Gelassenheit?
Wie kann ich die Stärke meiner Gelassenheit messen und diese verbessern? Finde heraus, wie oft du an einem einzigen Tag gestört wirst. Ich meine damit diese kleinen Störungen durch alltäglichen Ärger, Sorgen oder Trauer.
Alltäglicher „kleiner“ Ärger, Sorgen oder Trauer
Nun, es gibt keine „kleinen“ Aufregungen. Sie alle stören den Frieden meines Geistes gleichermassen. Sie alle verhindern, dass ich jemals etwas gelassener werde. Wir alle kennen Menschen, die chronisch besorgt, wütend oder traurig sind. Und… sie sind sich dessen meist nicht mal bewusst. Nur wenn ich wachsam bin, komme ich dahinter, was mich stört. Das ist es, was ich Meditation nenne. Sobald auch nur die geringste Welle meinen Gelassenheitspool stört, hinterfrage ich, was ich jetzt glaube – besser: was sich jetzt für einen Glaubenssatz hinter dem Störgefühl verbirgt. Glaubenssätze können sein: „Ich werde nicht bemerkt.“ oder „Ich bin dumm.“ oder „Ich bin zu schwach.“ „Ich bin es nicht wert.“ usw… Das Wunderbare ist nun, dass die Störung sofort ihre Stärke und Wirkung verliert, wenn ich den Glaubenssatz dahinter entdecke. So kann wirklich Frieden einkehren.
Wut, Ärger und Empörung als Deck-Emotion eines Bedürfnisses oder Glaubenssatzes
Wut überdeckt meist andere Gefühle. Es wird daher auch von der „Deck-Emotion“ oder sekundären Emotion gesprochen. Die primäre ist dann meist Scham, Überforderung, Ohnmacht, Minderwertigkeit, Traurigkeit oder Verzweiflung. Niemand kann dich wütend machen – ausser Du selbst! (Fritz Perls). Um Ärger „gewaltfrei“ auszudrücken, müssen wir uns bewusst machen, dass es niemals die andere Person ist, die uns ärgerlich macht. Ärger wird durch Denken verursacht. Es geht nicht darum, die Wut zu unterdrücken. Es geht viel mehr darum, sich tiefer auf die Wut einzulassen und bis zu ihrer Wurzel zu gehen. Dort finden wir immer unsere unerfüllten Bedürfnisse. Und sobald ich mich mit meinen Bedürfnissen verbunden habe, spüre ich keine Wut mehr und finde meinen Frieden. Ich kann nur wütend sein, wenn ich mich vom Leben abschneide. Man kommt dann zum Beispiel vom Deck-Ärger „Er sollte die Wohnung besser sauber halten.“ zum primären Bedürfnis „Ich bin frustriert, weil ich mein Bedürfnis nach Respekt nicht erfüllt sehe, wenn die Wohnung nicht aufgeräumt ist.“ – oder zum Glaubenssatz „Ich werde nie gesehen und respektiert!“. Dieser Satz war in der Kindheit noch real, gilt jetzt als Erwachsener schon lange nicht mehr. Dieses Bewusstwerden von alten Bedürfnissen wecken mich auf und sagen mir, dass ich nicht am Leben bin, sondern dass ich mit diesem Spiel beschäftigt bin, jemanden oder mich fertig zu machen. Dies macht definitiv keinen Spass und nimmt mir meinen inneren Frieden.
Seinlassen
Gelassenheit resultiert aus dem Gegenteil von „Loslassen“, was landläufig oft mit Gelassenheit assoziiert wird. Echte Gelassenheit würde ich eher als „Seinlassen“ bezeichnen. Seinlassen heisst, dass wir nicht versuchen, es zu ändern oder uns zu einem Einverständnis zu zwingen. Vielmehr erkennen wir einfach an, was da ist, und sagen ja dazu. Es muss uns nicht gefallen, aber wir müssen es auch nicht als Feind sehen. Wir müssen nur bereit sein, eben das zu erleben, was unser Leben genau jetzt ist.
„Es isch wie‘s isch!“, wie wir so gelassen in der Schweiz sagen.
