Trinken beim Marathon – Hyponatriämie

Ausgetrocknet oder überwässert?

Flüssigkeitsersatz beim Sport ist ein ganz schöner Balanceakt: Trinken die Athleten zu wenig, dehydrieren sie und bekommen Probleme mit Herz und Kreislauf, der Thermoregulation und der Muskelfunktion. Trinken sie zu viel oder falsch, droht eine Hyponatriämie, die zu epileptischen Anfallen, intrakranieller Druckerhöhung, Lungenödem und Atemstillstand führen kann.
Leider sind die Symptome von Überwässerung und Austrocknung zu Beginn jedoch so ähnlich, dass die Sportler daraus kaum Rückschlüsse auf ihren Hydratationszustand ziehen können: Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Orientierungsstörungen und Kopfschmerzen treten sowohl bei Überwässerung als auch bei Austrocknung auf. Allerdings wird der Dehydratations- Kopfschmerz meist als pulsierender Schmerz im Gehirn beschrieben und ist oft mit Überhitzung des Organismus assoziiert.

ausgetrocknet oder überwässert?
Dehdratation (Austrocknung) Hyponatriämie (Überwässerung)
Überhitzung Körperkerntemperatur normal
pulsierender Kopfschmerz Kopfschmerz nimmt stetig zu
Hände und Füsse schwellen
Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Orientierungsstörungen

Ring kneift, Schuh drückt? Todesgefahr!

Bei der Hyponatriämie ist die Körperkerntemperatur dagegen normal, und der Kopfschmerz nimmt stetig zu. Zudem tritt der Natriummangel in der Regel erst nach vier Stunden Sport auf, wenn die Athleten zu viel bzw. zu natriumarm getrunken haben, sodass das herausgeschwitzte Salz nicht ersetzt, sondern das Blut sogar weiter verdünnt wurde. Charakteristischerweise schwellen dann die Hände und Füsse an. Wenn also der Ehering anfängt zu kneifen, die Armbanduhr das Handgelenk einschnürt oder die Schuhe plötzlich drücken, sollten die Sportler an einen Natriummangel denken.
Bei der Dehydratation gelingt es meist, die fehlende Flüssigkeit oral zu ersetzen. Nur bei Bewusstseinsstörungen oder Magen-Darm-Problemen muss man i. v. substituieren. Ein Sportler mit Verdacht auf Hyponatriämie muss dagegen sofort in eine Klinik gebracht werden, wo man ihn per Monitor überwachen und ggf. hypertone Natriumlösung infundieren kann, heisst es in den Leitlinien des amerikanischen Leichtathletikverbandes USA Track & Field (www.usatf.org).
Doch wie viel soll ein Sportler während eines Marathons denn nun trinken, um solchen Problemen vorzubeugen? Am besten ermittelt er einen Flüssigkeitsbedarf vor dem Wettkampf per Selbst-Test (s. Kasten). Geeignet sind Getränke mit einem Natriumgehalt von 0,5 bis 0,7 g pro Liter. Wird die sportliche Belastung voraussichtlich sehr hoch oder dauert länger als 45 bis 50 Minuten, sollten auch Kohlenhydrate enthalten sein, in einem Anteil von 6%. Fruchtsäfte oder Limonade mit 8% Kohlenhydratgehalt sind als Basisgetränk während des Wettkampfes nicht geeignet. Denn dann konzentriert sich der Magen zu sehr auf Resorption des Zuckers und entleer t sich nur verzögert.

Wie viel trinken? Schwitz-Test zeigt’s!
(Nacktgewicht in kg vor dem Sport – Nacktgewicht in kg nach einer Stunde Rennen) x 1000 + zwischenzeitlich getrunkene Flüssigkeit (in ml) = Trinkmenge pro Stunde (in ml)
Mit einem einfachen Schwitz-Test kann der Sportler selbst bestimmen, wie viel er während des Marathons trinken muss: Aufwärmen, Urin lassen und nackt wiegen. Dann eine Stunde in Marathon-Geschwindigkeit laufen und dabei nach Durst trinken. Anschliessend wieder nackt wiegen, ohne vorher Urin zu lassen. Die obenstehende Formel ergibt die Trinkmenge.

 Mit Salzbrezeln zum Marathon!

Glukose und Maltodextrin sind als Zuckerlieferanten gut geeignet, Fruktose führt dagegen häufiger zu gastrointestinalen Problemen. Auf  Alkohol, Koffein und Kohlensäure sollte man während des Sportes verzichten. Denn Alkohol und Koffein erhöhen das Urinvolumen und entziehen dem Körper somit zusätzlich Flüssigkeit, Kohlensäure sorgt für ein Völlegefühl und erniedrigt damit das Trinkvolumen.
Zudem sollten die Läufer natürlich den Marathon gut hydriert beginnen. Der amerikanische Leichtathletikverband empfiehlt, zwei bis drei Stunden vor dem Wettkampf 500 bis 600 ml Flüssigkeit zu trinken und in den letzten zehn Minuten vor dem Start nochmals etwa 300 bis 360 ml. Während des Marathons sollten die Athleten nicht an jeder Verpflegungsstelle trinken, sondern nur, wenn sie wirklich Durst haben, so die Autoren im British Medical Journal (Timothy David Noakes, BMJ 2003; 327: 113-114,  http://bmj.bmjjournals.com/cgi/content/full/327/7407/113 ). So lässt sich die Gefahr der Überwässerung minimieren. An heissen Tagen kann es zudem sinnvoll sein, vor dem Lauf und in der zweiten Hälfte ein paar Salzbrezeln oder salzige Snacks zu essen bzw. ein kleines Tütchen Salz als Notfallreserve für besonders schwitziges Wetter einzustecken.
Treten schwäche und Kollapsneigung erst nach dem Wettkampf auf, liegt dies meist weder an Dehydratation noch an Natriummangel, sondern daran, dass das Blut nach dem Lauf in den Beinen versackt und dem Oberkörper (also auch dem Hirn) fehlt. “Beine hoch”, heisst dann die Devise.

Abschliessend nochmals die wichtigsten Trinktipps für Sportler:

  • vor dem Wettkampf trinken

  • nur bei Durst trinken

  • keine Kohlensäure, Alkohol, Koffein

  • kneifender Ehering, einschnürende Socken: Natriummangel!

Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
18. November 2017

Immunsystem “stärken” oder besser: balancieren

Wie kann ich mein Immun­system stärken?

Gegenfrage: Sind Sie sicher, dass Sie das wirklich wollen? Und wissen Sie, was genau Sie stärken wollen? Sollen es mehr Abwehr­stoffe sein? Mehr Antikörper? Oder mehr Killer-T-Zellen? All diese unterschiedlichen Komponenten sind im Gleich­gewicht – und müssen das auch sein. Sie regulieren sich gegenseitig. Ist eine Komponente zu stark, schädigt das den Körper. Das Corona­virus zum Beispiel unterläuft das Immun­system, so dass dieses mehr entzündungs­fördernde Stoffe als nötig ausschüttet. Vielen Covid-19-Opfern wurde genau diese überschiessende Immun­reaktion zum Verhängnis.

Dennoch ist das Konzept der Stärkung des Immun­systems populär. Zu Beginn der Pandemie, von April bis Mai 2020, verzeichnete der Hashtag «#immuneboost» auf Instagram einen Anstieg von über 50 Prozent, wie kanadische Forscherinnen herausfanden.

Ein brasilianisch-britisches Forscher­team analysierte, welche Websites bei der Suche nach dem Schlagwort «boost immunity» aufploppten. Die meisten gaben Ernährungs­tipps oder bewarben Vitamine, Anti­oxidantien, Probiotika und Mineralien. Nur 12 Prozent erwähnten eine Impfung als Möglichkeit, das Immun­system zu stärken. Von Nahrungs­ergänzungs­mitteln wie Vitamin C und Selen halte ich eher nichts. Wir sind aufgrund unserer sozio­ökonomischen Situation in der Schweiz oder Deutschland, wo wir normal essen, nicht jeden Tag zu McDonald’s gehen und keinen Hunger leiden, nicht mangelernährt. Deshalb bringen die Hilfsmittel aus der Apotheke wahrscheinlich wenig, sie werden einfach wieder ausgeschieden.

Eine gezielte Stärkung des Immun­systems ist kaum möglich – ausser vielleicht über Impfungen. Da sind sich alle Expertinnen einig. Aber man kann einiges tun, um das Immun­system nicht zu schwächen oder in einem gesunden Zustand zu halten.

Die Ernährung spielt dabei eine wichtige Rolle, weil sie das Mikrobiom unseres Darms beeinflusst – also die Vielfalt und Zusammen­setzung an Bakterien in unserem Verdauungs­organ. Das Mikrobiom hat einen starken Einfluss auf das Immun­system. Es ist wie eine Schranke im Darm. Ein gesundes Mikrobiom hilft, diese Darm­schranke aufrechtzuerhalten. 
Ernähren wir uns aber zu einseitig, schaden wir dem Mikro­biom und die Schranke wird durchlässig. Dann gelangen Schad­stoffe in den Körper, und die Entzündungs­werte im Blut steigen an. Unser Immun­system wird «unspezifisch aktiviert». Es ist dauer­nervös, was viele Erkrankungen begünstigt. Nicht nur Infektions­krankheiten, sondern auch nicht übertragbare Krankheiten wie etwa Diabetes.

Was nun folgt, können Sie vielleicht langsam nicht mehr hören. Es ist deswegen aber nicht weniger wahr.

Es ist – nebst ausreichend Schlaf und, wie erwähnt, dem Kontakt zu Mikroben als Kind – eine gesunde, ausgewogene Ernährung mit wenig Fleisch, wenig Salz, viel Gemüse und Ballast­stoffe, die eine vielfältige Darmflora erhält und damit ein entspanntes und schlag­kräftiges Immun­system.

Das Immun­system ist unglaublich komplex. Und das bringt Unsicherheit. In Momenten, in denen wir unsicher sind, entscheidet häufig unser Bauch­gefühl. Und das sagt: Was natürlich ist, ist gut.

Doch wenn es um Infektionen geht, ist das zu kurz gedacht. Infektionen machen uns nicht stärker, nur weil sie vermeintlich natürlich sind. Abgesehen davon, dass Grippe, Masern oder sogar Erkältungen in Jäger- und Sammler­gemeinschaften praktisch überhaupt nicht existierten, können uns Infektionen sogar langfristig schwächen. Wir müssen sie deshalb nicht mit Händen und Füssen vermeiden, aber wir müssen sie auch nicht provozieren. Nicht nur aus Selbst­schutz, sondern auch aus Solidarität zu unseren Mitmenschen.

Salz ist “Gift” für unser Immunsystem

Viel Salz führt nicht nur zu einem Blutdruckanstieg, sondern auch zu einer Entzündungsantwort (Stimulation proinflammatorischer TH17-Zellen). Durch Salz wird der Lactobacillus murinus in unserer Darmflora gehemmt. Diese Darmbakterien hemmen aber die Entwicklung dieser TH17-Zellen. Deshalb ist wenig Salz auch gut für unser Immunsystem.
(Nature.2017;551:585-9)

Was macht unser Immunsystem nun aus?

Die Immunologie versucht mit modernem technischen Gerät, die Komplexität der menschlichen Körperabwehr zu durchdringen. Mindestens 15 verschiedene Typen an Abwehrzellen haben wir, die sich über viele Dutzende Botenstoffe und rund 350 verschiedene Oberflächenmoleküle unterhalten, beziehungsweise in Aktion treten können. Die Immunabwehr ist die Grundlage unserer Gesundheit, doch kein Mediziner könne heute mit Hilfe einer Blutuntersuchung sagen: „Ihr Immunsystem funktioniert normal oder gar besonders gut und schützt sie sicher vor Infekten oder Krebs“. Niemand kann mit Hilfe klinischer Messwerte nachweisen, dass gewisse Nährstoffe oder Verhaltensweisen, dass Immunsystem „stärken“. Nur ein systembiologischer Ansatz, der möglichst viele Einflussfaktoren berücksichtigt, könnte hier weiterhelfen.

Das Immunsystem eines erwachsenen, 73 Kilogramm schweren Mannes besteht aus rund 1,8 Billionen Zellen. Das ist ein beträchtlicher Anteil an den Zellen des Körpers insgesamt: Dies sind insgesamt 36 Billionen Zellen (Studie aus Stanford). Rund fünf Prozent seiner Zellen wendet der Mensch also für seine innere Sicherheit auf. Zusammen wiegt die Armee der Immunzellen 1,2 Kilogramm.

Was heisst dann “Immunität”?

Immunität beziehungsweise der Grad des Immunschutzes kann unterschiedlich ausfallen. „Immunität“ kann bedeuten, dass sich ein Krankheitserreger gar nicht erst in den Schleimhäuten ansiedeln kann, sondern schon vor dem Eindringen in Körperzellen durch Abwehrstoffe blockiert wird. Fachleute sprechen hier von einer „kompletten Immunität“ oder „absoluten Unempfänglichkeit“. Ein Zustand, den man zum Beispiel beim Coronavirus wohl kaum erreichen kann. Immunschutz kann auch bedeuten, dass sich ein Krankheitserreger im Körper zwar ausbreitet, aber nicht so stark wie bei einer Person ohne Immunschutz, und die Person daher nicht schwer erkrankt – im Fachjargon heisst das dann „partielle Immunität“ oder „Teilimmunität“ – in der Corona-Pandemie ein Riesengewinn.

Was heisst das nun in Bezug auf Impfungen?

Impfen macht auch bei Covid-19 den Unterschied. Eine Impfung schützt zwar kaum vor einer Ansteckung. Im Vergleich zu ungeimpften Menschen erleiden aber Geimpfte sehr selten schwere Covid-19-Verläufe – und auch viel seltener einen Long-Covid-Verlauf!

Einschub:

Impfung gegen Krebs

Wie genau funktionieren Impfungen gegen Krebs?

Alle Impfungen wirken unter anderem auf die sogenannten T-Lymphozyten, kurz T-Zellen oder Killerzellen – also diejenigen Zellen unseres Immunsystems, die kranke Körperzellen gezielt zerstören können, sofern sie sie erkennen. Im Fall einer Viruserkrankung tun sie dies anhand von Virus-Antigenen, die infizierte Zellen an ihrer Oberfläche präsentieren. Auch Krebszellen haben an der Oberfläche Krebs-Antigene.
Solche Peptide oder Eiweiss-Stückchen spritzt man auch den Patienten als Impfstoff – in der Hoffnung, dass die Killerzellen dadurch aktiviert werden, sich vervielfältigen und im Körper ausschwärmen, um Krebszellen zu finden und zu zerstören.
 

Die Krebszellen und damit auch diese Krebs-Antigene sind doch bereits vor der Impfung im Körper, und die Killerzellen haben sie bis dahin offenbar nicht bekämpft. Was ändert sich durch die Impfung?

Im Unterschied zu einer akuten Viruserkrankung, bei der im ganzen Körper massenhaft Killerzellen auftreten, gibt es bei Krebs viel weniger. Krebs-Antigene sind meist weniger markant als beispielsweise Virus-Antigene. Das verbessert sich durch die Impfung, welche es erlaubt, dem Immunsystem Krebs-Antigene in grossen Mengen zu präsentieren.
 
Im menschlichen Körper bilden sich häufig einzelne Krebszellen, die dann vom Immunsystem erkannt und zerstört werden, ohne dass wir erkranken. Erst wenn das nicht mehr funktioniert, kann der Krebs wachsen und sich ausbreiten. Krebszellen haben dann oftmals gelernt, das Immunsystem zu umgehen und die T-Zellen zu stoppen, sodass die Immunantwort eben nicht wie gewohnt stattfinden kann.
T-Zellen verfügen an ihrer Oberfläche über Rezeptoren, sogenannte Checkpoints, die sie in ihrer Aktivität bremsen, sobald gewisse Moleküle daran binden. Wenn eine T-Zelle einer gesunden Körperzelle begegnet, signalisieren diese Rezeptoren: Alles in Ordnung, du kannst mich in Ruhe lassen. Leider benutzen Krebszellen die gleiche Strategie, und werden so fälschlicherweise auch in Ruhe gelassen.
Hier setzen die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren an. Die medikamentös verabreichten Antikörper blockieren die Checkpoints, und ohne diese Bremsen können die T-Zellen wieder angreifen und den Krebs bekämpfen. Ein erster solcher Antikörper wurde 2011 als Medikament gegen Schwarzen Hautkrebs zugelassen. Heute sind bereits über zehn solcher Antikörper im Einsatz, gegen verschiedene Krebsarten.
 

Was sind denn die häufigsten Nebenwirkungen von Immuntherapien gegen Krebs?

Das ist ein wichtiger Themenkreis. Die Organe, die empfindlich sind für Autoimmun-Reaktionen sind beispielsweise der Darm oder die Leber. Darmentzündung oder Hepatitis können Nebenwirkungen sein. Auch bei hormonproduzierenden Organen wie Hirnanhangsdrüse, Nebenniere, Schilddrüse, und weiteren kann es zu Entzündungen kommen, was hormonelle Störungen zur Folge haben kann. Auch Lunge, Haut und weitere Organe können sich entzünden.
 
Bei starken Autoimmun-Reaktionen muss man unter Umständen mit der Immuntherapie zurückfahren. Wenn Krebs-Impfungen die Nebenwirkungen von Immuntherapien verringern könnten, wäre das ein wichtiger Schritt.

Was tun für eine bessere Immunität?!

1.) Immunsystem-Training…

Ganz falsch ist die Annahme vom Immunsystem, das üben muss nicht. Aber sie hängt stark von individuellen Faktoren ab, gilt vor allem für Kinder und nur beschränkt für krankmachende, sondern vor allem für die sogenannt guten Bakterien und Viren, die auf und in uns leben.
Forscher der US-Universität Harvard wiesen 2017 in einer Studie im Fachmagazin «Science» beispielsweise nach, was eine Masernerkrankung mit der körpereigenen Abwehr macht. Das Masernvirus hat die unangenehme Fähigkeit, bei Erkrankten Antikörper gegen andere Infektionen aus dem Gedächtnis des Immunsystems zu löschen. Denn es befällt auch die Immunzellen.
 

Coronavirus lässt T-Zellen sterben

Bis zu 70 Prozent der Antikörper gegen Erreger wie Grippe, Herpes oder gewisse Bakterien konnte das Masernvirus in erkrankten Kindern ausradieren. Es führt zu einer eigentlichen «Immun-Amnesie» und in der Folge zu schlechterem Schutz vor anderen Erregern. Die Forscher schrieben deshalb: «Masern sind eine noch grössere Bedrohung, als wir bisher annahmen.»
Das Masernvirus ist nicht das einzige Virus, von dem solche Effekte bekannt sind. Auch bei Covid gibt es Hinweise, dass das Coronavirus Sars-CoV-2 T-Zellen sterben lässt, wie eine Studie des Unispitals Zürich zeigte. Und nicht nur die Effekte auf das Immunsystem dauern über die eigentliche Erkrankung hin an. Man weiss auch, dass das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und für neurologische Leiden nach einer durchgemachten Covid-Infektion steigt. Das hat mit den Entzündungen, die das Virus im Körper auslöst, und ihren Folgeschäden zu tun.
Kurz nach einem viralen Infekt ist das Immunsystem oftmals allgemein geschwächt. Deshalb kommt es beispielsweise nach einer Grippeerkrankung manchmal noch zu bakteriellen Infektionen, und die Patienten entwickeln eine Lungenentzündung.
 

Deshalb ist es in vielen Fällen keine gute Idee, sich als Erwachsener freiwillig Erregern auszusetzen.

Wie schnell sich das Immunsystem nach einer Infektion erholt, hängt von verschiedenen Faktoren und vor allem vom Alter des Erkrankten ab. Der Effekt kann Wochen bis Monate anhalten. Deshalb ist es in vielen Fällen keine gute Idee, sich als Erwachsener freiwillig Erregern auszusetzen.
 
Trotzdem ist Kontakt mit Viren und Bakterien für die körpereigene Abwehr wichtig, das gilt vor allem in den ersten Lebensjahren. Weil unser Immunsystem ein Gedächtnis hat und sich an Keime, gegen die es schon einmal gekämpft hat, erinnert, helfen diese T-Zellen (Gedächtniszellen) bei erneutem Kontakt.
 
In der Pandemie haben wir gelernt: Wenn bereits eine gewisse Abwehr vorhanden ist, sollten Krankheitsverläufe weniger schwer ausfallen. Auch von dieser Regel gibt es Ausnahmen. Beim Denguefieber, das von tropischen Stechmücken übertragen wird, verlaufen erneute Erkrankungen meist schwerer.
Einen ersten Kontakt mit einem Erreger, um Gedächtniszellen zu bilden, bieten auch Impfungen. Wie das Beispiel der Masern und von Covid zeigen, sind Impfstoffe in vielen Fällen der sicherere Weg als die Infektion. Doch es spielt auch eine Rolle, wie gut der Schutz ist, den die Impfung im Körper auslöst.
 

Kinder haben eine schnellere adaptive Immunantwort

Bei Masern ist der Schutz sehr gut. Weniger gut ist er bei der jährlichen Grippeimpfung, die auch nur ein halbes Jahr hält. Wer jedoch als junger Erwachsener eine Grippe durchgemacht hat, der kann Jahrzehnte von diesem Schutz zehren. Allerdings nur, wenn es sich um die gleiche Virusvariante handelt. Das Grippevirus verändert sich ständig. Auch die Variante des Influenzavirus, mit dem man als Kind erstmals zu tun hat, hinterlässt meist einen gewissen lebenslangen Schutz, zumindest vor schweren Verläufen.
Kinder haben eine schnellere adaptive Immunantwort, weshalb sie mit neuen Viren und Bakterien meist besser klarkommen als Erwachsene. Bei manchen Erregern wie beispielsweise den Windpocken ist es deshalb von Vorteil, wenn man sie als Kind durchmacht. Wer im Erwachsenenalter das erste Mal mit Windpocken in Kontakt kommt, erkrankt meist schwer, während die Infektion für Kinder in der Regel leicht verläuft.
 
Viele Diskussionen gab es in den letzten Jahren um die Zunahme von Allergien. Das Immunsystem kämpft bei Allergien gegen etwas, was es eigentlich nicht bekämpfen müsste. In diesem Zusammenhang kam die sogenannte Hygiene-Theorie auf: Unser Immunsystem sei unterbeschäftigt, heisst es, weil wir in der westlichen Welt heute viel weniger mit Keimen in Kontakt kommen als während eines grossen Teils unserer Evolution. Und deshalb wären Infektionen im Kindesalter von Vorteil.
Das jedoch ist ein Missverständnis, wie die amerikanische Medizinprofessorin Lisa Iannattone kürzlich in einem Twitter-Thread erklärte. Die Hygiene-Theorie müsste eigentlich Biodiversitäts-Theorie heissen. Einen Schutz vor Allergien bietet im Kindesalter nicht der Kontakt mit krankmachenden Keimen. Kinder sollten viel mehr mit möglichst vielen guten Bakterien zu tun haben, die in unserem Mikrobenzoo, dem Mikrobiom, auf der Haut und im Darm leben (siehe unten “mehr Dreck!”).
(Quellen: Alexandra Bröhm, Wissenschaftsjournalistin in Tagesanzeiger & Dr. Lisa Iannattone, @lisa_iannattone)

2.) Löcher stopfen!

Löcher, in denen wir (und speziell unser Immunsystem) Energie verlieren und schlussendlich für seine Kernaufgaben (Entzündungshemmung, Infektionsabwehr, Krebsverhinderung) keine Kapazität mehr haben.

“Gesund leben” stärkt unser Immunsystem!

Das Immunsystem wird durch einen Riesenhaufen von Faktoren gestärkt oder geschwächt. In meinem Fragebogen zur Überprüfung unseres Gesundheitsverhaltens finden Sie die Wesentlichsten dieser Punkte, bei denen Sie viel Energie gewinnen oder verlieren können.

  • Zuallererst und am allerwichtigsten – auch momentan gegen den Coronavirus: 2 enorm starke Aufrufe! die man jetzt, sofort in Angriff nehmen kann:
  • Weiter: Studien zeigen etwas, was wir ja schon lange wissen: Sex stärkt unser Immunsystem . (u.a. New Scientist, Vol. 162, No. 2182 (1999), S. 6)
  • Regelmässiges Meditieren ebenfalls: siehe hier auf meiner Website >>> www.dr-walser.ch/entspannung/
  • Ausreichend Schlaf, d.h. etwa 7 bis 9 Stunden!
  • Singen fördert die Produktion von Immunglobulinen. Das sind Abwehrstoffe, die vor Viren und anderen Keimen schützen. Forscher massen in der Mundschleimhaut von Chorsängern höhere Werte nach dem Singen als davor.
  • Damit zusammenhängend, sollte man im eigenen Leben und in seinen Tätigkeiten einen Sinn sehen: walserblog.ch/2021/07/04/sinn-im-leben/walserblog.ch/2021/07/04/sinn-im-leben/
  • Lebendigsein hilft dabei enorm: walserblog.ch/2015/04/10/lebendigsein/
  • Fokus auf das “Geschenk in der Krise”: Hierz fällt mir der Witz von dem Bauern ein, der Masern hat und den Landarzt fragt, was er nun tun solle. Worauf der Arzt antwortet: «Seien Sie glücklich. Denn wenn Sie nicht glücklich sind, werden Sie auch Masern haben!»
  • Bewegung – mässig, aber regelmässig – mit kurzen, mehrmals täglichen Intensivteilen (10 bis 20 Sekunden Treppe raufrennen, kurz sprinten – auch auf der Stelle daheim oder im Büro)! Schon zweimal wöchentlich 90 Minuten Laufen (gemächlich – wirkt besser als leistungsbetont schnell!) plus eine wöchentliche “Trainingseinheit” in Eigenregie  – 12 Monate lang durchgeführt, ergab ein enorme Immunmodulation (Studie des Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main bei Crohnpatienten). Als einfache Regel  (“Rhythmus”) gilt auch hier “3in3″: im Minimum 3 Stunden Bewegung wöchentlich, verteilt auf mindestens 3mal! – nicht intensiv und langdauernd, sondern kurz und mässig, aber regelmässig. Wandern oder Spazieren ist optimal. Dies scheint bei diversen Dingen die beste Prophylaxe oder Therapie zu sein (so auch u.a. zur Prophylaxe des Prostatakrebs z.B.).
  • Alltäglichen Rhythmen wieder beachten! Nur wenn wir im Tages-, Wochen- und Jahresverlauf jene Erholungspausen einhalten, die uns biologisch vorgeschrieben sind, kann unser Organismus seine Funktionen wie beim Resetting eines Computers immer wieder synchronisieren und Abweichungen vom Sollzustand (bis zu krebsartigem Ausflippen von Organzellen mit Abwehrvorgängen des Immunsystems) ausgleichen. Ignorieren wir diese Bedürfnisse, ist die Gefahr gross, dass diese Abweichungen immer grösser werden, und damit unser Organismus immer mehr die Fähigkeit verliert, von selbst in seine Ordnung und Ruhe zurückzufinden. Unsere vorgegebenen biologischen Rhythmen scheinen auch tagsüber 90 Minuten lang zu sein (wie die 90 Minuten Tiefschlafphasen nachts): 70 Minuten Aktivität, dann 20 Minuten Ruhe und Erholung. Mein Vorschlag: Alle 70 Minuten tagsüber ein paar Minuten Pause geniessen und ruhig, tief atmen, einen warmen Tee trinken – und wie ein Kind aus dem Fenster staunen… So stellen Sie ihren inneren Rhythmus wieder von der Hamsterrad- zurück in die heilsame Ruhe-Frequenz und stärken so immens Ihr Immunsystem. Lesen Sie dazu auch meinen Blog und die Entspannungs- und Meditationsseite!
  • Männer tut es sehr gut, regelmässig ihr Blut zu spenden und damit ihre Eisenreserven etwas abzubauen (was die Frauen sowieso mit ihren Periodenblutungen tun). Man hat gesehen, dass hohe Eisenwerte Immunvorgänge behindern und Infektionen eher begünstigen. Menschen mit chronischen Infektionen, wie AIDS, zeigen enorm hohe Eisenspeicher. Unter diesem Aspekt ist auch ein leichter Eisenmangel in der Schwangerschaft wohl ein “Infektionsschutz”.
    Und Frauen: möglichst wenig (unnötiges) Eisen einnehmen (Tabletten oder Infusionen – bei heute häufig viel zu hoch angesetzten “Grenzwerten”!).

3.) Immunmodulation

Beim Immunsystem geht es meist nicht um “schwach” oder “stark”, sondern um ein gesundes oder krankes Immunsystem. Ein krankes Immunsystem kann auch dadurch gekennzeichnet sein, dass es zu aktiv ist.
“Modulation” meint, unser Immunsystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Dies ist nun auch sehr wichtig für ein Immunsystem, das zu überschiessenden Antworten neigt, also zu Allergien, Autoimmunstörungen (wie Diabetes, Psoriasis, MS, Rheumatoide Arthritis, M.Bechterew, M.Crohn, Colitis ulcerosa, usw…). Es ist also ebenso wenig gesund wie ein inaktives, schwaches Immunsystem.

