchumfang, Ruhepuls) errechnet wird. Bestimmen können Sie dabei auch gleich Ihr Fitness-Alter, was dann vielleicht in etwa Ihrem „Biologischen Alter“ entspricht (mit Vorsicht zu geniessen!):
    www.ntnu.edu/cerg/vo2max

    Das Gewebe lang und elastisch halten

    Ganz einfach: Alltäglich viel trinken, d.h. 2 bis 2,5 Liter Wasser als Basis. So kann man die anfallenden Harnsäurekristalle aus dem Essen (Fleisch, Fisch…) loswerden und diese werden nicht nach und nach u.a. ins Gleitgewebe der Sehnen abgelagert. Daraus würde allgemein eine langsame Abnahme der Elastizität des Bindegewebes, eine zunehmende Steifigkeit und erhöhte Verletzungsneigung resultieren.
    Auch eine gute, mediterrane oder nordische Ernährung unterstützt diesen Prozess.

    Ganz einfach auch: Viel Barfussgehen und -laufen! Der Fuss ist ein eigentliches Sinnesorgan mit über 30’000 Nervenendigungen, die gereizt werden wollen. Deshalb keine Einlagen, keine festen Schuhe (Schuhe sind am besten möglichst nahe dem Barfussgehen!), keine Fersendämpfung!
    Körperlich-strukturell müssen wir versuchen, den Innenraum lang zu halten, allgemein also nicht zu verkürzen.
    Vor allem die Verkürzung der Frontallinie (zwischen Schambein und Kinn) wird mit „Sad-Sick“ in Verbindung gebracht (je kürzer umso sad-sick, je länger umso happy-well!). Vorne kurz ergibt hinten einen Rundrücken (BWS-Kyphose). Auch die Bauchmuskeln sind dabei meist verkürzt und ziehen den gesamten Thorax nach unten.

    Viele Übel entstehen durch diese Kompression unserer Körperstruktur: Sehnenansatzprobleme; Muskelverkürzungen und Muskelverspannungen; stärkere Abnützung, also Arthrose der Gelenke; weniger freies Atme;, schlechtere Durchblutung der inneren Organe; Nervenkompressionen,…

    Diese Längenerhaltung bis ins Alter gelingt in der Alltagsbewegung am besten, falls man sich aus dem Gleichgewicht heraus, sich mit möglichst wenig oberflächlichen Muskeln (die immer auch Anteile haben, die verkürzen), mit möglichst wenig Energie und entspannt bewegt. Das bedingt ein aktiv sein der tieferen Rumpfstabilisatoren. Auch ein freundliches Ausnützen unseres Körpergewichts (der Schwerkraft) und nicht ein dagegen ankämpfen. Es entsteht eine schwingende, katzenartige Bewegung und eine Haltung, die nicht „gehalten“ wird, sondern die von innen und unten (Schwerkraft und ihre Gegenkraft, die Normal- oder Stützkraft) gestützt wird.
    Weiterlesen über die „Strukturellen Integration“ und Rolfing >>>
    und über das Wandern/Spazieren/Flanieren >>>

    Fitness im Alter ist wichtiger als ein Normalgewicht

    Die US-amerikanische Studie (Sui X et al.; JAMA 2007; 298(21):2507-2516) untersucht, wie aerobe Fitness und Gewichstprobleme im Alter zusammenhängen und was den grösseren Effekt auf die Sterblichkeit hat (2600 Personen über 60 Jahre über 12 Jahre lang beobachtet). Die Sterblichkeit stieg mit zunehmendem BMI, Taillenumfang und Körperfett an. Allerdings erwies sich die körperliche Fitness als signifikant besserer Prädiktor der Sterblichkeit als alle Adipositas-Marker. Insofern ermuntert man Senioren nach Möglichkeit, sich fit zu halten, selbst wenn sie normalgewichtig sind.

    Kein altersbedingter Abbau der Muskeln

    Seniorensportler dominieren ultralange Sportveranstaltungen wie Ultramarathons. Dies beweist, dass der altersbedingte Abbau der Muskelmasse durch regelmässigen Sport auf ein Minimum reduziert werden kann. >>> Ein Medizinartikel darüber: seniorenlaeufer.pdf

    Falscher Mythos: Der Rücken verschleisst sich mit der Zeit, deshalb hat man im Alter öfters Rückenschmerzen…

    Genauso wie Gewichtheben die Muskulatur kräftigt, wird der Rücken durch tägliche Bewegung und Belastung gestärkt. Aktivitäten wie Laufen, Drehen, Biegen und Heben sind unbedenklich, wenn man diese Bewegungen allmählich steigert und regelmässig durchführt. Das Alter hat nichts mit den Rückenschmerzen zu tun. Das zeigt auch der Rückenreport 2020 der Rheumaliga Schweiz. Dort gaben mehr 16- bis 29-Jährige an, mehrmals pro Woche unter Schmerzen und Verspannungen zu leiden (21 Prozent), als die über 65-Jährigen (17 Prozent).

    Wie essen und leben die Leute, die 100 Jahre alt werden?

    In den „Blue Zones“ der Welt, Gegenden also, in denen besonders viele Hundertjährige leben, hat man vor allem einen gemächlichen, gemeinschaftlichen Lebensstil. Man macht Siesta. Die Menschen sind gut vernetzt – in der Familie, mit Freunden. …und sie wissen, dass die meisten um sie herum sehr alt werden!
    Nie würde man alleine speisen.
    Sie pflanzen viel im eigenen Garten an, essen frisch und kochen selbst. Fertiggerichte kennen sie nicht. Sie essen gut, abwechslungsreich, aber nie zu viel. Sie geniessen das Essen und trinken eher ein als zwei Gläschen Wein pro Tag, dafür gerne mal auch einen Schnaps. Sie essen selten Fleisch und sehr wenig Zucker oder Desserts. Süsses nehmen die Menschen in Form von vielen Früchten oder Honig ein.

    Aus vielen Studien wissen wir zudem, dass eine kalorienreduzierte Ernährung das Leben verlängert. Dazu gehört auch, ab und zu Hunger zu verspüren.

    Die grosse und sehr sorgfältig durchgeführte PURE-Studie zeigt, dass vor allem 6 Lebensmittel unser Leben verlängern: Ein hoher Anteil an Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse, Milchprodukte und Fisch.

    Die japanische Präfektur Okinawa, jene knapp 150 Inseln im Ostchinesischen Meer, die klimatisch wohl am besten irgendwo zwischen Key West und Hawaii zu verorten sind: warm, tropisch, weisse Strände gilt als eines dieser „Blue Zones“. Dort werden die Menschen nicht nur älter als überall anders auf der Welt – sie sind dabei auch noch fitter. Fast zwei Drittel der Einwohner von Okinawa funktionieren im Alter von 97 Jahren noch unabhängig. Das bedeutet, dass sie in ihren eigenen vier Wänden leben, selbst kochen und ihr Leben voll auskosten – mit fast 100 Jahren! Nicht nur eine „mediterrane Ernährung“ ist dabei wichtig, sondern auch „Ikigai und Moai“:
    „Ikigai“, lose übersetzt, bedeutet „Sinn im Leben“. In Okinawa wächst das Ikigai eines Menschen oft mit zunehmendem Alter. Es ist ihr Grund zu leben, das Ding, das sie morgens aus dem Bett treibt.
    „Moai“ ist eine Gruppe von Menschen, die gemeinsame Interessen haben und sich umeinander kümmern. Dein Moai ist dein „Stamm“ und ein weiterer Grund, warum Okinawaner glauben, dass sie so lange leben.

    „Kurzfasten“ und Mass Halten: die „Länger-Leben-Diät“

    Es ist bei allen Organismen, bei denen man nachgeforscht hat, vom Hefepilz bis zum Rhesusaffen, belegt, dass eine kalorienreduzierte Ernährung das Altern bremst. Auch Menschen, die stets wenig – aber nicht zu wenig – essen oder regelmässig fasten, scheinen länger jung zu bleiben und ihr Risiko für Alterskrankheiten zu verringern.
    Für unseren Organismus ist die anhaltende Nahrungsknappheit ein Hinweis auf kritische Lebensbedingungen. Die Zellen wechseln in eine Art Lebensverlängerungsprogramm. Sie investieren mehr Energie in die Produktion von Substanzen, die sie jung halten, die epigenetischen Programme stabilisieren und vor Schäden schützen. Gleichzeitig teilen sie sich langsamer. Das Grundprinzip dahinter macht evolutionsbiologisch Sinn: In schlechten Zeiten sollte man nicht noch mehr Nachkommen erzeugen, sondern lieber länger leben und auf bessere Zeiten für die nächste Generation warten. Iss seltener!
    Auf Mahlzeiten zu verzichten, aktiviert uralte genetische Programme in uns, die uns viele Jahre an gesunder Lebenszeit schenken.

    Deshalb verzichtet man am besten auf einzelne Essen, macht „Kurzfasten“, z.B. als „Dinner Cancelling“. Weiterlesen >>>
    Neuere Forschung zeigt auch, dass dabei nicht die Kalorienreduktion wichtig ist, sondern das „intermittierende Fasten“, d.h. zum Beispiel nur noch zweimal pro Tag essen, also tägliche Fastenperioden einzubauen.

    Auf kühle Umgebung zu achten, ist ein weiteres einfaches (und ökologisch sinnvolles) Mittel, weil es Hinweise gibt, diese könnte ähnlich wirken wie eine Nahrungsknappheit.

    Was verkürzt dann eigentlich wirklich unsere Lebenserwartung?

    Die Statistik stammt aus den USA und gibt die Verkürzung der Lebenserwartung an. Sie zeigt damit auch auf, wie relativ gewisse Risiken sind, die in der Presse häufig selbst auf Frontseiten falsch hochstilisiert werden.
    Es gibt zwei Arten von Zahlen: Jene für Alkoholismus, Rauchen und Ähnliches beziehen sich nur auf die direkt Betroffenen und sind mit einem Stern (*) gekennzeichnet. Die anderen Zahlen (zum Beispiel Selbstmord, Ersticken, Blitze) bezeichnen die mittlere Verkürzung der Lebenserwartung für einen amerikanischen Durchschnittsbürger. Lesebeispiele: Wer einen Kleinwagen fährt, hat eine 70 Tage tiefere Lebenserwartung. Wer so viel Velo fährt wie ein durchschnittlicher Amerikaner, senkt seine Lebenserwartung um sechs Tage. Blitze verringern die Lebenserwartung eines Durchschnitts-Amerikaners um 0,7 Tage. Die Zahlen dürfen nicht kumuliert werden.

    (Quelle: Bernhard Cohen/American Council on Science and Health/Health Physics Journal 1991)

    Nochmals und wenig überraschend: Wer auf seine Gesundheit achtet, beeinflusst massgeblich, wie lange und gut er lebt. Man sollte gesund und abwechslungsreich essen, ausreichend schlafen, nicht rauchen, schlank bleiben, keine Drogen nehmen und Alkohol in Massen geniessen. Regelmässige Bewegung und medizinische Vorsorge sind ebenfalls wichtig. Diese Massnahmen können das Leben um zehn Jahre oder mehr verlängern. 

    Zweitens, und das überrascht mich auch nicht so: Die gesündesten und glücklichsten Menschen pflegen gute, warme soziale Kontakte. Sie gestalten ihre Beziehungen so, dass sie ihrem Wohlbefinden dienen. Wer früh stirbt oder gesundheitlich abbaut, ist oft einsam und hat nicht die gewünschten Verbindungen.

    Alterung messen 

    Epigenetische Messungen erlauben es, das biologische Alter und die allgemeine Gesundheit eines Menschen gut einzuschätzen, sagt Schneider. Der Grim-Age-Test, den US-Wissenschaftlerinnen entwickelt haben, analysiert Stressproteine und die Folgen des Tabakrauchs. Er kann recht genau vorhersagen, wie lange jemand noch lebt und gesund bleibt. Der Pheno-Age-Test zeigt Entzündungsprozesse im Körper und dessen Fähigkeit, auf DNA-Schäden durch Sonnenstrahlen zu reagieren. Der Dunedin-Pace-Test entstand aus einer grossen neuseeländischen Studie, die über 20 Jahre Blutproben auf Methylierungen untersuchte. Er liefert einen Massstab für das durchschnittliche epigenetische Altern. 

    „Diese Indikatoren bestimmen das biologische Alter sehr zuverlässig“, sagt Björn Schumacher, Leiter des Instituts für Genomstabilität in Alterung und Erkrankung an der Universität Köln. „In den letzten Jahren hat sich viel getan. “ Alle drei Tests zeigen laut Schumacher und Schneider verlässlich, wie stark das biologische Alter vom chronologischen abweicht. 

    Mit der Zeit sammeln sich im Erbmolekül der Zellen nicht nur genetische Mutationen, sondern auch chemische Modifikationen, oft durch angeheftete Methylreste. Diese nennt man epigenetische Veränderungen. „Ihre Anhäufung gehört zum Altern und erhöht das Risiko für Krankheit und Tod“, sagt Alexandra Schneider vom Helmholtz-Zentrum München. Sie veröffentlichte die erste Studie zum Zusammenhang von Hitze und epigenetischem Altern. 