Eine Methode zum Erlangen von Gelassenheit besteht darin, kleine positive Erlebnisse, die man im Alltag erlebt – wie etwa ein freundliches Lächeln, das einem jemand schenkt, oder ein Akt der Hilfsbereitschaft – in Ressourcen umzuwandeln. Wir nehmen eine kleine heilsame Erfahrung wahr, die wir gerade machen. Bleiben zehn, zwanzig Sekunden dabei, damit sie wirklich tief einsinken kann, und machen dies ein paar Mal am Tag, immer wieder. So bauen wir Widerstandskraft, Selbstmitgefühl und einen Sinn für unseren persönlichen Wert auf, was die Gelassenheit massiv stärkt.
Weitere Wege zur Gelassenheit
„Sich erinnern!“, d.h. an das Kind, das wir mal waren:
* im Lachen
* im Tanzen und in der Bewegung…
* im Spielen
Sich mit unserer „Buddha-Natur“ verbinden (mit unserer Urkraft):
* in der Natur („es ist einfach“)
* im Flow (es fliesst mich)
* in der Entspannung (es lässt los)
* in der Meditation (es ist)
* in der Kreativität (es spielt, schreibt, komponiert…) …und alles nicht zu ernst nehmen.
Der Zustand der „ziellosen Präsenz“ hat für mich auch viel mit Gelassenheit zu tun. Gelassenheit entsteht überall dort, wo wir lernen zu »warten«, ohne etwas Bestimmtes zu erwarten. Das Warten ist »einfach die Ruhe« und erlaubt die Offenheit des Denkens im Unterschied zu einer bestimmten Vorstellung.
Fünf Hindernisse für ein gelassenes Leben
Etwas geschieht. Etwas, das wir uns anders erhofft haben. Schnell lassen wir uns mitreissen, ärgern uns, verzweifeln, fürchten den Weltuntergang.
Doch „passieren“ bedeutet eigentlich „vorbeifahren“.
Wenn etwas passiert, zieht es an uns vorbei, es überrollt uns nicht, sodass wir den Boden unter den Füssen verlieren.
Wir müssen es nur zulassen.
Statt aufzuspringen, können wir das Geschehen betrachten, bis es von selbst vorübergeht.
So wie in Theodor Fontanes Gedicht „Überlass es der Zeit“:
Erscheint dir etwas unerhört,
Bist du tiefsten Herzens empört,
Bäume nicht auf, versuch’s nicht mit Streit,
Berühr es nicht, überlass es der Zeit.
Am ersten Tag wirst du feige dich schelten,
Am zweiten lässt du dein Schweigen schon gelten,
Am dritten hast du’s überwunden,
Alles ist wichtig nur auf Stunden,
Ärger ist Zehrer und Lebensvergifter,
Zeit ist Balsam und Friedensstifter.
Wenn wir den Dingen ihren Lauf lassen, finden wir Ruhe.
Dazu brauchen wir Achtsamkeit: wahrnehmen, was ist, uns dem Leben, dem Moment, den Gefühlen und Gedanken öffnen, ohne festzuhalten.
Achtsamkeit lässt sich üben, doch begegnen wir dabei Hindernissen, die unser Leben in Gelassenheit erschweren.
Es folgen fünf dieser Hindernisse:
- „Mir fehlt die Zeit“
Achtsamkeit raubt keine Zeit, sie lässt uns die Zeit erst wirklich erleben – egal, womit wir uns gerade beschäftigen.
Womit bist Du so beschäftigt, dass Du Dir nicht einmal zehn Minuten am Tag gönnst – nur für Dich, für Deinen inneren Frieden?
Je weniger Zeit Du dafür zu haben glaubst, desto dringender solltest Du sie Dir nehmen.
. - „Mir fehlt die Geduld“
Um achtsamer zu werden, sollten wir uns Zeit lassen. Doch viele von uns werden schnell ungeduldig. Gerade Achtsamkeit erfordert Geduld: Einen Moment bist du vollkommen bewusst, im nächsten unachtsam. Erkenne einfach, dass du unachtsam bist. Vermeide den Gedanken: „Unachtsamkeit muss Achtsamkeit werden. “ Das schafft nur Konflikte, in denen Bewusstheit und Achtsamkeit verschwinden.