  • KEINE Nahrungsergänzungsmittel! Die ganze Pflanze, ob Frucht oder Gemüse ist immer gesünder (und kann von unserem Organismus besser abgebaut werden), als nur ein Teil davon, der in unserem Körper meist selber sofort zum Radikal wird!
  • Die Polyphenole (unter ihnen auch die Flavonoide, OPC (Oligomere Proanthocyanidine) wie Resveratrol,…) aus unserer Nahrung sind hochwirksame Antioxidantien, also Stoffe, die die schnelle Oxydation von sog. Radikalen verhindern. Radikale nehmen wir auch über unser Essen oder auch durch die (verschmutzte) Luft auf (Rauchen!). So wird unser Immunsystem von der Verarbeitung oder Bekämpfung dieser Radikale entlastet. Polyphenole sind also eigentliche “Radikalfänger”. Sie sind vor allem in Bitterstoffen enthalten: bittere Olivenöle (enthalten mehr davon als die eleganten, feinen Extra-Vergine Olivenöle!), bitteres Obst und Gemüse, schwarze Schokoloade…
    Achtung: Resveratrol ist ein typisches “Hochstaplermolekül“!
  • Rapsöl, Olivenöl oder vor allem Leinöl: Leinöl besteht zur Hälfte aus gesunden Omega-3-Fettsäuren. Dies ist viel mehr als bei fettem Fisch oder Rapsöl. Ein halber Esslöffel Leinöl deckt bereits den täglichen Bedarf an diesen Fettsäuren. Sie sind gut fürs Herz und bessern Rheuma-Beschwerden. Allerdings ist Leinöl auch sehr empfindlich. Man sollte es nur kalt geniessen und eine geöffnete Flasche in drei Monaten verbrauchen. Sonst wird das Öl ranzig.
  • Kakao (bittere schwarze – am besten 70% – Schokolade!)
  • Kaffee: ohne Milch!
    Je mehr Milch, desto geringer die antioxidative Wirkung des Kaffees. Selbst mit nur einem Schuss Milch im Kaffee reduziert man die gesundheitsfördernde Wirkung um beinahe die Hälfte!
    Auch die Autophagie -Wirkung des Kaffees wird vermindert.
    Beides wird übrigens durch pflanzlich hergestellte Milchalternativen weniger beeinträchtigt.
  • Äpfel (bittere Sorten enthalten mehr als die süsslichen: z.B. Boscoop – und dabei sehr viel in der Apfelhaut!)
  • Grünteeviele Bitterstoffe erst nach 5 bis 7 Minuten ziehen lassen, nicht siedend heisses Wasser (nur 80 Grad), Bio-Qualität…
  • Allgemein kann man sagen, dass diese Immunsystem-unterstützenden Stoffe auch in allem Obst und Gemüse vorkommen – und dabei ist es wieder von Vorteil auf Bio-Qualität, aber auch auf Mehrfarbigkeit zu achten!
  • Ein Konsum von antioxidativ wirksamen Vitaminen und Mineralstoffen, wie Beta-Carotin, Vitamin A oder E wirken aber gegensätzlich und steigern die Mortalität! Also auch hier gemäss Paracelsus:
    Die ganze Pflanze ist immer besser als ein Einzelteil davon!
  • Natürlich auch weniger Radikale, d.h. aggressive Stoffe aus der Umwelt aufnehmen: Rauchen (dabei wird unser Immunsystem mit mindestens 5000 Radikalen bombardiert!), Ozon und Feinstaub meiden (also auch keine Paraffin-Kerzen, sondern solche aus Pflanzenstearinen oder Bienenwachs) – keine Pestizide, E-Stoffe, künstliche Farben in der Nahrung meiden (Bio!)!
  • WENIG FLEISCH ESSEN – v.a. wenig rotes!
    Pflegen Sie auch auf Ihre (reiche und gute) Darmflora!  jene rund 100 Billionen Bakterien, die mit uns leben. Was heisst dies konkret?! Normalerweise leben die Vertreter der Darmflora (Mikrobiom) einträchtig mit ihrem Wirt. Sie verdauen für uns Giftstoffe und komplexe Kohlenhydrate, mit denen menschliche Enzyme nicht umgehen können. Und sie wehren auch Infektionen krank machender Viren und Bakterien ab.
    Nun wird zum Beispiel das Carnitin im roten Fleisch (Rind, Schwein oder Lamm) von den Darmbakterien zu Trimethylamin verdaut, das dann in der Leber zu Trimethylamin-N-Oxid (TMAO) umgewandelt wird. Carnitin verstärkt u.a. auch die schädliche Wirkung vom Cholesterin. Dies löst eine Kette von Ereignissen aus, die letztlich zu einer Arteriosklerose (Versteifung der Arterien) führt und damit auch zum Herzinfarkt, Hirnschlag,…! Es hat sich nun gezeigt, dass ein Vegetarier sogar ein Steak essen könnte und dass sich dann die (ideale) Zusammensetzung seiner Darmbakterien diesen TMAO-Spiegel nicht erhöhen lassen! Vegetarische Ernährung ergibt also eine fürs Immunsystem und für unsere Blutgefässe optimale Darmflora!
    Ein zusätzlicher Faktor beim Fleisch ist auch der Antibiotika-Gebrauch beim Tier, welches dann mit Antibiotika-Spuren im Fleisch auf unserem Teller endet. Die Qualität des Fleisches (Weidefleisch!) unserer Nahrung ist also für unser Mikrobiom ebenfalls enorm wichtig!
  • Viel Fett im Essen lässt auch die Darmflora verarmen: Menschen, die wenig Fett und mehr Früchte und Gemüse – und auch Vollkornprodukte essen, haben eine reichere Darmbesiedlung.
  • Auch die Qualität der Pflanzen spielt für die Darmflora eine Rolle: Bei Biologischem Obst und Gemüse fehlen die Chemikalien (Herbizide, Insektizide – Glyphosphat!) die u.a. unsere Darmflora direkt schädigen!
  • Wenig Salz! Viel Salz führt nicht nur zu einem, Blutdruckanstieg, sondern auch zu einer Entzündungsantwort (Stimulation proinflammatorischer TH17-Zellen). Durch Salz wird der Lactobacillus murinus in unserer Darmflora gehemmt. Diese Darmbakterien hemmen aber die Entwicklung dieser TH17-Zellen. (Nature.2017;551:585-9)
  • Probiotisch wirksame Substanzen (sehr reichlich im ausgezeichneten Sauerkraut vorhanden, das den in Functional Food beworbenen Milchsäurebakterien in gewissen Joghurts klar vorzuziehen ist!) bereichern auch unsere Darmflora.

    Mein Supertipp: Als Synbiotika die kombinierte Anwendung von Probiotikum und einem für das Probiotikum als “Nahrung” dienendes spezifisches Präbiotikum :
    Bifidus-Natur-Joghurt mit einem geraffelten Apfel!
    Dies konsequent täglich über einen grossen Zeitraum nehmen.

  • MEHR DRECK! Auch Kaiserschnittkinder und solche, die Flaschennahrung (anstatt Muttermilch) erhielten, haben weniger Bakterienvielfalt im Darm. Hingegen verbessert ein Hund im Haushalt die Darmflora des Säuglings. Sicher ist dies auch ein weiterer Grund gegen zuviel Antibiotikatherapie, vor allem im Kleinkindesalter.
    Ältere Menschen sollten nicht zu viel daheim rumsitzen, sondern etwas rausgehen und “sich schmutzig machen”. Je weniger neue äussere Reize auf uns einprasseln, desto mehr verschiebt sich unser Immunsystem in Richtung “erworbene Immunantwort”, was meist die unpräzise, schwache Antwort (auf einen neuen Keim, wie Covid-19) ist!
  • >>> mehr dazu lesen Sie auf meiner Extraseite zur Darmflora hier: www.dr-walser.ch/darmflora/!
  • Wiederholtes kurzfristiges Fasten (nur 16 bis 72 Stunden lang – z.B. jede Woche einen ganzen Tag – oder intermittierend 4 bis 7 Tage pro Woche: “16:8” oder Intervallfasten) führt zu “zellulärem Selbstmord” von Mikroben (Bakterien, Viren), ja sogar Krebszellen! In neueren Studien findet man dabei, dass wiederholtes kürzeres Fasten effektiver und praktikabler ist als langfristiges. Das Fasten löst eine Art zellulären Stress aus. Bei gesunden Zellen führt dies zu Reaktionen, die gegen Schäden durch Sauerstoffradikale schützen. Solche Moleküle entstehen bei Hunger vermehrt. (Ihre Produktion wird aber auch durch viele Chemotherapeutika (Medikamente gegen Krebs) angeregt und gilt als Hauptursache von deren starken Nebenwirkungen. 24 bis 72 Stunden Kurzfasten vor der Chemotherapie bereitet normale Körperzellen offenbar gut auf hohe Konzentrationen von Sauerstoffradikalen vor. Sie sind deshalb eher in der Lage, sich gegen die aggressiven Moleküle zu wehren. Mikroben und Krebszellen hingegen sind kaum fähig, diese Schutzmechanismen anzuschieben. Sie stellen sogar selber zusätzlich noch reichlich aggressive Moleküle her. Das führt dann dazu, dass sie letztlich “zellulären Selbstmord” begehen und damit auch das Immunsystem entlasten, bzw. stärken!
    Diese Autophagie wird auch durch Spermidine angeregt, die wir durch Weintrauben, Nüsse, Hülsenfrüchte (auch Soja), Pilze und gereiften Käse wie Parmesan oder Alpkäse aufnehmen.
  • Vitamine und Mineralstoffe nie synthetisiert und losgelöst von der ganzen Pflanze zu sich nehmen!
    Auch antioxydativ wirkende Vitamine und Mineralstoffe hindern gefährliche Substanzen (z.B. Nitrate, etc.), die wir täglich aufnehmen, daran, Radikale zu werden, d.h. immunschwächend zu wirken. Es sind dies die u.a. Vitamine A, E und C, sowie Selen, Zink, Mangan, Kupfer und auch Eisen. Man sollte diese nicht synthetisiert einzeln oder in käuflichen Multivitaminbomben aufnehmen, sondern im natürlichen Komplex (mit allen sekundären Pflanzenstoffen, die man wiederum zum eigenen Abbau dieser Vitamine benötigt!). In einer ausgewogenen, vollwertigen Ernährung sind obige Vitamine und Spurenelemente meist schon genügend vorhanden. Auch in natürlichen antioxydativ wirkenden Regelkreisläufen, wie im Fischöl (Extrakt aus fettigen Meerfischen), das in Kapselform erhältlich ist (u.a. Omega-3 fatty acids in inflammation and autoimmune diseases; Artemis P, Simopoulos J.; J Am Coll Nutr 2002 (Dec); 21: 495-505; http://www.jacn.org/cgi/content/full/21/6/495)
  • Wer keinen Alkohol trinkt, hilft seinem Immunsystem. Das gilt zum Beispiel für die weissen Blutkörperchen, die eindringende Krankheitserreger bekämpfen und Botenstoffe ausschütten, um weitere Zellen des Immunsystems zu aktivieren. Alkohol hemmt diesen Prozess gleich an mehreren Stellen (BMC Immunology: Pruett & Fan, 2009). So werden zum Beispiel weniger Botenstoffe ausgeschüttet, während gleichzeitig die Zahl der sogenannten Monozyten sinkt, die zu den weissen Blutkörperchen gehören und sich in Makrophagen, sogenannte Fresszellen, verwandeln.
    Häufiger und übermässiger Alkoholkonsum hat darüber hinaus offenbar negative Effekte auf die Darmbakterien – was ebenfalls Folgen für das Immunsystem haben kann. Regelmässiger Alkoholkonsum kann die Zusammensetzung der Darmflora verändern und dadurch die Darmbarriere schwächen. Bakterien könnten dann aus dem Darm ins Blut gelangen, wo das Immunsystem auf sie reagiert. Dadurch werde das Immunsystem kontinuierlich stimuliert. Ausserdem schüttet der Körper Entzündungsbotenstoffe aus. Das kann andere Organe schädigen und letztendlich auch zu einer Immunschwäche führen, weil sich der Körper nicht leisten kann, das Immunsystem ständig hochzuregulieren. Deshalb sind Menschen, die dauerhaft und in einer schädlichen Menge Alkohol konsumieren, anfälliger für Infektionen (Alcohol Research: Sarkar et al., 2015).
    Wer auf Alkohol verzichtet, lässt also die körpereigenen Abwehrkräfte ungestört arbeiten. Und auch bei Menschen, die durch regelmässigen Alkoholkonsum ein bereits beeinträchtigtes Immunsystem haben, führt Abstinenz immer zu einer Verbesserung.

4.) Zur Immunmodulation gehört auch die “Terrainstärkung”:

  • Ein sehr interessanter Ansatz zur Terrainstärkung wurde bereits in mehreren Studien untersucht (Summers RW et al., Am J Gastroenterol 2003; 98: 2034-2041 und Marcovitch H. Can worms treat Crohn’s disease? BMJ 2005;330:330): Menschen mit chronischen Darminfektionen wurden Wurmeier verfuttert (Schweinepeitschenwurm-Trichuris suis – jeweils 2500 intakte Eier als Einzeldosis. Der für den Menschen apathogene Schweine-Peitschenwurm wird nach 8 bis 10 Tagen wieder ausgeschieden.). Die daraus resultierende Darminfektion (die ja bei unserem “sterilen” Trinkwasser und Essen kaum mehr vorkommen und von der Schulmedizin seit Jahrzehnten radikal bekämpft werden) bindet soviel Abwehrkraft des Immunsystems, dass gleich auch die bestehende Colitis (Crohn oder ulcerosa) “weggefegt” wurde und geheilt war! Die These geht dahin, dass wir seit Jahrtausenden Würmer und Parasiten im Darm hatten und unser Immunsystem damit beschäftigt war. Seit mehr als 50 Jahren fehlen diese Parasiten und das Abwehrsystem hat nun überschiessende Kräfte und richtet diese auch mal gegen den eigenen Körper (und bildet z.B. Crohn und Colitis ulcerosa). Der Effekt ist zwar temporär, aber die Therapie wiederholbar. Der Vorschlag der Studienleiter waren den auch eine Wiederholung mit 2500 Eier alle drei Wochen, welches ebenso wenig Nebenwirkungen zeigte wie eine Einzeldosis. Es hat sich nun sogar gezeigt, dass diese Wurmeier-Therapie auch allgemein zu einer massiven Immunmodulation führte. Krankheiten, die z.B. mit einer Autoimmunstörung einhergehen, werden dadurch gebessert: Allergien, chronische Rheumatologische Geschehen, etc…
    Die Firma Ovamed hat in Schleswig-Holstein einen Antrag auf Herstellungserlaubnis für Kapseln mit Eiern eingereicht. Das als Rezeptur-Arzneimittel geplante Präparat ist aber noch nicht verkehrsfähig, kann aber bereits gekauft werden (www.ovamed.de).
  • Eine sehr effektive Methode, um die immunkompetenten Zellen und Strukturen im Körper zu stärken, ist die sog. “Visualisierung“, das Bildlichmachen der eigenen Abwehrkräfte (und auch der medizinischen Mittel, die eingesetzt werden) in Phantasie und in Zeichnungen als aggressiv und mächtig (z.B. als Haie oder Barrakudas) im Gegensatz zu den schwachen, schwammigen Krebszellen (z.B. als Fischfutter imaginiert), die bekämpft und gefressen werden. Mit Kindern kann man auch gängige Computerspiele mit diesem Hintergrund spielen und sie dann diese Situation auch zeichnen lassen.
  • Terrainstärkung ist auch die “Schulung” des Immunsystems durch die Hypo- oder Desensibilisierung beim Pollen-, Hausstaub- oder Insektengiftallergien! Eine sehr effektive Methode zur Immunmodulation. Auch das “Durchleben” von (schwachen) Kinderkrankheiten und vielleicht auch die Impfungen gehören hierhin.

  • Günstiger und wahrscheinlich wirkungsvoller als all die tollen Mittelchen zur Infektionsprophylaxe in den Apotheken und Drogerien ist höchst wahrscheinlich eine Mundspülung. Fünf Minuten mit einer Kochsalzlösung gurgeln reduziert signifikant grippale Infekte und wirkt wahrscheinlich auch gegen Sars-CoV-2. Wir wissen, dass die Coronaviren mehrere Stunden brauchen, um die Schleimhaut zu durchdringen. Wenn wir in dieser Zeit durch Gurgeln die Viruslast im Rachen reduzieren, dann bringt das wahrscheinlich mehr als Vitamin D oder C, Echinacea, etc. Das zu prüfen, wäre sicher mal eine Studie wert.

5.) reine (unspezifische) Immunstärkung

Achtung! Sollte – wie oben unter “Immunmodulation” beschrieben – nicht bei einem Immunsystem, das bereits überschiessend oder übertrieben reagiert (also nie bei Allergien oder Autoimmunstörungen) angewendet werden!

  • Einige Pflanzen steigern unspezifisch die Wirkung des Immunsystems: z.B. der rote Sonnenhut = Echinacea, Padma 28® (ein tibetisches Pflanzengemisch) oder auch die Vitamine A, E und C, sowie Selen, Zink, Mangan und Kupfer. Man sollte diese nicht synthetisiert einzeln oder in käuflichen Multivitaminbomben aufnehmen, sondern im natürlichen Komplex (mit allen sekundären Pflanzenstoffen, die man wiederum zum eigenen Abbau dieser Vitamine benötigt!). In einer ausgewogenen, vollwertigen Ernährung sind obige Vitamine und Spurenelemente meist schon genügend vorhanden. Auch in natürlichen antioxidativ wirkenden Regelkreisläufen, wie im Fischöl (Extrakt aus fettigen Meerfischen), das in Kapselform erhältlich ist. Diese Mittel müssen natürlich täglich über einen grossen Zeitraum genommen werden.

6.) Enzündungsneigung verringern

Pathologische Aktivierung des Immunsystems macht chronische Entzündungen und kann (unter vielem anderen) eine Dauermüdigkeit verursachen!

Hinter einer permanenten Energielosigkeit und Chronischen Müdigkeit könnte nicht etwa ein Mangel an Wille, Ideen oder Interesse stecken – sondern:
unser Immunsystem!
Dies berichten Forscher um Michael Treadway von der Emory University. Sie konzentrierten sich auf die Auswirkungen von leichten, aber chronischen Entzündungsprozessen. Solche treten beispielsweise bei anhaltendem Stress, bei chronischen Schlafstörungen, Chronische Schmerzkrankheit, Übergewicht, Metabolischem Syndrom und Dysbiose, einem Ungleichgewicht der Darmflora auf. Dies auch bei Hypertonie oder Arterienverkalkung:

Entzündungsneigung als zentraler Mechanismus

Bekannt ist, dass im Rahmen des Bluthochdrucks in den Blutgefässen des Körpers eine Entzündungsreaktion auftritt, so dass der Schlüssel einer erfolgreichen Behandlung des Bluthochdrucks möglicherweise in der Abschwächung dieser Entzündungsreaktion liegt. „Seit einiger Zeit geht man davon aus, dass auch die durch Bluthochdruck geförderte Gefässverkalkung (Atherosklerose) nichts anderes als eine chronisch voranschreitende Entzündung des Gefässbettes ist.”(Quelle: Uni Mainz)

Die Entzündungsparameter im Blut (CRP, Interleukin-5, Kortisol) sind zum Beispiel bei Patienten mit einem Metabolischen Syndrom erhöht. Dies führt zur Rekrutierung von Immunzellen. Diese Gesamtentzündung wird heute als mitverantwortliche Ursache der Insulinresistenz, des Fehlens von Insulinsekretion wie auch der Arteriosklerose gesehen.
Weitere Faktoren, die zur Entzündung beitragen können, sind zum Beispiel die Hypoxie (Mangel an Sauerstoff), welche durch die rasche Zunahme von Fettzellen mit inadäquater Zunahme der Blutgefässe im Fettgewebe entstehen kann.
Dieser Zusammenhang von Immunsystem und Stoffwechsel (auch Immun-Metabolismus genannt) beschreibt Jacques Philippe eindrücklich im Schweiz Med Forum 2018 (aber auch die Ernüchterung einer antientzündlichen, medikamentösen Therapie dagegen).

Auch der Darmflora wird eine grosse Rolle zugesprochen. Die Darmwand ist bei Patienten mit Übergewicht und Diabetes weniger dicht: dadurch können bakterielle Wandprodukte, sogenannte Lipopolysaccharide, sie besser durchdringen und Entzündungen in verschiedenen Geweben verstärken. Die Zusammensetzung der Darmflora scheint dabei eine wesentliche Rolle zu spielen! Mehr zum Diabetes als Entzündung!

Therapieansätze bei Entzündungsaktivierung

Diese habe ich in meinem Blogbeitrag über die Neuroinflammation bereits besprochen. Sie können auch bei der Chronischen Müdigkeit so übernommen werden:

Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
16. Mai 2024

Impotenz – Was heisst “Mannsein”?!

“Bei Erektion denke ich immer an Ikea-Regale: Hoffentlich hält’s fünf Minuten!” – Harald Schmidt

Die “Impotenz” beim Mann (erektile Dysfunktion) – erektive Störung

Vorzeitiger Samenerguss – “Ejaculatio paecox” >>> siehe hier auf dieser Seite…

Potenz?

“Impotenz” ist ein sexistisches, Männer diskriminierendes Wort! Der Mann wird damit in seiner ganzen Potenz, in seiner Lebenskraft, in seinem Mannsein angegriffen und oft lächerlich gemacht. Wir Männer setzen auch oft selbst “Mannsein” mit sexueller Kraft gleich und leiten damit unsere Identität aus unserer sexuellen Leistungsfähigkeit ab. Dabei stellt diese nur einen kleinen Teil unserer “Potenz” dar.
Diese zeigt sich auch in der Fähigkeit, etwas zu erzeugen, kreativ zu sein. Sie zeigt sich als geistige Kraft.
Und auch im Starten und erfolgreich Durchziehen eines Start-Ups, eines Projektes…

Disease Mongering

Krankheiten ins Gespräch bringen und dann “verkaufen” wird von der Pharmaindustrie in letzter Zeit massiv betrieben – so auch bei der “erektilen Dysfunktion”! Also aufgepasst auf Problem- und Mengenausweitung! (Dasselbe übrigens auch beim ADHS, der Glatze, Schüchternheit, Restless-Legs-Syndrom, Soziale Phobie…)
Achten Sie auch darauf, dass ein simpler Namenswechsel von den altbekannten “Potenzstörungen” zur “erektilen Dysfunktion” weitreichende Folgen für die Einschätzung der “Krankheit” haben kann! So glaubten Teilnehmer einer Studie  (M.E. Young et al.: The role of medical language in changing public perception of illness. PLoS ONE, 3/12, 2008, e3875) nicht nur, dass etwa “Hyperhidrosis” oder “Androgenetische Alopezie” sehr viel ernster zu nehmende Krankheiten seien, als ihre alltäglichen Namenvettern, sondern sie befürchteten obendrein, dass die mit medizinischen Fachausdrücken beschriebene Wehwehchen auch noch besonders selten sind. Ältere, bereits etablierte medizinische Fachbegriffe hatten diesen Effekt allerdings nicht (hier also “übermässiges Schwitzen” oder “männlicher, genetischer Haarausfall”). Also Achtung vor Cyberchondrie!

Ursache und Prophylaxe

Viele Männer leiden im Bett unter Leistungsdruck.

Pornos prägen das Bild von unserem Sexleben – aber Männer müssen nicht immer wollen und können!
Leistung, das ist aus psychologischer Sicht das Schlüsselwort beim Thema Männlichkeit. Und was im Bett alles zu leisten sein könnte, davon verschaffen sich die Männer in Deutschland/Schweiz ziemlich häufig in gängigen Pornos einen Eindruck. Wie eine Studie 2017 ergab, führen 13 Prozent der Website-Aufrufe hierzulande auf Porno-Seiten – so oft, wie nirgendwo sonst auf der Welt. Und dabei sind bis heute rund 80 Prozent des Porno-Publikums männlich. Wie genau sich dieser Konsum auf das Sexualverhalten auswirkt, ist nicht genau erforscht. Zum Teil auch deswegen, weil Vergleichsgruppen fehlten. Es waren einfach keine männlichen Jugendlichen aufzutreiben, die nie einen Porno gesehen hatten.

Was aber mit den Männern, die eben nicht weitermachen wollen wie bisher? Die können sich von diesem Zitat von Jack Urwin aus „Boys don’t Cry“ inspirieren lassen:
“Durch den Feminismus haben Frauen den Sexisten bewiesen, dass sie alles können, was Männer können, und zum Grossteil ist das Leben dank des Feminismus in säkularen westlichen Ländern heute besser als an irgendeinem Punkt in der Historie. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Männer beweisen, dass sie alles können, was Frauen können. Weder werden uns unsere Schwänze abfallen, noch wird Fussball aufhören zu existieren, und niemand wird uns zwingen, in einem Rüschenkleid und High Heels herumzutanzen – aber Frauen werden uns auch nicht verurteilen, falls wir Bock darauf haben sollten. (…) Es wäre nicht das Ende der Männlichkeit, sondern ein Anfang.”

Männer in der Potenzfalle
Interessant ist, dass auch Männer recht häufig einen Orgasmus vortäuschen (Lit: Abraham Morgentaler: Why Men Fake It – The Totally Unexpected Truth about Men and Sex, Henry Holt and Company, New York 2013). Warum?! Sie fürchten sich davor, da sie annehmen, dass sich die Frau verletzt fühlen würde, wenn er keinen Orgasmus hätte.  Und genau das ist zentral:
Für einen Mann ist der Sex dann gut, wenn die Frau findet, er sei gut gewesen.
Es ist eines der grössten Missverständnisse bezüglich der männlichen Sexualität, dass es dabei hauptsächlich um die eigene Befriedigung geht. Und all die Trumps, Berlusconis, Strauss-Kahns, Weinsteins und Woods tragen nicht dazu bei, dieses aus der Welt zu schaffen. Im Gegenteil: Die demonstrative Dauerpotenz als Definition des Mannseins schadet den Männern selbst am meisten.
Die männliche Sexualität hat, gerade weil man lange davon ausging, sie sei so simpel, nie besonders interessiert. Während die Frauen lange Zeit als sexuelle Problemfälle dargestellt wurden, Themen wie Frigidität oder Orgasmusschwierigkeiten rauf- und runterdekliniert wurden, galten Männer als problemfrei. Auch Untersuchungen wurden kaum gemacht – bis Mitte der Achtzigerjahre war nicht einmal restlos geklärt, welche Mechanismen bei der Entstehung einer Erektion überhaupt zusammenspielen. Und noch erstaunlicher ist, dass sogar die erektile Dysfunktion, also die zeitweilige Unfähigkeit zur Erektion, bis Mitte der Neunzigerjahre nie wissenschaftlich im grossen Stil analysiert worden ist.
Die Verblüffung war deshalb selbst unter Medizinern gross, als die Massachusetts Male Aging Study 1994 dann erstmals Zahlen veröffentlichte, die zeigten: 52 Prozent der Männer zwischen vierzig und siebzig litten zeitweise unter Impotenz (unter den Vierzigjährigen waren 5 Prozent komplett impotent, bei den Siebzigjährigen 15 Prozent). Und wenn schon den Ärzten nicht klar war, wie weitverbreitet dieses unbeliebteste aller männlichen Leiden ist, dann fühlten sich die Betroffenen erst recht einsam damit.
Es geht nicht nur darum, dass sich Männer bis heute über ihre sexuelle Leistungsfähigkeit definieren und sich gedemütigt fühlen, wenn sie nicht mehr können. Es geht darum, dass für viele Männer in einer Beziehung Sex die einzige Möglichkeit ist, Intimität zu erfahren oder ihre Liebe auszudrücken.
Die Abhängigkeit von einem stets tadellos funktionierenden Penis macht die Männer verletzlich. Und sie sind heute verletzlicher denn je. Denn sie stehen unter Druck. Während man früher den Frauen unterstellte, kaum oder keinerlei Lust zu empfinden, gar von ehelichen Pflichten sprach, die sie mehr oder weniger freudlos über sich ergehen lassen mussten, sind sie heute in dieser Hinsicht wesentlich selbstbewusster und fordernder geworden. Und weil gleichzeitig die Männer wenig dagegen hatten, dass sie als dauerpotent und immer parat dargestellt wurden, gingen sie sich sozusagen selbst in die Falle.
Morgentaler zitiert in seinem lesenswerten Buch (Lit: Abraham Morgentaler: Why Men Fake It – The Totally Unexpected Truth about Men and Sex, Henry Holt and Company, New York 2013) einen jungen Mann aus seiner Sprechstunde: «Es ist hart da draussen, Doc. Die letzte Frau, mit der ich ausgegangen bin, sagte mir, wann sie Sex haben wollte, wie sie es wollte und wie viele Male. Ich muss versuchen, da irgendwie mitzuhalten.»
Da überrascht es wenig, dass es den Begriff «performance anxiety» gibt, also die Angst, im entscheidenden Moment zu versagen. Ganz abgesehen davon, dass auch der Männerkörper sehr viel sensibler auf das Drumherum in seinem Leben reagiert, als das gerne dargestellt wird; ein Fünfzehnjähriger hat selbst an seinem schlechtesten Tag problemlos mehrere Erektionen, ein Fünfzigjähriger nicht mehr. Oder wie es Morgentaler schreibt: «Buben sind simpel, Männer sind komplex.»
Das männliche Equipment nämlich, wie es Morgentaler nennt, ist ziemlich fehleranfällig: Rund 20 Prozent aller Männer leiden z.B. auch unter vorzeitigem Samenerguss.
Man kann es aber auch anders sehen: Der junge Mann ist eher wie ein Stürmer im Fussball – der ältere ein Mittelfeldspieler, der nicht mehr so viele Sprints macht und Tore schiesst – der jedoch viel Übersicht hat, das Spiel flach hält, in die Länge zieht, um dann die entscheidenden Pässe zu schlagen…

Oder: Die Jugendwerke eines Komponisten tönen anders als die Alterswerke. Beide sind aber für sich Kunstwerke und nicht schlechter oder besser.