    Hitzewellen und Alterung

    Diese Abweichung ist nicht nur gross bei Rauchern oder Menschen, die an viel befahrenen Straßen wohnen, sondern auch bei Hitze. In einer US-Studie erhöhten längere Hitzeperioden das biologische Alter laut Pheno-Age-Test um 2,5 Jahre, nach dem Grim-Age-Test um 1,1 Jahre. Der Dunedin-Pace-Test zeigte, dass Hitze das Ticken der epigenetischen Uhr um 5 Prozent beschleunigte. Bei einer Lebensspanne von 100 Jahren bedeutet das einen Verlust von fünf Jahren. Auch kürzere und mittellange Hitzeperioden beschleunigten laut Pheno-Age-Test das Altern. Soviel zur Klimakrise und unserem Altern.

    Grim-Age-Test: https://www.aging-us.com/article/101684/text

    Pheno-Age: https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC5940111/

    Dunedin-Pace: https://elifesciences.org/articles/73420

    Ein paar Mythen zur „Langlebigkeit“

    • Mythos 1: Das heilsame Lachen
      Frohe Stimmung und Bekundung guter Gesundheit gehen oft Hand in Hand. Die Gefühlslage erweist sich als gewichtiger für die Einschätzung der eigenen Gesundheit als Hunger, Obdachlosigkeit und Sicherheit vor Kriminalität. Doch auch hier wird die gefühlte Gesundheit erfasst. Und dies heisst nicht, dass sie auch objektiv wirklich gesund sind! Also sorgt häufig eine robuste Gesundheit für eine gute Stimmung! Es ist sogar so, dass Frohnaturen Menschen sind, die sich wenig Gedanken über mögliche Missgeschicke machen. Dies wird vielen zum Verhängnis und sie rauchen eher, trinken mehr Alkohol und pflegen mit Vorliebe riskante Hobbies. Folgerichtig starben viele von ihnen bei Unfällen oder frühzeitig an den Suchtfolgen. No risk – no fun also!
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    • Mythos 2: Die kranken Neurotiker
      Umgekehrt kann es durchaus Vorteile haben, zu jenen Menschen zu gehören, die immer etwas befürchten oder beklagen (im Fachjargon “Neurotizismus” genannt). Er fühlt sich zwar unglücklicher und kränker, aber er lebt länger! Objektiv sind sie tatsächlich “gesünder” – doch will ich “objektiv gesünder”, aber unglücklich sein – oder lieber glücklich, aber etwas kurzlebiger??!. (Howard Friedmann, M.Kern: Personality, well-being and health. The Annual Review of Psychology, 65, 2014, 719-742)
    • Mythos 3: Religion verlängert das Leben
      Positives Denken verlängert das Leben also eher nicht. Aber viele Studien suggerieren, dass Gottgläubige gesünder sind. Wenn man dies aber näher betrachtet, findet man dabei als wichtigste Faktoren, dass dies Menschen auch disziplinierter und massvoller lebten – und dass dies die Gründe für mehr Gesundheit waren.
      Die einzige “Religion”, die gesünder macht, ist sicher der “Humanismus” und wohl auch die „buddhistischen Ideen“ >>> Weiterlesen >>>
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    • Mythos 4: Die Ehe hält jung
      Bei Männer stimmt dies zwar – wohl aber, weil ihre Frau mehr soziale Kontakte schafft, ihn auch mal ermahnt, weniger zu rauchen oder zu trinken und mal zum Arzt zu gehen… Frauen dagegen gewinnen durch das Ehedasein nichts! Es gilt sogar: Je jünger die Ehefrau, umso länger lebt der Mann. Umgekehrt stimmt dies aber auch nicht! (Sven Drefahl: How does the age gap between partners affect their survival? Demography, 47/2, 2010, 313-326)
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    • Mythos 5: Bloss keinen Stress!
      Stress an sich schadet nicht! Aber sehr ungesund ist, wenn jemand seiner Arbeit nicht gewachsen ist oder überhaupt zuviel von ihm verlangt wird. Übrigens, die erfolgreichen Arbeitstiere leben nicht zuletzt deshalb gut und lange, da sie besonders gewissenhaft sind. Also auch hier ist wieder die Disziplin und Selbstkontrolle der wichtigste Faktor zur Gesundheit.
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    • Mythos 6: Selbstkontrolle ist alles!
      Willenskraft? Selbstkontrolle? Nein: Gewohnheiten ändern!

      Wir überschätzen uns und unsere Willenskraft und unsere Selbstkontrolle. Wir glauben, wenn wir uns nur am Riemen reissen, könnten wir jederzeit unser Verhalten steuern und unsere Ziele erreichen. Das stimmt aber leider nicht.
      Gesund ist wohl, wenn man „Selbstkontrolle“ definieren würde, als „Empathie mit sich selbst“

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    • Mythos 7: Geld bringt Gesundheit und ein langes Leben!
      In seiner Studie «Wellbeing and Policy» untersucht der britische Ökonom Richard Layard, wie stark das Glücksempfinden vom Gehalt abhängt. Das überraschende Ergebnis: Die Korrelation ist viel geringer als angenommen. Geistliche, die 2013 kaum mehr als 25 000 € verdienten, sind zufriedener als Chefs und hohe Kader, die es durchschnittlich auf fast 130 000 € brachten. Besonders zufrieden sind auch Bauern und Sekretärinnen. Beide verdienen etwa gleich viel wie Bauarbeiter, die aber besonders unglücklich sind. Als wegweisend für die Entwicklung des Forschungszweigs gilt eine Erkenntnis des amerikanischen Ökonomen Richard Easterlin aus dem Jahr 1974: Reiche sind innerhalb eines Landes zwar glücklicher als Arme, aber wenn der Wohlstand eines Landes insgesamt steigt, ändert dies nichts am Glücksempfinden. Layard erklärt das «Easterlin-Paradox» damit, dass sich Menschen intensiver mit ihrem Umfeld vergleichen, also das relative Gehalt in den Mittelpunkt rücken, statt ihr absolutes Gehaltsniveau wertzuschätzen.

    Die Glücksforschung, eine wachsende Teildisziplin der Ökonomie, kombiniert Empirie mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen. Sie bringt Ergebnisse hervor, über die sich selbst der Dalai Lama freuen würde. Einkommen und Aufstiegschancen spielen bei der zentralen Frage, ob Menschen mit ihrem Leben zufrieden sind, eine viel geringere Rolle als jahrzehntelang angenommen. Körperliche und seelische Krankheiten sind in entwickelten Volkswirtschaften ein triftigerer Grund, unglücklich zu sein, als Armut.

    Milliardengeschäft mit Nahrungsergänzungsmitteln und Hormonen

    Anti-Aging ist eine Multimilliarden-Dollar-Industrie. Die US-amerikanische Öffentlichkeit wird, wie es Experten ausdrücken, „bombardiert“ mit Reklame für Produkte, die jugendliche Erscheinung und langes Leben garantieren sollen. Zu diesen Produkten, für die auch hierzulande immer stärker Nachfrage geweckt wird, gehören u.a. Antioxidanzien oder Wachstumshormone. Es gibt aber bis heute keine Belege dafür, dass irgendeine Substanz bei Menschen oder auch nur bei Versuchstieren wie Mäusen oder Ratten Alterungsprozesse verzögern kann. Die Mehrzahl der Anti-Aging-Produkte ist nicht einmal hinreichend auf Sicherheit geprüft. Die Experten bescheinigen der Anti-Aging-Bewegung Quacksalberei und Scharlatanerie. Am Beispiel von Wachstumshormon verdeutlichen sie, dass das Konzept der Lebensverlängerung durch Hormon-„Substitution“ hin zu Serumspiegeln wie bei jungen Erwachsenen in die Irre führen kann. Im Tierversuch leben gerade diejenigen Mäuse länger, die wenig Wachstumshormon produzieren oder eine gestörte Reaktion auf Wachstumshormon haben, während die lebenslange Überproduktion des Hormons das Leben der Tiere verkürzt (BUTLER, R.N. et al.: „Is There An ‚Anti-aging‘ Medicine?“, www.ilcusa.org/_lib/pdf/pr20011101.pdf). Sicherheitsbedenken gelten meines Erachtens besonders für Zubereitungen, die in den USA als Nahrungsergänzungen gehandelt werden und daher nicht der Qualitätskontrolle durch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde unterliegen, beispielsweise DHEA oder neuerdings angebliche Wachstumshormon-Releasinghormon-Produkte wie SYMBIOTROPIN. Hierzulande sind solche Produkte als „Nahrungsergänzung“ nicht verkehrsfähig.

    Einen gewissen Wert (und ohne grösseren Nebenwirkungen) kann eventuell nach neueren Studien das Resveratrol und das NMN haben (siehe mein Blog über „Better-Aging“). Doch auch hier Vorsicht vor PAINS!

    Hautalterung

    Das, was in einer Hautsalbe gegen die Hautalterung wirklich wirkt, ist der tägliche Sonnenschutz (Faktor 15 und mehr)! Alles andere sind falsche Versprechungen!

    Hormone?

    Menopause der Frau >>> menopause/
    Andropause des Mannes >>> testosteron/

    Philosophie Magazin 02/2024

    Vergebliche Mühe
    Ein Mensch, der willens, lang zu leben,
    beschließt dem Tod zu widerstreben
    und a) durch strenges Selbstbelauern
    die Krisenzeit zu überdauern
    und b) zu hindern die Vermorschung
    durch wissenschaftlich ernste Forschung.
    Zu letzterm Zwecke wird bezogen
    Ein Horoskop beim Astrologen
    Um nicht bezüglich der Planeten
    in eine falsche Bahn zu treten.
    Ist so gebannt Saturnens Kraft,
    hilft weiterhin die Turnerschaft
    die Rümpfe rollend, Kniee beugend
    ganz zweifellos wirkt kräftezeugend.
    Die Rohkost birgt das Vitamin;
    Wein und Tabak – er gibt sie hin.
    Auch gilt’s den Vorrat an Hormonen
    in reifem Alter streng zu schonen.
    So braut er sich den Lebenssaft
    aus ausgekochter Wissenschaft.
    Ein Mensch, wie dieser, muss auf Erden
    unfehlbar hundertjährig werden.
    Das Schicksal aber, das nicht muss
    macht unversehens mit ihm Schluss.
    [Eugen Roth]

    und noch Roberto Benigni zum Thema:
    „Sterben? Tu ich nicht! Es ist wirklich das Letzte was ich in diesem Leben tun werde!“

    Literatur:
    – Nachhaltige (für Frauen?): Shane Watson: «Brauchen Sie schon Botox oder haben Sie noch Sex?» Wilhelm Goldmann Verlag
    – Margaret Heckel: «Die Midlife-Boomer: Warum es nie spannender war, älter zu werden»,  Edition Körber-Stiftung, 2012 (www.dr-walser.ch/midlife-boomer/)
    – „Die fünf Geheimnisse, die Sie entdecken sollten, bevor Sie sterben.“ von John Izzo
    – George E. Vaillant: Aging Well: Surprising Guideposts to a Happier Life from the Landmark Study of Adult Development
    Robert Waldinger, Marc Schulz: The Good Life … und wie es gelingen kann . 2023. Die beiden leiten die Harvard Study of Adult Development. Die Studie begann bereits 1938 und wird bis heute fortgesetzt. Seit 85 Jahren folgen Forscherinnen und Forscher denselben Menschen und stellen ihnen immer wieder Fragen über ihre Erfahrungen und Erlebnisse in ihrem Leben. Es handelt sich daher um eine seltene prospektive Längsschnittstudie. Heute umfasst die Studie drei Generationen und mehr als 1300 Kinder der ursprünglichen 724 Mitwirkenden. 
    – Erik H. Erikson: Der vollständige Lebenszyklus (suhrkamp)
    – L. Carstensen: A long bright future. Happiness, health and financial security in an age of increased longevity. Public Affairs, New York 2009

    siehe auch: die Berliner Altersstudie: www.base-berlin.mpg.de/de/Introduction.html

    Film:
    Fünf Senioren wagen den Schritt ins Ungewisse. Während 18 Monaten nehmen sie an einem Training teil, das auf Achtsamkeit und Altruismus basiert und für eine Studie gemessen wird. Das Ziel ist, die Auswirkungen von Meditation aufs Altern zu evaluieren. Der Film erzählt ihre persönliche Reise und spiegelt diese mit der wissenschaftlichen Objektivität und den Herausforderungen eines guten Alterns in unserer Gesellschaft. Immer länger leben – ja, aber wie?
    Über das Abenteuer dieser Senioren hinaus, zeigt der Film Meditation als eine Möglichkeit, sich mit sich selbst und seiner Umgebung zu verbinden. Er erhellt die Gegebenheiten dieses Weges mit Stolpersteinen, Momenten des Zweifelns, der Dankbarkeit, der Freude und manchmal der Befreiung.
    (GOLDEN SENIORS von François Kohler)

    Mehr auf meiner Website:
    – Zur Grundhaltung mit Annehmen der Lust und des Körpers als Tempel der Seele – Im Gegensatz zur etwas rigid-streng-moralischen Grundhaltung in der westlichen Medizin: www.dr-walser.ch/genuss/
    – Zur Hingabe an den Moment (im Hier und Jetzt sein) oder raus aus dem Hamsterrad und rein in die Entspannung: www.dr-walser.ch/entspannung/
    – Zur Achtsamkeit im Alltag (in der alltäglichen Bewegung und Haltung): www.dr-walser.ch/rolfing/
    – Zum Wunsch, den Anderen so zu lieben wie er ist (bedingungslose Liebe): www.dr-walser.ch/sex/
    – und im Prinzip des Tantras:  walserblog.ch/2016/12/14/tantra/
    – und dass die Drogen eher etwas für Ältere als für Jugendliche sein sollten:  Paul Parin über die „Weisen Pharmagreise„! und auch Michael Pollan über den guten LSD-Trip!
    – und über die „Blue Zones“, Gegenden der Welt also, in denen die Menschen häufiger 100jährig werden.