. - „Mich auf das einzulassen, was ist, tut mir zu weh“
Du wirst wütend. Oder traurig. Oder ängstlich und besorgt. Gerade deshalb solltest du deine Gefühle und Gedanken wie Vögel vorbeiziehen lassen, damit sie sich nicht in deinem Kopf einnisten. Sich mit aller Kraft gegen sie zu wehren, führt auf Dauer zu nichts. Du kannst sie weder vertreiben noch vor ihnen fliehen. Es gibt keine falschen Gefühle oder Gedanken – nur solche, die dich umso stärker beherrschen, je mehr du gegen sie ankämpfst. Lass sie zu, aber gib ihnen nicht die Kontrolle. Dann ziehen sie von selbst weiter.
.Immer öfter wird in neueren Psychotherapieformen (und schon lange Zeit im Zen-Buddhismus) deshalb nicht mehr der Inhalt der Gedanken und Gefühle als das eigentliche Problem betrachtet, sondern die Art und Weise, wie wir mit diesen umgehen und nach welchen Prinzipien unser Verstand funktioniert. Nicht was wir denken ist das Problem, sondern wie wir unsere Gedanken beurteilen.
- Achtsamkeit bedeutet, den Weg zu schätzen, nicht das Ziel – denn ein Ziel jenseits des Moments, jenseits dessen, was ist, gibt es nicht. Selbst wenn wir nur entspannt feststellen, dass wir unachtsam waren, üben wir Achtsamkeit.
.Das Schöne daran: Indem wir beim Üben geduldig mit uns selbst sind, wachsen Geduld und Gelassenheit auch in anderen Lebensbereichen. Manche fürchten: „Ich will doch nicht gleichgültig werden – ich habe Ziele! “ Doch Gelassenheit heisst nicht, die Zukunft zu ignorieren. Gelassenheit nimmt das Leben ernst, aber nicht schwer.Ziele sind nichts Schlechtes, solange sie nicht aus einem Gefühl des Mangels entstehen.
Ich finde Gelassenheit, wenn ich mit dem, was ist, zufrieden und glücklich bin. Die meisten Ziele setzen wir uns doch, um „glücklicher“ zu werden. Doch oft erreichen wir sie nicht und bleiben unglücklich. Oder wir erreichen sie, sind kurz glücklich und streben dann nach neuen Zielen. So entsteht immer wieder eine Lücke zwischen dem, was wir haben und geniessen könnten, und dem, was wir uns anders wünschen.
„Ich will die Kontrolle nicht verlieren“„Klar, das Leben spielt seine eigenen Spiele, aber wenigstens beherrsche ich mich selbst! “, denkst du vielleicht. Die Kontrolle verlieren? Auf keinen Fall. Doch stimmt das wirklich? Beherrschst du dich tatsächlich?
Wenn ja, dann richte für eine Minute deine volle Aufmerksamkeit auf deinen Atem, ohne abzuschweifen. Gar nicht so leicht, oder?
Wenn dir schon diese einfache Aufgabe schwerfällt, wie viel Kontrolle hast du dann wirklich über dich? Erst durch Achtsamkeit gewinnst du Kontrolle und Sicherheit inmitten der Unsicherheiten, die dich umgeben.
Gelassenheit erleben durch psychedelische Drogen
„Auf jeden Fall vermute ich, dass ich bereits gefunden habe, wonach ich gesucht habe: einige neue Erkenntnisse und zumindest ein bisschen Gelassenheit. Zwar bin ich nach wie vor unsicher, was die letztendliche Struktur der Welt angeht, aber ich habe auch neue Neigungen und neue Sympathien für Darstellungen, die ich zuvor für völlig uninteressant gehalten hatte. Diese Erweiterung ist selbst eine Art von neu gefundenem Wissen, auch wenn sie keine neuen Gewissheiten enthält. Was die Gelassenheit betrifft, so gibt es wirklich nichts Besseres als eine eindringliche Erfahrung der Illusion von Zeit, um die Angst vor der Kürze und scheinbaren Sinnlosigkeit dessen, was wir als unseren zeitlichen Aufenthalt erleben, zu verringern. Und es gibt wirklich kein beruhigenderes Gefühl, als sich der allgegenwärtigen und dichten Präsenz anderer Wesen wie der eigenen bewusst zu werden – oder zumindest einen Zustand zu erreichen, der die Existenz solcher Wesen zu bestätigen scheint.“ (This Is a Philosopher on Drugs, Justin E. H. Smith in WIRED, Mar 7, 2023: I was at the lowest point in my life. I needed a mind-altering jolt. In the end, everything—even the meaning of “everything”—changed.)