Berührungsarmut oder “Touch Isolation” der Männer

Ein Mann, der eine Frau anfasst – was denken Sie bei diesem Bild? An den Hashtag #meToo? Viele dürften ein mulmiges Gefühl haben. Denn ein Mann, der eine Frau anfasst, da schwingt heutzutage auch oft die Frage mit: “Darf der das?”. Wir sind misstrauisch geworden und zwar leider oft gegen Männer im Generellen.
Die Wurzeln des Misstrauens gehen tief, sie beginnen in der Kindheit und zwar mit sexistischen Männlichkeitsvorstellungen, die Eltern auf ihre Söhne projizieren. In einer altmodischen Weise denken wir immer noch, zu viele liebevolle Berührung mache unsere Söhne zu weich, zu weiblich.
Eltern kuscheln ihre Söhne weniger als ihre Mädchen. Sie lesen ihnen weniger vor. Sie ermuntern sie häufiger, nicht zu weinen – kurz: Sie halten sie emotional häufiger an der kurzen Leine. Mit der Folge, dass Jungs Berührungen bald nur noch in zwei Arten kennen: Schulhofprügeleien und Teamsport. Und später dann: Dating und Sex.
Diese Einschränkung packt eine grosse emotionale Last auf die Schultern der Mädchen: Sie sind nun der manchmal einzige Ausweg, den Jungs aus einer “Touch Isolation” finden. Diese beschreibt den Zustand, der Männern kaum Möglichkeiten alltäglicher Berührungen einräumt: “Berührungsarmut” ist die Folge. Alles konzentriert sich nun auf die Paarbeziehung, was auch mal die Ursache von Potenzstörungen sein kann.

“Young men starving for touch seek it in the sexual realm, often exclusively from their partners. This makes frequency of sex a challenging issue for couples.” (Mark Greene: https://goodmenproject.com/featured-content/why-men-keep-demanding-megasahd/)

Einer der Gründe, warum Männer häufiger Sex wollen, als Frauen? Sicher eine interessante Sicht. Bislang musste immer das Testosteron als Erklärung herhalten: war einfacher.

Parasympathikus kräftigen!

Die Erektion wird durch den parasympathischen Teil unseres Vegetativen Nervensystems verstärkt, resp. durch den Sympathikus geschwächt.
Freude, Genuss, Entspannung (weniger Muskelspannung), Beckenbewegungen (Beckenschaukel!), tiefe Atmung (auch mal laut und nicht “verklemmt”), Hingabe, Spielen stärken den Parasympathikus und damit die Erektion.
Stress, Angst und wenig Genuss verstärken den Sympathikus und damit die Erschlaffung des Penis – und fördern auch die schnelle Entladung! Die Ejakulation ist also vom Sympathikus getriggert. Also auch Männer mit frühzeitigem Samenerguss können diesen herauszögern, wenn sie sich vor allem entspannen, das Ganze geniessen, sich hingeben, Becken bewegen, im Sex spielen, bewusst tief Atmen…

Genaueres über die unterstützenden und hemmenden Einflussfaktoren der Erektion: siehe hier: erektion.pdf

Über das Gleichgewicht im Vegetativen Nervensystem – und in der alten chinesischen Lehre zwischen Yin und Yang lesen Sie mehr an anderem Ort in dieser Website >>> parasympathikus/

Die Rolle des Testosterons?

Höchstens 5 Prozent der Erektionsstörungen lassen sich mit Testosteronmangel erklären. Meist liegen andere Ursachen zugrunde.

Früher dachte man, wenn man mit 55 Jahren keine Lust auf Sex mehr hat, dann ist das halt so. Heute redet man darüber. Entsprechend häufig werden inzwischen die Testosteronwerte bestimmt. Bei den über 40-Jährigen verdoppelte sich die Zahl dieser Laboranalysen in den letzten drei Jahren annähernd; bei unter 40-Jährigen stieg sie um rund 60 Prozent, ergab eine Auswertung des Krankenkassenverbands Santésuisse. Aber längst nicht jeder tiefe Testosteronwert ist behandlungsbedürftig.
Der Testosteronwert sagt sogar sehr wenig über Libido und Erektion aus!
Üblicherweise erreichen die männlichen Geschlechtshormonwerte im Alter von 25 Jahren ihren Höhepunkt, danach sinken sie schleichend. Was normal ist, ist jedoch von Mann zu Mann verschieden: Etwa ein Viertel der Senioren hat Testosteronwerte, die höher sind als bei manchem Jüngling. Und viele junge Männer haben zwar gemäss Laboranalyse einen grenzwertigen oder gar erniedrigten Testosteronwert, sind aber quietschfidel und leben gut.
Zudem sagen Testosteronwerte nur wenig darüber aus, wie es um Libido und Erektionsfähigkeit steht. Die Libido korreliert nur schlecht mit den Testosteronwerten im Blut. Und zu Erektionsproblemen kommt es eigentlich erst, wenn fast kein Testosteron mehr vorhanden ist!

1) Testosteron sollte nur bedacht werden, wenn bei einem älteren Mann über 60 Jahre das Gesamttestosteron eindeutig vermindert ist: 
totales Testosteron: zweimal zwischen 6 bis 10 Uhr gemessen: <9 nmol/l.
In gewissen Guidelines liegt dieser Wert sogar nur bei <7 nmol/l!
Trifft dies zu, stellt sich die Frage, ob ein sog. primärer Hypogonadismus vorliegt (= LH hoch: genetisches Klinefelter-Syndrom) oder ein sekundärer Hypogonadismus (LH niedrig bis normal: d.h. andere Ursachen für diese Unterfunktion der Hoden suchen, z.B. in der Hypophyse oder Medikamenten-Nebenwirkung,…).
2) Patienten, die mit Testosteron therapiert werden, sind sorgfältig zu kontrollieren. Ziel der Therapie sind vorderhand Werte von 300-450 ng/dl resp. 10,4-15,6 nmol/l.
3) Die Patienten sind auf Entgleisung testosteronabhängiger Erkrankungen (z.B. Prostatakrebs, Leberschädigung etc.) zu kontrollieren. (Snyder PJ. Hypogonadism in elderly men – what to do, until evidence comes. N Engl J Med 2004;363:440-2 und 482-92).
4) DHEA (Vorläufer des Testosteron) hat keinerlei Effekt!

Mehr über das männliche Geschlechtshormon hier auf meiner Website: www.dr-walser.ch/testosteron/ !

Joggen statt Medikamente?

Körperliche Aktivität und aerobes Training hat im Alter auf verschiedene Parameter positive Effekte. Gibt es auch günstige Auswirkungen auf die erektile Funktion? In einer Metaanalyse von elf randomisierten Studien wurden 636 Männer, die aerob trainierten, mit 511 Kontrollen verglichen. Die Männer waren im Mittel 43–69 Jahre alt und die meisten waren übergewichtig. Die Score-quantifizierte erektile Dysfunktion verbesserte sich in der Sportgruppe nach sechs Monaten signifikant gegenüber der Kontrollgruppe. Je stärker die Dysfunktion, desto deutlicher war der positive Effekt. Es scheint sinnvoll, bei erektiler Dysfunktion, Alter >50 Jahre und Übergewicht aerobes Training zu empfehlen, bevor pharmakologisch behandelt wird. (J Sexual Med. 2023, doi.org/10.1093/jsxmed/qdad130.)

Psychisch versus organisch

Bei Männer unter 40 Jahren ist die Ursache in über 90 Prozent noch psychosozial, aber bei über 40jährigen findet man bereits in höherem Prozentsatz organbezogene pathologische Veränderungen (Durchblutungsstörungen, Medikamente, Übergewicht). Die Frage lohnt sich also stets: Ist das Ausbleiben einer Erektion eine zu behandelnde Funktionsstörung oder ein gutes Urteil des männlichen Körpers (auf das man hören sollte)?!
Die Diskussion “psychisch versus organisch” ist aber ein zu wenig differenziertes Bild von sexuellen Problemen. Die biologischen Faktoren des Älterwerdens können, müssen aber nicht zwingend Ursache von Sexualstörungen sein. Im Vordergrund stehen behandelbare Ursachen wie psychische Krankheiten, Hormonstörungen, Persönlichkeitsfaktoren (Angst vor dem Versagen) und Partnerschaftsprobleme. Zudem wurde festgestellt, dass die biologischen Faktoren insbesondere bei der erektilen Dysfunktion stark vom Lebensstil des Individuums abhängen.

Ein Mann identifiziert sich also sexuell vor allem über seine Erektion (die Frau eher über das Begehrt Werden). Partnerinnen beklagen sich selten über die Erektionsstörungen ihrer Männer.
Dazu David Schnarch (in “Psychologie sexueller Leidenschaft”): “Wenn Sie Liebe machen wollen, warum nehmen Sie dazu nicht die Teile Ihres Körpers, die zur Liebe fähig sind – Ihr Gehirn und Ihr Herz -, und lassen den Rest des Körpers dann folgen, wie es sich eben ergibt? Da es Ihnen so wichtig ist, Ihre Partnerin nicht “hängenzulassen”, frage ich mich: Haben Sie, wenn die Erektion nachlässt, jemals festgestellt, dass auch Ihre Zunge oder Ihre Finger schlaff werden?”

Sexuelle “Störungen” sind Persönlichkeitsstörungen

Ein Mann, der “seinen inneren Mast” aufgerichtet hat, als Mann reif geworden ist, sich bewusst und versöhnlich von seiner Mutter getrennt hat, dem muss sein äusserer Mast (Penis) nicht immer stehen!

Lesen Sie dazu das phantastische und äusserst brauchbare Buch von David Schnarch: “Die Psychologie sexueller Leidenschaft”, Klett-Cotta, Stuttgart 2006.

Bei Frauen übrigens kommt die existentielle Bedrohung in der Sexualität durch das Nicht-begehrt-werden.
Bei ihr heisst es also: Ich bin, wenn ich begehrt werde.
Beim Mann: Ich bin, wenn ich erigiert bin! oder “Ich stehe, also bin ich!”.

Auch in Dauerbeziehungen überraschen und Neues entdecken

Nicht Gewohnheit und eingefahrene Verhaltensweisen erwecken sexuelle Leidenschaft, sondern Überraschung und ungewohnte neue Reize. Ein bewährtes „Liebesmittel“ besteht für Paare darin, sich immer wieder neu zu entdecken (den anderen insbesondere auch sexuell zu erkunden). Dazu können beide Partner ihren Beitrag leisten, indem sie immer mehr von sich selbst zeigen (d. h. von ihrem Denken, Fühlen und Verhalten) und andererseits beim Partner nach unbekannten Seiten forschen. Nur so kann letztlich eine umfassende Intimität entstehen, bei der man sich eben nicht nur körperlich entblösst, sondern sich auch seelisch als der- oder diejenige zeigt, als der oder die man sich selbst fühlt oder verwirklichen will. Teilen Sie also Ihrem Partner möglichst Ihre momentanen Gedanken und Gefühle mit, insbesondere auch ihre Wünsche und Fantasien an das sexuelle Miteinander. Gehen Sie Konflikten nicht aus dem Weg und benennen Sie mögliche Defizite und Enttäuschungen, aber bitte in einer Form, die den anderen wertschätzt. So verhindern Sie, dass sich Routine und Langweile einschleichen und eine scheinbare „Komfortzone“ breit macht, die durch ihre Festgefahrenheit auf Dauer eher einschränkt als sexuell belebt. Und noch etwas: Wahre Intimität muss sich keineswegs immer nur wohlig anfühlen  – sie kann auch verunsichern!

Intimität („Selbstenthüllung“): Mehr als nur den Körper zeigen

Intimität wird nicht nur auf körperlichem Weg oder durch gegenseitiges Vertrauen, Akzeptanz, Empathie, Bestätigung und gegenseitige Enthüllungen möglich. Bewältigte Konflikte, Selbstbestätigung und einseitige Preisgabe tragen dazu mindestens ebenso effektiv bei. Bedenken Sie: Man kann einen Menschen nur dann wirklich lieben, wenn man ihn auch richtig kennt.

Sexualität als Möglichkeit zur Persönlichkeitsentfaltung

Nutzen Sie auch die Sexualität dazu, sich in Ihren Persönlichkeiten weiter zu entwickeln und zu denjenigen zu werden, die sie sein wollen. Begrüssen Sie es nicht, wenn Sie glauben, dass der andere für sie vorhersagbar und vertraut geworden ist. Damit schwindet nämlich der Reiz des Neuen und beginnt der andere als interessantes Individuum zu verblassen. Begrüssen Sie lieber jeden neu erkannten Unterschied zu Ihnen als Ausdruck von Besonderheit. Jede festgestellte Eigenartigkeit bewahrt sie über kurz oder lang zugleich vor Enttäuschungen, die immer dann entstehen, wenn Sie von sich selbst auf den anderen rückschliessen. Und bedenken Sie: 1. Kaum jemand ist schon zu Beginn einer bestimmten Paarbeziehung für diese „beziehungsfähig“, das wird man meist erst durch die jeweilige Beziehung selbst. 2. Wir suchen uns keinen Menschen aus, der perfekt zu uns passt, denn auch wir selbst sind nicht perfekt.

Selbstwert nicht vom Partner abhängig machen

Verzichten Sie darauf, sich den anderen „zurechtzuschmieden“, indem er irgendetwas tun, einsehen oder zugeben soll. Sie benutzen ihn sonst nur als „Aussenstation“ für die eigene Person, die Gutes für Sie tun und Mängel beheben soll. Konzentrieren Sie sich lieber auf sich selbst und geben Sie sich selbst das, was Sie vom anderen sehnlichst erwarten (Selbstbestätigung bzw. Selbstregulation anstelle von Fremdbestätigung bzw. Fremdregulation). Öffnen Sie sich Ihrem Partner, ohne von ihm zu erwarten, dass er Gleiches tut oder Ihre Äusserungen akzeptiert. Machen Sie auch ihr sexuelles Selbstwertgefühl nicht vom anderen und dessen Reaktion abhängig. Indem Sie sich dem anderen zeigen, wie Sie sind, geben Sie sich bereits selbst die Bestätigung, so auch sein zu dürfen! Permanente Auseinandersetzungen darüber, wie etwas wirklich war, sind ein verlässlicher Gradmesser dafür, wie abhängig man von der Bestätigung durch andere ist. Auch Ängste (Defizite in der Selbstregulation) sind ein wichtiger Hinweis auf eine noch unzureichende Differenzierung. Und nicht zu vergessen: Wer sich von der Meinung anderer abhängig macht, wird dadurch manipulierbar!

Auch in der „Verschmelzung“ bei sich bleiben

„Sexuelle Verschmelzung“ kann sehr erregend sein, geht auf Dauer aber mit der Gefahr einher, dass sich die Beteiligten nicht mehr als Individuen erleben. Der andere dient dann immer mehr nur als Ersatzteil (bzw. wie eine Transfusion) zur eigenen Vervollkommnung. Er oder sie wird nicht mehr als Person mit eigenen Wünschen und Rechten erkannt und darf sich dann kaum noch verändern, weil von seinem Verhalten das eigene Selbstgefühl abhängt. Hinzu kommt die Gefahr, dass beide Partner sich auf ein Minimalprogramm von Erlebnis- und Verhaltensweisen einigen, um die Verschmelzungsmöglichkeit nicht zu gefährden. Keiner traut sich dann mehr, Wünsche zu äussern, bei denen er nicht von vornherein sicher sein kann, dass sie der andere nicht zurückweist. Auf Dauer kann sich so eine „tyrannische Harmonie“ einstellen, deren Langweile erdrückt. Entwickeln Sie daher die Fähigkeit, auch im engen emotionalen und körperlichen Kontakt dem anderen nahe zu sein und doch zugleich auch an sich selbst festzuhalten, also Ihr Selbstgefühl zu wahren. Üben Sie, Ihre Wünsche nach Bindung und Autonomie immer wieder neu auszubalancieren. Bleiben Sie nicht nur dem anderen, sondern auch sich selbst treu! Die Alternative „Halte an dir oder mir fest“ ist alles andere als zwingend. Es ist möglich, dem anderen sehr verbunden zu sein und doch gleichzeitig man selbst zu bleiben. Es ist eine Illusion anzunehmen, in einer glücklichen Beziehung müsse alles synchron (wie beim Eiskunstlauf) vonstatten gehen. Bei einer „emotionalen Verschmelzung“ laufen die Beteiligten Gefahr, sich gegenseitig Funktionen zu übertragen, um so ihr eigenes Selbst aufblähen zu können. In einem solchen Fall werden Sie dann vom anderen nicht „begehrt“, sondern schlicht „gebraucht“. Im Gegensatz zu einer immer sinnvollen wechselseitigen Unterstützung wird bei einer „Funktionsübertragung“ an den anderen (z. B. Selbstwertstützung) das Funktionsniveau des einen Partners herab- und das des anderen heraufgesetzt. Dominanz, Einschüchterung, beschwichtigende Unterordnung und emotionaler Rückzug sind häufige Begleiterscheinungen. Eine stabile und differenzierte Persönlichkeit braucht dagegen nicht zu befürchten, sich in einer Beziehung „aufzulösen“ oder „verschlungen“ zu werden. Ausserdem erträgt sie es, alleine zu leben. Auch in einer Partnerschaft hat „differenziert“ (= unterschieden sein, man selbst bleiben) nichts mit „ichbezogenem Streben“, reinem „Individualismus“ oder „Egoismus“ zu tun. Ein solches Verhalten beschreibt die Fähigkeit, das Bedürfnis nach Individualität und das Bedürfnis nach Miteinander in ein Gleichgewicht zu bringen und die eigene Identität zu bewahren. Differenzierte Menschen sind selbst bestimmt und brauchen daher nicht auf Unabhängigkeit zu pochen. Also scheuen Sie sich nicht, sicht- und spürbar Positionen zu beziehen, die Sie als Person erscheinen lassen. Dann werden Sie von Ihrem Partner auch „erkannt“.

In sexuellen Problemen Alltagsprobleme wiedererkennen

Betrachten Sie „sexuelle Probleme“ nicht als isolierte Ereignisse, die sich „nur im Bett“ ereignen. Oft sind sie Ausdruck der Art und Weise, wie Sie auch sonst mit dem Leben umgehen. Weiten Sie daher immer auch Ihren Blick und fragen Sie sich, ob Ihnen an Ihrem Denken, Fühlen und Verhalten manches auch aus anderen Situationen bekannt vorkommt. Sexualität ist für viele Menschen wie ein Mikroskop, indem sie sich plötzlich viel deutlicher bzw. spürbarer wahrnehmen können als im Routinebetrieb des Alltags. So wird sich ein Selbstwertproblem über kurz oder lang auch in der Sexualität bemerkbar machen (etwa wenn man ein eher unauffälliger Mensch sein und bleiben will). Wer sich schon im Alltag nicht „verbunden“ fühlt, wird auch in der Sexualität nicht unbedingt „Verbundenheit“ erleben. Da es oft um grundsätzliche Verhaltensmuster geht, kann sich „sexuelle Weiterentwicklung“ sogar auf Ihr gesamtes Leben günstig auswirken. Nutzen Sie also Ihre Sexualität auch als hilfreiches und wirksames Instrument der Selbsterkenntnis und Selbstentfaltung.

Sich von Vergangenem lösen

Haften Sie nicht an der Vorstellung, dass Ihre Vergangenheit so mächtig ist, dass diese eine befriedigende Sexualität unmöglich macht. Letzteres ist natürlich dann der Fall, wenn die dauernde Beschäftigung mit der Vergangenheit so viel Energie verzehrt, dass für sexuelles Begehren nichts mehr zur Verfügung steht. Wenn sie darauf achten, was sich in Ihrer heutigen Sexualität abspielt, kommt die Vergangenheit automatisch auch zum Zug. Sie kann dann allerdings im hier und jetzt und in ihren Auswirkungen auf das heutige Geschehen aufgearbeitet werden.

Vorsicht vor Techniktipps

Lösen Sie sich von der Erwartung, für jedes persönliche und damit auch sexuelle Problem gebe es eine bestimmte psychologische Technik, bei der es nur darauf ankommt, sie richtig anzuwenden. Solche Techniken gibt es nicht. Hüten Sie sich insbesondere vor einer technikfixierten Sexualität, bei der die Befolgung bestimmter Anweisungen „Erfüllung“ verspricht. Ein solches Vorgehen zieht oft die Aufmerksamkeit vom Partner ab, lenkt die Konzentration auf eigene Empfindungen und erzeugt regelrecht einen Orgasmuszwang. In einer solchen Situation ist es kein Wunder, wenn man auf den Partner kaum noch Lust verspürt, der Kontakt zum anderen verloren geht und die sexuelle „Begegnung“ ihren Reiz verliert. Das gilt insbesondere, wenn man auch noch dem Rat mancher Sexualtherapeuten folgt, sich in der Fantasie einen anderen Partner vorzustellen. Machen Sie sich bewusst, dass „sexuellen Problemen“ keineswegs nur körperliche Funktionsstörungen oder ein Libidomangel zugrunde liegen kann. Mindestens genau so bedeutsam sind Beziehungsprobleme, die sich eher selten durch Fertigkeiten und Techniken lösen lassen als vielmehr durch persönliche Reifungsschritte.

„Schöne Sexualität“ ist nicht abrufbar, sie muss erschaffen werden

Die Schönheit der Sexualität liegt weniger in dieser selbst als in den Beteiligten. Sie muss daher immer erschaffen und in die Sexualität hineingetragen werden. Wie schön Sexualität dann wird, hängt somit wesentlich davon ab, wer wir selbst sind und wie wir mit dem Leben umgehen. So erklärt sich, warum ältere Menschen davon ausgehen, dass sie im jetzigen Alter „weitaus besser im Bett“ sind als früher. Sie können sich ihrem Gegenüber leichter zu erkennen geben und müssen sich und dem anderen nicht mehr so viel vormachen. So fühlt sich ein reifer Mann durch eine selbstbewusst auftretende Frau nicht bedroht. Er kann sich von dieser auch auffangen und stützen lassen. Eine reife Frau kann initiativ werden und muss sich für ihre erotischen Wünsche nicht mehr rechtfertigen.

Stimulation durch Sinn und Bedeutung

Die Fähigkeit, Sexualität Sinn und Bedeutung zu verleihen, hat das menschliche sexuelle Potenzial enorm erweitert. So erklärt sich, warum manche Menschen auch trotz geringer körperlicher Erregung zum Orgasmus kommen oder sogar ohne Orgasmus intensiven Sex erleben können. Dabei geht es meist weniger um exotische Liebesstellungen als vielmehr um inneres Wachstum. Dagegen können Bedeutungen, die man selbst bestimmten Vorgängen zuschreibt, oder ungünstige Vorstellungen, die man sich von anderen macht, Lust töten. Dazu kann es beispielsweise kommen, wenn man als „sexuell Nehmender“ Leistungsdruck oder Schuldgefühle verspürt. Auch Wut und Ärger können Lust rauben. Dagegen kann die Vorstellung, durch ein bestimmtes Verhalten Regeln zu verletzen, je nach Person lustfördernd oder lustdämpfend wirken. Das Erregungsniveau beeinflussen auch Vorstellungen davon, inwieweit der andere zu einem passt und ob das Ambiente oder die sonstigen Umstände als günstig oder störend erlebt werden. Angst kann in geringer Dosierung Erregung fördern und Langweile vermeiden, in zu grosser Dosis aber Lust verhindern. Schliesslich gehört ein gedankliches Hintergrundgeräusch, bei dem man das aktuelle Geschehen selbst pausenlos kommentiert, zu den gängigen Lusttötern. Da die Triebimpulse und Sinnesreize sexuelles Begehren mit zunehmendem Alter weniger stark stimulieren, die Erregungs- und Orgasmusschwelle also ansteigt, können hilfreiche (!) Gefühle und Gedanken umso bedeutsamer für die Lusterzeugung werden. Dabei kommt es dann darauf an, Erotik, Begehren, Leidenschaft, Liebe und emotionale Verbundenheit zu fördern (sich z.B. von emotionaler Verbundenheit in der Sexualität leiten zu lassen).

Sich sexuell authentisch verhalten

Verzichten Sie auf widersprüchliche Botschaften, bei denen Sie Ihrem Partner verbal versichern, alles sei so in Ordnung, während Sie nonverbal auf Veränderung drängen. Bemühen Sie sich auch in diesem Lebensbereich darum, sich echt („authentisch“) zu verhalten. Ihr Partner wird dies registrieren und Ihnen danken. Machen Sie sich bewusst, dass Sie vor allem etwas von sich selbst verraten (von Ihren Wünschen, Vermutungen, Werten usw.), wenn Sie das Verhalten Ihres Partners „deuten“. Kompromisse oder Zug-um-Zug-Vereinbarungen („Ich bediene stärker deine Vorlieben, dann bediene du auch stärker die meinen.“) bringen nicht immer das erwartete Ergebnis: Zwar kommt es zum vereinbarten Verhalten, aber das begleitende Desinteresse wird vom „Bedienten“, sobald er „an der Reihe ist“, als mangelndes Begehren gespürt. Ein solches Ergebnis bremst dann die Lust oft mehr, als dass es sie fördert. Und letztlich bekommt doch keiner das, was er vor allem wollte.

Einstellungen und Verhalten ändern, nicht nur das Denken

Erwarten Sie nicht, dass sich Ihre Sexualität allein durch „bemühtes“ Denken verändert. Ohne eine entsprechende Änderung Ihrer Einstellungen, wird sich wenig verändern. Denken Sie auch an die von einigen Paaren praktizierte Möglichkeit, Konflikte „im Bett auszuschlafen“. Unsere Geschlechtsorgane mögen zum Sex geeignet sein, zur Ausübung von Liebe sind Kopf und Herz oft viel begabter. Wenn die Geschlechtsorgane einmal ihren Dienst versagen, braucht die Liebe also nicht zu versiegen und können auch andere Wege gefunden werden, um Sexualität zu leben. Und bedenken Sie: Damit sich in einer Paarbeziehung nichts bewegt, bedarf es beider Partner. Wenn man eine Veränderung in Gang setzen will, reicht dagegen meist schon einer aus.

Den Partner „bis zur Entspannung umarmen“

Finden Sie einen neuen Zugang zueinander, indem Sie sich tagsüber nicht nur die gesellschaftlich üblichen und maximal 4 bis 5 Sekunden dauernden Umarmungen zugestehen. Wenn Sie sich Umarmungen gönnen, die so lange anhalten, bis die beiden Beteiligten sich entspannt fühlen, werden Sie merken, dass es dafür auf einen besonderen „Stand“ ankommt: Es gelingt fast nur, wenn jeder auf den eigenen Füssen steht, sich auf sich selbst konzentriert und sich selbst beruhigt. Bereits wenn einer sich auf den anderen stützt, rückt die Entspannung für beide schon in die Ferne. In der Art sich zu umarmen, spiegelt sich immer auch etwas die Art und Weise wider, wie man durchs Leben geht.

Sich beim Vorspiel verständigen

Machen Sie sich bewusst, dass die Art und Weise des sexuellen Vorspiels den Umgang eines Paares mit Intimität und die Machtverhältnisse in der Beziehung widerspiegelt. Haben Sie sich beispielsweise schon einmal gefragt, wer von Ihnen beiden darüber entscheidet, wann das Vorspiel beendet ist und der Hauptakt beginnt? Das Vorspiel ist in aller Regel ein Verständigungsprozess darüber (oft mit unbewusstem „Handeln und Feilschen“), auf welcher Ebene von Intimität, Erotik Bedeutungserleben und emotionaler Verbundenheit sich die sexuelle Begegnung im weiteren Verlauf entfalten soll. Das Vorspiel gibt insbesondere die emotionale Grundstimmung und die Bedeutungsebene vor. Manchmal ist das Vorspiel für den einen und der folgende Teil für den anderen Partner gedacht. Sexuelle Probleme lassen sich daher nicht selten, durch Veränderungen des Vorspiels verringern.