    Veröffentlicht am 24. Juni 2017 durch Dr.med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    11. März 2025

  • Beckenbodentraining

    Beckenbodentraining

    Beckenbodentraining (Kegel-Übungen) bei Harninkontinenz, Chronischer Prostatitis, Chronischem Beckenschmerzsyndrom

    Mitte des neunzehnten Jahrhunderts entwickelte der Arzt Arnold Kegel eine Folge von Übungen, um Frauen zu helfen, die an Harninkontinenz (unwillkürliches Urinieren, zum Beispiel beim Husten, beim Niesen oder auch beim Orgasmus) litten. Das Ziel dieser Übungen ist es den Pubococcygealen Muskel (PC-Muskel oder vorderen Beckenboden), der im zusammengezogenen Zustand den Urinfluss aufhält, zu stärken.
    Frauen, die Kegel über das Ergebnis ihrer Übungen befragte, berichteten, dass sie nicht nur in der Lage waren, den Urin besser zurückzuhalten, sondern als angenehme „Nebenwirkung“ während des Koitus stärkere sexuelle Empfindungen wahrnahmen.
    Die Kegel-Übungen werden auch vor und nach Geburten zur Stärkung der Vaginalmuskulatur empfohlen. Frauen nach den Wechseljahren stellten fest, dass die Kegel-Übungen die Produktion von Gleitflüssigkeit fördern. Dies kommt aus einer verstärkten Blutzufuhr im vaginalen Bereich.

    Voraussetzung: passiv weit gespannter Beckenboden

    Eine Voraussetzung zur guten Stärkung des Beckenbodens wird meist vergessen: Der Beckenboden muss unbedingt immer auch alltäglich passiv weit gespannt sein – sonst wird er durch aktives Beckenbodentraining auch verkürzt und zieht die Schambeinäste zwischen denen er wie ein Trommelfell ausgespannt ist enger zusammen, was zu Beschwerden führen kann (engere Verhältnisse für Enddarm, Harnröhre und Scheide).
    Wie erreicht man eine passive Spannung im Beckenboden und damit weite anatomische Verhältnisse, die erst ein gutes aktives Beckenbodentraining ermöglichen? Durch eine „gute“ Sitzhaltung!
    Setzen Sie die Füsse (am besten barfuss und gut gegen den Boden geöffnet) etwas auseinander auf den Boden, parallel zueinander (oder sogar Fussspitzen leicht gegen innen). So fallen die Knie nach innen – und so gehen die Sitzbeine und die Schambeinäste auseinander – das Becken bekommt unten und hinten mehr Platz, der Beckenboden wird passiv gespannt – das Becken ist eine entspannte Schüssel mit flachem Boden. Nehmen Sie das Gesäss nach hinten, so dass Sie vor Ihre Sitzbeinhöcker zum sitzen kommen. Man hat ein leichtes und lockeres Hohlkreuz (ev. kleines Kissen dort hinein), das Gewicht des ganzen Oberkörpers kann in das Becken abgegeben werden. Der hinterste Teil des Beckenbodens, der Ischio-Coccygeus-Muskel zwischen Steissbein und Sitzbeinhöcker ist dabei völlig entspannt und bleibt es auch während all den untenstehenden Übungen!
    Das Brustbein schwebt hoch und vorne (nicht hochziehen) und die Schultern hängen frei (und sind nicht nach hinten gezogen). Der Kopf sitzt locker und frei wie eine Boje oben auf der Mittelachse der Halswirbelsäule (geht durchs Ohrloch). Diese Sitzhaltung können Sie so oft einnehmen, wie es geht. Sie sollte (übrigens auch für einen Mann mit Prostatabeschwerden – oder z.B. auch Menschen mit rezidivierenden Ilio-Sacral-Gelenk-Blockaden) zur Normalhaltung werden.

    Beckenboden und aufrechte Haltung

    Hier lesen Sie mehr über den interessanten Zusammenhang von aufrechter Haltung und Beckenboden: www.dr-walser.ch/beckenboden/ !

    Aktives Beckenbodentraining

    Der Muskel, den Sie zusammenziehen, um den Urinfluss zurückzuhalten, ist der PC-Muskel (M.Pubococcygeus). Halten Sie Ihren Urin einige Male zurück, um sich mit diesem Muskel vertraut zu machen. Dann legen Sie sich hin, stecken Ihren Finger in die Vagina und ziehen den PC-Muskel zusammen. Versuchen Sie, die Kontraktionen um Ihren Finger herum zu spüren. Achten Sie darauf, dass Sie dabei nicht Ihre Hüften, den Bauch (ausser den tiefsten, den Transversus abdominis-Muskel, der immer zusammen mit dem PC-Muskel arbeitet), das Gesäss oder andere Muskeln im Beckenbereich anspannen.
    Nachdem Sie die folgenden Übungen etwa sechs Wochen lang regelmässig durchgeführt haben, prüfen Sie, ob Sie irgendeinen Unterschied in der Stärke Ihres PC-Muskels wahrnehmen können, wenn Sie einen Finger in die Vagina stecken und den Muskel zusammenziehen.
    Männer können versuchen ihren Penis sehr sanft in das Becken hineinzuziehen – und wieder loszulassen. Auch hier darauf achten, dass dabei nicht die Hüften, den Bauch. das Gesäss oder andere Muskeln im Beckenbereich gespannt werden.

    Zusammenziehen und Loslassen

    Die erste Kegel-Übung besteht darin, den PC-Muskel drei Sekunden lang zusammenzuziehen, ihn drei Sekunden lang zu entspannen und dann wieder zusammenzuziehen. Sollte es Ihnen schwerfallen, die Anspannung über drei Sekunden aufrechtzuerhalten, dann ziehen Sie den Muskel zunächst einmal ein oder zwei Sekunden lang an und halten die Spannung länger, wenn der Muskel allmählich stärker wird. Dieses Zusammenziehen und Loslassen sollte dreimal täglich jeweils zehnmal durchgeführt werden.

    Zusammenziehen und Loslassen in rascher Folge

    Die zweite Übung ist ähnlich wie die erste, aber anstatt den Muskel drei Sekunden lang anzuspannen, geht es hier darum, ihn so schnell wie möglich zusammenzuziehen und wieder loszulassen und wieder zusammenzuziehen. Auch diese Übung sollte dreimal am Tag jeweils zehnmal durchgeführt werden.
    Wenn Sie diese Übung das erste Mal machen, könnte es Ihnen vorkommen, als ob Sie sich an einem Zungenbrecher versuchten. Sie werden nicht unterscheiden können, ob Sie den Muskel gerade zusammenziehen oder loslassen, und eine Zeitlang mag alles durcheinandergehen. Fangen Sie auf jeden Fall langsam an. Durch mehr Übung werden Sie allmählich ]In der Lage sein, schneller zwischen Anhalten und Loslassen der Spannung zu wechseln.

    Die Aufzugübung

    Stellen Sie sich vor, dass Ihre Vagina ein Aufzug ist und dass sich der Fahrstuhl an der vaginalen Öffnung befindet. Es kommt weniger darauf an, die Muskeln zusammenzuziehen, als sie vielmehr so anzuspannen. als ob Sie den Fahrstuhl langsam den vaginalen Kanal hochzögen, wobei Sie an der Vaginalöffnung beginnen und am Uterus enden. Nach den drei oder vier Sekunden, die Sie brauchen. um durch die ganze Vagina zu gehen, entspannen Sie die Muskeln ebenso langsam, als ob Sie den Fahrstuhl wieder zum Erdgeschoss hinunterlassen, und dann beginnen Sie erneut, ihn von der vaginalen Öffnung aus hochzuziehen. Führen Sie dreimal am Tag zehn Folgen dieser Übung durch. Diese Übung stärkt nicht nur den PC-Muskel, sondern auch die Muskeln des Uterus.
    Der Vorteil dieser ersten drei Kegel-Übungen ist, dass Sie sie überall und zu jeder Zeit durchführen können, ohne dass jemand es bemerkt. Machen Sie diese Übungen, wenn Sie bei Rot an der Ampel halten, oder morgens, wenn Sie aufwachen, wenn Sie zu Hause oder am Arbeitsplatz telefonieren oder sich eine Weile hinlegen, um sich auszuruhen. Die Muskeln. die den After umgeben, können sich während dieser Übungen mitbewegen, aber wenn Sie feststellen, dass sich Ihre Hüft-. Bauch- (ausser den tiefsten Bauchmuskel M.Transversus) oder Gesässmuskeln bewegen, ziehen Sie wahrscheinlich den falschen Muskel zusammen.

    Die Pressübung

    Diese vierte Übung ist auch für einen Beobachter sichtbar, also führen Sie sie besser allein durch. Sie besteht darin, etwas auszustossen wie bei der Ausscheidung von Exkrementen, aber mehr im vaginalen als im analen Bereich. Stellen Sie sich einen Tampon tief in Ihrer Vagina vor und drücken Sie, als wollten Sie ihn hinauspressen. Wie bei der Aufzugübung sollte diese Ausstossbewegung drei oder vier Sekunden lang angehalten werden.
    jede dieser vier Übungen sollte anfangs täglich zehnmal zu drei verschiedenen Zeiten durchgeführt werden. In dem Masse, wie Sie Fortschritte mit den Kegel-Übungen machen, steigern Sie die Anzahl der einzelnen Übungsfolgen, bis Sie in der Lage sind, jede von ihnen zwanzigmal hintereinander durchzuführen. Sie können diese Übungen tagsüber so oft machen, wie Sie Zeit haben, mindestens jedoch dreimal.

    Einige Frauen zögern, sich auf Kegel-Übungen einzulassen, weil es sie sexuell erregt, wenn sie den PC-Muskel zusammenziehen. Selbst wenn das von den Übungen ablenken mag, ist es doch eine ganz normale Reaktion. Die Muskelspannung, die durch die Übungen hervorgerufen wird, veranlasst das Blut, in den Beckenbereich zu fliessen. Es kommt also zu demselben physischen Prozess wie bei der sexuellen Stimulation. Wenn dies geschieht, machen Sie sich keine Sorgen. Geniessen Sie es.
    Andere Frauen hören mit den Kegel-Übungen auf, weil Sie sie ermüdend finden. Wenn auch Sie diese Erfahrung machen, spannen Sie wahrscheinlich eher Ihre Unterleibs-, Gesäss- oder Oberschenkelmuskeln an, als Ihren PC-Muskel zu üben. In diesem Fall fangen Sie noch einmal damit an, Ihren Urin zurückzuhalten, ohne die Unterleibsmuskeln, das Gesäss oder die Schenkel anzuspannen. Auf diese Weise werden Sie schnell unterscheiden lernen, welches der richtige Muskel ist.
    Wenn Sie diese Übungen wie beschrieben ausführen, anfangs aber dabei im Beckenbereich eine unangenehme Spannung verspüren, dann verringern Sie die Anzahl der täglichen Übungssequenzen. Jeder Muskel, der zum erstenmal geübt wird, fühlt sich anfangs etwas steif an. Auf jeden Fall ist es wichtig, diesen Muskel, wie andere Muskeln Ihres Körpers auch, in Bewegung zu halten.
    Die Kegel-Übungen sollten Ihnen ebenso zur täglichen Gewohnheit werden wie das Zähneputzen.

