Menopause – Wechseljahre

Die Perimenopause eine Zehnerjahrkrise

Fast alle Beschwerden von Frauen, die landläufig den Wechseljahren (oder Klimakterium oder Perimenopause) zugeschrieben werden, sind gar nicht typisch für dieses Lebensalter. Vielmehr treten Symptome wie Erschöpfung, Schlafstörungen, depressive Stimmung, Muskelschmerzen oder Harnwegsprobleme in sämtlichen Lebensphasen, von der Jugend bis ins hohe Alter auf. (K.Weidner u.a.: Klimakterische Beschwerden über die Lebensspanne? PPmP, 62/7, 2012, 266-275).

Man beobachtet einen Anstieg dieser „unspezifischen“ Symptome (und vieler mehr…) gehäuft vor und um die Zehnerjahre, also schon gegen 30, dann 40 und eben um 50jährig! Weiter dann auch wieder gegen 60 und 70. Diese runden Geburtstage haben es in sich: Man rekapituliert dann sein bisheriges Leben und schaut nach vorne. Was hat man „erreicht“, was will man noch… Dies alles kann in eine eigentliche Krise führen. Man/frau nennt sie dann auch „Quarterlife-Crisis“ oder „Midlife-Crisis“.

Der einzige Symptomenkomplex, der sich in diesen Studien tatsächlich mit den „Wechseljahren“ verknüpfen lässt, sind nächtliche Hitzewallungen und Schweissausbrüche – und meist damit zusammenhängenden Schlafstörungen. Diese Beschwerden nahmen im Alter zwischen 50 und 60 Jahren merklich zu. Allerdings war auch hier nur eine Minderheit betroffen (ein Viertel aller Frauen klagt über mittlere bis sehr starke Beschwerden durch aufsteigende Hitze – vor allem nachts). Ab dem 60. Lebensjahr liessen die Symptome wieder stetig nach. Übrigens muss man bei Wallungen, die nur tagsüber auftreten auch an andere Ursachen denken (z.B. Schilddrüsenerkrankung, Dauerstress).

Insgesamt stehen die angeblichen „Wechseljahrbeschwerden“ zwar nicht mit den Wechseljahren, wohl aber mit der Lebenssituation und der psychischen Belastung in Verbindung: Häufiger betroffen sind Frauen, die sich gestresst, niedergeschlagen und erschöpft fühlen.

Dies alles lässt die Forscher eher einen psychosomatischen als einen hormonellen Hintergrund vermuten. Es handelt sich hier also um unspezifische, seelische, körperliche und kognitive Symptome, die bereits in jüngeren Lebensjahren, aber auch nach dem Klimakterium zu beobachten sind. Man zweifelt heute stark daran, dass diese Beschwerden auf einen Progesteron- oder Östrogenmangel zurückzuführen sind.

Woman on fire

Die wechseljährigen Frauen sind „unangepasst“, „übertrieben“, wild, unangenehm für die Partner. Sie sind nicht mehr angepasst. Sie machen auf Unstimmigkeit aufmerksam. Sie sind nicht mehr die „liebe Mutter daheim“. Sie zeigen ein Verhalten, vergleichbar mit der Pubertät, welche ebenfalls eine wilde Wechselzeit ist.
Sie steht manchmal auch etwas neben sich – und versteht sich selbst nicht…

Wichtig ist es – für die betroffenen Frauen, wie auch für die Umgebung – dies als Prozess zu verstehen und nicht als „störende Krankheit“, die weg muss (mit Hormonen!).
In diesem Prozess entwickelt sie sich in eine reifere Frau – mit mehr Facetten. Ihr Feuer kann nachher wieder gleichmässiger brennen!