Vorspiel und Orgasmus mit offenen Augen

Offenbar schliesst die Mehrheit westlicher Menschen bei sexuellen Begegnungen die Augen. Wenn Sie zu diesem Personenkreis gehören, bieten sich Ihnen neue Erlebensmöglichkeiten, wenn Sie künftig die Augen auch beim Vorspiel öffnen und ihren Partner damit näher an sich heran bzw. in sich hineinblicken lassen. Sex mit offenen Augen (= einer offenen Seele) signalisiert Ihrem Partner, dass Sie ihn bei sich haben wollen. Möglicherweise werden Sie sich dann Ihrer eigenen Person besonders intensiv bewusst und entwickeln das Gefühl, dass Sie Ihrem Partner extrem nahe und völlig preisgegeben sind. Ausserdem werden Sie dann vermutlich auch den erwähnten „Verständigungsprozess“ besser registrieren und so Neues über Ihre Beziehung erfahren. Vielleicht merken Sie dann auch, dass Sie bislang beim Liebe machen weit weg voneinander waren und sich ganz auf ihre eigenen Sinnesempfindungen konzentriert haben, so dass sich zwar die Körper berührten, die Personen aber nicht wirklich begegneten. Jedenfalls gehören sexuelle Begegnungen mit Blickkontakt zu den Formen intensivster Intimität. Sex mit offenen Augen setzt voraus und fördert, dass man sich bedingungslos aufeinander einlässt und an den Erregungsmustern des anderen teilhat (so dass man auch von den eigenen Sinneserfahrungen nicht mehr abgelenkt wird). Anfänglich mag das Öffnen der Augen noch ein Akt der Tapferkeit sein, ein Akt der Selbstbejahung ist es immer. Wer dem Partner nicht ins Auge blicken will, sieht vielleicht auch bei anderen Dingen weg bzw. hat generell Angst, dem Leben ins Auge zu blicken.

Den anderen wirklich berühren

Manche Paare streicheln sich, ohne dabei den anderen wirklich zu spüren. Sie spüren zwar Haut, aber nicht den Partner. Von einer echten Kontaktaufnahme kann dann keine Rede sein. Wie steht es mit Ihnen? Berühren Sie den anderen auch in seinem Wesen und seinen Gefühlen? Manchmal hilft es, Bewegungen zu verlangsamen, um den Kontakt besser zu spüren. Wer beim gemeinsam Tanz Kontakt erlebt, kann diese Erfahrung auf die Sexualität übertragen.

Weitere Tipps

Genuss steigert sich oft dadurch, dass man über ihn redet. Verfallen Sie bei sexuellen Begegnungen also nicht in Sprachlosigkeit. Tauschen Sie Ihre Erfahrungen und Ihr Erleben aus. Gehen Sie nicht der Versuchung auf den Leim, Ihren Partner in jahrelanger mühseliger Kleinarbeit zu ändern, um sich dann von ihm zu trennen, weil es sich nicht mehr um die Person handelt, die Sie einmal geheiratet haben. Verzichten Sie möglichst auf Alkohol. Dieser verlangsamt die nervlichen Reaktionsabläufe. Wenn man sich unter Alkohol „beflügelt“ fühlt, hat dies meist damit zu tun, dass Alkohol vorübergehend Angst und Anspannung verringert.
(In diesen Abschnitt habe ich die Modifikationen von Dr. med. Herbert Mück (Köln) www.dr-mueck.de / Copyright 2006 übernommen)

Körperliche Bedingungen welche eine Rolle spielen:

“Erektile Dysfunktion” (ED), wie die Erektionsstörungen neuerdings genannt werden und die koronare Herzkrankheit (KHK), die zum Herzinfarkt führt, haben fast die gleichen Risikofaktoren (Hypertonie, Diabetes, hohe Blutfette, Rauchen).

Man kann also auch sagen, dass bei über 40jährigen Erektionsstörungen einen ersten Hinweis für eine KHK sein können.

Übergewicht erhöht das Risiko einer ED um 30%, während körperliche Bewegung das Risiko um 30% senkt (Esposito K. et al.: JAMA 2004; 291: 2978-84).
Allgemeinerkrankungen (z.B. muss eine Unterfunktion der Schilddrüse abgeklärt werden); Querschnittlähmung; Verengung der Vorhaut; Erschöpfungszustände; Alterung (jedoch sind nach 60 Jahren noch 50%, nach 70 Jahren 30% und nach 80 J. noch 20% der Männer potent, was v.a. davon abhängt, ob ein sexuell interessierter Partner noch vorhanden ist); Hormone (Östrogene); chemische Mittel wie Alkohol, Schlafmittel, Psychopharmaka, sonstige Medikamente (siehe weiter unten); Opiate; Haschisch und Nikotin. Vor allem jede Zigarette wirkt wie ein Tritt in die Weichteile. Obwohl die Tabakwerbung immer noch mit dem Klischee von Männlichkeit arbeitet, ist Nikotin ein Potenzkiller ersten Ranges: es fördert Potenzprobleme, da es Blutgefässe verengt und die Blutzufuhr zum besten Mannsstück proportional mit der Zigarettenanzahl fällt. Wie stark Rauchen potenzschädigende Einflüsse hat, zeigt eine Studie der Boston University Medical School. Während nur 25 Prozent der männlichen Bevölkerung rauchen, waren von 1000 erektionsgestörten Männern 78 Prozent Raucher. Und selbst wenn sie “es” schaffen: Bei Rauchern leidet die Spermaqualität und -quantität ganz beträchtlich. (mehr übers Rauchen hier!)

Durch Lifestyle-Veränderungen (idealerweise ab 40 Jahren) wie Halten des idealen Körpergewichts, regelmässige Bewegung (Joggen > siehe oben), Nikotinstopp und Stressbewältigung können deshalb den körperlichen Ursachen der sexuellen Dysfunktion vorgebeugt werden.

Impotenz kann auch als begleitende Missempfindung von ausstrahlenden Schmerzen aus sogenannten Triggerpunkten in umliegenden Muskeln entstehen. Dabei wäre v.a. die Bauchmuskulatur (Musculus Rectus abdominis und die Obliqui) abzuklären und zu therapieren (mittels manueller Triggerpunkttherapie).

Wie kann man die Ursachen unterscheiden?

Suchen Sie Ihren Hausarzt auf und schildern Sie ihm das Problem – er wird Ihnen einige Fragen dazu stellen (Ist das Problem plötzlich oder schrittweise aufgetreten? Liegt das Problem beim Erreichen einer Erektion, bei deren Erhaltung, oder beidem? Ist der erigierte Penis gerade oder gekrümmt? Bestehen dabei Schmerzen? An welche Ursachen glauben Sie (körperlich, psychisch)? In welchem Alter begann die sexuelle Aktivität mit Partner? Hinweise auf sexuellen Missbrauch? Kommt es zu festen Erektionen beim Aufwachen, bei Harndrang, bei manueller Stimulation, bei besonderen Situationen (erotische Kleidung, in den Ferien, Sex an ungewöhnlichen Orten, erotische Bücher etc.)? Reichen die Erektionen für Vaginalverkehr aus? Verschwinden die Erektionen vor der Ejakulation? ist Orgasmus mit Ejakulation möglich? Selbsteinschätzung des Sexualtriebs (z.B. auf einer Skala von 1 bis 10)? andere Gesundheitsprobleme (Diabetes, Hypertonie, Schilddrüse, Hirn, chronische Schmerzen, Rückenprobleme, Zirkulationsstörungen, Urinierbeschwerden, Verstopfung)? Frühere Behandlungen wegen Sexualproblemen? Genussmittel: Alkoholkonsum, Zigarettenkonsum im Detail? Wie steht der Partner zum Problem? Welche Behandlungsmöglichkeiten kennen Sie?)

Medikamente als Ursache

Medikamente, die zu einer erektilen Dysfunktion führen können:
Blutdruckmittel: ACE-Hemmer (selten), Kalziumantagonisten (selten), Beta-Blocker, Verapamil, Clonidin, Methyldopa, Reserpin, Guanethidin, Thiazide
Psychopharmaka: Antidepressiva (Fluoxetin, Lithium, MAO-Hemmer, Sertralin, trizyklische), Tranquilizer (Phenothiazine, Butyrophenon)
Anticholinergika (Antikonvulsiva, Disopyramid)
Antiandrogene (Cyproteronacetat, GnRH-releasing-Agonisten, Finasterid: “Post-Finasterid-Syndrom”)
Hormone (Östrogene, Progesteron, Kortikosteroide)
Herzmedikamente (Digoxin, Disopyramid)
Diuretika (Thiazide, Spironolacton)
Blutfettsenker (Gemfibrozil, Clofibrat, Statine (1))
Aknemittel Isotretinoin (Roaccutan)
Chemotherapeutika (Cyclophosphamid, Methotrexat, Roferon-A)
Anticholinergika: Disopyramid, Antikonvulsiva
Verschiedene andere: Schmerzmittel (NSAD – nicht steroidale Entzündungshemmer, Disulfiram, H2-Blocker (Cimetidin, Ranitidin), Phenytoin, Proscar, Opiate, Amphetamin, Metoclopramid, Carboanhydrasehemmer, Baclofen
Drogen: Marihuana, Heroin

(1) Studien lassen vermuten, dass Atorvastatin (Sortis u.a.) Erektionsstörungen hervorrufen kann. In der WHO-Datenbank beschreiben 24 Fälle eine erektile Dysfunktion, bei denen der Zusammenhang mit Atorvastatin als wahrscheinlich oder möglich eingestuft wurde.
Bei der französischen Nebenwirkungszentrale betrafen der 1,1% der Meldungen zu Statinen (Substanz nicht näher bezeichnet) eine erektile Dysfunktion, während dies bei anderen Medikamenten nur in 0,4% der Meldungen der Fall war. (Safety Signal of Atorvastatin and the Risk of Erectile dysfunction)

Therapie

Ein allgemeines Wundermittel gegen Impotenz existiert leider nicht! Obige körperliche und medikamentöse Bedingungen müssen abgeklärt und beseitigt werden.

Psychosoziale Faktoren angehen: Psycho-/Paartherapie – Differenzierung von luststeigernder Auf-(Er)regung mit Dysstress (Versagerangst…): Anregungen siehe hier weiter oben >>>!

Bei Übergewicht abnehmen und/mit mehr Bewegung!
Nikotinstopp!
Bessere Stressbewältigung!

Die Erektion macht eine bessere Durchblutung: Zur Erektion kommt es drei- bis viermal pro Nacht im Schlaf, wodurch 1,5 bis 3 Stunden gute Durchblutung und Sauerstoffversorgung gewährleistet ist. Dies nimmt im Alter aber an Frequenz und Dauer ab. Einen Ausgleich bietet ein spezielles Training: Schliesslich wird bei einer Beanspruchung der Oberschenkelmuskulatur nicht nur Blut aus den Schwellkörpern des Penis abgezogen. In der Erholungsphase kommt es zu einer kompensatorischen Mehrdurchblutung im Penis mit Sauerstoffwerten, die man sonst nur während der Erektion misst. Und diese Hyperkompensation kann man auch mit folgendem Training herbeiführen:

  • Nach viertelstündiger Aufwärmphase (z.B. Laufen) eine halbe Minute skippen, d.h. schnell auf der Stelle laufen und die Knie hochziehen mit voller Kraft.
  • Danach langsam weiterlaufen halbe Kraft voraus.
  • Nach 3,5 Minuten wieder 30 Sekunden skippen, dann wieder 3,5 Minuten langsam laufen. Fünfmal so wechseln zwischen Auspowern und ruhigem Joggen und sich anschliessend noch etwa zehn Minuten entspannen: Denn jetzt ist die Penisdurchblutung am grössten – also nicht gleich kalt duschen!
  • Um den venösen Rückfluss zu drosseln und die Rigidität zu erhalten, kann man ebenfalls etwas tun. Hier spielt die ischiocavernöse Muskulatur (auch Potenzmuskulatur genannt) eine entscheidende Rolle. Zwei bis dreimal die Woche 15 bis 20 Minuten gezielte Übungen reichen:
    Zuerst mal richtig Sitzen! Man stellt die Füsse weit auseinander auf den Boden, die Zehen zeigen eher nach innen. Die Knie fallen so von selbst gegen die Mitte. Man rollt nun mit dem Becken vor die Sitzbeine, bekommt dabei ein leichtes Hohlkreuz und spannt so passiv den Beckenboden: Bestes Beckenbodentraining!
    Mann steht aufrecht mit leicht gebeugten Beinen, Füsse schulterbreit auseinander. Er stellt sich vor, er klemme ein Geldstück zwischen seinen Pobacken fest ein und hebe ein Tuch auf seinem Penis in Richtung Bauch. Dabei spannt er ischiocavernöse Muskeln und Beckenboden an. Dies kann er durch Tasten am Damm kontrollieren.
    Mann stellt sich vor, er sitze auf einem Reissack und sauge die Körner mit dem Beckenboden in sich auf.
  • weitere Übungen:  www.dr-walser.ch/kegel/ + ischiocavernosus-muskel-pdf
  • Falls die Ursache verengte Penisarterien sind, so sollten Sie es (nebendem “blauen Diamanten” Viagra) mit einer ganz besonderen Diät versuchen: der “Herz-Diät” von Dean Ornish.
    Der Medizinprofessor hatte Anfang der 90er Jahre die Infarkt und Herzbehandlung revolutioniert, als er ohne chirurgische Eingriffe oder medikamentöse Behandlung bei über 80Prozent seiner Herzkranken bedrohliche Arterienverengungen durch eine umfassende Veränderung des Lebensstils heilen konnte – über 90 Prozent waren schliesslich schmerzfrei. Wie Ornish nun fand, wirkt sein ganz besonderes Behandlungsprogramm auch bei Mannesschwäche.
    Die Ornish-Therapie beruht im wesentlichen auf folgenden Fundamenten: Raucherentwöhnung, gesunde, sog. mediterrane Ernährung, Meditation, regelmässige Bewegung und psychologische Gruppenarbeit, die dem Stressabbau dient.

Guter Übersichtsartikel zur erektilen Dysfunktion: Schweiz Med Forum; 35; 28.August 2002; 810-18Diagnostik und Therapie; Nr.36, 836

Vorzeitiger Samenerguss, Ejaculatio praecox

Lernen Sie, die Erregung nicht zu hoch gehen lassen. Beim vorzeitigen Samenerguss gibt sich Mann auch zuwenig Zeit, seine Ladung richtig aufzubauen. Häufig hat er schon als Junge trainiert, möglichst schnell zu kommen, er baut seine Erregung nur im Schwanz auf und nicht im Bauch,  nicht im ganzen Körper. Interessant ist, dass Männer mit Praecox oft aggressionsgehemmt sind. Sie kommen nicht an den Teil in sich heran, wo sie triebhaft werden, wo die tiefe Erregung den Körper zu durchfluten beginnt. Sie kommen nicht in diesen aggressiven Zustand, in dem ein Mann die Frau in ihrer Tiefe berühren und wecken will. Könnten sie dies tun, würde die Frau in ihrem eigenen Begehren und Verlangen geweckt, den Mann zu nehmen. Diesen Zustand meidet er, und sie wird aggressiv, weil sie total frustriert ist.
Was kann ich dagegen tun: Gut und viel onanieren, dabei den Punkt ohne Wiederkehr kennen lernen, sich da hinein entspannen lernen, ohne abzuspritzen, und wieder von vorne anzufangen. Zudem empfiehlt es sich, seine Aggression hervorzuholen, mal die Stimme zu gebrauchen, mal wieder herumzubrüllen, anfangs vielleicht allein im Auto, später auch mal beim Sex. Sich als Gorilla fühlen und auf den Brustkorb trommeln. Sich mal wieder als Eroberer feiern. (Peter A. Schröter, Charles Meyer: Die Kraft der Männlichen Sexualität, 2003).
Und noch dies zur sogenannten “Squeeze-Technik” (wörtlich Quetschtechnik), die lange als Hauptmethode gegen vorzeitigen Samenerguss galt (aus David Schnarch, Die Psychologie sexueller Leidenschaft). Sie kann zwar die Ejakulation hinausschieben, macht aber auch der Intimität den Garaus. Stellen Sie sich vor, wie ein Mann, der sich dem Orgasmus nähert, den Penis aus dem Körper der Partnerin zieht und ihn zusammendrückt. Er hat dann schon einige Zeit vorher aufgehört, sich auf die Partnerin zu konzentrieren, und den richtigen Augenblick abgewartet, um sozusagen den sexuellen Heimlich-Handgriff anzuwenden. Diese Methode wird selten in Frage gestellt, denn sie versucht die Sexualität krisengeschüttelter Paare in dieselben mit Intimität unvereinbaren Bahnen zu lenken, in denen sich die Mehrheit der Paare ohnehin schon bewegt.

Und eine Pille?

Wer unbedingt den “einfachen” Weg über ein Medikament gehen will:
Von vorzeitiger Ejakulation geplagten Männern kann mit einem Opioid geholfen werden. Türkische Ärzte (Mehmet Kaynar et al., Urology 2012; 79(1): 145-149) behandelten in einer Studie 60 Patienten mit primärer Ejaculatio praecox zwei Stunden vor dem Geschlechtsverkehr mit 25mg Tramadol und konnten damit die Latenzzeit fast vervierfachen. Tramadol könnte sich damit als Alternative zu kurzwirksamen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) wie Dapoxetin anbieten, bisher die einzige, aber nicht immer wirksame oder gut vertragene medikamentösen Behandlungsmöglichkeit für die Ejaculatio praecox.

Noch nebenbei:
Lässt das Mobiltelefon die Spermien verkümmern?

Forscher der Cleveland Clinic Foundation in Ohio untersuchten die Spermien von 364 Männern auf ihre Qualität. Männer, die mehr als vier Stunden täglich mit dem Smartphone telefonierten, wiesen mit 50 Mio/ml die niedrigste Spermienzahl udn auch eine schlechtere Qualität auf. Ein täglicher Handygebrauch zwischen zwei und vier Stunden widerspiegelte sich in 69 Mio/ml. Jene Männer, die gar kein Handy benutzten, hatten mit 86 Mio/ml am meisten Spermien, ausserdem war deren Qualität die beste!
Diese etwas kleine Studie ist ein starker Hinweis, dass wir Männer mit der Smartphonestrahlung vorsichtig umgehen sollten! Sie wurde 2007 veröffentlicht und grössere Follow-Ups versprochen.
(Effect of cell phone usage on semen analysis in men attending infertility clinic: an observational study)

Sexsucht als Folge

Männer fühlen sich also bei Erektionsproblemen sehr schnell bedroht. Eine Flucht in eine “Sexsucht” liegt nahe und ist häufig. Sexsüchtige Menschen sind häufig hyposexuell, haben also nur ein schwach ausgeprägtes sexuelles Bedürfnis und empfinden grosse Lustlosigkeit. Sie wichsen. Sitzen einfach vor dem Computer und holen sich einen herunter, während sie gleichzeitig mit der Maus aktiv sind. Schätzungswiese sind das etwa sechzig Prozent der Sexsüchtigen, die das so machen. Sie versuchen verzweifelt eine Erektion herzustellen, um in ihrer Männlichkeit zu überleben.(Mehr zur Sexsucht hier>>>).

(aus Tagesanzeiger, 06.11.2020)

Mann kann bei mir auch Coachings, Beratungen und Psychotherapie erhalten (Website dazu im Aufbau: www.sinnlichmannsein.ch).

Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
16. Juni 2024

Jogging – Gehen

“Verlieren Sie vor allem nicht die Lust zu gehen. Ich laufe mir jeden Tag das tägliche Wohlbefinden an und entlaufe so jeder Krankheit. Ich habe mir meine besten Gedanken angelaufen und ich kenne keinen Gedanken, der so schwer wäre, dass man ihn nicht beim Gehen los würde.” Søren Kierkegaard

Diese Haltung und Bewegung können Sie im “Rolfing” lernen!
Mehr darüber hier: www.dr-walser.ch/rolfing/

Alles ist schon da!

Wir sind doch eigentliche Laufwesen. Unser Körper ist in seinem Aufbau, in seiner Statik, mit allen seinen Organen und Funktionskreisläufen im Grossen und Ganzen immer noch der eines Läufers oder Gehers. Man schaue sich nur das kräftige, grosse Gesäss (super zur Stabilisierung), die mächtigen Oberschenkel und die insgesamt langen Beine an. Sind die etwa nur zum Sitzen oder Liegen gemacht?
Auch die hochkomplizierte Mechanik des Fusses, welche wie eine Längsfeder die Aufprallenergie speichern und zum Abstossen nutzen kann. Dies brauchen wir nicht, um in Autos ein- und auszusteigen… Unsere Atmungsorgane sind wirkungsvolle Energiebeschaffer, deren wahre Kapazität brachliegt.
Unser Organismus funktioniert noch weitgehend so, wie er für das Leben eines Läufers vorgesehen war, der lange Strecken unterwegs sein musste. Ein kräftiges Nackenband hält zum Beispiel trotz enormen Schlägen unseren Kopf immer oben. Unter speziellen Bedingungen – über sehr grosse Distanzen und bei grosser Hitze – ist der Mensch tatsächlich allen anderen Läufern überlegen, was auf der Jagd ein enormer Überlebensvorteil war. Der Mensch ist Weltmeister im Schwitzen (Genaueres über diesen anthropologischen Aspekt lesen Sie hier >>> ausdauerraeuber.pdf)!

Unser Gangmuster ist ein Paradebeispiel, wie unser Bewegungsapparat die Schwerkraft auf dieser Erde nutzt, sich mit möglichst wenig Energieaufwand fortzubewegen. Die Belastung in aufrechter Position gegen die Schwerkraft ergibt Muskelzuwachs und mehr Knochendichte. Ausschliessliche Schwimmer oder Radfahrer haben diesen benefit durch die Schwerkraft kaum. Wir sehen hier zum Beispiel vermehrt Osteoporose und allgemein eine verschlechterte Funktionalität unseres Körpers. Gehen, Laufen und Springen gehört also bei Schwimmern und Radfahren immer auch dazu. Auch die mächtigen Hüftstrecker des Menschen werden in mehrheitlicher Hüftbeugung (Sitzen, Radfahren…) nicht genügend ausgebildet. Dies kan auch in einer schlechteren Stabilität des unteren Rückens münden.

Laufen zum Abnehmen…

Achtung beim Ziel “Abnehmen“: Laufen suggeriert unserem Gehirn Stress! Im Steinzeitmodus ist Jagen/Gejagt werden reiner Stress. Daher reagieren wir aufs Joggen/Laufen mit der Ausschüttung von endorphinen Hormonen (Kortisol, Adrenalin = Überlebensmodus) aber kaum mit Fettabbau! Hier ist mässige und regelmässige Bewegung optimaler – also Gehen, Wandern, Spazieren, Flanieren…

Wir brauchen nichts und niemanden zum Laufen.

Weil nun diese natürliche Verbindung zum Laufen verloren gegangen und die Legende von unserer Laufuntauglichkeit entstanden ist, konnten “Power- und Wellnessjoggen”, “Walking” oder “Nordic Walking”, “Softrunning” und andere Bewegungsevents Fuss fassen. Laufen oder das, was davon übrig blieb, ist zu einem käuflichen Modetrend gemacht worden, flankiert und getragen von Büchern und schönen Bildern, Outfit und Drinks, Normen und Messgeräte, Gurus und Ideologien.

Es ist an der Zeit, das Laufen zu vereinfachen, aus seiner medialen und mystischen Vereinnahmung zu befreien und den Ballast aus Lifestyle und Leistung abzuwerfen, der aufgepfropft wurde. Wir brauchen nichts und niemanden zum Laufen. Nur gute Schuhe brauchen wir, obwohl Barfusslaufen das absolut Beste wäre. Sonst ist alles schon da. Ein laufbereiter, ja laufbegieriger Körper, Wege und Bahnen, frische Luft und natürlich die Einsicht, es tun zu wollen.

Über das Gehen, Wandern, Spazieren, Flanieren kann man praktisch dasselbe sagen >>> siehe hier!

Übers Joggen kursieren viele Mythen

Mythos 1: Rennen ist für alle gut!

Rennen ist nicht für jeden “gut”!
Gut wäre: Freude daran zu haben und zufrieden zu werden. Aber… Gefühle wie Freude, Glücklichsein dürfen kein Zwang sein – sonst wird man garantiert unglücklich! Man kann sich die Freude zuerst mal “vortäuschen” und “so tun als ob”. Häufig erfolgt die Freude dann von selbst!

Vielleicht ist Wandern, Spazieren oder Flanieren als Bewegung glücklich machender?!
Oder vielleicht auch eine “Reise nach Innen”?!

Sieben weitere Mythen habe ich hier aufgeführt >>> Laufen

Langsamkeit und Wohlgefühl

Langsamkeit ist der entscheidende Faktor, der uns von der Hektik der Welt fern hält und uns hilft, das eigene Tempo zu finden. Wir entschleunigen, anstatt wie üblich zu beschleunigen. Wir normieren uns nicht durch Tabellen und Messgeräte. Nur unser Tempo kann das richtige Tempo sein. Für die meisten bedeutet das, weniger zu tun, als sie glauben, tun zu müssen. Statt Sport betreiben wir Bewegung. Statt objektiv etwas zu messen, spüren wir uns subjektiv. Statt wegzurennen, laufen wir nach innen. Statt etwas zu trainieren, lassen wir los und finden unseren persönlichen Rhythmus und unsere Einheit. Bei zu hohem Tempo kommen wir ausser Atem, Hören und Sehen vergehen uns, und das Laufen kann zu einem unangenehmen Erlebnis werden.
Weiter ist es nicht gesund,  Sport im Stress zu machen. Stress steigert unser Hormon Kortisol, was wiederum eher dick macht. Und dummerweise genau das für Herz und Kreislauf gefährliche viszerale Bauchfett. Also besser gelassen und locker trainieren!
Beginnen Sie 3 mal pro Woche mit nur 15 Minuten im Aeroben. Am besten nur auf ebenem Gelände oder nur leicht ansteigend.
Steigern Sie dann langsam auf 60  Minuten aerob. Dazu benütze ich selbst nie einen Pulsmeter, wobei ich nur auf meine Atmung achte. Jeder soll aber “auf seine Facon selig werden”.

Machen Sie immer wieder mal eine “Gehpause”: Wer seine Laufkarriere verlängern will, sollte in seinen Laufalltag darum stets Phasen mit Gehen einbauen. Aus vielen Gründen. Der wichtigste: Gehen beansprucht den Bewegungsapparat sehr viel weniger als Laufen – und erhöht damit die Wahrscheinlichkeit, weniger verletzt und dafür länger läuferisch aktiv zu sein. Also lohnt es sich, wer langfristig denkt, immer wieder Gehpausen einzubauen.
Zudem schadet zu langes intensives Joggen unserem Herz und unseren Gefässen. Unser Organismus kann “Leistungssport” nicht von Dauerstress unterscheiden – mit all seinen hässlichen Folgen.

Für die Gesundheit ist wohl auf Länge die “3in3-Regel” wichtig, was meint:
3 Stunden maximal wöchentlich in entspanntem, genussvollem Tempo, verteilt auf mindestens 3 Mal – und es muss nicht intensiver und langdauernder Sport sein (was nachweislich schädlich ist!), sondern die Bewegung kann (für die Gesundheit und nicht unbedingt für die Ausdauer) kurz und moderat, jedoch dann täglich und häufig sein – dies aber im Wechsel mit Sekundenlangen Intensivteilen (HIIT), wie zum Beispiel kurze schnelle Anstiege im Gelände.

Viel Lächeln!

Wichtig ist auch, dass die menschliche Leistungsfähigkeit nicht durch die Muskeln, sondern durch das Hirn kontrolliert wird. Man sollte also bei Anstrengungen, also auch beim Joggen möglichst viel Lächeln!

Wie viel ist noch gesund?!

Neuere grössere Studien mit Zehntausenden von untersuchten Ausdauerläufer und -Velofahrer zeigen, dass es eine Grenze bei 2 bis 5mal wöchentlichem moderaten, nicht zu intensivem Training bis insgesamt 30 km Länge einen Überlebensvorteil von 20% gegenüber Nichttrainierten gibt. Darüber gibt es aber keine Steigerung mehr. Es besteht nun sogar der Verdacht, dass stundenlanges Training, bei dem die fünffache Blutmenge durch das Herz gepumpt werden muss, mit der Zeit zu Vernarbungen in der Herzwand führt, die dann wiederum Rhythmusstörungen, insbesondere das Vorhofflimmern begünstigen kann. (>>> weiter unten).