    Veröffentlicht am 20. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    12. Februar 2025

  • Shin Splint

    Shin (englisch) = Schienbein (oder Tibia), Splint (engl.) = Spiess

    Probleme an der inneren (medialen) Schienbeinkante, die beim Laufen nach kurzer Zeit einsetzen, sind vielen Läufern und v.a. Triathleten ein Begriff. Es handelt sich um das sog. mediale Schienbeinkantensyndrom. Im amerikanischen Fachschrifttum wird nunmehr auch vom „Medial Tibial Stress Syndrome“ (MTSS) gesprochen. Dabei handelt es sich um krampfartige Schmerzen auf der Innenseite des Unterschenkels unweit des Innenknöchels bis hinauf zum Knie. Es sind nicht eigentliche „Knochenschmerzen“ sondern in der Sehne, im Sehnenansatz und Muskel des M. Tibialis Posterior lokalisierte Beschwerden, die auf eine Overstress-Problematik hinweisen. Dieser Muskel ist wesentlich für die Aufrechterhaltung des Fussgewölbes verantwortlich: Ermüdung oder sogar Riss kann einen Plattfuss nach sich ziehen. Eine deutliche Überpronation im Rückfussbereich (z.B. bei einem Knickfuss) führt in besonderem Ausmass zu einem MTSS dieses Muskels.
    Eine sehr häufige Haltungsproblematik beim MTSS ist auch ein Gehen/Laufen mit Schwerpunkt hinter dem Lot. Man wird von seinem eigenen Körpergewicht nach hinten gezogen und muss dies mit den vorderen Muskeln im ganzen Bein kompensieren.
    Es entstehen in kleinen verhärteten Muskelzellen sog. myofasziale Triggerpunkte, die am Ort schmerzen, aber auch ausstrahlende Schmerzen provozieren können (z.B. auch in die Achillessehne oder auch in die Ferse. Der „Fersenschmerz“ muss also nicht in der Ferse selbst entstehen und auch nicht immer dort behandelt werden!).

    Seltener findet sich der mediale Schienbeinkantenschmerz bei einer übermässigen Supination im Vorfuss, also dann, wenn sich der Läufer über die kleinen Zehen abstösst. In diesem Falle wird der lange Zehenbeugemuskel (der Muskel flexor digitorum longus) überlastet und reizt die Knochenhaut des Schienbeines stark.

    Ausschliessen wird der Arzt auch die seltene Stressfraktur der Tibia – und auch ein Kompartmentsyndrom.

    Therapie

    Ist das mediale Schienbeinkantensyndrom einmal da, sollte auf das Lauftraining in der akuten Entzündungsphase zunächst verzichtet werden. Eine antientzündliche Therapie mit Medikamenten wird in dieser Pause weniger nützlich sein als die Behandlung durch einen erfahrenen Therapeuten (siehe weiter unten zur Triggerpunktbehandlung).
    Selber kann eine Eiswürfelmassage des entzündeten Bereichs durchgeführt werden. daneben sollte die tiefe Wadenmuskulatur mehrmals täglich aktiv gedehnt werden (Stretching). Zudem kräftigt regelmässiges Training auf dem Therapiekreisel oder auf Kippelbrettern ihre Unterschenkelmuskulatur und ist ein hervorragendes Koordinationsprogramm. Ergänzen sie diese prophylaktische Massnahmen unbedingt durch regelmässige Barfussläufe.
    Bestehen die Beschwerden seit längerer Zeit, ist die Anwendung von feuchter Hitze sehr hilfreich. benutzen Sie beim chronischen MTSS eine heisse Wärmeflasche, die sie in ein feuchtes Handtuch gewickelt auf der Schienbeinkante platzieren.

    Besteht eine zu starke Pronation beim Laufen (Bei der Pronation rollt der Fuss stark über die Innenkante ab.) kann zeitlich begrenzt der Fuss getapt werden. Durch die Pflasterzügel wird der Fussinnenrand wirksam unterstützt, die betreffende Sehne und der Muskel werden entlastet mit raschem Rückgang der Symptome (www.tapeverband.com). Der Aufbau der Schuhinnensohle muss einer Analyse unterzogen werden. Handelt es sich um alte, ausgelatschte Laufschuhe? Besteht das Problem des Plattfusses beidseitig? Logischerweise wird immer mit der Ursachenforschung begonnen, dessen Resultat eine gezielte Änderung einer Lauftechnik ebenso sein kann wie auch Korrekturen am Material.

    Die manuelle Triggerpunkttherapie sucht die obenbeschriebenen Punkte in der Wadenmuskulatur auf und versucht sie durch Druck, Dehnung und Faszientechnik wieder besser zu durchbluten (mehr Infos hier>>>). Zudem können dabei Techniken gelernt werden, wie diese Triggerpunktareale selbst behandelt werden.

    Veröffentlicht am 20. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    12. Februar 2025

  • Adipositas

    Adipositas

    Über Adipositas wird schon lange geforscht und geschrieben, zum schwergewichtigen öffentlichen Thema wurde sie jedoch erst, als differente Medikamente dagegen auf den Markt kamen. Der Einfluss der Pharmaindustrie ist nicht nur für die öffentliche Meinung von Bedeutung, auch medizinische Opinion Leaders sind ihm in beträchtlichem Masse ausgesetzt. Beispiel: Die Waist-Hip-Ratio wird neuerdings „abgelöst“ durch die blosse Waist-Messung (nur Bauchumfang allein), obschon aus wissenschaftlicher Sicht der Quotient mehr Sinn macht.
    Also weiterhin auch Hüftumfang messen! Der Hüftumfang widerspiegelt die Muskelmasse, die Beschränkung auf den Bauchumfang als Mass für das intestinale Fett wird von der Pharmaindustrie als Zielparameter der Pharmakotherapie portiert; der Muskel und die Bewegung sowie die metabolische Fitness haben keine gleich starke „Lobby“!

    Mit der W/H-Ratio kann auch zwischen der gefährlicheren Apfel- und der harmloseren Birnenform unterschieden werden >>> siehe hier!
    Neuerdings auch mit dem Body Roundness Index oder BRI (hier mehr dazu).

    Sarkopenie kommt meist vor Adipositas

    In der ersten Welt gibt es zwei grosse Pandemien:

    • Die SARKOPENIE (=Muskelschwund) und vielleicht als Folge davon
    • die ADIPOSITAS (=Übergewicht).

    Daraus folgt, dass nach Möglichkeit auch beim Abnehmen zuallererst diese Sarkopenie behoben wird.

    Mit mehr Muskeln hat man nur schon einen grösseren Grundumsatz (Energieverbrauch in Ruhe) und erst recht beim Sporttreiben.

    Entzündung und Adipositas

    Adipositas geht mit einer chronischen Entzündung einher. Das Fettgewebe ist ein endokrines Organ, das zahlreiche Zytokine sezerniert, und zwischen Makrophagen, Lymphozyten und Adipozyten bestehen Interaktionen. Von grosser wissenschaftlicher Bedeutung war die Entdeckung der sieben „Sirtuine“ in den letzten Jahren. Bei diesen Sirtuinen handelt es sich um „Deazetylasen“, die den Verlauf von Entzündungen beeinflussen. Die Inaktivierung bestimmter Sirtuine führt zum klinischen Bild einer Entzündung, zu Insulinresistenz sowie Adipositas, wogegen die Aktivierung dieser Enzyme den gegenseitigen Phänotyp zur Folge hat. Hier liegt ein potentieller therapeutischer Ansatz, um die bei Adipositas vorliegende Insulinresistenz zu korrigieren. Da erinnert man sich daran, dass das in gutem Rotwein vorhandene Resveratrol ein Sirtuin-Aktivator ist…! Achtung: Resveratrol ist ein typisches „Hochstaplermolekül„!
    (Diabetes. 2011;60(12):3235-45 und 3100-2)

    Wichtig ist auch, dass insbesondere in Bio-Gemüse und -Früchten mehr von diesen sekundären Pflanzenstoffen zu finden sind als in konventionellen Lebensmitteln!

    Adipositas steigert auch eine Neuroinflammation, also die Entzündung unseres Nervensystems und führt damit zu einer Hypersensibilität, zu chronischen Schmerzkrankheiten, Reizdarm, etc…

    Stark gegen Entzündung – und auch zur nachhaltigen Gewichtsabnahme führt das Kurzfasten, optimal als 16:8, aber auch 14:10.

    Wann sind Sie mit Übergewicht gefährdet, ein metabolisches Syndrom, resp. einen Diabetes zu entwickeln?

    Gehören Sie zu den gesunden Adipösen, auf Englisch auch «happy obese» genannt, also Betroffene, die trotz starkem Übergewicht gesunde Stoffwechselwerte haben?

    Unterscheidung zur „klinischer Adipositas“:
    Im Januar 2025 stellt eine Expertenkommission von Diabetesforschern in der Fachzeitschrift the Lancet die neue Definition vor.
    Der BMI, WHR, BRI allein reicht dabei nicht aus. Sie sind als Screening-Instrument in Ordnung. Aber wenn jemand stark übergewichtig ist, müssen Ärzte zusätzliche Messungen vornehmen, um herauszufinden, ob es sich um „klinische Adipositas“ handelt – oder nicht. Sie untersuchen dann jedes einzelne Organ auf mögliche Anomalien in Zusammenhang mit Adipositas.
    Man spricht dann von „klinischer Adipositas“, wenn bereits Gewebe- und Organanomalien vorhanden sind.

    Für einen ersten Schritt lassen Sie bei Ihrem Hausarzt die Blutfettwerte, den Blutdruck und die Leberwerte messen, aber auch die Nierenwerte – und einen Glukosetoleranztest (http://de.wikipedia.org/wiki/OGTT) durchführen. Falls dabei als Ergebnis eine normale Insulinsensitivität herauskommt, können Sie vorerst beruhigt sein (gutartige Adipositas) – aber bei bestehender Insulinresistenz ist die Gefahr einer „klinischen Adipositas“ gross. Dann wird u.a. Bewegung und Abnehmen lebensnotwendig! (Arch Intern Med 168(15):1609-1616, 2008 – Identification and Characterization of Metabolically Benign Obesity in Humans, Norbert Stefan et al.)

    Es sollte auch keine beginnende Niereninsuffizienz vorhanden sein!

    Nicht zu viel Leberfett
    Anders als die meisten Adipösen haben die „happy obeses“ normale Blutfettwerte, keinen erhöhten Blutdruck und auch nicht zu viel Leberfett. Und sie hatten eine ähnlich gute Insulin-Empfindlichkeit wie Normalgewichtige – ein wichtiger Indikator für einen gesunden Stoffwechsel.
    Die guten Werte änderten sich in Studien auch nicht, als diese glücklichen Dicken im Verlauf des Versuchs an Gewicht zulegten. Man vermutet, dass es den gesunden Adipösen gelingt, zusätzliche Kalorien besser zu verarbeiten und in Hautfettgewebe statt in die Leber einzulagern – und dies ist je nach Studie rund bei einem Zehntel bis zu einem Drittel aller Adipösen möglich.

    Vernachlässigter Lebensstil
    Unklar ist auch, ob die gesunden Adipösen tatsächlich auch kein erhöhtes Risiko für typische Übergewichtsfolgen wie Diabetes, Herzinfarkt oder Schlaganfall haben. Eine vor zwei Jahren im «American Journal of Clinical Nutrition» publizierte italienische Studie, die 1700 Probanden während fast einem Jahrzehnt verfolgte, kam beispielsweise zum Schluss, dass das Risiko für Diabetes und Herzinfarkte bei allen Fettleibigen ähnlich hoch ist. Möglicherweise verschlechtern sich die Risikowerte bei den sogenannt gesunden Adipösen einfach langsamer, was dann in Kurzzeit-Studien nicht erfasst wird. Allerdings finden andere Langzeituntersuchungen sehr wohl positive Effekte auf Lebenserwartung und Krankheitsanfälligkeit.
    Und wie erklärt sich, dass die einen Übergewichtigen bessere Stoffwechselwerte haben als andere? Die Vererbung dürfte eine Rolle spielen. Aber vielleicht sind die Zusammenhänge auch banaler: Es könnte sein, dass Betroffene schlicht gesünder leben. Das heisst, sie bewegen sich viel, ernähren sich gesund und rauchen nicht. Der Lebensstil ist ein wichtiger Aspekt, der in Studien aber oft nicht objektiv berücksichtigt werden kann.
    Der Gewichtsreduktion wird also häufig eine zu hohe Priorität eingeräumt. Langfristig sind die Erfolgsaussichten bescheiden. Trotzdem lohnt es sich, wenn Betroffene unabhängig vom Gewicht ihr Bewegungs- und Ernährungsverhalten ändern würden. Dies verbessert den Stoffwechsel und senkt so das Risiko für Folgekrankheiten. Am wichtigsten ist es, nicht weiter zuzunehmen.