Gelassenheit und Selbstoptimierung
Jeder rennt ins Yoga-Studio und regt sich trotzdem auf, wenn ein Fahrradfahrer falsch abbiegt. „Es existiert ein Missverhältnis zwischen der Gelassenheit, die man erreichen möchte, und der Selbstoptimierung, die man verfolgt. Man will Störquellen ausschliessen, nach dem Motto, ich bin ruhebedürftig, mich nervt das Kind, der Hund, das Handyklingeln. Wir neigen dazu, Dinge aus dem normalen Leben als Belästigung zu begreifen, die es abzuschaffen gilt. Letztlich steckt hier auch eine Ursache für Intoleranz gegenüber allem Fremden: sich darüber aufzuregen, was jemand anders macht, wie der aussieht, wie der sich benimmt.“ (Juli Zeh im Interview mit dem Tagesspiegel, 5.11.18)
Der Innere Frieden
„Wenn du deprimiert bist, lebst du in der Vergangenheit. Wenn du besorgt bist, lebst du in der Zukunft. Wenn du in Frieden bist, lebst du in der Gegenwart.“ Lao Tse
Frieden hat viel mit Hingabe zu tun. Sich hingeben an den Moment, an das Hier und Jetzt. Auch die Hingabe an all unsere Ängste und Widerstände bringt Frieden. Man sagt dazu so schön (und ich finde dies eine treffende Formulierung):
Seine Ängste nicht nur an der Hand, sondern in die Arme nehmen.
Der Weg durch die eigenen Widerstände hindurch ist anstrengend und schmerzhaft. Es ist aber eine grosse Hilfe, den Automatismen und Widerständen in sich selbst zu begegnen, die zur Katastrophe, zum Unfrieden und zum Leiden geführt haben. Diesen steinigen Weg auch bis zum Ende zu gehen und nicht beim ersten oder zweiten Widerstand auszuweichen und abzubrechen, ist wichtig. Dranbleiben und nicht alles auf einmal gelöst haben wollen – bleiben, bis sie sich durch Zeit und Atem selbst verändern, vielleicht sogar zur (Auf-)Lösung und Heilung kommen.
Was kann helfen, den inneren Frieden zu fördern?
- Ich höre auf, mich zu bekämpfen.
- Ich bin im Hier und Jetzt.
- Ich nehme mir Zeit für mich.
- Ich tue, was sich für mich richtig anfühlt.
- Ich setze Grenzen.
- Ich lasse Andere sich selbst sein.
- Ich akzeptiere mich, wie ich bin. Ich sage JA zu mir.
- Ich sage, was ich fühle und denke.
- Ich akzeptiere den IST-Zustand.
- Ich schliesse Frieden mit meiner Vergangenheit.
- Ich bin authentisch.
Innerer Frieden und Lebendigkeit
Ich kann nur dann wirklich lebendig sein, wenn ich im Frieden bin. Das Ego, oder zumindest mein Ego, hat eine andere Vorstellung: „Du bist nur lebendig, wenn du Aufregung spürst, einen Adrenalinstoss hast, eine grosse Flasche Wein öffnest…“. Frieden ist aus der Sicht des Egos jener kurze, leuchtende Moment, in dem ich kurzzeitig frei von Verlangen bin. Sekunden, oder Stunden, oder einen Tag später kommt das Ego, die Wunschmaschine, die es ist, mit dem nächsten Wunsch. Es ist also klar, dass der Schlüssel zu einem dauerhaften Frieden des Glücks darin liegt, frei von allem Verlangen zu sein.
Bewusstheit der Sinne und Empfindungen
Seine eigenen Sinne ganz bewusst wahrnehmen, ist sehr hilfreich, um ganz in seine eigene Kraft zu kommen. Das innere Friedensgefühl kann sich so über die Bewusstheit der Empfindung immer mehr einstellen. Anfangs nur für kurze Momente, mit der Zeit vielleicht sogar über längere Abschnitte. Allein ein Momentfriedensgefühl ist anzustreben. Geht es hier doch weniger um einen Dauerfriedenszustand (was für viele von uns vielleicht erstrebenswert scheint, aber uns auch schnell unter einen grossen Erwartungsdruck setzt). Es geht hier vielmehr um die kurzen Friedensmomente im Leben, in den kleinen Zwischenräumen des Alltags, die uns stimmig berühren und nähren und die sich schlicht friedenswert in uns selbst anfühlen. Sei dies im Miteinander mit anderen Menschen oder auch beim ganz Mit-Sich-Selbst-Verweilen.