“Alles mit Mass!” oder “Bloss nicht übertreiben!” hat als Motto für Jogger eine lebenswichtige Berechtigung, wie nun eine dänische Langzeitstudie der Uni Kopenhagen zeigt: 1000 Läufer wurden 13 Jahre lang beobachtet und die Sterberate mit der von 4000 Untrainierten verglichen. Wie vermutet, hatten die Jogger insgesamt eine höhere Lebenserwartung als die Sportmuffel. Doch diejenigen Läufer, die oft und hart trainierten, überlebten die 13 Jahre deutlich seltener als die Schleicher. Schlimmer noch: Die Überlebensquote der Hochtrainierten war kaum höher als die der Stubenhocker.
Nach dieser grossen Studie ist das ideale Laufpensum 1 bis 2,5 Stunden pro Woche. Und die optimale Geschwindigkeit: bedächtig! (DOI: 10.1016/j.jacc.2014.11.023)

Achtsamkeit

Für wahrhafte und stabile Prozesse ist unsere Anwesenheit nötig. Wenn wir essen, dann essen wir. Wenn wir laufen, dann laufen wir. Wir lenken uns beim Laufen durch nichts ab. Wir setzen keine zusätzliche Reize. Wir nehmen nur das Laufen wahr und erleben es. Wir rennen nicht mit einem Walkman im Ohr oder mit Stöcken in den Händen. Statt erschöpft werden wir durch achtsames Laufen erfrischt und erholen uns paradoxerweise, weil wir Unangenehmes zulassen und nicht wegrennen vor unseren Empfindungen.
Der Blick ist offen, aber nicht fixiert (auch nicht aufs Ziel oder eine Zeit). Lassen Sie die ganze Umgebung “reinkommen”. Auch das Innenohr ist offen für alle Umgebungsgeräusche.
Das grosse Sinnesorgan “Fuss” öffnet sich gegen den Boden.
Öffnen Sie sich, ergreifen Sie nichts. Die Bewegung wird nur stabil und ökonomisch, wenn Ihre Sinne auf diese Weise aktiv sind.
Die unten angeführte Laufhaltung führt uns weg vom TUN, hinein ins SEIN.

Haltung/Laufstil/Technik

Warum besitzen die Spitzenlangstreckenläufer von Kenia so vogelähnliche dünne Beine?!
Jürg Wirz diskutiert darüber in seinem Buch “Run To Win” auf mehreren Seiten und befindet sich in guter Gesellschaft , wenn er das Naheliegende übersieht (siehe dieselbe Diskussion über die Pferdebeine):
Sie laufen bereits die ganze Jugend mehrheitlich barfuss und schulen so ihr “Sinnesorgan Füsse” ideal. Sie erreichen dadurch den unten beschriebenen Laufstil, der schlussendlich viel mehr Stabilität für Gelenke und Bänder ergibt und weniger oberflächliche Beinmuskelkraft benötigt!
(Lesen Sie mehr über den “Afrikanischen Laufstil” – und in Kurzformat hier)

Mit und nicht gegen die Schwerkraft

Wir lassen einfach los und die Schwerkraft, unser Gewicht wirkt!
Wie erreiche ich dies? Das Gewicht des Oberkörpers ist der Motor. Man läuft dazu mit wenig Vorlage im Brustbereich. Der Schwerpunkt liegt immer vor dem Lot. Das Gewicht zieht uns also nach vorne! Man kann sich ein Gummiband vorstellen, das uns am Brustbein nach vorne zieht. Das Ziel zieht uns damit an – wir fixieren uns nicht auf das Ziel oder eine Leistung. Sie sollten das Gefühl haben, der Rumpf werde vom Brustbein her, das fast senkrecht steht, nach vorn und gleichzeitig in die Länge gezogen. Selbstverständlich drücken Sie nicht die Brust raus. Das Becken scheint vergleichsweise weit hinten zu “hängen”. Dadurch schwingen die Beine wie von selbst (aus den tiefen Schwingmuskeln, dem Filet = Iliopsoasmuskeln) und es entsteht kein muskelaktives Vorsetzen (durch den “oberflächlichen” Quadriceps-Muskel). Das Knie des Schwungbeines ist bei der “normalen Bewegung” leicht einwärts gedreht und schwingt innen durch nach vorn. Man setzt so auch automatisch auf der Aussenseite der Ferse ab, die dafür viel besser geschaffen ist und nicht wie die Innenseite des Fusses kollabieren kann . Die natürliche. spiralige, strukturelle Verschraubung des menschlichen Gewebes kommt so voll zum Tragen und erhöht die Stabilität des Beines.
Sehr eindrücklich sieht man dies auf dem untenstehenden Foto von Simone Niggli-Luder, der mehrfachen Schweizer OL-Weltmeisterin – hier im Schlusshang des Jungfrau-Marathons (42 Kilometer und 2000 Höhenmeter!).

Es folgt automatisch (ohne dass man was “tut”) eine runde Abrollbewegung im Fuss von der Ferse (zuerst aufsetzen) zum Vorfuss. Das “Abrollen” ist eigentlich unrichtig: Der Fuss ist nicht gegen unten rund wie ein Pneu, er ist eher ein Saugnapf, der unter Druck nach vorne und nach hinten auseinander geht und selbst ganz entspannt bleibt. Praktisch immer ist ein Fuss am Boden und nie beide gleichzeitig in der Luft . Wir wollen ja nicht in die Luft springen und so viel Energie verlieren, sondern vorwärts kommen! Man drückt also den Vorfuss nicht ab. Man lässt den Fuss solange am Boden bis er von selbst wieder abhebt und nach vorne schwingt. Probieren Sie die Füsse gegen den Boden zu öffnen und so den Boden durch die Laufschuhe zu spüren. Die Füsse setzen abwechselnd beinahe in einer geraden Linie am Boden auf und deshalb schaukelt auch der Rumpf nicht hin und her.

Der Kopf balanciert auf der Mittelachse des Halses. Er ist nicht nach vorne gestreckt. Man kann sich den Kopf als eine Boje oder einen Luftballon vorstellen, der locker auf allem sitzt. Er dreht sich vielleicht leicht in Richtung des jeweiligen Schwungbeines. Auch ein leichtes Ja-Nicken ist möglich (lockerer Schädel-Atlas-Übergang). Man sieht dies sehr deutlich und typisch bei Paula Radcliffe, der britischen Top-Marathonläuferin. Der Blick ist offen, nicht-fixiert und auf den Horizont gerichtet. Wir leben ja in einer Kultur des gesenkten Blickes: Smartphone, Laptop, Touchscreen… Es tut uns sehr gut, den Blick wieder zu heben: man kommt zur Ruhe!

Das Seil, das uns imaginär zieht ist nicht an der Stirn befestigt, sondern am Brustbein. Das Brustbein schwebt wie vorne weg. Der Schultergürtel liegt leicht auf dem Körper (wie ein leichtes Joch) und alles, auch die Arme hängen daran. Spüren Sie das Gewicht der Arme in den Ellbogen, die waagrecht vor- und zurückpendeln, aber weder hinten noch vorn hochkommen. Die Arme bewegen sich frei durch den Schultergürtel aus der Gegend um das Schulterblatt und aus der Rumpfseite. Lassen sie den Rumpf und den Schultergürtel recht ruhig nach vorne bewegen. Zur Vermeidung einer länger dauernden isometrischen Kontraktion (mit negativer Minderdurchblutung und folgenden Verspannungen, resp. Ansatzbeschwerden v.a. im Ellbogen- und Schulterbereich) soll immer wieder mal die Faust (falls vorhanden) geöffnet oder stets mit offenen oder halboffenen Händen gerannt werden. Lassen Sie auch immer wieder mal die Arme frei hängen und mitbaumeln.
Daraus lässt sich auch ersehen, dass sog. “heavy hands” (Gewichte, die man in den Händen hält) oder Stöcke in den Händen eine sehr negative Wirkung haben können, da die Gefahr besteht, die Faust beim Vorschwingen der Arme nicht zu öffnen.

Das Becken hängt wie ein Topf (Die oberflächlichen Bauchmuskeln, Gesäss, Beckenboden (vor allem hinten um den Anus) sind entspannt. Man soll den Mut haben, alles hinten raus zu lassen… zu sch…). Lassen Sie das Becken nicht seitlich abkippen. Die Beine hängen aus dem Becken raus (wie Pendel, die hinten bis zu den Rippen rauf reichen = tiefe Schwingmuskeln). Das Becken “schwebt” mit dem Oberkörper ruhig durch den Raum und unten schwingen die Beine. Als Trainingseinheit empfiehlt es sich, mit einem gefüllten Wasserglas in der Hand zu laufen. Wenn dies gelingt, ohne etwas zu verschütten, ist der ideale Laufstil bald erreicht.

Gehen Sie im Geiste immer wieder Ihren Körper durch. Spüren Sie, wie die Füsse frei an den Unterschenkeln und diese wiederum an den Oberschenkeln hängen und wie die Drehachsen genau waagrecht liegen. Die Beine hängen wie Pendel aus dem Bauchraum, wie von den Rippen und schwingen durch den Beckengürtel. Sie haben das Gefühl, als trügen die Beine den völlig entspannten Rumpf entlang einer geraden Linie gleichmässig vor sich her.
Dies ergibt eine katzenartige, leichte, entspannte Schwungbewegung (man hängt quasi in seinem Bindegewebe) und nicht ein muskelzentriertes, angestrengtes Kraftlaufen.

>>> Mehr zur Haltung bei weiteren Sportarten und -übungen.

Ganzfusstechnik – nicht nur der Vorfuss!

Gemeint ist also nicht die forcierte, reine “Vorfusstechnik” (die leider auch für Laiensportler propagiert wurde), sondern sozusagen eine “Ganzfusstechnik” (oder manchmal auch “Mittelfusstechnik” genannt).  Man setzt zuerst ganz leicht mit der Ferse auf, die aber noch kaum Gewicht trägt. Erst beim Aufsetzen des Mittel- und Vorfusses kommt dann der Hauptteil des Körpergewichts zum Tragen. Der ganze Fuss wirkt dabei wie eine Längsfeder.
Die reine “Vorfusstechnik” (bei der man die Ferse nicht aufsetzt sondern direkt den Vorfuss) erachte ich als medizinisch bedenklich und resultiert in vielen Bindegewebsproblemen im Unter- und auch im Oberschenkel. Der Vorfussläufer fängt sein Körpergewicht nach dem Vorfuss und der Plantarfaszie vor allem über die Wadenmuskulatur und die Achillessehne ab. In diesen Strukturen finden sich dann auch meist die Überlastungsreaktionen und Symptome.

Die Vorfusstechnik wird oft von schnellen Läufern, die leistungsbetont auf Zeit laufen, angewendet, da damit die kleinste Fläche auftritt und die Reibung am geringsten bleibt. Im Marathon wird dies vor allem in der ersten Hälfte benützt, um später – bei Ermüdung – auf die hier beschriebene Ganzfusstechnik umzusteigen. Ich schreibe hier aber nicht für die Spitzenläufer, sondern für diejenigen Läufer, die mit ihrem Laufstil auch noch nach 10, 20 oder mehr Jahren gesund sein wollen!

Natürlich ist auch die “Rückfusstechnik” (Gewicht auf der Ferse) ein Ausdruck von Ungleichgewicht und unökologischem Kraftaufwand. Der Schwerpunkt ist zu weit hinten. Ich werde deshalb von meinem Gewicht nach hinten gezogen und renne auch in der Ebene immer “bergauf”! Beim Rückfusslauf wird, um beim Bodenkontakt sein Körpergewicht abzufangen, als natürliches Dämpfsysteme die Pronationsbewegung im Rückfuss eingesetzt, die zu einer entsprechend hohen Belastung der am Innenknöchel liegenden Tibialis-posterior-Sehne führt. Überlastungsreaktionen beim Rückfussläufer betreffen daher bevorzugt die Sehnenregion am Innenknöchel aber auch z.B. das mediale Schienbeinkantensyndrom (mehr hier).

Wichtig ist der Schwerpunkt beim Laufen, der am optimalsten etwas vor dem Lot liegen sollte. Dadurch kommt man automatisch mit nur noch sehr wenig Gewicht zuerst auf die Ferse, dann aber sofort mit dem Hauptgewicht in den Mittelfuss und auch auf den Vorfuss. Der sogenannte “Ballengang” ist also nicht ganz ein ausschliesslicher Vorfussgang.

Auch gemäss einer grossen neuen Studie einer internationalen Forschergruppe im Journal of Experimental Biology ist die effizienteste Fortbewegungsart des Menschen, dass Abrollen des Fusses über die Ferse zuerst bis zu den Zehen (Cunningham CB et al., J Exp Biol. 2010 Mar 1;213(5):790-7).

Von aussen nach innen

Durch diese Art Laufen wird ein Extra-Stretching kaum mehr nötig (>>> Stretching)! Man kann ein Gefühl entwickeln, wenn die Grenze erreicht ist, wo ich von der oben beschriebenen Aktivität aus den intrinsischen, inneren, achsennahen Muskeln mit begleitendem Bindegewebe in die überwiegende Bewegung mit extrinsischen, äusseren Muskeln wechsle. Diesen inneren, tiefen Raum nennt man auch “Core” oder Kern. Dazu gehört der dabei aktivierte und lang gebliebene Psoasmuskel (= Schwingen der Beine hinten weit in den Bauch hinein von den Rippen her) oder auch der, beim Joggen stets aktive, tiefste Bauchmuskel, der Transversus abdominis. Dann die kleinen Muskeln direkt an der Wirbelsäule, die Multifidi- und Rotatores-Muskeln.
Die äusseren Haltemuskeln (v.a. tonische Anteile) neigen viel stärker zu Verspannungen und Verkürzungen und man staucht damit auch seinen Innenraum.
Lassen Sie also überall dort los, wo Sie spüren, dass die gerade Vorwärtsbewegung gehemmt wird.  Im günstigsten Fall haben Sie das Gefühl, Ihr Körper laufe von selbst. Versuchen Sie zum Beispiel, das Tempo nur dadurch zu erhöhen, dass Sie Widerstände eliminieren und die Körpergeometrie optimieren.
>>> Mehr zu dieser tiefen Stabilisierung der Bewegung: Tonic Function Model von Hubert Godard.

Zum idealen Gleichgewicht benötigen wir einen guten Fuss-Boden-Kontakt, ein “peripheres” Raumempfinden über die Augen (Bilder locker reinlassen und nicht fixiert anstarren) und ein waches Innenohr. Das Letztere können wir aktivieren, indem wir auch mal kurze Zeit blind weiterrennen. Wir spüren dann die Füsse und die Umgebungs-Töne viel deutlicher.

Nicht verkürzen.

Unseren Innenraum versuchen wir während dem Joggen (und überhaupt in jeder Bewegung und Haltung – siehe “Normal Function” im Rolfing) im ganzen Körper möglichst zu erhalten – idealerweise sogar zu verlängern.
Für was ist dies gut?!
Es ist gelenkschonend. Das Gelenk verliert nicht an Innenraum – auch nicht  im Zwischenwirbelraum. Es ist gewebeschonend (für Muskeln, Sehnen, Bänder und deren Knochenansätze). Die Eingeweide haben mehr Platz und damit ideale Lebensbedingungen (auch die Lunge). Das Blut zirkuliert freier … und auch die Seele fühlt sich wohl…
Wie erreiche ich dies?
Siehe oben: möglichst wenig Muskeln benötigen (v.a. nicht die oberflächlichen Bewegungsmuskeln, die bei Tätigkeit – ohne die Stabilisierung der tieferen intrinsischen Muskeln – zur Verkürzung neigen) -> Bewegung mit einer Entspannung und nicht mit einer Kontraktion beginnen -> “Gratiskräfte” einsetzen (Schwerkraft/Gewicht, elastische Spannkraft des Bindegewebes/Fasziennetzes -> geschmeidige Schwing- oder Katapultbewegungen).

Der Schwerpunkt soll in der Bewegung möglichst ruhig auf einer Linie bleiben und dabei möglichst tief liegen. Ergibt weniger Abnützung und grösseres Gleichgewicht, wie bei einem Rennwagen. Die Faltbewegung in der Zickzacklinie (Folding im Rolfing) erfüllt diese Bedingungen (inklusive Innenraumerhaltung) auf ideale Weise.
Stellen Sie sich Ihren Schwerpunkt vor und vermindern Sie auf unebenem Gelände seine Ausschläge nach oben und unten. Sie strecken sich etwas gegen den Boden, wenn Sie in ein Loch treten und lassen sich tiefer ins Falten sinken, wenn Sie auf eine Erhöhung treten. Sowohl geradeaus, als auch bergaufwärts, aber auch bergabwärts versucht man diese Vorlage im Oberkörper und das Becken hinter der Mittellinie beizubehalten.
Ein Gelenk hat bei Bewegung am meisten Platz, wenn sich mit der Tätigkeit der Agonisten (z.B. Beugemuskeln) auch die Antagonisten (z.B. die Strecker) entspannen. Beim Joggen soll also sowohl die Vorder-, wie auch die Hinterseite des Körpers entspannt und damit lang bleiben.

Bergläufe: Bergauf- und Bergabgehen oder -Laufen

Die Haltung beim Gehen, wie auch beim Laufen sind grundsätzlich die gleiche. Beim Laufen wird die Vorlage des Oberkörpers nur noch etwas verstärkt.

Bergauf:
Man probiert möglichst mit dem Gewicht des Oberkörpers in Vorlage in den Hang reinzuliegen. Man lässt sich bildlich wie eine Standseilbahn schräg nach oben ziehen. Das Seil ist am Brustbein angehängt. Man ist aber nur im Hüftgelenk gebogen, der Po bleibt hinten und das Brustbein und der Kopf drauf bleiben senkrecht  (konvexe Mittellinie des Oberkörpers).
Im Schwungbein beuge ich das Knie zuerst etwas mehr  als geradeaus und lasse dann das Bein (wie oben beschrieben) locker und entspannt aus der Hüfte raus nach vorne schwingen. Der Fuss “schlägt” dann mit kleinen Schritten wieder in den Hang – man “stolpert” den Berg rauf.
Die gefühlte Anstrengung sollte dabei beim Laufen kaum grösser sein als wenn man Gehen würde. Man macht wirklich ganz kleine Schritte.

Bergab:
Auch hier  mit fast noch grösserer Vorlage als beim Bergauf-Laufen (mit konvexer Mittellinie des Oberkörpers mit senkrechtem Brustbein weit vorne)  und starker Beugung im Hüftgelenk . So hat man den Schwerpunkt immer weit vorne über den drei wichtigen Federn unseres Körpers: Fuss, Knie und Hüftgelenk. Bei der häufig gesehenen Rücklage werden die Knie durch den schlechten Hebel und durch den Ausfall der Federung im Hüftgelenk und auch im Fuss massiv belastet. Zudem ist der Stand durch den Schwerpunkt, der hinter den Füssen liegt, sehr schlecht und bei nassem, glitschigen Grund ist die Gefahr gross, dass man nach hinten hinfällt. Die Bergsteiger kennen dies schon immer: Wie ein Affe sollte man mit Falten im Hüftgelenk (Po hinten und Brustbein vorne, oben) eine steile Geröllhalde oder nasse Wiese runtergehen.
Beim Bergablaufen hat man alle Vorteile des negativ dynamischen (exzentrischen) Krafttrainings: Die Spannungsspitzen sind weit über dem positiv dynamischen (konzentrischen – beim Bergauflaufen) mit Maximalkraftwerten (exzentrisches Kraftmaximum 30-40% grösser als das isometrische, dieses 10-15% über dynamisch-konzentrischem Kraftmaximum). Es kommt zu einer ausgeprägteren Hypertrophie des Muskels (langer Reiz) und zu einem deutlichen Zuwachs auch bei hohem Trainingsniveau.
Diese Haltung ist nicht nur die (tritt-)sicherste, sondern aus verschiedenen Gründen (Tiefenaktivität und oberflächliche Entspannung, grösste Federung, Trittsicherheit und Gleichgewicht) die gesündeste!

Lesen Sie noch mehr über den Berglauf hier auf dieser Website: berglauf/

Treppensteigen (auch die ideale Haltung auf dem Stepper)

Ganz ähnlich wie Bergauf oder Bergab geht das Treppensteigen auf ökonomische Art:
Das Gewicht des Oberkörpers zuerst über die nächste Stufe bringen (Brustbein bleibt senkrecht und wird nach vorne geschoben – braucht beim Treppeabsteigen etwas Mut…) – das Schwungbein hat gebeugtes Knie und pendelt dann wie von alleine hinten nach…


Sind Wanderstöcke beim Berggehen sinnvoll?!

Dazu lesen Sie eine meiner Blog-Beiträge.

Wie trägt man eine Rucksack richtig?!

Auch dazu habe ich einen Blogbeitrag verfasst.

Diese Haltung und Bewegung können Sie bei mir im “Rolfing” lernen.

Empfehlen kann ich auch die erfahrene Rolferin Astrid Widmer in Zürich, die das Joggen nach derselben “afrikanischen” Methode lernt: www.rolfingpraxis.ch.

Laufschuhe – auf dem Weg zum Natural Running

Der Fuss ist ein eigentliches Sinnesorgan (mit mehr als 30’000 Nervenendigungen), der möglichst viele Reize erhalten will. Wenn immer möglich sollten Sie deshalb auch mal barfuss laufen. Wer barfuss läuft, läuft instinktiv richtig. Der Fuss öffnet sich gegen den Boden und die wichtigen Muskeln der Beine und des “Core” werden dabei angesprochen und so wieder in ihren Normalzustand gebracht. Beim Barfussgehen ist die maximale Pronation kleiner als mit Schuhen. Schuhe (und vor allem eine Dämpfung im Fersenbereich) provozieren immer eine Pronation. Ein Laufschuh (und übrigens auch ein Alltagsschuh) soll also möglichst nah beim Barfusslaufen sein: eher dünne, flexible, flache Sohle (keine mit dieser enormen Dämpfung – hier wird ein Grossteil der aufgewandten Läuferenergie schlicht und einfach vernichtet und steht für die Fortbewegung nicht mehr zur Verfügung. Auch resultieren daraus durch zusätzliche Seitwärtskippbewegungen und Instabilität des Rückfusses u.a. Achillessehnenprobleme.). Dass moderne Laufschuhe für die Gelenke des Beines schädlicher sein können als barfuss zu Joggen zeigt auch eine Studie von Forschern der University of Virgina, die im Fachmagazin «The Journal of Injury, Function and Rehabilitation» veröffentlicht wurde. Die Wissenschaftler liessen gesunde Sportler auf einem Laufband trainieren – mit Schuhen und barfuss. An Hüfte, Knie und Fussgelenk stellten die Experten höhere Belastungen fest, wenn die Jogger Schuhe trugen. Die Belastung für die Gelenke war laut den Angaben sogar höher als das Gehen auf hochhackigen Schuhen. Die Hüfte wurde in der Studie mit Laufschuhen durchschnittlich um 54 Prozent stärker belastet als barfuss, im Knie lagen die Werte zwischen 36 und 38 Prozent. Dem Fuss gaben die Trainingsschuhe dagegen einen guten Halt. Die negativen Effekte auf die Gelenke würden wahrscheinlich zu grossen Teilen von dem erhöhten Absatz und Stützmaterial unter dem Fussgewölbe verursacht. Beides sei charakteristisch für heutige Laufschuhe (diese Studie finden Sie hier >>>).
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat die Schuhindustrie endlich diese Gedanken aufgenommen und entwickelt nun auch Laufschuhe, die nah am Barfusslaufen sind (z.B. Nike Free oder Biom von Ecco und On von On – auch Scott oder Newton haben nun Schuhe, die in diese Richtung gehen).
Die neue Devise ist: keine Dämpfung, keine Stützung, keine Führung!

Falls eine Dämpfung, dann nur einen extrem weichen Dämpfungsring mit einem ellipsenförmigen Querschnitt rund um den Fersenbereich – analog zum natürlichen Fettring, der rund um die Ferse schon besteht. Sie finden übrigens am Körper keine Struktur, die eckig ist. Alle Knochen sind rund, ja die Natur ist rund. Deshalb sollten auch Schuhe runde Formen haben und keine eckigen.

Laufschuhe sollten zudem auch nicht durch Unterstützung dem Laufstil angepasst werden. Man sollte keine Korrektur von Pronieren (Abrollen über Innenrand des Fusses) oder Supinieren (Aussenrand) mit Sohlenverstärkungen mehr machen. Man hat gemerkt, dass die Schulung der Propriozeption viel wichtiger ist, sprich: mehr Reize für den Fuss, eben wie beim Barfusslaufen, barfuss joggen, ev. neuromuskuläre Einlagen (man könnte aber auch etwas feinen Kies in den Schuh schütten…). Mit Barfusslaufen hat man keinen Spannungsverlust der Pronationsunterstützung durch die eigene  Muskelschlinge (m.tibialis posterior und lange Zehenflexoren). Dazu darf eine Sohle nicht zu steif sein.
Zudem ist die wichtigste Laufphase für die Biomechanik die Abstossphase des Fusses und eben gerade dann nützen Einlagen und Unterstützungen meist nichts!
Dann hat man auch gefunden, dass der mechanische Reiz des Stosses vom Boden her gut ist für einen starken Knochenwachstum, also stark gegen die Osteoporose wirkt. Eine Dämpfung im Laufschuh vernichtet diesen gesundheitlichen Profit. Durch diesen Stoss werden auch die tiefen Stabilisatoren der Rumpfmuskeln zur Arbeit angeregt, was der erste und wichtigste Schritt zum Gleichgewicht in der Bewegung ist.
Mir schwebte immer ein Schuh vor, der wie Gummimilch um den Fuss und alles Zehen einzeln eine leichte schützende Schicht bildet. Die Vibram FiveFingers kommt dem recht nahe.

Unter diesem Aspekt ist sogar das Alter der Laufschuhe nicht mehr so wichtig. Am besten hat man dennoch mehrere Laufschuhe, die man im Wechsel benutzt. So lässt sich der negative Einfluss eines Paares auf ein Minimum reduzieren.

Noch ein Tipp: Stellen Sie den Laufschuh leer auf den Tisch: Die Ferse sollte eindeutig horizontal sein. Aber auch sollten Vor- und Rückfuss keinen Höhenunterschied aufweisen und gegeneinander gut beweglich sein und der Schuh vor allem im vorderen Bereich flexibel.

Und noch was: Wechseln Sie vom bisherigen Laufschuh auf die neuen Fast-Barfuss-Schuhe (Typ Nike Free) nur schrittweise und langsam. Tragen Sie anfangs nur kurze Abschnitte die neuen Schuhe und verlängern Sie dies sehr behutsam. Dies sollten vor allem Läufer tun, die eine starke Pronation aufweisen. Zu schnelles Umsteigen kann sich zum Beispiel in Überlastung der inneren Kniesehnen zeigen (Pes anserinus-Beschwerden). (Siehe dazu: Entwicklung der Laufschuhe; Fit for Life Sonderheft Laufsport; Interview Dr. B. Segesser, 3971 KB)

Was ist mit Einlagen?

Einlagen sind für 90 Prozent der Einlagenträger nicht notwendig, mitunter gar schädlich. Es braucht sie nur, wenn eine Pathologie vorliegt. Dann aber sollte man unter Umständen das Laufen eher sein lassen – und besser nur gehen.

Warum existiert dann eine ganze Einlagen-Industrie im Sport, wenn sie unnötig ist?
Weil viele noch immer statisch denken. Eine Einlage soll bei dieser Statik und zur Aufrechterhaltung der geraden Rückfussausrichtung helfen. Diese Denkweise aber ist durch viele Studien überholt.

Stretching – Dehnen

Vor dem Laufen, der Turnstunde oder dem Tanzkurs ein paar Dehnübungen zum Aufwärmen: Das gehört fast überall dazu. So macht man beispielsweise einen kleinen Ausfallschritt und zieht die Unterschenkelmuskeln in die Länge. Diese Spannung hält man einige Sekunden. In Fachkreisen spricht man vom statischen Dehnen, weil man in der Spannung verharrt. Freizeitsportler sollten jedoch zum Aufwärmen möglichst auf statisches Dehnen verzichten. Dieser Ansicht sind auch Forscher der Universität Jena in Deutschland. Sie haben herausgefunden, dass man beim statischen Dehnen kurzzeitig bis zu 30 Prozent der Muskelkraft verliert. Die Folge: Die Muskulatur und Leistungskraft schwindet, dafür steigt das Risiko einer Verletzung.

Wer seine Muskeln vor dem Sport aufwärmen will, der macht besser dynamische Dehnübungen. Das Prinzip: Man verharrt nicht in der Position, sondern macht federnde Bewegungen mit 10 bis 15 Wiederholungen.

Ein Beispiel: Man sitzt aufrecht auf dem Boden und drückt die Fusssohlen aneinander. Nun bewegt man die Knie leicht nach unten und lässt sie wieder los. Die Dehnung erfolgt, indem man die Muskulatur langsam an- und entspannt. Oder man stellt sich im hüftbreiten Stand auf eine Matte und kreist dabei langsam die Hüfte oder die Arme. Eine weitere Variante ist, dass die Dehn-Bewegung durch eine äussere Kraft erzeugt wird. Beispielsweise, indem man die Übung an einer Wand ausführt oder mit der Hand oder einem Fitnessband für die Dehnung sorgt. Das Gute: Fast jede Dehnübung kann man dynamisch oder statisch ausführen.

Der Vorteil von dynamischen Dehn-Übungen: Sie aktivieren in kurzer Zeit die Muskulatur und die Gelenke. In der Folge wird die Muskulatur warm und beweglich. Dynamisches Dehnen ist deshalb fürs Aufwärmen die erste Wahl. Besonders eignet es sich für Sportarten, bei denen man rasche und kraftvolle Bewegungen macht, beispielsweise beim Fussball oder in der Leichtathletik. Aber auch wer vor einem Lauf seine Muskulatur aufwärmt, macht dies am besten mit dynamischen Dehn-Übungen.