    Für die grosse Mehrheit der Übergewichtigen gilt also noch immer:
    Sich Abgrenzen lernen, Essgewohnheiten umstellen und mehr Bewegung (v.a. Sport VOR dem Essen)! Damit kann ein Gewichtsverlust von 10 Prozent ohne allzu grosse Mühe auch ohne Medikamente erreicht werden.
    Dazu kann man sagen, dass übergewichtige Personen tatsächlich bereits von einer Gewichtsabnahme von 5- bis 10% profitieren, falls sie sie halten können: Ihr Zuckerstoffwechsel verbessert sich, Blutdruck und Blutfette sowie die Wahrscheinlichkeit eines Diabetes werden reduziert. Lebensgewinn in Jahren siehe hier >>>

    Übergewicht im hohen Alter ist sogar eher gesund

    Bis zum Alter von etwa 85 Lebensjahren hat das Übergewicht einen schädlichen Effekt: Es erhöht die Sterbewahrscheinlichkeit. Danach aber kippt dieser Trend! Bei den Höchstbetagten wirkt das Fett auf den Rippen eher schützend – nicht nur im Vergleich mit Unter-, sondern auch mit Normalgewichtigen. Eine Erklärung könnte sein, dass dicke Alte ein geringeres Risiko für Osteoporose und somit für Knochenbrüche haben. Und Körperfett ist ein Energiespeicher, wenn im hohen Alter der Appetit dramatisch nachlässt. (J Aging Res. 2011;2011:765071. Epub 2011 Sep 28. Is there a reversal in the effect of obesity on mortality in old age? Cohen-Mansfield J, Perach R).

    Veröffentlicht am 17. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    06. Dezember 2024

  • Alkohol

    Alkohol

    „Alkohol ist dein Sanitäter in der Not, Alkohol ist dein Fallschirm und dein Rettungsboot.“ (Herbert Grönemeyer)

    Krieg der WHO gegen den Alkohol

    Alkohol wirkt je nach Dosis unterschiedlich. Bei geringem Konsum sinkt die Sterblichkeit, was das tägliche Glas Rotwein als gesundheitsfördernd erscheinen lässt. Doch mit steigendem Konsum wachsen die Schäden drastisch. Diese Entwicklung gleicht einer J-Kurve, weshalb die entsprechende Statistik diesen Namen trägt. (Weiterlesen)

    Ein weiteres Paper, das zeitgleich mit demjenigen der Gruppe um Tim Stockwell von der kanadischen Universität Victoria (Journal of Studies on Alcohol and Drugs: Grundtenor: «Schon das kleinste Mass an Alkoholkonsum ist schädlich.») veröffentlicht wurde, stützt diese Annahmen. Der chinesische Wissenschaftler Yalan Tian analysierte Daten von 918.529 Menschen aus den Jahren 1997 bis 2014. Er fand heraus, dass Gelegenheits-, leichte und moderate Trinker im Vergleich zu Abstinenzlern ein geringeres Sterblichkeitsrisiko haben.

    Der Analyse war keine grosse Öffentlichkeit beschieden.

    Einen anderen Aspekt rückte das kanadische Digitalmagazin «The Hub» unter dem Titel «Unmasking the Fun Police» – Die Spasspolizei entlarven – in den Vordergrund. Es machte darauf aufmerksam, dass gleich mehrere Autoren der neuen Leitlinien, unter ihnen Dr. Tim Stockwell selbst, direkt mit Movendi International verbunden sind. Movendi International ist eine Organisation, die aus der Independent Order of Good Templars, den sogenannten Guttemplern, hervorgegangen ist. Bei Movendi handelt es sich um deklarierte Anti-Alkohol-Lobbyisten, eine sogenannte Abstinenzlergruppe. Und diese berät nun die WHO beim Thema Alkohol.

    Die Kollegen von «The Hub» sprachen mir aus der Seele, als sie diese Verbindung so kommentierten: «Es ist nichts falsch daran, auf Alkohol und andere Rauschmittel zu verzichten. Aber seine persönliche Meinung als wissenschaftlich auszugeben, auf Kosten der Steuerzahler, und sich dann bei der Regierung für eine Änderung der Politik einzusetzen, ist etwas anderes. Haben die Steuerzahler darum gebeten, dass ihr Geld für die Finanzierung von Anti-Alkohol-Lobbyarbeit verwendet wird? Sicherlich nicht.»

    Die eindimensionale Wucht der Kampagne gegen das Trinken erinnert mich an die Mechanismen der internationalen Politik, die ebenfalls an vergleichbarer Simplizität krankt: Je einfacher die Botschaft, desto grösser die Wirkung. Umso dankbarer bin ich für Stimmen wie die von Kenneth Mukamal und Eric B. Rimm, zwei Harvard-Wissenschaftler in Epidemiologie und Ernährungswissenschaften. Sie veröffentlichten 2024 im Magazin «Harvard Public Health» einen Artikel mit dem provokanten Titel «Is Alcohol Good or Bad for You? Yes. » – Ist Alkohol gut oder schlecht für Sie? Ja.

    Ihre Antwort: «Es ist alles nuancierter, als Schlagzeilen vermuten lassen (einschliesslich dieser). »

    Mukamal und Rimm, die zusammen sechzig Jahre Forschungserfahrung haben, betonen, dass selbst geringer Alkoholkonsum mit bestimmten Krebsarten, vor allem Brust- und Speiseröhrenkrebs, in Verbindung steht. Starker Alkoholkonsum sei «eindeutig gesundheitsschädlich». Doch trotz unzähliger Studien rechtfertigen die Daten keine pauschalen Aussagen über die Auswirkungen moderaten Alkoholkonsums auf die Gesundheit.

    Alkohol und koronare Herzkrankheit

    Aus Studien kann man leider keinen Schwellenwert für einen sicheren Konsum ableiten. (thelancet.com/article/S0140-6736(18)31310-2/fulltext)

    Alkohol ist aber sicher gesundheitsfördernd, wenn er in Massen genossen wird. Bei den qualitativ höherwertigen Studien lag das Sterberisiko bei moderatem Konsum gleichauf mit dem von Abstinenz.

    Wer regelmässig sehr wenig Wein trinkt, neigt auch zu einem gesünderen Lebensstil. Beim Vergleich der Lebensgewohnheiten zeigte sich, dass moderate Weintrinker – im Gegensatz zu Bier- oder Schnapstrinker, aber auch zu Abstinenzler – weniger rauchen, sich mehr bewegen und auch weniger fettreich essen (siehe auch die mediterrane Ernährung).

    Dies alles gilt aber erst über 40jährig – und auch nicht im Alter.

    Jünger als 40jährig: am besten sehr wenig Alkohol

    Die Botschaft ist simpel: Junge Menschen sollten nur sehr wenig Alkohol trinken, aber ältere Leute können vielleicht einen Nutzen davon haben, kleine Mengen zu trinken.
    Bis zu einem Alter von 39 konnten Forscher beinahe keinen Nutzen des Al­ko­hol­trinkens finden, hier gibt es vor allem ne­ga­ti­ve Aus­wir­kung­en wie etwa Ver­letz­ung­en durch Unfälle.

    Ich halte es aber für ge­fähr­lich, Men­schen ab 40 zu em­pfehlen, täg­lich ein bis zwei al­ko­hol­isch­e Ge­tränke zu trinken. Weil viele Personen diese Limite nicht einhalten, wird verständlich, warum regelmässiger und massvoller Alkoholkonsum von Gesundheitsbehörden und Ärzt*innen kaum empfohlen wird. Gewichts- und Blutdruckkontrolle, Raucherentwöhnung, pflanzliches anstelle von tierischem Fett und mehr Bewegung sind auf jeden Fall die besseren Mittel fürs Herz als Alkohol. Abstinente beginnen deshalb aus gesundheitlichen Gründen am besten nicht mit Alkoholtrinken.

    Wie viel zu viel ist, ist also Definitions­sache. Kanada empfiehlt der Bevölkerung seit Januar 2023, sich nicht mehr als zwei bis drei Drinks pro Woche zu erlauben.

    Was Sie sich mit (mässig konsumierten) Alkohol sonst noch wohl antun

    oder weshalb es noch nie eine hoch entwickelte Kultur gegeben hat, die nur auf Joghurt basiert…

    Lesen Sie meine Einschüchterungen, was Sie sich mit Alkohol antun NICHT!

    Zur Bedeutung des Alkohols in der Menschheitsgeschichte ein berauschender Beitrag aus der Republik: kurze-geschichte-des-lasters.pdf

    Man hat gemerkt, dass das Alkohol-Craving neben der Verhaltenskonditionierung (Gewohnheit) klar im Zusammenhang steht mit einer selektiv verminderten Amygdala-Antwort des Hirns auf Angstsignale. Dies besteht auch bei allen anderen Drogenabhängigen und ist eventuell auch eine vorbestehende Verletzlichkeit. Deshalb wirken wohl auch die angstmachenden Warnhinweise zu Alkohol rein gar nichts! (bei Rauchen so festgestellt: Onur OA, et al.: Overnight deprivation from smoking disrupts amygdala responses to fear. Hum Brain Mapp 2011;May 26)
    …und denken Sie darüber nach, was viel schädlicher ist als Alkohol oder Rauchen: Der neue Zeitgeist der Nulltoleranz!
    Die Moral, die soziale Kontrolle, funktioniert heute nicht mehr über Sex, sondern über Gesundheit! Die Kontrolle funktioniert über den Körper-, Schlankheit-, Fitnesskult, über die Ernährung und die Leistungsfähigkeit. Seit Sparta gibt es eine Form von Gesundheitsfaschismus. Das gehört zum menschlichen Dasein. Der Kult von Reinheit, Stärke, Körper – bis hin zur Rassereinheit im Nationalsozialismus. Gesundheitsbewegungen hatten immer etwas zutiefst Antiliberales. Umgekehrt hat der Genuss immer etwas Subversives, Ideentreibendes, Verdächtiges. Dadurch bekommt Alkohol und Rauchen heute langsam den Status von Pornografie. Etwas Abstossendes und Anziehendes zugleich.

    Eine eindrückliche Untersuchung:

    Was man sich mit Alkohol antut!

    Alkohol hebt die Stimmung? Ernüchterndes Resultat!

    Eine amerikanische Studie kommt zu einem ernüchternden Resultat: Negative affektive Zustände wie Ängste und Depressionen werden durch den Alkoholgenuss eher verstärkt als gelindert. Unter affektivem Verhalten versteht man, dass man etwas aus einer impulsiven Gefühlsregung heraus macht. Das würde also bedeuten, dass, wenn man aus einer niedergeschlagenen Stimmung heraus trinkt, diese nicht besser wird, sondern sich noch zusätzlich verschlechtert.

    Mit Alkohol nimmt man doppelt zu

    Alkohol beeinflusst das Gleichgewicht zwischen Hunger- und Sättigungsgefühl: Er reduziert unter anderem die Bildung des Sättigungshormons Leptin, das das Hungergefühl hemmt. In der Folge nehmen das Sättigungsgefühl ab und der Appetit zu. Alkohol greift aber auch direkt in der Hungerregulation im Gehirn an.
    Im Hypothalamus – so wird ein Teil des Gehirns genannt, das unter anderem eine zentrale Rolle bei der Appetitregulation spielt – wirkt Alkohol ähnlich wie diejenigen Hormone, die den Appetit steigern. Das ist doppelt problematisch: Alkohol selbst enthält nämlich enorm viele Kalorien. Eigentlich müsste der Regelkreis des Körpers deshalb nach der Zufuhr von Alkohol sagen, dass der Appetit gesenkt werden kann, weil ja eine Menge Energie reingekommen ist. Aber Alkohol bringt beides: Appetit und Energie. Man isst also unter Alkohol nicht nur mehr, man nimmt zusätzlich auch noch die Kalorien des Alkohols zu sich.

    Die Droge der Frauen

    Frauen in höheren Positionen trinken doppelt so viel Alkohol, wie solche in niedrigeren. Grund? Gut ausgebildete Frauen, die später Kinder bekommen, haben ein aktiveres soziales Leben – da gehört das Trinken einfach dazu…
    Alkohol geht nicht ins Fettgewebe über, sondern verteilt sich auf den geringen Flüssigkeitsgehalt. Daher werden Frauen bei gleicher Menge Alkohol schneller betrunken als Männer und auch die Schäden sind gravierender, da ihre Leber Alkohol langsamer abbaut.
    Alkohol ist heute auch die bevorzugte Entspannungsdroge (nach längerer Arbeit).
    Was dabei nicht beachtet wird:

    • Alkohol ist der Hautkiller Nummer eins!
    • Bereits moderates Trinken reduziert die Fruchtbarkeit.
    • Alkohol fördert gewisse Krebsformen.

    Alkohol und Krebs bei Frauen

    Forscher der Uni Oxford zeigen in einer gross angelegten Studie (Allen NE et al., Moderate Alcohol Intake and Cancer Incidence in Women, J Natl Cancer Inst., 2009 Feb 24), dass schon ein Glas Alkohol täglich bei Frauen das Risiko an Krebs zu erkranken um fast 13 Prozent erhöht. Schlussworte der Studie: „Es gibt keinen sicheren Bereich für Alkoholkonsum bei Frauen!“.

    Alkohol und Krebs – welche Dosis ist ungefährlich?