Wichtig scheint mir bei der Annäherung an dieses innere Friedensgefühl auch, dass ich immer wieder in die eigenen Kraftzentren von Fähigkeiten und Stärken eintauche. Bin ich mir immer tiefer bekannt, weiss ich was ich will und was mir gut tut, wo meine Wünsche und Bedürfnisse sind, fällt es mir leichter, mir in Frieden zu begegnen. Dies bedeutet auch, sich nicht nur den eigenen Ängsten und Widerständen hinzugeben, sich ihnen zu stellen, sondern auch den Werten in sich selbst mehr bewusst zu werden. Darin ruht ein grosses Stück Friede, Friede zu sich selbst, Friede in sich selbst.
Erwartungslosigkeit
Frieden entsteht aus Erwartungslosigkeit. Ohne Erwartungen befreie ich mich vom übermässigen Tun und finde Ruhe im Sein. Wenn ich wenig plane und geschehen lasse, was kommt, gewinne ich Freiheit. So kann ich mich ganz dem friedlichen Gefühl des Augenblicks hingeben.
Struktur am richtigen Ort und in der rechten Situation ist wichtig. Wollen wir aber mehr unsere innere ruhende Kraft nähren, mehr Friede in uns selbst erreichen, hilft spontanes, reiches Im-Moment-Sein mehr.
6 Schritte um die inneren Störungen abzustellen
Eine wunderbare Methode um aus dem Teufelskreislaf des „kleinen Ärgers“ zu entkommen und den Inneren Frieden zu erlangen, ist der 6-Schritte-Prozess, von Diederik Wolsak („Choose Again. Six Steps to Freedom“):
Schritt 1: Störung als dies wahrnehmen
Schritt 1 ist hier mitten in der Nacht nicht so schwierig: Ich bin in einem Konflikt, einer Störung – es triggert mich etwas!
Bei der Lösung eines psychischen Konflikts – unabhängig davon, ob es sich um eine leichte Irritation oder einen heftigen Wutausbruch handelt – geht es zuerst darum, ihn überhaupt wahrzunehmen und nicht zu bagatellisieren („ist ja nur halb so schlimm“) oder zu verdrängen.
Wir erinnern uns an den Schluss meines letzten Blogbeitrags: Alle Menschen wollen im Grunde genommen immer nur 3 Dinge: Geliebt Werden (Lieben), Glücklichsein und Inneren Frieden. Deshalb sind schon kleinste Störungen der „Beginn des Elends“ (siehe mein Beitrag über den „kleinen Ärger“).
Schritt 2: Ich übernehme die Verantwortung
Der Konflikt hat nichts mit etwas ausserhalb von mir zu tun, sondern einzig und allein mit mir selbst. Das ist sehr radikal und das Schwierigste überhaupt im ganzen Prozess (hier mitten in der Nacht aber eigentlich auch einfacher…). Fritz Perls hat dies schon treffend zusammengefasst: Niemand kann dich ärgern, ausser Du dich selbst!
Ohne diesen Schritt wird es weder zur Erfahrung von Frieden noch Verbundenheit kommen. Schritt für Schritt wird mir klar, dass der Konflikt mich von dem abhält, was ich zutiefst wünsche: Glück und Liebe.
Schritt 3: Welches Gefühl habe ich während des Konflikts?
Es ist vielleicht überraschend zu merken, dass es gar nicht so einfach ist, festzustellen, wie ich mich wirklich fühle. Hier ist Ehrlichkeit gefragt. Denn nur wenn ich das Gefühl benennen kann, ist der nachfolgende Schritt möglich.
Wut und Ärger überdecken dabei meist andere Gefühle. Es wird daher auch von der „Deck-Emotion“ oder sekundären Emotion gesprochen. Die primäre ist dann meist Scham, Überforderung, Ohnmacht, Minderwertigkeit, Traurigkeit oder Verzweiflung.
Schritt 4: Hatte ich dieses Gefühl schon früher einmal? Wann?
