Rhythmus prägt unser Leben: Atmung, Herzschlag, Stoffwechsel, das vegetative Nervensystem. Unsere natürlichen Rhythmen folgen dem Wechsel von Kontakt und Rückzug, Aussen und Innen, Spannung und Entspannung, Aktivität und Ruhe, Essen und Fasten, Genuss und Selbstkontrolle, Arbeit und Freizeit, Sprechen und Schweigen, Ein- und Ausatmung.
Auch die biologischen Rhythmen des Menschen sind entscheidend. Die Natur gibt den Takt vor: Mondphasen, der Wechsel von Tag und Nacht, die Jahreszeiten.
Halten wir im Tages-, Wochen- und Jahresverlauf die nötigen Erholungspausen ein, synchronisiert unser Organismus seine Funktionen wie ein Computer beim Neustart. So gleicht er Abweichungen vom Sollzustand aus, etwa das unkontrollierte Wachstum von Zellen, das das Immunsystem bekämpft. Vernachlässigen wir diese Pausen, vergrössern sich die Abweichungen, und der Organismus verliert die Fähigkeit, sich selbst zu ordnen.
Unsere biologischen Rhythmen dauern tagsüber etwa neunzig Minuten, ähnlich den Tiefschlafphasen. Ideal wäre, alle 60 bis 90 Minuten eine 5- bis 15-minütige Pause einzulegen. So finden wir vom „Hamsterrad“ zurück zur heilsamen Ruhe und stärken unser Immunsystem.
Zyklizität dieser Rhythmen vs. Linearität unserer Wirtschaft
Die Welt des Lebendigen mit seinen Rhythmen und Zyklen (Atmung, Puls, Tag/Nacht, Jahreszeiten…) steht nun im Widerstreit mit dem modernen Projekt des linearen Fortschritts und des unaufhörlichen Wachstums unserer Wirtschaft, also mit unserer Arbeit. Es braucht einen neue Versöhnung dieser gegensätzlichen Prinzipien, eine Arbeitswelt, in der auch die zyklische Regeneration von uns Menschen, aber auch der Natur um uns Platz hat.
Der Philosoph Byung-Chul Han nennt dies „Lücken“ im Leben: „Glück heisst ursprünglich „Gelücke“. Es hat mit Lücken zu tun. Vielleicht ist die Lücke sogar wesentlich für das Leben…“ – und weiter: „Kommunikation ohne Lücke ist Lärm. Wir ertragen heute keine Lücke, keine Stille mehr.“
Jede Lücke wird sofort mit dem Zücken des Smartphones gefüllt. Man verträgt keine Lange-Weile mehr.
Licht und Nahrung synchron
Ein geregelter Tagesablauf mit festen Essenszeiten ist entscheidend. Licht und Nahrung steuern unsere innere Uhr und sollten idealerweise im Einklang stehen. Deshalb empfiehlt es sich, täglich eine Hauptmahlzeit und ein bis zwei kleinere Mahlzeiten zu festen Zeiten einzuplanen. Am besten essen wir nur bei Tageslicht, da sich mit Einbruch der Dunkelheit der Stoffwechsel verlangsamt und Fett sowie Kohlenhydrate schwerer abgebaut werden.
Ein gut abgestimmter Tagesrhythmus, besonders ausreichend Schlaf, spielt eine zentrale Rolle im Umgang mit chronischer Müdigkeit, Stoffwechselstörungen und Übergewicht. Übermüdung beeinträchtigt das Frontalhirn und fördert unkontrolliertes Essverhalten, während zu viel Schlaf Bewegungsmangel begünstigt. Studien zeigen, dass ein Schlafpensum von 7 bis 8 Stunden pro Nacht das Normalgewicht unterstützt. Schlafmangel hingegen steigert das Hungerhormon Ghrelin und senkt das Sättigungshormon Leptin – mit der Folge, dass der Appetit zunimmt.
„Sozialer Jetlag“
Wer am Wochenende einen völlig anderen Schlafrhythmus hat als unter der Woche, kann leicht eine chronische Müdigkeit entwickeln. Somit gerät auch sein Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht.
Je grösser dieser „soziale Jetlag“ ist, desto grösser ist auch das Übergewichtsrisiko. (Deutsche Studie mit Analyse von Schlafmuster und BMI von rund 65’000 Menschen: Social Jetlag and Obesity, Till Roenneberg et al, Current Biology – 10 May 2012)
Frauenzyklen
Frauen kennen ihre rhythmischen Lebensveränderungen um Menstruation und Eisprung. Werden Sie sich diesen Zyklen bewusster und leben Sie mehr danach.
(Literatur dazu: „Back to the roots – zyklisch leben mit immenser Freude“ von Josianne Hosner, Quittenduft-Verlag)
Im 3in3-Rhythmus – mässig, aber regelmässig und im Wechsel mit kurzen Intensivbelastungen – gesund werden
In vielen medizinischen Studien hat man entdeckt, dass erst eine gewisse Dauer an moderater Bewegung – und zwar nur „rhythmisch“ (mässig und regelmässig) – die Voraussetzung für Prophylaxe und Heilung bei Krankheiten schafft:
- Zur Abwehrstärkung und Immunmodulation,
- gegen chronische Entzündungen (auch Neuroinflammation und Autoimmunstörungen (Diabetes, M.Crohn),
- selbst gegen Krebs (Prostata)
- und auch zum Abnehmen (oder beim Metabolischen Syndrom).