    Inzwischen sind die Daten ausreichend, um eindeutig zu bestätigen, dass Alkoholkonsum eine direkte Ursache von 7 Krebslokalisationen darstellt: des Mund- und Rachenraums, des Kehlkopfes, der Speiseröhre, der Leber, des Kolons und Rektums sowie der weiblichen Brust. Dies ist das Fazit von jahrzehntelanger Forschung – und wird auch durch aktuelle Analysen und Metaanalysen bestätigt. Die Assoziation Alkohol-Krebs ist dabei dosisabhängig – linear oder exponentiell – und auch bei geringem und moderatem Alkoholkonsum nachweisbar!
    Es ist von der Lokalisation abhängig, wie ausgeprägt der Zusammenhang tatsächlich ist: stark für den oberen Gastrointestinaltrakt (relative Risikoerhöhung um das 4 bis 7-Fache bei einem Konsum von 50 g Alkohol pro Tag im Vergleich zu einem Nicht-Trinker), weniger ausgeprägt für das Kolon, das Rektum, die Leber und die weibliche Brust (relatives Risiko ca. 1,5 bei 50 g Alkohol pro Tag oder mehr).
    Das mit dem Alkoholkonsum assoziierte Risiko ist im Übrigen reversibel, wenn man mit dem Trinken aufhört. Aus gepoolten Analysen lässt sich auch schliessen, dass das Risiko für Oesophaguskarzinome und Karzinome des Kopfes und Halses über die Jahre des Konsums zunehmen, danach aber wieder abnimmt und nach rund 20 Jahren Abstinenz wieder auf dem Niveau eines Nicht-Trinkers ist. Für die Leber gibt es eine Metaanalyse, die ebenfalls auf eine mögliche Reversibilität hindeutet, nach der das Risiko eines hepatozellulären Karzinoms nach dem Alkohol-Stopp um 6 bis 7% pro Jahr abnimmt und nach etwa 23 Jahren wieder auf dem Niveau des Nichttrinkers ist.

    Alkohol in der Jugend – Komatrinken

    Wie gefährdet man durch Alkohol ist,  kann man in einem Online-Test gut ermitteln:
    „Konsumcheck“ (auch für Drogen allgemein) auf www.rauschzeit.ch.

    Alkohol im Alter

    Alterung geschieht nicht kontinuierlich, sondern in Schüben. Schon in der ersten dieser Wellen mit etwa 44 Jahren sind Zellen betroffen, die mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Zusammenhang stehen. Auch die Fähigkeit, Koffein, Alkohol und Lipide (Fette) zu verstoffwechseln, verändert sich stark. Der Abbau von Alkohol verlangsamt sich dadurch so, dass Alkoholschädigungen sehr viel schneller entstehen.
    In der zweiten grossen Alterungswelle um 60jährig wird diese Veränderung noch massiver, so dass s
    chon drei Gläser Wein am Tag für einen Achtzigjährigen pures Gift sind.
    Ältere Männer ab 60 genehmigen sich am besten nur einen Drink pro Tag – ältere Frauen noch weniger. Alkohol wirkt auf einen Senioren etwa doppelt so stark wie auf einen jüngeren Erwachsenen. Leber, Herz, Nieren und Verdauungstrakt leiden stärker unter Alkoholeinfluss. Auch das Gehirn reagiert heftig auf Alkohol: Eine Stange Bier hat auf einen alten Menschen etwa dieselbe psychische Wirkung wie zwei Stangen für einen jüngeren.
    Der Grund sind folgende körperliche Veränderungen, die im Alter eintreten:

    • Senioren haben weniger Wasser im Körper. Dadurch wird der Alkohol im Körper weniger verdünnt.
    • Bereits im Magen wird ein Teil des Alkohols unschädlich gemacht – allerdings bei alten Menschen weniger als bei jüngeren. Deshalb gelangt bei ihnen mehr Alkohol ins Blut.
    • Die Leber arbeitet langsamer. Dadurch ist der Alkohol länger im Körper und schädigt ihn stärker.

    Zudem nehmen viele Senioren Medikamente ein, die die Wirkung des Alkohols verstärken.
    Für Frauen gilt: Sie trinken am besten schon in jungen Jahren höchstens halb so viel Alkohol wie Männer, da ihr Körper stärker darauf reagiert. Das gilt auch im Alter. Ältere Frauen trinken am besten nicht mehr als einen halben Drink pro Tag (siehe oben).

    Das heisst nicht, dass Senioren ganz aufs Anstossen verzichten sollen. Es dürfen auch einmal mehrere Drinks pro Tag sein – aber insgesamt nicht mehr als sechs Drinks pro Woche für Männer, höchstens vier Drinks für Frauen. Nach einer Ausnahme geben also gerade ältere Menschen ihrem Körper idealerweise eine längere Pause vom Alkohol.

    Zusammengefasst:

    •  Männer trinken am besten erst ab 40jährig und nicht mehr als einen Drink pro Tag- und dies nur 3 bis 4mal in der Woche!
      Ein Drink ist:
      – eine Stange Bier (3dl)
      – ein Glas Wein (1dl)
      – ein Glas Sherry (0,5dl)
      – ein Glas Whisky (0,3dl)
    • Frauen und alte Menschen (über 60) vertragen nur halb so viel Alkohol wie jüngere Männer. Ein halber Drink pro Tag (und dies auch nur 3-4mal in der Woche) ist hier das Limit.
    • Wenn Senioren mehrere Drinks an einem Tag getrunken haben, so geben sie dem Körper eine Pause: mindestens so viele Tage, wie sie zu viele Drinks getrunken haben.
    •  Alkohol erhöht für Senioren auch die Gefahr zu stürzen.
    • Viele Senioren nehmen Medikamente. Sie fragen deshalb den Arzt, ob Sie überhaupt Alkohol trinken dürfen.

    Alkohol und Vorhofflimmern

    Die Risikoerhöhungen für eine Vorhofflimmerepisode beträgt gemäss guter Studien für einen Alkoholkonsum innerhalb der letzten vier Stunden: ein Drink = Verdoppelung, zwei Drinks = Verdreifachung. Je höher die Alkoholkonzentration im Blut ausfiel, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass ein Vorhofflimmern ausgelöst wurde.
    Bescheidener oder moderater Alkoholkonsum ist also ein Episodentrigger bei einer Population mit durch Screening diagnostiziertem rezidivierendem Vorhofflimmern. Die enge Dosis-Wirkungs-Beziehung ist überraschend und rechtfertigt entsprechende Interventionen/Beratungen, da das Vorhofflimmern auch ein Risikofaktor für den Schlaganfall ist.
    (Ann Intern Med. 2021, doi.org/10.7326/M21-0228).

    Vorhofflimmern ist die häufigste Herzrhythmusstörung. Das Herz schlägt dabei unregelmässig und meist schneller als normal. Wie schon der Name verrät, flimmern die Vorhöfe des Herzens dabei nur, statt sich regelmässig zusammenzuziehen.
    Betroffene spüren, dass ihr Herz rast oder seltsam zu stolpern scheint. Auch Unruhe und Angst, Atemnot, Schwindel oder Schwächegefühl können damit einhergehen. Viele Betroffene bemerken allerdings auch gar keine Symptome. Wichtige Hinweise kann auch ein hoher und unregelmässiger Puls geben.
    Risiko Schlaganfall: Auf Dauer kann Vorhofflimmern zum einen das Herz schwächen und zum anderen das Risiko für einen Schlaganfall erhöhen.
    Da beim Vorhofflimmern das Blut in den Vorhöfen des Herzens langsamer fliesst, kann es dort leichter gerinnen und einen sogenannten Thrombus bilden. Wenn dieser sich löst, kann er über den Blutkreislauf in die Gehirngefässe gelangen und dort einen Schlaganfall verursachen: Die Blutversorgung wird dann in Teilen des Gehirns unterbrochen.
    Umgekehrt konnten australische Kardiologen die positive Wirkung des Alkoholverzichts bei Vorhofflimmern nachweisen: Wenn Patienten, die zuvor zehn oder mehr alkoholische Getränke pro Woche zu sich genommen hatten, einige Monate weitgehend abstinent lebten, besserte sich ihr Vorhofflimmern deutlich im Vergleich zu anderen Patienten, die auf demselben Niveau weitertranken (New England Journal of Medicine: Voskoboinik et al., 2020).

    Kopfschmerz nach Alkohol

    siehe auf dieser Seite: Histaminintoleranz

    Nicht-alkoholische Fettleber und Alkoholtrinken

    Die nicht-alkoholische Fettleber ist die häufigste Lebererkrankung. Der Begriff «nicht-alkoholische Fettlebererkrankung» («non- alcoholic fatty liver disease», NAFLD) ist definiert als Steatose der Leber, die nicht durch hohen Alkoholkonsum bedingt ist. (Als hoher Alkoholkonsum wird bei Frauen eine Menge von ≥20 g/Tag, bei Männern von ≥30 g/Tag angesehen.) Eine spezifische medikamentöse Therapie ist nicht bekannt. Gewichtsreduktion und Anpassung des Lebensstils wirken sich positiv aus. Der Einfluss von moderatem Alkoholkonsum bei vorhandener NAFLD ist jedoch unklar. In der hier besprochenen niederländischen Studie wurden die Auswirkungen der Menge des konsumierten Alkohols, der Art der Getränke und des Geschlechts auf eine Leberfibrose untersucht. Risikofaktoren sind Übergewicht und Typ-2- Diabetes. Mässiger Alkoholkonsum ist protektiv für das Herz, dies zeigte nun diese grosse niederländische Studie von 2018 (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/?term=mitchell+t+gastroenterol+113). Ein mässiger Alkoholkonsum wird definiert als weniger als 70 g/Woche, vor allem Wein. Im Vergleich zu nicht-alkoholtrinkenden Kontrollpersonen hat er auch einen protektiven Effekt auf die Progression der Leberfibrose (weniger Fibrose und weniger schwere Fibrose). Der Vorteil verschwand, wenn diese Menge in einer Sitzung getrunken wurde. Ob der Alkoholkonsum mit einem positiven Langzeiteffekt einhergeht, kann noch nicht gesagt werden. Eine Empfehlung zum Alkoholtrinken kann somit noch nicht gegeben werden, bis weitere Langzeitstudien dies beweisen.

    Was gewinne ich mit dem Stopp von jeglichem Alkohol?

    Die Leber entfettet und der Schlaf wird besser, wenn man auf Wein und Bier verzichtet. Aber auch das Herz, die Psyche und das Immunsystem profitieren von weniger Alkohol.