Ist mir dieses Gefühl vertraut? Erscheint dabei eine frühere Kindheitserinnerung, bei welcher jemand etwas sagte oder tat, das genau dieses Gefühl hervorgerufen hatte.
Schritt 5: Ich finde heraus, welches Urteil ich über mich in jenem Moment fällte
Wie habe ich jene Situation interpretiert? Was sagte das über mich aus, als jene Person so sprach oder handelte? Was urteilte ich damals über mich? Welches Kind verdiente es, so zu fühlen?
Schritt 6: Das Einzige was wir verändern oder wählen können, sind unsere Gedanken und Glaubenssätze
Ich spüre im Glücksfall, dass ich meine eigene Welt laufend durch solche früheren Urteile schaffe. Dies tut jeder für sich, in jedem Moment, auf seine eigene Weise! Man kann sagen: Projektionen (dieses meines Innenlebens auf die äussere Welt) kreiert meine Wahrnehmung! Ich sehe nicht die Welt, wie sie ist, sondern wie ich bin!
Wie schaue ich auf diese Welt? Welchen Gedanken höre ich zu? Welchen Wolf füttere ich?
Nun lasse ich meine alte Sichtweise los. Mein damaliges Urteil über mich war falsch. Die Meinung, welche ich über mich selbst gefällt habe, ist falsch und dient mir nicht mehr. Nun kann ich diese korrigieren. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Beispielsweise mit Affirmationen (Ich bin ganz. Ich bin zum Glück heute nicht mehr… Ich bin unschuldig. Ich habe meinen Platz. Ich kann nichts verlieren.).
Oder mit einem „Vergebungsprozess“ für sich selbst, indem ich mir sage: „Vergib mir, dass ich (noch immer) glaube, ich sei unwert (oder schwach oder ungeliebt oder unsicher oder schuldig etc).“ Die meisten von uns haben mehrere solcher einschränkender Glaubenssätze. Am Ende dieser Übung gehe ich nochmals zu der Situation zurück, welche das Gefühl ausgelöst hat (oder eben das endlose Drehen in der Nacht). Ich fühle nochmals hinein. Wenn ich jetzt friedlich und ruhig bin, ist die Übung beendet. Wenn nicht, wird sie wiederholt.
Zwischen Reiz und Reaktion liegt die Entscheidung
Es gilt, das Gelernte im Alltag anzuwenden und umzusetzen. Erinnere Dich an das Bild mit dem Erlernen einer Fremdsprache oder irgend einer anderen Fähigkeit. Je mehr geübt wird, desto deutlicher lassen sich die Ergebnisse der neuen Fähigkeiten im Leben erkennen. Wenn Du eine „alltägliche, kleine“ Aufregung, Ärger oder Unfrieden verspürt, so nimm das damit zusammenhängende Gefühl wahr, aber mach es nicht wahr. Zwischen Reiz und Reaktion liegt die Entscheidung!
Amerikanische Studie dazu, wie sich und seinen Mitmenschen zu vergeben, für besseren Schlaf sorgt (Loren Touissant et al.).
Weiterlesen:
- Es gibt „negative“ Gefühle, die uns aus der Bahn werfen und den inneren Frieden stören – Wut und Ärger, Neid, Scham, Schuld
- über Zwischenräume und Übergänge im Alltag
- den Inneren Frieden durch Entspannung und Meditation
- durch Leichtigkeit und Gleichgewicht.
Bedürfnishierarchie
Um es klarzustellen: Wir bewegen uns hier an der Spitze der Maslowschen Bedürfnispyramide, da in unserer Ersten Welt die Basisstufen satt befriedigt sind. Wir können uns also (elitär?) mit Werten wie „Selbstoptimierung“ oder Selbstverwirklichung“ befassen…
Quellen:
D.T. Wilson et al.: „Just think: The challenges of the disengaged mind“, Science 345 (6192), 2014
E.C. Westgate et al.: With a little help for our thoughts: Making it easier to think for pleasure“, Emotion 17 (5), 2017
W. Wolff et al.: „Bored into depletion?“, Perspectives on Psychological Science, 15 (5), 2020
Tim Schlenzig in myMonk (5 Hindernisse)
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Letzte Aktualisierung von Thomas Walser:
30. Januar 2025