Gut zu wissen: Keine Dehnart verhindert einen Muskelkater, das haben mehrere Studien gezeigt. Trotzdem verbessert richtiges Dehnen das Körpergefühl und Wohlbefinden.

Ich selbst ziehe als dynamisches Aufwärmen den “Adlerflug” vor. Er soll aber möglichst gut erlernt sein und aus dem “Core” raus geschehen.

Am besten ist es auch, einfach langsam loszulaufen. Dieses Warming-Up bereitet nicht nur die Muskeln vor, auch alle Organe, mein ganzer Körper wird aufgewärmt. Dann kommt man vom Gehen zum Joggen, indem man sich durch das imaginäre Gummiband am Brustbein nach vorne ziehen lässt (nicht mit den Beinen Tempo machen). Fühlen Sie das Gewicht des Oberkörpers, dass Sie leicht nach vorne zieht.

Nach intensivem Joggen sollte ebenfalls nicht statisch gedehnt werden. Denn das drosselt die Durchblutung und verzögert die Regeneration. Zudem können dadurch kleine Muskelfaserverletzungen (von denen es nach 60 Minuten Laufen immer einige hat) noch vergrössert werden. Auch hier lautet die Devise: langsam auslaufen! Cool-Down!
Anders nach Krafttraining: Dehnen Sie dort kurz den ganzen Körper. Vor allem wenn Sie Ihre Bauchmuskeln trainieren, sollten Sie diese abschliessend dehnen, damit sie geschmeidig bleiben. “Zähe” und angespannte Bauchmuskeln stören nämlich die normale Bewegung am häufigsten und nachhaltigsten.

Krafttraining

Bei den meisten Sportarten – auch beim Laufen – stehen zwei Aspekte im Vordergrund: Kraft und Technik. Offensichtlich optimiert die oben beschriebene “normale” Bewegung Ihre Technik. Meistens will man jedoch mit dem Naheliegenden, nämlich mehr Kraft, die Leistung steigern. Der Einfluss der Technik ist dagegen schwerer fassbar. Eine bessere Technik erhöht Ihre Leistung jedoch ebenfalls, weil Sie damit den Wirkungsgrad des Krafteinsatzes verbessern.
Von der Kraftkomponente drohen sogar einige Nachteile. Dickere und kräftigere Muskeln tendieren nämlich dazu, mehr aktive Spannung auszuüben. dadurch wird Ihr Körper unnötig verkürzt und gestaucht. Das wiederum bedeutet, dass Bewegung gegen einen höheren Widerstand durchgesetzt werden muss, die Muskeln also quasi gegen sich selbst arbeiten müssen. Man gerät dabei leicht in einen Teufelskreislauf, an dessen Ende man sich vor lauter Kraft und Anstrengung kaum mehr rühren kann!
Beachten Sie auch einen weitere Auswirkung übermässigen Krafttrainings: Die Faszien hochtrainierter Muskeln verdicken und verhärten sich. Die Geschmeidigkeit der Muskeln geht verloren und der Körper kann sich in der Bewegung kaum mehr verlängern.
Es besteht also ein gewisser Gegensatz zwischen Kraft und Technik. Für den Organismus, seine Gesundheit und Flexibilität ist es vorrangig, dass der Körper beweglich und geschmeidig ist. Denken Sie wieder an eine Katze, deren Muskeln extrem weich und “dünn” sind. Sie trainiert nie ihre Kraft, doch sie dehnt sich immer wieder, um ihren Körper und sein Gewebe geschmeidig zu halten.
Damit will ich nicht sagen, dass Sie nicht auf Kraft trainieren sollten – wenn Sie das möchten. Beachten Sie dabei aber unbedingt zwei wichtige Dinge. Erstens sollten Sie alle Übungen “natürlich und ökonomisch” ausführen, vor allem wenn Sie an Kraftmaschinen arbeiten, will heissen: Lassen Sie sich Ihren Körper auf keinen Fall stauchen! Spüren Sie immer bevor Sie mit der eigentlichen Übung beginnen, wo Ihr Körper gegen den Boden, eine Sitzbank o.ä. gestützt ist. Fühlen Sie zu diesem Zweck Ihr ganzes Gewicht. Dann drücken Sie gegen den Boden, so dass als Folge davon erst der Körper sich streckt, dann das Gewicht am anderen Ende Ihres Körpers bewegt wird. Zum zweiten sollten Sie am Schluss des Trainings wie oben unter “Stretching” beschrieben den ganzen Körper, insbesondere die Bauchmuskeln immer kurz dehnen.
Als Trick für guten Muskelaufbau kann man  bis maximal 60 Minuten nach dem Krafttraining 10 Gramm hochwertiges Protein zu sich nehmen (dazu soll man nicht die teuren Proteinbüchsen kaufen, sondern viel besser einfach ein Glas Milch (3 DL) trinken. Die wichtigste Aminosäure für den Muskelaufbau ist Leucin und die hat’s genügend und optimal in der Milch!).
Man muss übrigens dazu nicht in teure Fitnessstudios: Tägliches Hanteltraining (Kurz- oder Langhanteln, aber auch das Theraband) reichen. Und es braucht dabei keine grossen Gewichte, ein leichter Widerstand reicht aus – allerdings ist Regelmässigkeit unumgänglich). Der Zeitpunkt spielt eine grosse Rolle: vor dem Zu-Bett-Gehen ist am idealsten (da nachts günstiges Hormonprofil zum Muskelaufbau aufgrund der zirkadianen Schwankungen besteht).

>>> Mehr zum Krafttraining (z.B. Exzentrisches) hier: www.dr-walser.ch/krafttraining/

Dieses Bewegungsmodell in der Kunst

Wir finden dieses Modell des Laufens in der Kunst bei Leonardo Da Vinci, der in seinem Bild des Menschen als Fünfstern im Kreis ein Zentrum im Körper annahm, aus dem die Beine, aber auch die Arme und als 5. Strahl Hals und Kopf kommen. Dies ist sehr treffend für dieses Bewegungsmuster, das ich hier beschreibe:
Die Beine pendeln beim optimalen Laufen mit den Psoasmuskeln (dem “Filet” des Menschen) aus dem Körperzentrum raus – und auch die Arme hängen am Schultergürtel und pendeln von selbst aus den tiefen Schulterblattdrehern… aus demselben Zentrum wie die Beine. Ebenfalls balanciert der Kopf frei (wie eine Boje) obendrauf und ist durch die tiefen Halsmuskeln (M. Longus Colli) auch mit demselben Zentrum im Körper verbunden.
Diese fünf Strahlen können sich nur frei bewegen, falls die oberflächliche Verbindung der Strahlen entspannt sind und damit die Bewegung aus dem Zentrum nicht behindern!

Flüssigkeitsersatz

Alltäglich: Als Basis immer viel trinken, d.h. 2 bis 2,5 Liter Wasser täglich (so kann man die anfallende Harnsäurekristalle loswerden und diese werden nicht nach und nach u.a. ins Gleitgewebe der Sehnen abgelagert. Daraus würde eine langsame Abnahme der Elastizität des Bindegewebes, eine zunehmende Steifigkeit und erhöhte Verletzungsneigung resultieren!).
Jemand, der in einer Stunde 12 km läuft, verliert etwa 1,2 Liter Schweiss. Ein Leistungssportler, der in der gleichen Zeit 18 km zurücklegt, schwitzt 1,8 Liter. Nimmt das Gesamtkörperwasser um 2% (nur 0,6 bis 0,8 Liter!) ab, drohen Muskelkrämpfe, und ab 4% reduziert sich auch die sportliche Leistung messbar.
Als Regel kann gelten, dass wer weniger als eine Stunde trainiert, keine Leistungseinbussen erwarten muss, und es reicht dann, wenn man nach dem Sport ausreichend trinkt. Bei Longjogs sollte man während der ersten zwei Stunden hypotone Getränke zu sich nehmen, die angebotenen isotonen  also mit Wasser verdünnen. Falls man länger als zwei Stunden rennt, muss man unbedingt nach dieser 2.Stunde auf hypertone Getränke umsteigen und am besten auch vor dem Lauf hyperton trinken. Ist man länger als 60 Minuten aktiv, sollte sowieso schon vor und während des Rennens Flüssigkeit zu sich genommen werden, d.h. schon eine halbe Stunde vor dem Start 400 bis 600 ml und dann alle 10 bis 20 Minuten 100 bis 250 ml “nachfüllen” (Achtung: die Magenentleerungsrate beträgt nur 0,8 Liter pro Stunde – mehr zu trinken, wäre also blanker Unsinn. Zudem sind Mengen über 0.8 Liter pro Stunde auch gefährlich, da es zu einem Absinken des Natriums im Blut kommen kann und damit zum lebensgefährlichen Hirnödem!). Hier sind kohlehydratreiche Getränke besser geeignet (wenn keine feste Nahrung aufgenommen wird).
Hypotone Getränke: Mineralwasser, Tee, Bouillon, Tomatensaft.
Isotone: Optimal ist ein Gemisch von 2 bis 3 Teilen (natriumreichem) Mineralwasser mit einem Teil (kaliumreichem) Fruchtsaft (Orangensaft, Johannisbeernektar, Apfelsaft oder Traubensaft). Teure, konfektionierte isotone Getränke kann man sich damit ersparen! (Quelle: u.a. A.Schek, Giessen; Ernährungs-Umschau, 47.Jg., Heft 6 (2000), Seite 228-234))

>>> Mehr dazu für Marathonläufer: www.dr-walser.ch/hyponatriaemie/!

Ernährung

Während Training lesen ambitionierte Läuferinnen hier Genaueres.
Zum häufigsten Mangel an Magnesium und Eisen >>> siehe unten.

Im Hinblick auf den Wettkampf:
Achtung vor (Hype!) Low-Carb-Ernährung, die dann mit vielen Bauchsymptomen während Wettkampf in High-Carb gewechselt wird. Lösung dieses Problems:

Vor Wettkampf (“natürliches Doping”):
Dies soll unbedingt mindestens einmal vorgängig bei einem weniger wichtigen Wettkampf oder vor einem intensiven Training ausprobiert werden.
Etwa eine Woche vor dem Wettkampf Beginn mit kohlehydratreichem Essen (so 70% der Nahrung): Brot, Teigwaren, Pizza, Reis, Kuchen, Kekse… Dazu morgens eine Handvoll Nüsse (Magnesium!) und etwas Apfelessig und ein Gramm L-Carnithin (beides vergrössert das mögliche Glykogendepot).
Täglich ein halber Liter Randensaft steigert die körperliche Ausdauer.  Beginnen Sie mindestens eine Woche vor dem Lauf.
Die Wirkung beruht sehr wahrscheinlich in einem verringerten Sauerstoffbedarf, was Studien auf die hohe Nitratkonzentration des Rote-Bete-Getränks zurückführen. Nitrate werden im Körper zu Stickoxid umgewandelt und beeinflussen die Sauerstoffverwertung in den Mitochondrien (Bailey SJ et al., J Appl Physiol 2009).
Am Vortag sehr viel trinken.  Am Vorabend keinen Alkohol und am Wettkampfmorgen Honigbrötchen und Konfitüretoast – ein Glas Wasser direkt vor Start.
Während des Rennens: Sportriegel enthalten meist viel zuviel Fett – was wirklich hilft sind Gemische von schnell aufschliessbaren Kohlenhydraten mit solchen die bis zu einer Stunde wirken, am besten in flüssiger Form, da so magenverträglich (z.B. Powergel) – von diesen jede Stunde eine Portion. Schon nach wenigen Kilometern wenig trinken und dies dann alle 5 Kilometer/ 30 Minuten. Zu Beginn (eines Marathons z.B.) eher hypoton, d.h. immer isotonisches Getränk PLUS Wasser und erst gegen Schluss iso- oder hyperton.
Ein sehr gutes Abstrakt über “die optimierte Ernährung” des Sportlers von Dr. med. Reinhard Wittke, Bayreuth findet man hier !

Wann?

Selbst ausprobieren!
Mein Tipp: Sie sollten nicht die Primetime Ihres geistigen Höhenflugs (meist vormittags) verschenken und die dem Körper widmen. Joggen Sie in ihren “Down-Phasen” nach energetischen Hochs (also meist abends oder im “Mittagstief”). Es wird dann auch wunderbar entspannend wirken – und der Geist kann ruhen.
Aber… morgens sind dann auch während des Laufens die Gedanken klarer… es gibt Raum für Neues… die Luft ist reiner…
Sport VOR dem Essen führt zu besserer Fettverteilung: Das Nahrungsfett geht dann direkt in die Muskeln (deren Fettdepot im Sport geleert wurden) und nicht in den Bauch! Dies entspricht dem altbewährten Muster: Jagen und dann Essen! >>Weiterführendes zum Abnehmen siehe hier auf meiner Seite!
Studien zeigen auch, dass Sportler, die strikte Trainingspläne einhalten, sich vermehrt verletzen! Laufen Sie also, wie sie Lust haben! Dann hört man einfach mehr auf die Signale des Körpers…

Gesund ist wohl auch, nur jeden zweiten oder dritten Tag zu joggen: siehe hier!

Bewege ich mich genügend? >>> einfacher Test hier.

Aerob oder anaerob – und optimaler Trainingspuls?

Ich selbst trainiere ohne Pulskontrolle und vertraue ganz auf mein subjektives Anstrengungsgefühl. Die eigene Einschätzung der Strenge der Belastung ist sehr zuverlässig – sie berücksichtigt alle individuellen Spezialitäten, auch das Fest vom Vorabend z.B.. Aufmerksamkeit und feine Wahrnehmung sind gefragt. Wir haben eine zuverlässige “innere Pulsuhr”. Als grobe Orientierung mag die Atmung dienen: Man sollte noch während dem Joggen reden und durch die Nase atmen können (z.B. auch von eins bis zehn zählen – und dies ruhig in einer einzigen Ausatmung). Auch eine Strophe in normaler Lautstärke singen, ist ein wertvoller Test.
Falls man es doch mit Pulsmessung kontrollieren will – und dies vor allem als Unterstützung beim Erforschen der obigen inneren Pulsuhr dient:
Es gibt zwei Möglichkeiten, wirksam zu trainieren: mit konstantem Trainingspuls oder im optimalen Trainingsbereich.
Konstanter Trainingspuls: Für über 40jährige gelten 170 Schläge minus das halbe Alter als vernünftig. Ein 46jähriger sollte also mit einem Puls von 147 Schlägen trainieren. Die Formel für unter 40jährige lautet: 180 Schläge minus Alter. Die individuelle Variation ist aber enorm.

Die Formel “220 minus Alter” für die maximale Herzfrequenz ist übrigens überholt und falsch. Der Maximalpuls ist unabhängig von der Fitness völlig verschieden. Ein guter Test, um seinen individuellen Maximalpuls herauszufinden, ist folgender: Nach einem Warm-up gibt man für 2 Minuten Vollgas und misst dann seine Herzfrequenz.
Optimaler Trainingsbereich:

  • Für die Grundlagenausdauer (Hauptteil des Trainings) zwischen 60 und 75 Prozent des Maximalpulses.
  • Für die ideale Fettverbrennung aber bei moderat Trainierten bei 75% +/-10% und bei  Untrainierten bis Guttrainierten (ganzes Spektrum) sogar zwischen 40 bis 90%.
  • Für Regeneration nur bis 60%
  • Für Kraftausdauer zwischen 75 und 85%
  • Für Vorbereitung auf Wettkampfbelastung zwischen 85 und 95%
  • Im Wettkampf zwischen 95 und 100%

Schnelles Ausrechnen der persönlichen Trainingsintensität finden Sie hier: www.conconi.ch/maxhf.html

Ein guter Mix ist auch 65% Ausdauertraining (aerob), 25% Tempo- und Geschwindigkeitsentwicklung (anaerob – soll die Fähigkeit des Körpers vergrössern, sich den Sauerstoff zunutze zu machen – etwa mit Intervall-Training in Form des Fartlek oder “Fahrtspiels”) und 10% Widerstandstraining zum Aufbau der Körperkraft unter hoher Belastung (etwa durch Hügel oder Sanddünen jagen, ev. auch Workouts mit leichten Gewichten, Langhanteln).
Ein guter Mix beinhaltet immer wieder Reize, d.h. Abwechslung für den Körper. Immerdauernd lange, wenig belastende Läufe sind barer Unsinn. Eingestreute Speed-Sandwiches von 15 bis 20 Sekunden lockern auch das extensive Grundlagentraining immer wieder auf. In dieser Phase einer ev. Laufvorbereitung sollte nie über 1 Std. 40 Min. lang en bloc gelaufen werden. Siehe auch unten beim Marathonkapitel.

Nasenatmung

Den Reflex der Mundatmung mit bewusstem Atemtraining auf reine Nasenatmung umprogrammieren kann sehr förderlich sein. Nasenatmung ist “Bauchatmung”, resp. Zwerchfellatmung. Das aktiviert den Parasympathikus-Teil des vegetativen Nervensystems und reduziert dadurch die Ausschüttung von Stresshormonen. Sie werden ruhiger und bleiben besser im Aeroben. Man fühlt sich wesentlich ausgeglichener und deutlich weniger stressempfindlich. Das können wir rasch anhand der Herzfrequenz bestätigen, die abnimmt. Gemäss persönlichen Mitteilungen von Athleten war bei gleicher Leistung die Ansammlung der Milchsäure (Lactat) im Blut, ein Abfallprodukt der Muskelarbeit, unter der Nasenatmung im Vergleich zur Mundatmung deutlich geringer. Zu Beginn kann mit Nasenatmung wegen der geringeren Sauerstoffaufnahme pro Zeit nicht die gleiche Leistung erzielt werden. Längerfristig jedoch mobilisiert man im Ausdauerbereich Reserven für eine markant bessere Leistungsentfaltung (Reduktion der Ermüdbarkeit durch Stresshormone und Leistungssteigerung der Atemmuskulatur).
Zudem dient die Nasenatmung auch der Infektprophylaxe, denn die Einatmungsluft wird besser gereinigt, angefeuchtet und erwärmt. Dies hilft beispielsweise auch allen Asthmatikern.
Voraussetzung für eine leichtgängige Nasenatmung ist eine tägliche Nasenhygiene: So wie man Zähne putzt, sollte man auch die Atemwege pflegen (tagtägliche Nasendusche, es genügt physiologische Kochsalzlösung (eine Prise Salz in ein Glas Wasser) – aus der Hohlhand reinziehen und wieder rausschnauben).

Einen Marathon rennen…
…ist leichter als Sie zu denken wagen!

  • Eine kompakte Anleitung habe ich hier bereitgestellt: www.dr-walser.ch/marathon.pdf
  • Die ökonomische Laufhaltung finden Sie oben.
  • Voraussetzung ist eine gute Gesundheit (Bei gesunden Personen unter 35 Jahren geht es um den Ausschluss von Herzmissbildungen bei über 35jährigen um die Schätzung des Risikos einer Herzkranzgefässerkrankung: Beides kann auch der Hausarzt gut abklären!), ideale Ernährung (siehe>>>), Kenntnisse der wichtigsten Laufregeln (siehe>>>).
  • Ein plötzlicher Herzstillstand (sudden cardiac arrest, SCA) beim oder nach dem Sport kündigt sich in der Zeit vor dem Ereignis fast immer durch Warnsymptome an und meistens liegt eine unentdeckte koronare Herzerkrankung (KHK) zugrunde. Das belegen Daten des Sudden Death Expertise Center in Paris.
    70 Prozent der Patienten in dieser Studie hatten vor dem Ereignis bereits kardiovaskuläre Warnzeichen. Davon hatten 80 Prozent Brustschmerzen. Viele litten auch an Palpitationen (Herzstolpern) oder hatten bereits Synkopen (kurze Bewusstlosigkeiten) erlebt. Treten diese Warnzeichen auf, sollte der Läufer nicht einfach weiter machen wie bisher, wie es leider oft passiert. Er sollte den Sport sofort unterbrechen und baldmöglichst die Arztpraxis aufsuchen, um die Ursachen abzuklären.
    Ein plötzlicher Herzstillstand im Zusammenhang mit sportlicher Betätigung ist ein sehr seltenes Ereignis. Eine prospektive Studie aus Frankreich nennt – je nach Lebensalter – 3 bis 8 Fälle pro 100.000 Personen pro Jahr. 90% davon sind Männer. Berichte über junge Profisportler, etwa Fussballspieler, die durch plötzlichen Herztod gestorben sind, finden jedoch ein grosses Echo.
    >>> mehr hier unten.
  • Verinnerlichen soll man sich die Mentalität eines Langstreckenläufers: In kleinen Schritten weit kommen! Weniger ist mehr! Langsam beginnen, langsam steigern, langsam bleiben mit vielen Ruhephasen (v.a. vor und nach Wettkämpfen oder Longjogs oder nach Speedläufen in der Mittelphase der Vorbereitung).
    Ein guter Mix beinhaltet immer wieder Reize, d.h. Abwechslung für den Körper.
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    Als gutes Beispiel für LSD = Long Slow Distance ist Eliud Kipchoge. Er ist ein Langweiler. Denn der Marathon-Weltrekordhalter von 2023 aus Kenia mag es gern gemütlich. Bis zu zehn Stunden schläft der 38-Jährige pro Nacht, auch über den Mittag legt er sich meistens hin oder liest. Sein Trainingsalltag ist monoton und beinhaltet nur wenige verrückte Intervalleinheiten. Und wie norwegische und amerikanische Wissenschaftler im vergangenen Jahr in einer Arbeit herausgefunden haben, trainiert der schnellste Mann über die 42,195 Kilometer oft sehr, sehr langsam.
    In der Arbeit, an der auch der Sportwissenschaftler Stephen Seiler beteiligt war, haben sie die Trainings von 59 Weltklasse-Langstreckenläuferinnen und -läufern sowie die Philosophien von 16 Coachs analysiert. Das Ergebnis: Während eines Grossteils der Trainingszeit sind die Allerbesten eher gemächlich unterwegs. Besonders eindrücklich ist dies bei Kipchoge, dem König des Marathons, der rund 85 Prozent aller Trainingskilometer in einem lockeren Tempo abspult. Auch der Äthiopier Kenenisa Bekele oder die Marathon-Rekordhalterin Brigid Kosgei aus Kenia joggen neben ein paar harten Tempotrainings meist relativ locker.
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    Warum tun die besten Athletinnen und Athleten das? Und warum sollten auch Hobbyläufer so trainieren, anstatt immer aufs Tempo zu drücken? Lorenz Leuthold, Bewegungs- und Sportwissenschaftler bei Training and Diagnostics in Zürich, sagt, dass gerade auf längeren Distanzen die aerobe Ausdauerleistungsfähigkeit und eine effiziente Fettverbrennung entscheidend seien. Und diese trainiert man besonders gut im niedrigintensiven Bereich. 
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    Doch was genau heisst locker beziehungsweise niedrigintensiv? Eine gute und anerkannte Grundregel lautet, dass lockere Trainings gut eine bis eineinhalb Minuten pro Kilometer langsamer absolviert werden können als beim Marathontempo – oder sogar noch langsamer. Kipchoge beispielsweise läuft an lockeren Tagen bis zu zweieinhalb Minuten pro Kilometer gemächlicher als seine Marathongeschwindigkeit. Wer nach Puls trainiert, orientiert sich daran, bei rund 70 Prozent der maximalen Herzfrequenz oder darunter zu bleiben. Wer auf Gadgets verzichten möchte, sollte darauf achten, dass während eines lockeren Trainings mit dem Partner nebenan noch in ganzen Sätzen geredet werden kann.
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  • Machen Sie immer wieder mal Gehpausen:
    Gehen nimmt (langen) Distanzen den Schrecken. Gerade das Marathonlaufen wird gerne mit Schmerzen assoziiert – oder dem in Laufkreisen gefürchteten Hammermann. Dass langes Laufen, zumindest bis zu einer bestimmten Distanz, aber zwingend mit Schmerzen verbunden sein muss, ist auch eine Mär.
    Gerade Gehen hilft, dass man seine Kraft sehr viel besser einteilen und damit über mehr Kilometer konservieren kann. Es beugt einer vorzeitigen Ermüdung stärker vor und proportioniert Distanzen in Teilabschnitte. Das ist sehr nützlich für den Geist. Überdies erholt sich schneller, wer regelmässig beim Laufen geht, weil er den Körper weniger stark beansprucht.
  • 6 Monate vor dem Marathon mit Regelmässigkeit des Grundlagentrainings beginnen. Am besten zu zweit (als Paar-Erlebnis und -Ziel) oder unter Teilnahme eines der diversen Lauftreffs in der Nähe (zu finden u.a. bei www.in-team.ch oder um und in Zürich: www.cityrunning.ch.). Nur jeden zweiten Tag joggen und nur 4-6 Stunden pro Woche insgesamt (zuviel ist hier krass ungesund!). Eingestreute Speed-Sandwiches von 15 bis 20 Sekunden lockern auch das extensive Grundlagentraining immer wieder auf. Viele Reize und Abwechslungen setzen! In dieser Phase der Laufvorbereitung sollte kaum über zwei Stunden lang en bloc gelaufen werden.
  • Steigerung der Distanz v.a. in der Periode 8 bis 4 Wochen vor dem Marathon. In dieser Zeit kann man einmal wöchentlich auf 2 bis 3 Stunden und einmal monatlich auf 3:30 steigern (Gesamtkilometer pro Woche bis 80 Kilometer). Nach diesen Longjogs, in denen man auch mal sauer werden darf, unbedingt 72 Stunden Erholung!
  • Tapering:
    Mit “Tapering” bezeichnet man die Reduktion der Leistung in den Wochen und Tagen vor einem Rennen, um mit optimaler Energie in den Wettkampf steigen zu können.
    Optimal für die Wettkampfleistung und auch am gesündesten, scheint eine Reduktion in den 4 Wochen vor dem Marathon auf höchstens 60 Kilometer in der Woche (dabei eher Tempo pflegen – am besten meist nur 30 Minuten lang, aber teils auch Speed), in den letzten 2 bis 3 Wochen noch 80 Prozent und in der Woche direkt vor dem Wettkampf nur noch 60 Prozent der üblichen Leistung. Das Tapering ist eine Kunst für sich: Wer vor dem Wettkampf zu wenig trainiert, fühlt sich im Rennen “wie im Urlaub”, d.h. kraftlos. Wer zu viel tut aber ausgelaugt.
    Wer einen exakteren Vorschlag will:
    7 Tage davor 60% des gewohnten Longjog (15 km)
    6 Tage davor Ruhe / Regeneration
    5 Tage davor 15′ aufwärmen, 15 min im Wettkampftempo, 15′ auslaufen
    4 Tage davor Ruhe / Regeneration
    3 Tage davor Ruhe / Regeneration
    2 Tage davor 15′ aufwärmen, 4 – 8 Steigerungsläufe, 10′ auslaufen
    1 Tag davor Ruhe / kohlenhydratreiche Ernährung / genügend Flüssigkeit
    Tag 0 Wettkampf
  • Die Regenerationsphase nach dem Marathon dauert 3 bis 4 Wochen: nur 2mal wöchentlich ca. 8 Kilometer sehr leichten Dauerlauf und viele Ausgleichssportarten.
  • Ich trainiere fast ausschliesslich in hügeligem Natur-Gelände und habe dadurch viele Kraftanteile und ein natürliches Fahrtspiel gleich stets inbegriffen.
  • Wichtig ist auch, dass die menschliche Leistungsfähigkeit nicht durch die Muskeln, sondern durch das Hirn kontrolliert wird. Man sollte also bei Anstrengungen, also auch im Training möglichst viel Lächeln!
  • Regelmässig Ausgleichssportarten geniessen (Radfahren, Schwimmen, Skating, Volleyball, Wandern…).
  • Unbedingt ein Zwischenziel als wettkampfmässigen Halbmarathon ca. 2 bis 3 Monate vor Marathon planen. Zwischenziele sind für die Psyche wichtig – Geschmack eines Massenrennens, Wettkampfatmosphäre, Material unter Belastung (v.a. auf Asphalt)…).
  • Gegen Schluss den Anteil Asphaltunterlage nicht steigern, da hier eine Anpassung so oder so kaum möglich ist – und zudem ungesund!
  • Man muss sich im Klaren sein, dass der Marathon selber wohl meist “ungesund” ist. Es gibt Studien, die zum Beispiel zeigen, dass 82% aller Läufer eines Marathons ein akutes Nierenversagen, Stadium 1 erleiden!
    Was soll dann das Ganze?! Vielleicht  ist die Vorbereitung hingegen gesundheitlich sehr wertvoll.
    Sicher also: In der Vorbereitungszeit nie einen vollen Marathon laufen!
  • Im eigentlichen Wettkampf schmälert ein zu starkes Fixiertsein auf Leistung und Zeitvorgaben das einzigartige, fast mystische Erlebnis eines Marathons schwer! Eine verbesserte Bestzeit kann eine weitere Freude bedeuten, aber soll nie das Ziel sein! (siehe gleich unten bei der Midlife Crisis).
  • Mindestens 50% der Leistung läuft im Rennen mental ab! Es ist der Kopf, der Dich zum Erfolg bringt oder nicht. Du musst Dich mental auf die Länge des Wettkampfes einstellen. Das braucht Konzentration und positives Denken. Wenn während des Wettkampfes der Gedanke aufkommt: Ach, wie lange geht es noch?, dann ist es vorbei!
  • Ernährung vor dem Wettkampf (“natürliches Doping”):Täglich ein halber Liter Randensaft steigert die körperliche Ausdauer: Beginnen Sie mindestens eine Woche vor dem Lauf.
    Die Wirkung beruht sehr wahrscheinlich in einem verringerten Sauerstoffbedarf, was Studien auf die hohe Nitratkonzentration des Rote-Bete-Getränks zurückführen. Nitrate werden im Körper zu Stickoxid umgewandelt und beeinflussen die Sauerstoffverwertung in den Mitochondrien (Bailey SJ et al., J Appl Physiol 2009).
  • Am Vortag sehr viel trinken.  Am Vorabend keinen Alkohol und am Wettkampfmorgen Honigbrötchen und Konfitüretoast – ein Glas Wasser direkt vor Start.
    Ein sehr gutes Abstrakt über “die optimierte Ernährung” des Sportlers von Dr. med. Reinhard Wittke, Bayreuth findet man hier !
  • Dies soll unbedingt mindestens einmal vorgängig bei einem weniger wichtigen Wettkampf oder vor einem intensiven Training ausprobiert werden.
    Etwa eine Woche vor dem Wettkampf Beginn mit kohlehydratreichem Essen (so 70% der Nahrung): Brot, Teigwaren, Pizza, Reis, Kuchen, Kekse… Dazu morgens eine Handvoll Nüsse (Magnesium!) und etwas Apfelessig und ein Gramm L-Carnithin (beides vergrössert das mögliche Glykogendepot).
  • Während des Rennens: Sportriegel enthalten meist viel zuviel Fett – was wirklich hilft sind Gemische von schnell aufschliessbaren Kohlenhydraten mit solchen die bis zu einer Stunde wirken, am besten in flüssiger Form, da so magenverträglich (z.B. Powergel) – von diesen jede Stunde eine Portion. Schon nach wenigen Kilometern wenig trinken und dies dann alle 5 Kilometer/ 30 Minuten. Zu Beginn (eines Marathons z.B.) eher hypoton, d.h. immer isotonisches Getränk PLUS Wasser und erst gegen Schluss iso- oder hyperton.
  • Zur Flüssigkeitsaufnahme während eines Marathons habe ich eine eigene Seite geschrieben: www.dr-walser.ch/hyponatriaemie/
  • zum Magnesium- und Eisenmangel siehe unten>>>
  • Marathon und Schmerzmittel: Nein!
    Marathonläufer, die vor dem Start oder während des Laufs Schmerzmittel einnehmen, haben ein zwei- bis sechsfach höheres Risiko für schwere Gesundheitsprobleme wie Kreislaufversagen, Nierenversagen, Erbrechen oder Magen-Darmblutungen. Schmerzmittel vor dem Lauf nutzen sehr wenig und schaden nachhaltig! Alle Schmerzmittel sind gefährlich, speziell aber NSAR (Diclofenac, wie Voltaren, etc. – Ibuprofen, wie Brufen, etc. und Acetylsalicylsäure, wie Aspirin, etc.. Nur wenig besser schneidet auch Paracetamol (Panadol, Dafalgan,…) ab.