    1. Wir schlafen besser
      Ein paar Gläser Wein oder Bier am Abend, um noch behaglicher wegzuschlummern? Lieber nicht. Besser schläft es sich ohne. Wenn Sie ein, zwei Gläser Wein getrunken haben, schlafen Sie zwar sicherlich schneller ein. Tatsächlich kann Alkohol die Tiefschlafphase zu Beginn der Nacht sogar verlängern. Das führt aber nicht zu einem erholsameren Schlaf, wie manche vielleicht erwarten würden. Denn: Die Erholsamkeit des Schlafes hängt nicht vom Tiefschlaf ab, sondern von der Schlafkontinuität. Und letztere kann Alkohol in mehrfacher Hinsicht stören.
      Der Schlaf ist nämlich unruhiger. Sie wachen nach drei oder vier Stunden wieder auf und kommen dann schlecht in die zweite Schlafhälfte rein. Denn nach diesen drei bis vier Stunden hat der Körper den Alkohol verstoffwechselt. Die Stoffe, die dabei übrig bleiben, führen aber dazu, dass er Adrenalin ausschüttet und der Blutdruck steigt (Alcoholism – Clinical and Experimental Research.: Ebrahim et al., 2013).
      Überhaupt reagiert das autonome Nervensystem sensibel auf Alkohol. Das zeigt ein Grossversuch finnischer Forscherinnen und Forscher mit mehr als 4.000 Freiwilligen (JMIR Mental Health: Pietilä et al., 2018). Diese trugen nachts ein Gerät, das ihre Herzfrequenz mass. Und zwar sowohl in trunkenen als auch in nüchternen Nächten. Dabei zeigte sich, dass schon nach geringen Mengen Alkohol der Herzschlag im Schlaf erhöht war. Daraus schlossen die Forscherinnen, dass der sogenannte Sympathikus länger das Geschehen im Körper dominierte – also der Teil des Nervensystems, der körperliche und geistige Leistungen vorbereitet. Wenn die Menschen hingegen nach einem alkoholfreien Abend einschliefen, konnte eher der Parasympathikus übernehmen – also der Gegenspieler, der den Körper zur Ruhe kommen lässt.
      Alkohol wirkt aber nicht nur über das Nervensystem auf den Schlaf. Weil er die Muskeln erschlaffen lässt und so die Atemwege verengt, fangen viele Menschen an zu schnarchen, wenn sie getrunken haben. Und wer ohnehin zum Schnarchen neigt, atmet alkoholisiert mitunter für kurze Zeit gar nicht. Schon bei geringen Mengen Alkohol kann es bei Schnarchern häufiger zu kurzen Atemaussetzern kommen. So eine Apnoe setzt den Körper unter Stress. Der Mensch wacht immer wieder auf und schnappt nach Luft, der Schlaf leidet. Das ist so, als führe man statt auf der Autobahn über eine Schotterstrasse. Betroffene ahnen von all dem meist nichts, weil sie sich morgens an die Atemaussetzer nicht erinnern können. Schlafmediziner können die Aussetzer dagegen im Schlaflabor unter anderem anhand einer schlechten Sauerstoffsättigung im Blut erkennen.
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    2. Die Leber entfettet
      Dass die Leber leidet, wenn der Mensch trinkt, weiss jeder. Umgekehrt profitiert sie aber auch schnell, wenn ihr Alkohol erspart bleibt. Denn die Leber ist eine Meisterin der Regeneration. Eine Studie zeigt das exemplarisch: Bei Probanden, die vier Wochen lang täglich eine halbe Flasche Wein tranken, stiegen die Leberwerte an. Nachdem sie damit aufgehört hatten, sanken sie aber binnen zwei Wochen nahezu auf den Ausgangswert zurück (Journal of Clinical Laboratory Analysis: Randell et al., 1998).
      Wenn die Leber damit beschäftigt ist, Alkohol abzubauen, belastet sie das gleich in zweifacher Hinsicht: Der Abbau von Fettsäuren wird blockiert und der Aufbau von Fettsäuren favorisiert. Wird die Leber davon fett, merkt ein Mensch das zunächst nicht. Unter bestimmten Umständen kann sie sich aber entzünden – Fachleute sprechen dann von alkoholischer Hepatitis.
      Eine alkoholische Hepatitis kann zu einer Fibrose oder gar Leberzirrhose führen. So nennt man eine stark vernarbte und steife Leber, die ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen kann. Im Stadium der Zirrhose führt der Weg zurück zu einer gesunden Leber nur über eine Transplantation.
      Sogar eine alkoholische Fettleber kann wieder auf gesunde Masse abnehmen. Wenn wir nur sieben Tage auf Alkohol verzichten, kann die Leber schon um die 20 Prozent entfetten. Das beugt Krankheiten wie Leberfibrose oder -zirrhose vor. Und wer bereits an Hepatitis oder Fibrose leidet, kann diese durch Abstinenz teilweise sogar rückgängig machen. Eine Leberzirrhose dagegen verschwindet nicht mehr – betroffene Patienten, die nicht mehr trinken, leben aber deutlich länger (Addiction: Verrill et al., 2009).
      Allgemein gilt: Je länger ein Mensch abstinent bleibt, desto besser regeneriert sich die Leber. Wer nicht ganz auf Alkohol verzichten will, könnte zumindest eine Regel beherzigen: Nach dem Alkoholtrinken sollte die Leber genug Zeit zur Erholung bekommen – mindestens zwei bis drei Tage, selbst dann, wenn es nur ein, zwei Gläser Rotwein waren. Denn auch eine Leber braucht mal Ruhe.
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    3. Wir nehmen ab
      Auf Alkohol zu verzichten, ist ein ziemlich einfacher Weg, Kalorien zu reduzieren. Zum einen, das liegt auf der Hand, weil Bier, Wein und Schnaps recht viel davon enthalten. Zum anderen, weil Alkohol uns obendrein mehr essen lässt. Er regt nämlich den Appetit an (British Journal of Nutrition: Kwok et al., 2019, PDF). Erstens aus Gewohnheit, weil wir gelernt haben, dass zum Alkohol ein Snack oder eine Mahlzeit gehört. Zweitens beeinflusst er die Hormonausschüttung, über die im Gehirn das Sättigungsgefühl reguliert wird (Current Opinion in Clinical Nutrition and Metabolic Care: Yeomans et al., 2003).
      Niederländische Forscherinnen demonstrierten das in einem kleinen Experiment: Sie servierten ihren Versuchspersonen entweder Wodka-Orange oder nur Orangensaft. Danach gab es Mittagessen. Diejenigen, die Wodka-Orange getrunken hatten, assen beim folgenden Mahl im Schnitt elf Prozent mehr. Ausserdem hatten sie grössere Lust auf fettreiche und herzhafte Speisen (Appetite: Schrieks et al., 2015).
      Das liege unter anderem daran, dass der Blutzuckerspiegel sinkt, wenn wir Alkohol trinken. Die Leber baut zunächst nach Kräften den Alkohol ab und schafft es kurzzeitig nicht, Blutzucker zu produzieren. Dadurch kann der Blutzuckerspiegel sinken und uns überkommt – mit einiger Verzögerung – der Appetit.
      Zwar ist die Beweislage zum Zusammenhang zwischen Alkohol und Übergewicht nicht eindeutig (Current Obesity Reports: Traversy & Chaput, 2015), Studien weisen aber in der Tendenz darauf hin, dass Menschen, die viel Alkohol trinken, auch leichter zunehmen (European Journal of Clinical Nutrition: Lourenco et al., 2012). Vor allem starker und regelmässiger Alkoholkonsum wirkt sich offenbar auf das Gewicht aus. Das gilt besonders für Männer, die im Schnitt mehr Alkohol trinken und mit Vorliebe eine Sorte: hochkalorisches Bier (Health Economics: French et al., 2010).
      Alkohol führt aber nicht nur dazu, dass wir mehr Kalorien zu uns nehmen, sondern auch dazu, dass wir weniger verbrennen. Denn er bindet Menschen an den Esstisch oder die Couch, er macht träge. Wer den Feierabend erst mal mit einem Bier eingeläutet hat, geht danach wohl eher nicht mehr ins Fitnessstudio.
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    4. Das Krebsrisiko sinkt
      Zugegeben, es dauert Jahre, bis der Verzicht auf Alkohol sich hier bemerkbar macht: Aber Menschen, die wenig oder gar keinen Alkohol trinken, haben ein geringeres Risiko, an Krebs zu erkranken.
      Laut der Internationalen Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation liessen sich im Jahr 2020 vier Prozent aller neu diagnostizierten Krebserkrankungen in Deutschland auf Alkoholkonsum zurückführen. Insgesamt geht es um 22.000 Krebsfälle in einem Jahr. Auch wenn es vor allem hohe Alkoholmengen sind, die zu einem Grossteil dieser Krebsfälle beitragen, sind sich viele Fachleute in Sachen Krebs inzwischen einig: Je weniger Alkohol, desto geringer das Risiko. Am besten: gar keiner.
      Denn auch schon geringe Mengen Alkohol erhöhen über die Zeit das Risiko für Krebs im Mund- und Rachenraum, in der Speiseröhre und im Kehlkopf. Dasselbe gilt für Brustkrebs bei Frauen. Im Hinblick auf das Brustkrebsrisiko gibt es ebenso wie für Speiseröhrenkrebs gar keine völlig unbedenkliche Trinkmenge (World Cancer Research Fund, 2018, PDF).
      Das Risiko von Darmkrebs steigt ab etwa zwei alkoholischen Getränken pro Tag (30 Gramm reiner Alkohol) deutlich an. Zu einem leicht erhöhten Risiko tragen aber offenbar auch schon niedrigere Konsummengen bei (Annals of Oncology: Fedirko et al., 2011). Ab drei Gläsern (45 Gramm) werden auch Leber- und Magenkrebs wahrscheinlicher. Besonders hoch ist das Risiko, wenn man nicht nur trinkt, sondern auch raucht.
      Dass Alkohol Krebs verursachen kann, liegt unter anderem daran, dass seine Abbauprodukte zu DNA-Schäden führen. Zwar hat der Körper ein Reparatursystem, um solche Schäden zu korrigieren. Nur, Alkohol schädigt unglücklicherweise auch unser Reparatursystem. Die gute Nachricht: Lässt man das Trinken sein, kann sich das System erholen und die Schäden an der DNA reparieren.
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    5. Das Herz bleibt leichter im Takt
      Die Beziehung von Herz und Alkohol ist kompliziert: Zwar deuteten in der Vergangenheit Studien darauf hin, dass etwa Rotweinkonsum in Massen positiv aufs Herz wirken könnte. Doch die Beweislage ist umstritten. Insgesamt mehren sich die Hinweise, dass auch fürs Herz gilt: Je weniger Alkohol, desto besser.
      So zeigte erst kürzlich eine Studie mit mehr als 370.000 Teilnehmern, dass Menschen mit leichtem bis moderatem Alkoholkonsum generell einen gesünderen Lebensstil pflegen – auch im Vergleich zu reinen Abstinenzlern (JAMA: Biddinger et al., 2022, PDF). Es sei demnach wohl weniger der Alkohol, der das Herz schützt, sondern eher der ansonsten gesunde Lebensstil, folgern die Autoren. Sie kamen zu dem Schluss, dass Alkoholkonsum in jeglicher Höhe mit einem erhöhten Risiko etwa für Erkrankungen der Herzkranzgefässe einhergeht.
      Auch Alkohol und Blutdruck zeigen eine Wechselwirkung. Alkohol kann niedrigen Blutdruck noch weiter senken und hohen Blutdruck weiter erhöhen. Umgekehrt lässt sich auch bei Bluthochdruck mit Alkoholverzicht gegensteuern: Eine Analyse verschiedener Studien ergab, dass bei Menschen, die mehr als zwei alkoholische Getränke am Tag tranken, der Blutdruck sank, wenn sie den Alkoholkonsum deutlich reduzierten. Und je höher das anfängliche Trinkniveau, desto stärker der Effekt (The Lancet Public Health: Roerecke et al., 2017).
      Zwar spielen bei Herzkreislauferkrankungen meist verschiedene Dinge eine Rolle. Wenn Patienten mit Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck oder anderen Beschwerden zu mir kommen, rate ich ihnen trotzdem stets den Alkohol wegzulassen. Ich kann ja nur überlegen: Welche Faktoren kann ich in meinem Lifestyle verändern? Und das ist eben der Alkohol.
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    6. Das Immunsystem arbeitet effektiver
      Wer keinen Alkohol trinkt, hilft seinem Immunsystem. Das gilt zum Beispiel für die weissen Blutkörperchen, die eindringende Krankheitserreger bekämpfen und Botenstoffe ausschütten, um weitere Zellen des Immunsystems zu aktivieren. Alkohol hemmt diesen Prozess gleich an mehreren Stellen (BMC Immunology: Pruett & Fan, 2009). So werden zum Beispiel weniger Botenstoffe ausgeschüttet, während gleichzeitig die Zahl der sogenannten Monozyten sinkt, die zu den weissen Blutkörperchen gehören und sich in Makrophagen, sogenannte Fresszellen, verwandeln.
      Häufiger und übermässiger Alkoholkonsum hat darüber hinaus offenbar negative Effekte auf die Darmbakterien – was ebenfalls Folgen für das Immunsystem haben kann. Regelmässiger Alkoholkonsum kann die Zusammensetzung der Darmflora verändern und dadurch die Darmbarriere schwächen. Bakterien könnten dann aus dem Darm ins Blut gelangen, wo das Immunsystem auf sie reagiert. Dadurch werde das Immunsystem kontinuierlich stimuliert. Ausserdem schüttet der Körper Entzündungsbotenstoffe aus. Das kann andere Organe schädigen und letztendlich auch zu einer Immunschwäche führen, weil sich der Körper nicht leisten kann, das Immunsystem ständig hochzuregulieren. Deshalb sind Menschen, die dauerhaft und in einer schädlichen Menge Alkohol konsumieren, anfälliger für Infektionen (Alcohol Research: Sarkar et al., 2015).
      Wer auf Alkohol verzichtet, lässt also die körpereigenen Abwehrkräfte ungestört arbeiten. Und auch bei Menschen, die durch regelmässigen Alkoholkonsum ein bereits beeinträchtigtes Immunsystem haben, führt Abstinenz immer zu einer Verbesserung.
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    7. Der Psyche geht es besser!
      Die psychische Gesundheit eines Menschen hängt zwar von vielen Faktoren ab. Doch es gibt erste Hinweise darauf, dass Alkoholverzicht positiv auf sie wirken könnte. So fanden Forscherinnen und Forscher der Universität Hongkong heraus, dass sich das mentale Wohlbefinden von Menschen verbesserte, wenn sie keinen Alkohol mehr tranken (CMAJ: Yao et al. 2019).
      Kurzfristig kann der Verzicht auf Alkohol allerdings auch zu einem Stimmungsabschwung führen. Alkohol hat pharmakologische Effekte, es wirkt in unserem Gehirn also wie ein Medikament. Der Haupteffekt von Alkohol ist, dass er die sogenannten GABA-Rezeptoren aktiviert und ihre Gegenspieler, die Glutamat-Rezeptoren, hemmt. Das, macht zum einen müde oder weniger aktiv, kann zum anderen aber auch angstlösend wirken.
      Dabei tritt mit der Zeit jedoch ein Gewöhnungseffekt ein. Wer regelmässig trinkt, bei dem reguliert der Körper die GABA-Rezeptoren herunter, die gleiche Menge Alkohol hat dann einen deutlich geringeren Effekt.
      Wer ans Trinken gewöhnt ist und dann aufhört, bei dem muss der Körper sich also gewissermassen zurück anpassen, was einige Tage dauert. Die Effekte kehren sich vorübergehend um: Die Person wird möglicherweise unruhiger, ängstlicher, reizbarer und kann schlechter einschlafen.
      Warum Alkoholverzicht langfristig aber dem psychischen Wohlbefinden dienen kann, wird biochemisch erklärt. Alkohol wirkt nämlich auch auf das Belohnungssystem des Gehirns. Wenn ein Mensch nun häufig trinkt, fokussiert sich das Belohnungssystem irgendwann auf den Alkohol. Andere Stimuli, die belohnend wirken könnten, wie Sport oder eine glückliche Paarbeziehung, werden weniger bedeutend.
      Deshalb können sich schon durch moderaten, regelmässigen Alkoholkonsum die Interessen, Hobbys und sozialen Interaktionen verändern. Für Menschen, die viel Alkohol trinken, wird alles attraktiver, was Alkoholkonsum beinhalten kann: Fussballgucken oder in die Kneipe gehen beispielsweise. Und Dinge, die früher wichtig waren, machen weniger Spass. Umgekehrt heisst das: Wenn diese Menschen aufhören zu trinken, haben andere Interessen – und damit andere Glücksmacher – wieder grössere Chancen.
      (aus DIE ZEIT, 19/2022)

    Alkoholsucht
    KEINE Willensleistung, sondern eine Veränderung des Hirns!