Die Gesamtdauer beträgt immer ungefähr 3 Stunden (150-180 Min) pro Woche mässige Bewegung und regelmässig auf mindestens 3 Portionen verteilt.
Deshalb nenne ich die daraus folgende Regel „3in3“ oder besser den „3in3-Rhythmus“, will heissen: 3×1 Stunde oder 6×30 Minuten, …
Es sollte nicht intensiver und lang dauernder Sport sein, sondern die Bewegung kann kurz und moderat, jedoch dann täglich und häufig sein – dies aber noch besser im Wechsel mit schnellen, kurzen Intensivbelastungen von nur 10 bis 20 Sekunden Länge (Treppe raufrennen, kurze Sprinteinlagen – auch nur auf der Stelle daheim oder im Büro).
Bewegung in Rhythmen lassen besser denken
Schon in den antiken Wandelhallen, dann in der Kreuzgängen der Klöster, auch Schüler, die im Gehen Vokabeln büffeln, Schauspieler, die beim Rollenlernen herumlaufen – alle sie wussten es, was nun in den Neurowissenschaften benannt werden kann, dass im Gehen gewisse Hirnregionen (vor allem der Hippocampus) besser arbeiten können.
Der Rhythmus, vor allem regelmässige von mittlerer Geschwindigkeit sind gut zum Lernen geeignet. Regelmässige, langsame für Meditation und tranceartige Zustände.
Man kann sogar behaupten, dass das abstrakte Denken nur eine verfeinerte Nutzung der praktischen Funktionen unseres Gehirns ist, die darin besteht, den Körper in angemessener Art und Weise zu bewegen. Deshalb ist die Affinität des Denkens zur Bewegung und des Gehens vorhanden.
(Mehr darüber hier >>>)
Gesund werden heisst häufig unser Leben „Rhythmisieren“
Letzte Woche waren fünf Menschen bei mir zum Gespräch über ihr Leben – und alle fünf litten an „Rhythmusstörungen“:
- Eine jungen Frau war einfach sehr müde, immer auf Speed, in Spannung, auf Diät wegen unreiner Haut.
- Eine mit Liebeskummer.
- Ein mittelalterlicher Mann kam mit einem entgleisten Blutdruck und vielen Medikamenten.
- Eine Frau mit Schlafstörung.
- Ein Mann mit Diabetes.
Unsere Gespräche drehten sich um Ernährung: zentral dabei die Essens- und Fastenzeiten, um den Rhythmus von Kontakt und Rückzug, Spannung und Entspannung, Aktivität und Ruhe, Lärm und Stille, Trennung und Liebe, Standhalten und Nachgeben, Arbeit und Pause,…
Häufig reicht auch, allem etwas mehr Raum zu geben:
Atempausen, Zeit um Auszuatmen, Schauen was ist…
Leben ist das langsame Ausatmen der Vergangenheit und das tiefe Einatmen der Gegenwart, um Luft für die Zukunft zu haben.
Menschen mit einem „Burnout“, der Seuche unserer lückenlosen Zeit, rate ich auf 80 Prozent Arbeit zurück zu gehen – und zwar mit der mitt-wöchlichen „Lücke“: also jeden Mittwoch ganztags frei zu nehmen. Der Rhythmus von Einatmung (Mo/Di Arbeit), Ausatmung (Mi), Ein (Do/Fr) und Aus (Sa/So) macht uns erst wieder lebendig, gesund und glücklich.
Es wäre sinn- und wertvoll, für sich einen guten Rhythmuswechsel zu finden, bei dem man sich gesund, fit und wohl fühlt. Rhythmen können helfen, dass sich Körper, Geist und Seele immer wieder entspannen und wir fliessend mit unserem ureigenen Lebensrhythmus mitgehen.
Dies heisst also nicht, sich ständig zu kontrollieren, ob diese Rhythmen streng eingehalten werden – denn damit verliert man zum Schluss weitgehend seine Lebenslust.
Weiterlesen
zu Schlafrhythmen: www.dr-walser.ch/schlaf/
zu Nahrung und Licht: www.dr-walser.ch/ernaehrung/
zu Stoffwechselrhythmusstörungen: www.dr-walser.ch/metabolisches_syndrom/
Rhythmen im Gehen/Wandern/Flanieren aktiviert unser Hirn zum Denken und zum Meditieren: gehen-spazieren-flanieren/
Übergänge und Zwischenräume im Alltag
Im Takt des Gartens, der Natur: Gärtnern hat etwas Therapeutisches, denn es verankert uns im Rhythmus des Lebens. Gartenarbeit folgt dem Takt der Jahreszeiten -und es ist schon deshalb eine Auszeit vom Sprint auf dem Zeitstrahl (in Psychologie-Heute).
Veröffentlicht am 01. Februar 2020 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
08. Januar 2025