Auch kein altersbedingter Abbau der Muskeln!

Seniorensportler dominieren ultralange Sportveranstaltungen wie Ultramarathons! Dies beweist, dass der altersbedingte Abbau der Muskelmasse durch regelmässigen Sport auf ein Minimum reduziert werden kann. >>> Lesen Sie den Medizinartikel darüber hier: seniorenlaeufer.pdf

Bewegung als Selbsttherapie

Wer joggt, hat eine Leistung persönlich und allein erbracht!

Dann mal unbedingt einen Gedanken verschwenden an die inneren Triebfedern und Stimmungen, als all dieses Laufen begonnen hat!?
Der typische Marathonläufer ist heute zwischen 40 und 50 Jahre alt… und steckt in einer Midlife Crisis!
Er rannte typischerweise bis 30, 35ig irgendeinem Ball hinterher, merkte dann aber, dass die Jungen im Fussball spritziger sind und im Volleyball höher sprangen. Er hörte damit auf und der Bauch begann zu wachsen. Zudem will er seine brüchigeren Knochen und Sehnen nicht mehr länger riskieren. Der Hausarzt findet bald einen hohen Blutdruck und rät zu mehr Bewegung. Laufen ist dann für viele naheliegend und die zweite Sportkarriere.
Gesundheitliche Gründe und Lebensstil sind dabei fast immer mit Leistungsmotiven kombiniert. Viele Marathonläufer kommen aus leistungsorientierten Berufen. Die meisten sind Büromenschen. Soweit recht und gut! Fanatisches Ausdauertraining und extreme Wettkämpfe sind aber häufig Ausdruck einer Midlife Crisis: Die Kinder flügge, im Job endlich Prokurist, ein schönes Haus – und noch immer die gleiche Frau… Die einen gehen fremd, die anderen kaufen eine Harley und die Dritten trainieren wie wild. Die Ehefrauen der Ultra-Sportler haben am Abend einen müden Mann zu Hause, stinkende Sportlerwäsche und im Küchenschrank nur Energieriegel. Zudem haben Ausdauersportler häufig einen sehr einseitigen und asketischen Freundeskreis – was zusätzlich belasten kann.
Also mal innehalten und in sich reinhorchen – dann seine Liebste fragen, ob ihr was aufgefallen ist…
Viele Läufer begannen in einer Lebenskrise mit dem Laufen. Für sie ist und bleibt Bewegung eine Selbsttherapie. Mit der Entscheidung zu joggen ist der erste Schritt bereits getan – denn wer sich entschliesst, übernimmt Verantwortung für sich selbst, wird zum Steuermann seines eigenen Schicksals und damit zu einer selbstbestimmten und aktiv handelnden Person.
Wenn die Messlatte für die Laufleistung richtig, also relativ niedrig, angesetzt wird, sind Erfolgserlebnisse programmiert, die dann unser Selbstwertgefühl stärken. Laufanfänger fürchten oft. die Strecke nicht zu schaffen. Durch ein allmähliches Verlängern der Laufzeiten hangeln sich Laufneulinge von Termin zu Termin und kommen langsam zu immer längeren Bewegungseinheiten. Dieses Heranführen an angstbesetzte Handlungen und die allmähliche Überwindung der Angst nennt man in der Verhaltenstherapie Desensibilisierung. Wenn sie im Sport glückt überträgt sich dieser Angstabbau auch auf andere Lebensbereiche.

Jogging als Meditation

Man erlebt beim Laufen auch häufig den “grübelfreien Zustand” (ohne ärgerliche Gedanken und Ängste) oder “meditatives Laufen”, der ein eigentlicher Gedankenstopp bewirkt, um unerwünschte Gedankenketten zu unterbrechen.
Wer will, kann diese “Bewegte Meditation” noch verstärken, indem man nach dem Joggen 10 bis 15 Minuten (oder länger) innehält und sich ruhig hinsetzt. Liegen führt weniger zu der achtsamen Stille, in die man sich führen will. Yogasitz, wer sich gewöhnt ist – oder kniend mit einem hohen Kissen zwischen den Beinen – oder auch auf einem normalen Stuhl (Sitzhaltung siehe hier >>>). Lassen Sie dabei vollkommene Stille zu. Die Gedanken werden dabei weiterhin kommen und gehen. Doch wir lassen sie wie Vögel oder Wolken durchziehen und haften nicht an ihnen. Wir nehmen sie einfach wohlwollend wahr und bewerten sie nicht. Wir spüren das Pochen des Herzens, hören wie der Atem ein- und ausströmt. Dabei begegnen wir uns selbst, unserer eigenen Kraft. “In der eigenen Kraft sein” wird erlebbar.
Dies probieren wir mit in den Alltag zu nehmen!

Nutzen

Gesundheitlicher Nutzen regelmässiger (als Rhythmus kann 3in3 gelten: maximal 3 Stunden wöchentlich, verteilt auf mindestens 3mal – siehe meinen Blogbeitrag dazu! – aber auch eher bedächtig als hart und nicht zu viel!), nachhaltiger körperlicher Bewegung:

  • Bewegung verbrennt das “schlechte” Fett: Regelmässige sportliche Ausdauerbetätigung reduziert das Gewicht zwar nur minimal (siehe Tabelle auf meiner Abnehm-Seite!), dafür kann sie das schlechte, da stoffwechselaktive Bauchfett, das innere Organe umgibt, verbrennen. Zu viel Bauchfett erhöht das Risiko für Diabetes, Herzkreislaufkrankheiten und Krebs (siehe unten). Zur Kontrolle eines gesundheitlichen Trainingseffekts ist also nicht das Gewicht massgebend, sondern der Bauchumfang (siehe hier!).
  • Rückgang der Mortalität: Man lebt länger (vergleichbar mit dem Aufhören von Zigarettenrauchen)! hier >>>
    >>> mehr Jahre selbständigen Lebens für ältere Personen!
  • Psychischer Nutzen hier >>>
    Gegen Angst und Depression hilft regelmässige Bewegung wie starke antidepressive Medikamente.
    Wer läuft, nimmt seinen Körper besser wahr, empfindet Stolz auf die eigene Leistung und verliert mit zunehmenden Laufpensum die Angst zu versagen. Joggen macht kontaktfreudiger und psychisch stabiler. (Literatur dazu: Ulrich Bartmann, “laufen und Joggen für die Psyche”, DGVT). 44% aller leichten Depressionen haben sogar Bewegungsmangel als Ursache!
    Für hirnphysiologisch Interessierte: Bewegung fördert die Bildung neuer Nervenzellen, v.a. im Hippocampus (der bei chronischem Stress und schweren Depressionen schrumpft) und dort insbesondere im Gyrus dendatus. Dadurch wird auch das Gedächtnis und andere kognitive Leistungen stark verbessert.
    Viele Patienten mit chronischen Erkrankungen leiden unter Ängsten, die oft unbemerkt und damit auch unbehandelt bleiben. 40 Studien wurden darüber ausgewertet und gefunden, dass regelmässige Sportübungen von 10 bis 30 Minuten und länger diese Ängste vertreiben (je intensiver und ausdauernder desto mehr). Die positive Wirkung zeigte sich unabhängig vom Alter und vom Geschlecht. Und es spielte keine Rolle, wie schweisstreibend der Sport war, ob nur moderat oder energisch trainiert wurde. (Matthew P.Herring u.a.: The effect of exercise training on anxiety symptoms among patients. Archives of Internal Medicine, 170/4, 2010, 321-331)
  • Das tumorassoziierte Fatigue-Syndrom tritt unter einer Krebsbehandlung bei bis zu 70% der Patienten auf. Operation, Chemotherapie und Bestrahlungen schädigen den Organismus zunehmend und führen einerseits zu körperlichen Symptomen, andererseits fördern sie aber auch psychische Erkrankungen. Die Menschen sind ständig schlapp und müde, klagen über Herzrasen und Kurzatmigkeit und weisen Symptome auf, die bis hin zur manifesten Depressionen reichen.
    Dagegen gibt es ein einfaches Gegenmittel: Sport! Untersuchungen zufolge können Betroffene durch ein tägliches Ausdauertraining von nur 30 Minuten ihre körperliche Leistungsfähigkeit immens steigern. Sowohl die psychischen als auch die physischen Fatigue-Symptome werden parallel dazu gemindert. In Einzelfällen verschwinden sie sogar ganz. (M.Houf, Sportmedizin Update 2010)
  • 30 % Risiko-Reduktion der Entwicklung von zu hohem Blutdruck
    8-10 mmHg-Rückgang des Blutdruckes von Personen mit zu hohem Blutdruck (d.h. eine mit Medikamenten vergleichbare Wirkung). Auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten und der Gesamtmortalität sinkt um 30% – bei drei Stunden Sport pro Woche.
    50 % Rückgang des Herzinfarktrisikos (d.h. eine mit dem Nichtrauchen vergleichbare Risikoverminderung)
  • 50 % Rückgang des Risikos der Entwicklung von Diabetes («Erwachsenendiabetes»)
  • 50 % Reduktion des Risikos von Fettstoffwechselstörungen, respektive der Adipositas:
    Alleine über Sport und Bewegung abzunehmen ist schwierig: Um überhaupt messbar an Gewicht abzunehmen, sind täglich mindestens 20 Minuten Bewegung ohne Unterbrechung von mittlerer Intensität erforderlich. Allerdings erleichtert Bewegung das Abnehmen erheblich und wirkt auch einem Teil der Risikofaktoren der Fettsucht entgegen (über eine Reduktion des Bauchfettes: siehe oben). (Dunn AL, Marcus BH, Kampert JB, et al.Comparison of lifestyle and structured interventions to increase physical activity and cardiorespiratory fitness: a randomized trial.JAMA.1999;281:327-334)
    Dazu muss gesagt werden, dass intensives Joggen häufig bei Menschen mit Essstörungen angetroffen wird (nach neueren Studien bis 18%!).
  • Sportler schütten in Stresssituationen weniger vom Nebennierenhormon Kortisol aus und die Pulsfrequenz bleibt tiefer als bei Untrainierten. Sie sind stressresistenter.
  • Schutz vor Dickdarm- und Brustkrebs (Halbierung des Risikos). 70%-ige Reduktion, einen Prostatakrebs zu bekommen (Studie siehe >>>)
  • Verzögerung des Auftretens von Osteoporose und Vorbeugen von Stürzen älterer Personen
  • Wenn man sich regelmässig bewegt, profitieren  auch die Augen davon: Der Augendruck bleibt tiefer und das Risiko für  altersbedingte Schäden an der Netzhaut sinkt. Das sagen Forscher aus  Neuseeland. Sie haben verschiedene Studien zu diesem Thema analysiert.
    (Survey of Ophthalmology · Volume 46, Issue 1, July-August 2001, Pages 43-55)
  • Ausdauersport (Joggen, Radeln, Schwimmen,…) macht in der ersten Nächten nicht schläfriger – hilft aber längerfristig dennoch: Ein über 16 Wochen dauerndes aerobes Training verbessert die Nachtruhe von Schlafgestörten merklich. Also: Dranbleiben und regelmässig sporteln! Erst durch die körperliche Umstellung wird die Übererregung im Gehirn nach und nach heruntergefahren, die als Ursache von Schlafstörungen vermutet wird.

Die Evidenz des Benefits durch Bewegung lesen Sie in folgendem Artikel ausführlich >>> hier!

Lebensverlängerung (Anti-Aging)

In einer grossen mehr als 20jährigen Beobachtungsstudie (Arch Intern Med; 168(15):1638-1646, 11/15 August 2008; Reduced Disability and Mortality Among Aging Runners. Eliza F. Chakravarty et al.) zeigte sich ein eindrucksvoller Zusammenhang von regelmässigem Rennen bei über 50jährigen mit kleinerer Mortalität (längerem Leben) und besserer Gesundheit. Am Schluss blieb ein im Schnitt fast 40 Prozent niedrigeres Sterberisiko für die Läufer!
Genaueres darüber hier>>

Abnehmen (Fettverbrennung)

Bewegung allein bringt nichts beim Abnehmen!
Bei starkem Übergewicht muss zuerst mit Essensreduktion an Gewicht verloren werden, ansonsten zu starkes Laufen Schäden am Bewegungsapparat hervorrufen kann. Was oben über die Langsamkeit gesagt wurde, gilt hier noch viel extremer.
Genaueres darüber hier>>>

Medizinische Probleme beim Joggen

Seitenstechen: “Seitenstechen” ist eine Verspannung oder bereits Krampf des Zwerchfells (des grossen, glockenförmigen Muskels zwischen Lungen und Bauchraum). Man löst ihn am besten – auch während des Rennens (Wettkampfs) – durch tiefes Atmen in den Bauch. Dazu hält man die Hand vor oder etwas unter den Schmerzort und atmet so tief ein, dass sich die Bauchwand unter dieser Hand vorwölbt. Beim Ausatmen senkt sich dann die Hand wieder. Schön regelmässig tief Ein- und Ausatmen.

Laufverletzungen: Läufer, die sich immer wieder verletzen, sollen v.a. die wöchentliche Laufleistung auf weniger als 30 km reduzieren! Dann müssen alle Verletzungen gut ausgeheilt werden, bevor Training und Wettkampf wieder aufgenommen werden. Das Training soll abwechslungsreich sein und begleitende Massnahmen wie Krafttraining und Stretching sowie ausreichende Pausen beinhalten. Neue Schuhe haben ev. gar keinen wesentlichen Effekt auf die Prävention von Verletzungen wie immer wieder behauptet wird.

Speziell noch zum medialen Schienbeinkantensyndrom (sog. Shin Splint): Überbeanspruchung von Fussmuskeln, die an der Innenseite der Schienbeinkante ansetzen. Dort setzten nach oder während des Lauftrainings Schmerzen ein und dort findet man auch eine Druckschmerzhaftigkeit >>>mehr hier

Dasselbe gibt es auch am Oberschenkel: Das mediale Stresssyndrom des Femur (sog. Thigh Splints): Überbeanspruchung der Adduktoren-Muskeln, die an der Innenkante des Femurs ansetzen und dort schmerzen. Abzugrenzen davon ist die Ermüdungsfraktur des Femurschafts.

Ermüdungsbruch oder Stressfraktur: Belastungsabhängige Schmerzen mit oft tastbaren Schwellungen können ein Hinweis auf eine sog. Stressfraktur sein. Betroffen sind ausschliesslich die Knochen des Fussskeletts sowie des Ober- und Unterschenkelknochens sowie sehr selten das Becken. Die Diagnose ist in der Regel durch eine ärztliche Untersuchung sowie eine Röntgenaufnahme der schmerzhaften Region zu stellen. Im Zweifelsfall kann in der Frühphase eine Magnetresonanztomografie (MRT) oder eine Szintigrafie (=eine nuklearmedizinische Untersuchung des Skeletts) die Diagnose sichern. Die Therapie erfolgt in aller Regel durch Entlastung der betroffenen Extremität sowie einer Physiotherapie unter entzündungshemmenden Schmerzmitteln. Ferner sind Risikofaktoren aufzudecken. Bei jungen weiblichen Patienten müssen eventuell vorhandene Menstruationsstörungen sowie Essstörungen therapiert werden. Die meisten Stressfrakturen heilen innerhalb von drei bis zwölf Wochen aus (selten: bei Grad 4 nach Fredericson auch mehr als 16 Wochen). Frakturen in speziellen Bereichen, wie an der Schienbeinkante oder im Mittelfuss können problematisch sein und erfordern mitunter eine operative Therapie. Nach der Abheilung ist auf ein entsprechendes Aufbautraining viel Wert zu legen.

Zu Sehnenverletzungen (insbesondere die Achillodynie) auch hier>>>!

Spezialfall Plantarfaszie:


45-jähriger Patient. Sehr sportlich, läuft Marathon. Seit 2 Monaten Schmerzen plantar bei Belastung. Während Lauftraining plötzlich starke Schmerzen mit Hämatom plantar.
Diagnose: Ruptur der Plantarfaszie bei wahrscheinlich vorbestehender Plantarfasziitis.
Therapie ist konservativ mit Sportkarenz für 4-6 Wochen.
(aus Rheuma Schweiz Weekly #20/18)

Zu Knieschmerzen hier>>>
insbesondere: das Tractus-iliotibialis-Scheuersyndrom (Iliotibial Band Syndrome)
und das Jogger’s Knee oder Runner’s Knee

Zu Hüftschmerz hier>>>

funktionelle Verbandstechnik per Taping: www.tapeverband.com

“Allzu viel ist ungesund!” oder “Weniger ist mehr!”:

  • Übertrainingssyndrom (ÜTS):
    Zu kurze Regenerationsphasen nach extremen Trainingseinheiten oder in kurzer Zeit stark hochgepowerte Trainingsumfänge überfordern den Organismus. Typische Stressfaktoren wie Prüfungen, Beziehungsprobleme und knappes Zeitmanagement im Alltag begünstigen zusätzlich die Auslösung des Übertrainingssyndroms mit der Trias “Leistungsabfall, verminderte Belastbarkeit und schnelle Ermüdung”.
    Man unterscheidet zwei Haupt- und viele Mischformen:
    a) Bei der sympathikotonen, “basedowoiden” Form dominieren vegetative Störungen wie Tachykardie (schneller Herzschlag), Schlafprobleme, emotionale Instabilität und organbezogene Beschwerden.
    b) Schwerer zu erkennen ist die parasympathikotone “addisonoide” Form, bei der eine phlegmatische bis depressive Komponente im Vordergrund steht.
    Blutwerte nützen zur Diagnose wenig. Differentialdiagnostisch müssen v.a. Infekte ausgeschlossen werden (Mononukleose=Pfeiffersches Drüsenfieber, Zahnwurzelherd, Myokarditis=Herzmuskelentzündung), dann auch Eisenmangelanämie sowie hormonelle Störungen (Schilddrüse, Nebenniere).
    Die einzig wirksame Therapie des ÜTS besteht in der Reduktion der Trainingsintensität und des Trainingsumfangs – evtl. bis hin zur Trainingspause. Eine spezifische Therapie, etwa mit Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln, gibt es nicht. (u.a. Axel Urhausen et al., Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 2002;53:121-122 oder http://www.physsportsmed.com/issues/2003/0603/hawley.htm)

Sportverletzungen durch Überbeanspruchung im Kindes- und Jugendalter:
Sport bei Kindern und Jugendlichen geht mit einem inhärenten Verletzungsrisiko einher, wobei auch Schäden durch Überbeanspruchung mit eingeschlossen sind. Eine Verletzung der Wachstumsfuge des proximalen Humerus äussert sich durch laterale Schulterschmerzen und ist normalerweise selbstlimitierend, hingegen benötigt die Apophysitis des medialen Epicondylus durch Überbelastung eine komplette Ruhigstellung für 4 bis 6 Wochen mit nachfolgender Rehabilitation. Ebenso häufig ist die Spondylolyse, eine Stressfraktur der Pars interarticularis der Wirbelkörper. Als Folgeerkrankung einer Spondylolyse kann eine Spondylolisthese auftreten, welche mittels Röntgen nachgewiesen werden kann. Ein M. Osgood- Schlatter macht sich durch Schmerzen am Tuberculum tibiae bemerkbar, die Diagnosestellung ist klinisch. Dorsale Schmerzen der Ferse im Bereich des Achillessehnenansatzes sind oftmals auf eine Calcaneus Apophysitis zurückzuführen (M. Server). Die Behandlung der meisten Frakturen erfolgt normalerweise konservativ; diagnostisch reicht das Spektrum vom a.p. Röntgen über Computer Tomographie, Knochenscan und Single Photonen Emissions CT bis zur Magnet Resonanz Tomographie. (Kyle J. Cassas M.D. et Amelia Cassettari-Wayhs M.D.
Am Fam Physician 2006 ; 73 :1014-22
)

  • Herzrhythmusstörung Vorhofflimmern:
    Wer unter 50 Jahre alt ist und fünf bis sieben Mal pro Woche joggte, hat ein erhöhtes Risiko, im Lauf einer 12-jährigen Beobachtungsdauer Vorhofflimmern zu bekommen. Bei dieser häufigen (und oft unbemerkten) Herzrhythmusstörung geraten die Herzvorhöfe aus dem Takt. Es besteht dabei eine leicht höheres Risiko für Gerinnselbildung im Vorhof. Bei mehr als fünf Mal Joggen pro Woche (oder mehr als 32 km wöchentlich), Brustschmerzen oder einem unregelmässigen Herzschlag soll man deshalb den Hausarzt aufsuchen. (Am J Cardiol 2009;103:1572-1577)
  • Japanische Forscher untersuchten die Herzen vor und nach einem 100-km-Lauf und fanden nach dem Rennen alle untersuchten Werte im pathologischen Bereich. Schlussfolgerung: Während des Langstreckenlaufs erlitten alle subklinische Herzmuskelzellzerstörungen. Es kam zumindest lokal zu Funktionsstörungen der Herzkammern. 100 Kilometer ist also eindeutig zuviel und im ungesunden Bereich und auch für gesunde Herzen keineswegs harmlos! (Hartuo Ohba et al.; American Heart Journal Vol. 141 (2001), S.751-758)
    Das Risiko, unter körperlicher Belastung einen Herzinfarkt zu erleiden, ist tatsächlich erhöht. Darüber sind sich die Fachleute einig. In zwei grossen Untersuchungen (American Journal of Physiology 282, 2216-23 (2002); New England Journal of Medicine 346, 793-801 (2002)) wurde im Vergleich zur Ruhe bei körperlicher Belastung durchschnittlich ein sechsfach erhöhtes Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, gefunden. Dieses Risiko war bei Personen, die nicht regelmässig körperlich aktiv waren, sogar 100-mal höher als in Ruhe (deshalb ist Schneeschaufeln so gefährlich!). bei Personen hingegen, die fünfmal oder häufiger pro Woche Sport trieben, war es nur verdoppelt. Dass sich körperliches Training dennoch lohnt, liegt in der Tatsache, dass bereits ein Ausdauertraining von zwei Stunden pro Woche genügt, um das Risiko eines Infarkts in Ruhe, um zwei Drittel zu senken. Da auch der leidenschaftlichste aller Freizeitsportler die meiste Zeit seines Tages ruhend verbringt, geht diese Risikoberechnung zu seinen Gunsten auf.
    Zum plötzlichen Herztod bei Marathon und beim Triathlon siehe weiter unten>>>
    Zur Beurteilung der Sporttauglichkeit gehört v.a. eine Abklärung der Herz-Kreislaufsituation, was auch der Hausarzt sehr gut erbringen kann: siehe Genaueres hier!
  • Nierenschäden:
    Man muss sich im Klaren sein, dass bereits eine Marathondistanz wohl meist “ungesund” ist. Es gibt Studien, die zum Beispiel zeigen, dass 82% aller Läufer eines Marathons ein akutes Nierenversagen, Stadium 1 erleiden!
  • Asthma:
    Dass Ausdauersport auf höchstem Niveau die Lungen schädigt weiss man schon seit mindestens 1993. Doch über die die Ursachen der Asthmaentstehung rätseln Fachleute bis heute. Klar ist nur, dass bei den Sportlern – im Gegensatz zu normalen Asthmatikern – Allergien meist keine Rolle spielen. Als Ursache für die geschädigten Bronchialschleimhäute kommen verschiedene äussere Einflüsse, v.a. Training unter ungünstigen Umweltbedingungen in Frage: Einatmen grosser Mengen an Abgasen auf Strassen; Wintersportler werden durch extrem kalte Atemluft belastet; Schwimmer atmen grosse Mengen an Chlordämpfen ein. Hinzu kommt, dass das schnelle, tiefe Atmen der Spitzensportler die Schleimhäute austrocknet. Weniger dramatisch ist die Situation für “normale” Leistungssportler. So zeigte etwa eine Untersuchung, die Bruno Knöpfli, Chefarzt an der Alpinen Kinderklinik Davos durchführte, dass Asthma bei Leistungssport treibenden Schülern des Sportgymnasiums Davos nicht erhöht war.
    Hingegen müssen Sportler zwischen zehn und 20 Jahren mit bekanntem Asthma schwer aufpassen, da sie nach neusten Untersuchungen während und direkt nach dem Sport tödlich verlaufende Asthmaanfälle haben können (Becker JM et al.: Asthma deaths during sports. J Allergy Clin Immunol 113 (2004) 264-67)
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  • Unser Immunsystem leidet nach grosser körperlicher Anstrengung (Marathonlauf)? Ist nach neusten Studien eher widerlegt oder es gilt sogar das Gegenteil: Die Immunlage wird dadurch eher verbessert: immunsystem-und-marathon.jpg
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  • Knieschäden: Im MRT findet man regelmässig sichtbare Knorpelschäden im Kniegelenk nach langen Laufbelastungen (Systematic Review. Am J Sports Med 2017;45:1206-1217)
    Jedoch erhöhen sie laut einer US-Langzeitstudie mit knapp 1.200 Probanden selbst bei älteren und übergewichtigen Menschen nicht das Risiko einer Gonarthrose. (https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2765373)
  • Hüftverschleiss muss man NICHT fürchten! Wie eine Metaanalyse aus 13 Studien zeigte, ergibt sich aus der Renn-Leidenschaft kein erhöhtes Risiko für Coxarthrose (Walther M et al., Z Orthop Ihre Grenzgeb 2004; 213-220).
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  • Frauen, die in den ersten 18 Schwangerschaftswochen vier oder mehr Stunden pro Woche Joggen (auch Ballsport und Tennis ist gefährlich – Aerobic oder Walking weniger und Schwimmen gar nicht), haben ein erhöhtes Risiko für eine Fehlgeburt. Nach der 18. Woche erhöht Sport die Gefahr nicht mehr.
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  • Magen-Darm-Probleme beim Ausdauersport:
    • Ursache:

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  • Magnesium und Eisen
    Mehr als die Hälfte aller aktiven Sportler, v.a. im Ausdauerbereich, leiden an einem Magnesiummangel. Wird hier nicht richtig substituiert, drohen Muskelkrämpfe und Herzrhythmusstörungen (Petra Saur, Deutsche Zeitschr Sportmed 2004; 55: 23-24). Durch die erhöhte Stoffwechselaktivität ist der Bedarf erhöht – insbesondere nach Ausdauerbelastung mit vermehrter Lipolyse. Zusätzlich verlieren die Athleten viel Magnesium über Schweiss und Urin. Eine Unterversorgung mit dem Spurenelement, das als essenzieller Kofaktor an mehr als 300 enzymatischen Vorgängen im Körper beteiligt ist, kann zu Muskelkrämpfen und schlimmstenfalls zu Herzrhythmusstörungen und generalisierten Krampfanfällen führen. Auch die Leistungsfähigkeit sinkt. Als Routinetest kann die Bestimmung der Magnesium-Konzentration im Plasma gelten. Liegt diese unter 0,76 bis 1,1 mmol/l, ist eine Substitution mit 0,2 mmol//kgKG täglich sinnvoll. Bei Leistungssportlern mit sehr hoher Aktivität im Ausdauerbereich (Marathonläufer!), die für einen Mangel prädestiniert sind, sollte man auch bei normalen Spiegeln eine Substitution erwägen. Eine Überdosierung ist kaum möglich (ausser bei einer Niereninsuffizienz muss man extrem vorsichtig sein!), 200 bis 300 mg abends an Trainingstagen (und nichts an Wettkampftagen, da auch dämpfender und relaxierender Effekt auf Muskulatur!) ist meist genügend.Da ein Eisenmangel die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen kann (Müdigkeit, Schlappheit, Erschöpfung, beeinträchtigte aerobe Kapazität, beeinträchtigte mentale und immunologische Funktion, erhöhter Puls, erhöhte Laktatwerte,…) und Eisenmangel den verbreitetsten bekannten Mangel eines einzelnen Nährstoffs darstellt, ist es nicht verwunderlich, dass die Sportwelt darauf sensibilisiert ist. Dabei stellen sich aber bei der klinischen Diagnose, besonders bei Sportlern, einige Probleme. Man darf sich nicht alleine auf das Hämoglobin und das Ferritin abstützen (wie so häufig getan), sondern muss  auch speziell den löslichen Transferrinrezeptor (sTfR – soluble transferrin-receptor) mit einbeziehen. Er ist der beste Marker des funktionellen Kompartiments. Der sTfR ist z.B. nicht durch Belastungen am Vortag und vor allem nicht durch Entzündungen beeinflusst (wie das Ferritin = Mass des Eisenspeichers). Der sTfR-Level liegt bei Gesunden um 5 +/- 1 mg/l und Werte über rund 8 mg/l deuten auf einen (funktionellen) Eisenmangel und damit auch eine mangelnde Leistungsfähigkeit hin.  Ein tiefes Ferritin, d.h. entleerte Eisenspeicher müssen die Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigen, solange das Hämoglobin noch normale Werte hat.
    Kurzum: Eisen erst zuführen, falls das Ferritin unter 12 – 20 ug/l fällt oder der sTfR über 8 mg/l ansteigt. Eisen sonst nicht einnehmen, da damit andere Mineralstoffe in ihrer Aufnahme gehemmt werden könnten (Zink, Kupfer) – und umgekehrt. (Samuel Mettler, Ferrum – ein Mineralstoff im Sport, Schweiz. Zeitschrift für Sportmedizin und Sporttraumatologie, 2004;52(3):105-114).