    (aus der REPUBLIK, republik.ch/2023/03/30/gibt-es-fuer-alkoholkranke-einen-reset)

    Was ist „Sucht“? Zum einen wiederholt rausch­trinken (Rauschtrinker), zum anderen regelmässig und lange zu viel trinken (Pegeltrinker).
    Und das Wichtigste zuerst: Sucht hat nichts mit Willensleistung oder mit Schuld zu tun! Dies wurde klar, als Forscher in den Hirnen nach Erklärungen für die Sucht zu suchen begannen. Die Forscher, das sind Christian Lüscher und sein Team von der Universität Genf. Lüscher ist Mediziner und Neurologe und erforscht, wie Sucht im Gehirn entsteht. Begonnen hat er damit vor über 20 Jahren.
    Sie fanden den Ursprung und die Hirnveränderungen bei Süchtigen im Nucleus accumbens, jenem Teil des Belohnungs­systems, wo der Dopamin-Hahn aufgedreht wird. Genau dort kommen auch Informationen aus dem orbitofrontalen Kortex an. Das ist ein Teil der Grosshirn­rinde hinter der Stirn, der als Wächter gilt. Er sagt uns, was wir tun und lassen sollen.
    Die Nerven­zellen des Wächters leiten ihre Informationen über Synapsen, also neuronale Verknüpfungs­stellen, in den Nucleus accumbens weiter. Doch dort schwirrt das ganze Drogen-Dopamin herum, und das sorgt dafür, dass sich die Biochemie der Verknüpfungs­stellen dauerhaft verändert. Und somit ändert sich auch der Informations­fluss vom Wächter.

    «Wer süchtig ist, hat ein verändertes Gehirn», sagt Christian Lüscher. «Das führt dazu, dass man Entscheidungen anders trifft.» Man konsumiere die Substanz, auch wenn das negative Folgen habe.

    Zudem sind bei Süchtigen das limbische System, das Angst und Stress steuert, verändert und aktiv, obwohl es keine Bedrohung gibt. Diese Menschen sind immer in Alarm­bereitschaft. Sie trinken Alkohol nicht, um eine Belohnung zu erfahren, sondern um diese negativen Emotionen und dieser unangenehme innere Zustand loszuwerden.

    Die Genetik spielt auch eine grosse Rolle. Bei der Alkohol­sucht wird die Vererbbarkeit auf etwa 50 Prozent geschätzt. Zudem spielen auch Umwelt­einflüsse und Erfahrungen eine Rolle. Obwohl z.B. Labormäuse, die ja alle dieselben Gene besitzen, ein nicht sehr erfülltes Leben haben, gibt es dennoch individuelle Unterschiede. Zum Beispiel, welchen Platz sie in der Hierarchie ihrer Gruppe einnehmen.

    Solche Erfahrungen können sich im Erbgut bemerkbar machen, indem sie kleine Veränderungen an der Verpackung von Genen auslösen. Dadurch bestimmen sie, ob ein Gen an- oder ausgeschaltet ist. Man spricht von epigenetischen Veränderungen.

    WAS TUN?

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    Alkoholsucht und Aufhören

    Das Rückgängigmachen und die „Auslöschung“ dieser oben beschriebene Hirnveränderungen sind grundsätzlich wohl möglich, falls man das Belohnungs­system mithilfe der Tiefen Hirnstimulation durch Hirn­elektroden behandelt, wie dies bei Parkinson-Patienten bereits erfolgreich getan wird. Dies ist aber noch zu wenig erforscht.

    Die Hoffnung liegt nun auf den Psychedelika. Von ihnen nimmt man an, dass sie die synaptischen Verbindungen, die Verknüpfungs­stellen im Hirn, sozusagen auflockern und so die süchtig machende Veränderung rückgängig machen.
    An der Universität Zürich läuft derzeit ein Versuch, Alkohol­abhängigkeit mit Psilocybin, dem Wirkstoff aus magic mushrooms, zu behandeln. Eine erste, kleine Studie aus dem Jahr 2022 macht Hoffnung. Nach Psilocybin-Behandlungen tranken Patienten weniger häufig als Patienten, die Psycho­therapie oder ein Placebo erhalten hatten. Auch Lüscher in Genf will die Wirkung der Psychedelika in seinem Tier­modell nun genauer erforschen.

    Wie beginne ich das Aufhören: mit Willenskraft? Nein: mit Gewohnheiten

    Wir überschätzen uns und unsere Willenskraft. Wir glauben, wenn wir uns nur am Riemen reissen, könnten wir jederzeit unser Verhalten steuern und unsere Ziele erreichen. Das stimmt aber leider nicht.

    Die Antidiabetesmittel Ozempic oder Wegovy als Antisuchtmittel?

    Es hat sich nun gezeigt, dass Semaglutid & Co neben dem Appetit auch ein Suchtverlangen (gegen Rauchen, Alkohol,…) unterdrückt. Dies passt natürlich zum gehypten Auftritt dieser Medikamente. Die Social-Media-Posts gehen nun mit Erfolgsmedlungen durch die Decke…
    In solcher Euphorie wird immmer übers Ziel ausgeschossen, weshalb man noch nicht mit gutem Gewissen diese neue Indikationsausweitung als bare Münze nehmen kann.
    Zudem hatten wir dies schon etliche Male, dass eine Sucht mit Medikamenten behandelt wurde, worauf man darauf regelmässig von diesen neuen Mittel abhängig wurde, deren Langzeit-Nebenwirkungen man noch gar nicht kennt. Dies geschah auch intensiv mit Amphetaminen zum Abnehmen, mit Nikotinersatzpräparate gegen das Rauchen, usw..

    Warten wir also die laufenden Studien aus der Forschung ab – und auf mehr Langzeiterfahrung.
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    Das «10-Punkte-Programm zum kontrollierten Trinken»

    Hilft denen, die öfter mal ein Bier über den Durst trinken. Die Therapie wird sogar bei Alkoholikern angewandt. Kritiker warnen aber: Bei Süchtigen führt es erst recht in die Sucht.
    Wie läuft dies ab?
    In der ersten Sitzung mit dem Suchtberater bekommt man ein Büchlein, in das man Tag für Tag minutiös aufschrieb, was und wie viel man wann trank. So merkt man vielleicht zum ersten Mal, wie viel man eigentlich trinkt. Dann legt man Woche für Woche fest, wie viel man trinken wollte. Es dauert häufig ein halbes Jahr, bis man seinen Alkoholkonsum wieder im Griff hat. Der Konsum liegt als Ziel zum Beispiel etwa bei 15 «Standarteinheiten» pro Woche, das entspricht 15 Gläser Wein oder 4,5 Liter Bier. Das Potential für eine Sucht ist da. Doch man hat gelernt, mit seinem Alkoholkonsum umzugehen.
    Das Programm zum «kontrollierten Trinken» hat der Psychologieprofessor Joachim Körkel von der Evangelischen Hochschule Nürnberg (D) begründet. Die Therapie richtet sich sowohl an «normale» Zuvieltrinker wie auch an schwere Alkoholiker, wie Körkel sagt: «Das Programm ist für alle Menschen, deren Alkoholkonsum zu hoch ist und die ein gänzlich alkoholfreies Leben nicht anstreben oder für die das unrealistisch ist.»
    Man erreicht damit Menschen, die in einem Grenzbereich zwischen Sucht und Zuvieltrinken sind. Das kontrollierte Trinken ist ein gutes Programm für Leute, denen das Trinken langsam entgleitet und die es wieder unter Kontrolle bringen wollen.
    In den letzten sechs Jahren haben über 300 Betroffene bei den Beratungsstellen der Berner Gesundheit das Programm durchgeführt. Vier von Fünf konnten nach zehn Wochen Ihren Alkoholkonsum und einen Drittel bis die Hälfte reduzieren. Jeder Fünfte hat das Programm abgebrochen.
    Ob das Programm auch für schwere Alkoholiker etwas taugt, ist allerdings heftig umstritten. Körkel ist zwar überzeugt, dass seine Methode auch diesen Patienten helfen kann. Doch viele Fachleute und auch Betroffene lehnen es ab. Die deutsche Internet-Selbsthilfegruppe A-connect «warnt eindringlich vor kontrolliertem Trinken». Viele trockene Alkoholiker würden durch das kontrollierte Trinken in den Irrglauben fallen, sie könnten nach längerer Abstinenzphase wieder mit Alkohol umgehen, schreibt der Verein auf seiner Website. «In zahlreichen uns bekannten Fällen wurde die vereinbarte Alkoholmenge nach und nach gesteigert. Am Ende wurde exzessiver getrunken als zuvor.» Derartige Experimente seien nichts anderes als schleichende Rückfälle.
    Auch Mitglieder der Anonymen Alkoholikern sagen, dass aus ihrer Erfahrungen und aus Äusserungen von Freunden Betroffene immer wieder versucht haben, kontrolliert zu trinken. Langfristig sei es aber nur weiter bergab gegangen.
    Joachim Körkel rechtfertigt sich: «Es gibt nichts, was für alle gilt». Doch es sei fatal, dass die «im Kreise einiger Anonymer Alkoholiker gesammelten Erfahrungen zum sakrosankten Glaubenssystem erhoben werden».
    Doch auch die Erfahrungen der Zürcher Forel Klinik bestätigen, dass das Programm für Süchtige wenig geeignet ist. In der Klinik ist das kontrollierte Trinken als Therapiemethode nicht sinnvoll, so der Tenor. Ein Nebeneinander von kontrolliertem Trinken und Abstinenz unter einem Dach wäre zu risikoreich.
    In einer Untersuchung von ehemaligen Patienten der Forel Klinik waren nur 5 Prozent nach einer stationären Behandlung in der Lage, kontrolliert zu trinken. Sogar die Patienten selber wollten lieber abstinent bleiben. Die Mehrzahl der Patienten entschied sich für eine dauerhafte Abstinenz, da zuvor ein kontrolliertes Trinken gescheitert war oder sie es sich selber nicht zutrauten.
    Das kontrollierte Trinken dient allerdings oft als «Köder» für einen Entzug, so die Forel Klinik: «Wenn sich der Alkoholabhängige mit der dauerhaften Abstinenz nicht arrangieren kann, dann ist das Programm zum kontrollierten Trinken ein guter Einstieg in eine weiterführende Behandlung.»

    Kontrolliertes Trinken: So funktioniert’s:
    – Führen Sie ein Tagebuch über Ihr Trinkverhalten
    – Schreiben Sie jeden Tag auf, was Sie trinken, wieviel, zu welcher Uhrzeit, mit wem und aus welchem Anlass. Eine Anleitung finden Sie unter www.kontrolliertes-trinken.de
    – Setzen Sie sich ein Ziel, wieviel Sie pro Woche maximal trinken wollen.
    – Schreiben Sie am Anfang der Woche genau auf, was sie wann trinken werden. Setzen Sie zwei bis drei abstinente Tage fest.
    – Kontrollieren Sie Ende Woche, ob sie Ihren Trinkplan eingehalten haben und legen Sie die neue Woche fest.

    Kostenlose Onlinetrainings von Universitäten-Gruppe erarbeitet:
    https://geton-training.de/

    Weniger trinken – wie gelingt der Vorsatz?

    Guter Link zur Online-Selbsthilfe bei Alkoholsucht: http://www.selbsthilfealkohol.de/Portal

    Zur Bedeutung des Alkohols in der Menschheitsgeschichte ein berauschender Beitrag aus der Republik: kurze-geschichte-des-lasters.pdf

    Veröffentlicht am 17. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
    Letzte Aktualisierung:
    18. März 2025