Zur besseren Eisenaufnahme beachten Sportler fünf “eiserne” Regeln:
– Regelmässig Fisch, Geflügel und rotes Fleisch essen – mindestens drei Portionen pro Woche.
– Dazu Orangen- oder Mehrfruchtsaft trinken bzw. Früchte oder Rohkost verzehren – dies hilft dem Körper das angebotene Eisen besser aufzunehmen.
– Trinken Sie zwei Stunden vor den Mahlzeiten weder Kaffee noch Tee.
– Essen Sie zu Eisenlieferanten keine Getreide- oder Milchprodukte.
– Meiden Sie nach Möglichkeit Fertiggerichte und Cola.

Zu weiteren Nahrungsergänzungen im Leistungssport (Proteine, Aminosäuren, Vitamine, Spurenelemente) >>> siehe Genaueres hier!

Copyright Sonntagszeitung
  • Todesfälle beim Sport sind zu 70% Herzkreislauf-bedingt und zu fast 30% durch Unfall. Bei unter 20jährigen spielt auch Asthma eine Rolle (siehe oben). Bei Erwachsenen droht aber die grösste Gefahr beim Sport dem Herzen – bei kleineren Distanzen aber nur, wenn bereits eine Vorschädigung besteht, bei über 35-Jährigen eine koronare Herzkrankheit (mit Tod durch Herzinfarkt) und jünger eine Myokarditis (Entzündung meist in Begleitung einer viralen Erkältung).  Die Schlussfolgerung: Über 35-Jährige sollten bei Risikofaktoren für die KHK vorgängig zum Arzt für ein Belastungs-EKG und Jüngere + Ältere sollen nie mit Fieber oder einer Erkältung joggen gehen! (Christoph Raschka, et. al., Medizinische Klinik, 94. Jg., Nr. 9 (1999), S. 473 – 477). Für längere Distanzen siehe oben!
    Ein plötzlicher Herzstillstand (sudden cardiac arrest, SCA) beim oder nach dem Sport kündigt sich in der Zeit vor dem Ereignis fast immer durch Warnsymptome an und meistens liegt eine unentdeckte koronare Herzerkrankung (KHK) zugrunde. Das belegen Daten des Sudden Death Expertise Center in Paris 2017.
    70 Prozent der Patienten in dieser Studie hatten vor dem Ereignis bereits kardiovaskuläre Warnzeichen. Davon hatten 80 Prozent Brustschmerzen. Viele litten auch an Palpitationen (Herzstolpern) oder hatten bereits Synkopen (kurze Bewusstlosigkeiten) erlebt. Treten diese Warnzeichen auf, sollte der Läufer nicht einfach weiter machen wie bisher, wie es leider oft passiert. Er sollte den Sport sofort unterbrechen und baldmöglichst die Arztpraxis aufsuchen, um die Ursachen abzuklären.
    Dazu: Eine Studie über 3’292’268 Marathonteilnehmer ergab ganze 26 Fälle von plötzlichem Herztod oder 0,8 auf 100’000. Die für den Marathonlauf geschlossenen Strassen verhindern 46 Verkehrstote: also 1,8 verhinderte Todesfälle und netto keine Marathontodesfälle entgegen anekdotischer Angaben, weil sie von den Medien gefördert werden! (Redelmeier D, et al. Competing risks of mortality with marathons. BMJ. 2007;335:1275-7)
    2012 zeigte eine noch grössere Studie von 11 Millionen Marathon- und Halbmarathonläufer, dass lediglich 59 einen Herzstillstand erlitten und nur 42 dabei starben. Männer waren dabei häufiger betroffen als Frauen. Ursache Nr.1: hypertrophe Kardiomyopathie (bei den jüngeren Läufern) gefolgt von Herzinfarkt (Einengung der Kranzgefässe). Die Überlebenschancen sind bei der zweiten höher als bei der hypertrophen Myopathie und wenn eine sofortige Reanimation erfolgt. Also Echokardiographien für alle Langstreckenläufer?! (N Engl J Med. 2012;366:130).
    Triathlon hat ein viel grösseres Risiko für einen plötzlichen Herztod (doppelt so häufig wie beim Marathon). Bei 2846 Triathlonwettkämpfen der Jahre 2006 bis 2008 mit insgesamt 992’810 Teilnehmern starben 11 an einem plötzlichen Herztod, davon sind zehn ertrunken.

Links

Lauftreffs in Deutschland: www.lauftreff.de
Schweizer Lauftreffs zum Mittrainieren: www.cityrunning.ch

Strukturelle Bewegungslehre in Kürze: oekonomie_der_bewegung.pdf und das Tonic Function Model von Hubert Godard: hubertgodard.pdf

Bin ich sporttauglich?!: sportauglichkeit.pdf

Sieben grosse Mythen übers Joggen: laufen/

Kurz und bündig zum ökonomischen Gehen/Laufen.

Zur Haltung bei anderen Sportarten und bei bekannten Körperübungen: www.dr-walser.ch/haltung_im_sport/

Viele Ideen und bildhafte Vergleiche, die ich hier benütze, sind von meinem Lehrer Hubert Godard, meinem Freund und Kollege Hans Flury und auch von Willi Harder, der viel zu jung gestorben ist – drei geniale Köpfe, die das Rolfing wieder viel näher zu den Visionen der Ida Rolf gebracht haben.

Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
19. April 2024

Kaffee

Unsere Suchtpolitik – das Resultat von Moral, Business und Macht

Falls Sie gerne Kaffee trinken, hätten Sie vor 300 Jahren in Zürich etwas Verbotenes getan. Der Stadtrat verbot “das Trincken von Café by zwänzig Bazen Buss”, da es den Geist verwirre. In Istanbul drohten bei Kaffeekonsum gar Verstümmelung und Todesstrafe.
Dazu einfach einen kurzen Blick auf die heutigen Drogenverbote (Cannabis, Ecstasy, LSD, …), hinter denen statt primär gesundheitliche Überlegungen, vor allem machtpolitisch motivierte Gründe stehen.
Zum Schutz der Bevölkerung – insbesondere der Jugend – und im Sinne der Schadensminderung muss diese Prohibition dringend reformiert werden.

Voltaire und Kaffee

Der französische Philosoph Voltaire war der Legende nach ein sehr gieriger Kaffeetrinker. Er soll mindestens 30 Tassen Kaffee am Tag getrunken haben, manche Historiker sprechen sogar von 50 bis 80 Tassen täglich. Der Philosoph dachte, dass seine Gedanken durch das damals noch exotische Elixier stimuliert würden. Den Kaffee mischte er oft mit Schokolade, damals ebenfalls eine Delikatesse aus einem fernen Land, die ja auch anregend wirkt.
Voltaire lebte trotz ungehemmter Kaffeeleidenschaft und der Warnungen seines Arztes übrigens bis ins hohe Alter von 84 Jahren. Von ihm stammt auch der Satz: »Es gibt keine wahren Genüsse ohne wahre Bedürfnisse.«

Wann Kaffee trinken?

Kaffee beeinflusst unseren inneren Rhythmus gewaltig, falls man ihn irgendwann tagsüber trinkt. Man sollte seinen individuellen täglichen Energie-Rhythmus kennen lernen (Literatur dazu: Verena Steiner, Energiekompetenz) und den Kaffee dann nur in den “Up-Phasen” vor unseren Energiehochs einnehmen und nie zur (gesundheitlich bedenklichen) Überbrückung unserer “Down-Phasen”! Aus diesem Grund sollte man auch auf den Espresso nach dem Mittagessen verzichten (und erst recht nach dem Abendessen).
Übrigens: Kaffee, ausnahmsweise zum Wachhalten eingesetzt, hilft viel besser, falls man viele einzelne, kleinere Schlückchen über den Tag verteilt einnimmt, als die eine grosse Tasse am Morgen (James Wyatt in Sleep, 27, S.374).

Menschen mit Schlafstörungen sollten nach 12 Uhr keinen Kaffee mehr zu sich nehmen.

Wirkungen und Nebenwirkungen

  • Für Hirn nicht mehr als 3 Tassen/Tag:
    Der tägliche Konsum von mehr als drei Tassen Kaffee beschleunigt den Abbau der kognitiven Fähigkeiten, wie eine gross angelegte Studie zeigt. Die Forscher untersuchten, wie verschiedene Mengen Kaffee und Tee die fluide Intelligenz beeinflussen, also die Fähigkeit, logisch und abstrakt zu denken, Probleme zu lösen und Muster zu erkennen. Personen, die vier oder mehr Tassen Kaffee täglich trinken, zeigen den stärksten Rückgang der fluiden Intelligenz. Dies im Vergleich zu Personen mit moderatem (ein bis drei Tassen täglich) oder keinem Kaffeekonsum.

    Es ist eine alte Weisheit: Ein Zuviel ist nie gut. Ausgewogenheit ist der Schlüssel. Moderater Kaffeekonsum ist in Ordnung, aber zu viel ist wahrscheinlich nicht ratsam.

    Gleichzeitig deuten die Daten darauf hin, dass mässiger Kaffeekonsum (1-3 Tassen/Tag) als Schutzfaktor gegen den kognitiven Abbau wirken kann.

    Beim Tee zeigte sich ein anderes Muster. Personen, die nie Tee tranken, erlebten einen stärkeren Rückgang der fluiden Intelligenz als solche mit mässigem oder starkem Teekonsum.

  • Wieviel Kaffee täglich ist gesund?
    Heute muss man langsam und auch vorsichtig antworten:
    Sehr wahrscheinlich sind 3-4 Kaffeedosen pro Tag für Herz und Hirn noch gesund, falls man denn nicht Herzsymptome bekommt und nervös oder ängstlich ist. Mehr dagegen wohl eher weniger.
    Ein günstiger Einfluss von regelmässigem Kaffeekonsum auf die Rate kardiovaskulärer Erkrankungen ist bereits häufiger berichtet worden.
  • Im spanischen SUN-Projekt, an dem 2017 rund 20.000 teilnehmen, wurde eine inverse Assoziation zwischen dem Kaffeekonsum und der Gesamtmortalität an Herz-Kreislaufkrankheiten gefunden. Bei Personen, die mindestens 4 Tassen täglich konsumierten war die Mortalität um 65% geringer als bei Personen, die nie oder fast nie Kaffee tranken. Besonders deutlich zeigte sich der Zusammenhang bei über 45-Jährigen. Pro zusätzliche 2 Tassen Kaffee täglich, verringerte sich die Gesamt-Mortalität im rund 10-Jahres-Follow-up um 30%. Auch wer viel Kaffee trinkt, setzt seine Gesundheit nicht aufs Spiel: Das zeigt eine grosse Studie des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (Floegel A et al; Am J Clin Nutr. 2012 Apr;95(4):901-8.). Bei 43000 Menschen wurden zwei Gruppen verglichen: Vieltrinker, die täglich vier oder mehr Tassen Kaffee tranken, und Wenigtrinker mit weniger als eine Tasse pro Tag. Nach neun Jahren konnten sie für Krebs, Herz-Kreislauf (inkl. Schlaganfall) und auch für Diabetes ein Bonus für die Vieltrinker ausmachen: Ihr Risiko für alle diese Leiden war deutlich tiefer.
    Einerseits steigt das Gesamtcholesterin und LDL-Cholersterin bei über 6 Tassen Kaffee täglich zwar etwas. Anderseits: Bei regelmässigen Kaffeetrinkern bleiben die Halsschlagader elastischer und das Infarkt-Risiko sinkt. Bereits eine bis zwei Tassen pro Tag genügen. Das fanden Forscher der Universität Athen in einer Studie mit 235 Senioren heraus. Förderlich sind vermutlich die Polyphenole und andere gesunde Inhaltsstoffe von Kaffee. (European Society of Cardiology)
    .
  • Führt Kaffee zu Rhythmusstörungen?
    Studien im Zusammenhang mit Kaffee – einem der meist konsumierten Getränke überhaupt – üben eine besondere Faszination aus. Anders kann man es sich kaum erklären, dass diese solid durchgeführte, aber doch relativ kleine Studie derart hochrangig publiziert werden konnte.
    Es wurden dazu 100 Probanden (mittleres Alter 39 Jahre, 51% Frauen) während zwei Wochen kontinuierlich hinsichtlich Auftretens von Extrasystolen und zur Messung von Schrittzahl und täglicher Schlafdauer monitorisiert. Die Studienteilnehmenden wurden sodann mittels SMS zufällig angewiesen, an bestimmten Tagen Kaffee zu trinken respektive darauf zu verzichten. Die Anzahl Kammer-Extraschläge veränderte sich durch den Kaffeekonsum nicht signifikant. Gut vereinbar mit diesen Resultaten wiesen ja bereits vorgängige Beobachtungsstudien darauf hin, dass Kaffeetrinkende kein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Vorhofflimmern haben.
    Interessant sind aber auch die Daten zu den sekundären Endpunkten der Studie: An «Kaffeetagen» war die nächtliche Schlafdauer im Schnitt eine halbe Stunde kürzer und die Probanden legten im Mittel 1000 Schritte mehr zurück. Zudem traten deutlich häufiger ventrikuläre Ektopien auf. Ob Letzteres ein Surrogatmarker für Folgekomplikationen ist, muss offenbleiben. Die bisherigen Mortalitätsdaten zum Kaffeekonsum sprechen nicht dafür. Wie die Autorenschaft selber konkludiert, generieren diese Resultate Hypothesen für weitere Studien.

  • Medizinische Studien über Kaffee haben aber auch ihre Tücken – vor allem die, für den Kaffeegenuss negativen. Sorgfältige Arbeiten (z.B. über Kaffeekonsum in der Schwangerschaft und vermehrte Früh- oder Fehlgeburten und untergewichtige Kinder bei der Geburt) zeigen, dass diese Komplikationen meist nur scheinbar mit dem Kaffeekonsum zusammenhängen. Berücksichtigt man nämlich dass sich bei den “schweren” Kaffeetrinkerinnen (mehr als 4 Tassen täglich) auch die Mehrheit der Raucherinnen und ein Drittel der Alkohol-konsumierenden Frauen, bei den Kaffee-Abstinentinnen aber nur 16% Raucherinnen und 14% Alkoholtrinkende befinden, so liess sich kein erhöhtes, durch Kaffeegenuss bedingtes Risiko mehr feststellen! (The New England Journal of Medicine 343, 1839-1845 (2000))
    Diesen Störfaktor in Studien bezeichnet man als “Confounder”.
  • Dieselben Überlegungen muss man beim vermeintlichen Osteoporoserisiko durch Kaffeekonsum anstellen, denn chronischer Alkohol- und Nikotinkonsum sind dort nachgewiesenermassen ein hohes Risiko. Sonstige Risikofaktoren für die Entwicklung einer Osteoporose im Alter sind auch viel höher einzustufen: Frauen nach der Menopause; enge Verwandte leiden bereits unter Osteoporose; Kalzium- und kalorienarme Ernährung und wenig Bewegung vor 15jährig; Frauen mit früher Menopause, entfernten Eierstöcken und Kinderlosigkeit; aber auch Konsum vieler phosphathaltiger Nahrungsmittel (wie “Soft-Drinks”=Colagetränke, Knäckebrot und bestimmte Wurstwaren, die entsprechend gesalzen sind); und eben chronischer Alkohol-, Nikotin- und möglicherweise Kaffeekonsum.
  • Menschen, die 3 oder mehr Kaffee täglich trinken haben gemäss einer grossen Studie (Bhupathiraju SN, Pan A, Manson JE, et al. Changes in coffee intake and subsequent risk of type 2 diabetes: three large cohorts of US men and women. Diabetologia. 2014;57:1346-1354. Abstract ) 37% weniger Risiko einen Diabetes Typ II zu entwickeln, als diejenigen die nur einen Kaffee täglich tranken.
    Auch konnten die Leute mit eineinhalb Kaffee mehr täglich ihr Risiko um 11% senken.
  • Kaffee hält Gefässe im Hirn fit:
    Frauen, die ein bis vier Tassen Kaffee am Tag trinken, verringern ihr Risiko für einen Schlaganfall um rund einen Viertel. Dies zeigte Susanna Larsson vom Karolinska Institut, die mit ihrem Team die Gesundheitsdaten von mehr als 34000 Frauen analysierte. Eine frühere Studie aus Finnland weist darauf hin, dass Kaffee auch Männerhirne schützt.
    (Larsson SC et al, Coffee consumption and risk of stroke in women; Stroke, 2011 Apr;42(4):908-12. Epub 2011 Mar 10)
  • Hoher Koffeinkonsum ist sogar mit einer signifikant tieferen Wahrscheinlichkeit verknüpft, an Morbus Parkinson zu erkranken (jama.ama-assn.org/issues/v283n20/full/joc91293.html).
    Es gibt sogar Studien, die zeigen, dass ein moderater Kaffeekonsum die Entwicklung einer Demenz bei älteren Frauen verhindern kann (Neurology 2007;69:536-545 August 7 2007 American Academy of Neurology The neuroprotective effects of caffeine. The Hree City Study. K.Ritchie et al.)
  • Jedoch kann hoher Konsum von Energydrinks Herz und Nieren schädigen.Ein 21Jähriger mit  seit 2 Jahre langem grossen Konsum von Energydrinks wird mit Herz- und Nierenversagen hospitalisiert.
    Der zugrunde liegende Mechanismus der Herzinsuffizienz durch Energydrinks ist nicht vollständig geklärt. Das hoch konzentrierte Koffein in Energydrinks hat positive chronotrope und inotrope Eigenschaften, vor allem durch seine Wirkung als kompetitiver Antagonist von myokardialen Adenosin-Rezeptoren und auf die Katecholamin-Freisetzung.
    Eine chronische sympathische Überstimulation durch exogenen Koffeinkonsum kann also auch eine Stresskardiomyopathie auslösen.
    Es ist auch bekannt, dass Energydrinks den Blutdruck erhöhen und eine Reihe von Arrhythmien wie Vorhofflimmern sowie supraventrikuläre und ventrikuläre Ektopien auslösen können. Im schlimmsten Fall kann es zu Herzversagen kommen.
    Dieser Fall verdeutlicht, wie wichtig es ist, bei Patienten mit Kardiomyopathie unklarer Ätiologie sorgfältig nach einer bestimmten Ursache zu suchen. Dies schließt eine gründliche Anamnese auch zum Konsum von Energydrinks ein.
    Künftige Studien sind notwendig, um herauszufinden, welche Faktoren für schweres Herzversagen oder Herzrhythmusstörungen nach Energydrinks prädisponieren. So könnten dann Risikogruppen identifiziert und entsprechend aufgeklärt werden.
    (univadis.de/viewarticle/s/lebensbedrohliche-kardiomyopathie-durch-energydrinks)
  • Gicht: Je mehr Kaffee Männer trinken, desto seltener erkranken sie an Gicht (Arthritis & Rheumatism). Männer, die vier bis fünf Tassen täglich tranken, hatten ein 40% geringeres Risiko an Gicht zu erkranken wie Männer, die keinen Kaffee tranken. Bei sechs oder mehr Kaffees pro Tag sank das Gichtrisiko sogar um 60%.)
  • Schon mehrere Studien haben gezeigt, dass Kaffee die Leber gesund erhält. Auch Leberkranke profitieren von dem Getränk. In einer Studie von 2009 mit 760 Hepatitis C-Patienten hatten Kaffeetrinker Vorteile: Bei ihnen schritt die Krankheit nur halb so oft fort wie bei den anderen!
  • Krebs: Reichlich Kaffeegenuss bewahrt Frauen möglicherweise vor Brustkrebs. Trägerinnen gewisser Genvarianten, die mindestens zwei Tassen Kaffee pro Tag tranken, erkrankten zu 30% seltener als die anderen (E.Bageman et al., Cancer Epidemiology Biomarkers & Prevention 17: 895-901).
  • Sonstige Nebenwirkungen von Kaffee hingegen sind unbestritten: Pulsbeschleunigung, Reizbarkeit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Zittern und Muskelschmerzen. Absetzen von Koffein vermag Entzugskopfschmerz auszulösen. Kaffee steigert Angst. (Leute, die unter Ängstlichkeit leiden oder sogar Panikattacken erleben, sollten sicher nicht mehr als 400mg täglich aufnehmen oder besser gleich ganz auf Kaffee verzichten!). Personen mit Leberzirrhose oder Schilddrüsenüberfunktion laufen Gefahr verstärkter Koffein-Störwirkungen.
  • Schon fünf Tassen Kaffee am Tag steigern das Risiko (akustische) Halluzinationen zu bekommen, vorrausgesetzt man hat eine Neigung dazu.
    Australische Wissenschaftler in der Zeitschrift “Personality and Individual Differences” kamen zu diesem erschreckenden Ergebnis. “Koffein und Stress in Kombination steigern das Risiko für Psychose- ähnliche Symptome”, so Studienleiter Simon Crowe von der La Trobe University.
    Die Wissenschaftler haben 92 gesunde Studienteilnehmer in Situationen mit viel oder wenig Stress versetzt. Anschliessend befragten sie die Teilnehmer, wie viel Kaffee sie an diesem Tag getrunken hatten. Man spielte ihnen ein Tonbeispiel mit einem weissen Rauschen vor und bat sie jedes Mal sich zu melden, sobald sie das Lied “White Christmas” von Bing Crosby hörten. Das Lied wurde tatsächlich nie eingespielt, trotzdem glaubten mehrere es zu hören, und zwar vor allem jene, die unter hohem Stress standen und viel Kaffee getrunken hatten.
    Wer in dieser Hinsicht bereits verletzbar ist, kann durch Stimulanzien derart erregt und unruhig werden, dass das Sensorium durchdreht. Ängste, Schlaflosigkeit bis hin zu Halluzinationen im Sehen oder Hören können die Folge sein.
    Vor allem Nikotin und Koffein nehmen Schizophrene häufig zu sich, was nur plausibel ist: Neben Produktivsymptomen wie etwa Trugbilder sind auch sogenannte “Negativsymptome” Kennzeichen der Krankheit. Dazu zählen die Antriebsschwäche, Kraftlosigkeit, Müdigkeit sowie Konzentrationsstörungen. Durch Zigaretten und Kaffee versuchen viele, diese Probleme zu überwinden.
    Ohne entsprechende Vorgeschichte wird niemand halluzinieren, auch wenn er fünf Tassen Kaffee pro Tag trinkt.
    Die Australier mahnen dennoch zur Vorsicht. Zuviel Koffein verbunden mit hohen Stress könnten auch bei normalen Menschen miteinander interagieren, wie die Untersuchung gezeigt habe. Kaffee als häufigste Alltagsdroge sei deshalb weniger harmlos wie oft dargestellt wird.

Achtung: Der Mode-Putscher GUARANA enthält mit 3-8% deutlich mehr Koffein als Kaffeebohnen (1-2%) oder Teeblätter (1-4%).
Nochmals Achtung: Koffein ist in vielen Mischmedikamenten gegen Schmerzen enthalten (die man sowieso meiden sollte).

Auch mit koffeinfreiem Kaffee  lebt man länger

(Prospektive Kohortenstudie mit 500.000 Menschen im Journal of the American Medical Association (JAMA)) Erstmals wurde dabei der individuelle Koffein-Metabolismus der Teilnehmer berücksichtigt, der sich genetisch bedingt unterscheidet – und es wurde differenziert, ob die Menschen koffeinhaltigen oder koffeinfreien Kaffee bevorzugen.

Das Mortalitätsrisiko war bei den Kaffeetrinkern allgemein geringer und sank tendenziell mit der Menge getrunkener Tassen im Vergleich zu Nicht-Kaffeetrinkern: So lag die Hazard Ratio (HR) mit einer Tasse pro Tag bei 0,92, bei 4 bis 5 Tassen bei 0,88 und bei 8 oder mehr Tassen bei 0,86. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Person ein guter oder schlechter „Koffein-Verwerter“ war (also wie aktiv der genetisch bedingte Koffein-Metabolismus war) und ob laut Antwortbögen koffeinfreier, gefilterter oder löslicher Kaffee getrunken worden war.
Am Koffein liegt es also wohl nicht, dass Kaffee das Mortalitätsrisiko eher senkt als steigert., aber es sind natürlich wesentlich mehr Substanzen als nur Koffein im Kaffee. So fördert Kaffee etwa den Spiegel des körpereigenen Peptids Adiponektin im Blut, das mit einer erhöhten Insulinsensitivität in Verbindung gebracht wird.

Weiterhin schlüsselten Loftfield und Kollegen nach Geschlecht (45% Männer, 55% Frauen), Alter (unter und über 55 Jahren), Raucherstatus, allgemeinem Gesundheitsstatus (gut ca. 75% / schlecht ca. 25%), BMI, Diabetes (bei ca. 5%) sowie dem Auftreten von Krebs, Herzinfarkt und Schlaganfall (gemeinsam ca. 10% der Teilnehmer) auf. In allen Subgruppen blieb der Trend erhalten, dass Kaffee, auch in grosser Menge von über 6 Tassen täglich, das Mortalitätsrisiko senkte.

Für die Belastbarkeit der getroffenen Aussagen spricht auch, dass sie die Ergebnisse vieler bereits veröffentlichter Studien zum Thema Kaffeekonsum bestätigen.
Kaffee, aber auch Tee, sind keine Medikamente, der Genuss geht meist mit Ruhe und einer Parasympathikus-Aktivierung einher, was sich nur positiv auf die Gesundheit auswirkt.

Lediglich Schwangere sollten sich etwas zurückhalten. Allen anderen empfehle ich: Zurücklehnen und den Kaffee guten Gewissens geniessen!

Veröffentlicht am 15. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
16. August 2024