Weiterlesen dazu: Francine Oomen, „Francine und die total heisse Phase“, Wechseljahre für Anfängerinnen, Knaur Verlag
Oder hier: „Wechseljahre“ mit ganz anderen Augen anschauen – viel positiver: „Midlife-Boomer„!
Und hier ganz unten…

Siehe auch speziell zu den Blütenjahre im Frausein hier >>>

Psychosoziale Krise

Wechseljährige Frauen zeigen eine ganze Palette von Symptomen, die – wie bereits beschrieben – kaum mit dem Abfall der Hormonproduktion in Zusammenhang stehen. Die alternde Frau genoss bis Anhin in der Industriegesellschaft einen niedrigen Sozialstatus. Sie wird weder mehr als egosteigernder Potenzbeweis noch als Mutter gebraucht. Das Diktat der Jugendlichkeit tyrannisiert die Frauen im Westen. Der Mythos der asexuellen älteren Frau hatte zum Ende des 20. Jahrhunderts Bestand. Männer „reifen“ und kommen in die „besten Jahre“, die Frau „altert“ und kommt ins „Klimakterium“. Die Menopause schockiert Frauen, die ihr Alter verdrängt haben. Der Wechsel vom begehrten zum unsichtbaren Objekt wirkt um so traumatischer, je mehr sich eine Frau auf ihre traditionelle weibliche Rolle verlassen hat. Berufsfrauen leiden weniger darunter als Hausfrauen, gut ausgebildete weniger als ungebildete. Viele Frauen gleiten in eine eigentliche „psychosoziale Krise“.
Dafür, dass hier eine psychische Dynamik vorliegt, spricht auch, dass neuere Studien mit medikamentösen Antidepressivatherapien ebenso wirksam waren wie mit Östrogen. Womit nicht gesagt sei, dass ich nun rate, die eine Pille mit der anderen auszutauschen! Mehr darüber hier unten >>>
Den Verlusten an Selbstwertgefühl, an Attraktivität und an Fruchtbarkeit kann man aber, anstelle der illusorischen und gefährlichen Verlängerung der Jugend mit Hormonen, Gewinne entgegensetzen: Lebenserfahrungen, Freiräume, freie Zeit (in der Nach-Kinder-Phase), Potential für neue Beziehungen, kreative Lebensgestaltung, Wegfall des Kompetitionsdruckes. Viele Frauen erleben nach der Menopause einen eigentlichen Energieschub. Mann und Frau tragen Hormone des anderen Geschlechtes in sich. Wenn sich mit zunehmenden Alter die eigengeschlechtlichen Hormone vermindern, fallen die gegengeschlechtlichen relativ stärker ins Gewicht, und die Frauen haben die Möglichkeit, mehr „männliche“ Energien zu mobilisieren (und umgekehrt beim Mann). Nach C.G.Jung könnte man sagen: Eine wesentliche Aufgabe der zweiten Lebenshälfte und eine unumgängliche Station auf dem Weg zur Individuation ist die Integration der eigenen Gegengeschlechtlichkeit (Er nannte dies Animus in der Frau und Anima im Mann). Östrogene verhindern diesen wichtigen Lebensschritt der Frau.

Raumprozesse in der Mitte des Lebens

Meist erlebt die Frau um 50 eine Entwicklung zu mehr Raum in ihrem Leben. Sie befreit sich von Hausarbeiten und alten Rollen und macht mächtige Schritte in ein Leben nach aussen oder nach innen, d.h. wird tiefer, spiritueller, weiser…  

Dies verzahnt sich häufig mit einer Entwicklung ihres Mannes, der in der Mitte des Lebens auch sanfter wird, gelassener, auch tiefer, spiritueller, weiser – also weniger bullig, durchdringend und draufgängerisch. Im Idealfall gibt er Raum her, welcher seine Frau beleben kann. Eine Zeit von Reibereien (und Raumkämpfe) ist also um die 50 in einem Lebenspaar fast schon unumgänglich. Das Tröstliche dabei ist, dass die zwei Entwicklungen gegenläufig zum selben Resultat führen kann: Die ältere Frau nimmt mehr Raum ein als vor 50 und der Mann weniger. Das Paar erlebt eine neue Ebenbürtigkeit und Harmonie.

Was aber bei starken Wechseljahrbeschwerden?

Zuerst mal Positives zu den „Wallungen“:
Frauen, die am Anfang der Menopause häufig in Hitze  ausbrechen, haben ein stärkeres Herz und gesündere Blutgefässe. Das erkannte eine Forscherin der Northwestern University in Chicago, die mehr als 60000 Frauen untersuchte. Frauen, die früh Wallungen erlitten, bekamen am seltensten Herzkrankheiten und Schlaganfälle. Bislang glaubten Ärzte, das Gegenteil sei der Fall. (Menopause, 2011 Feb 19. Vasomotor symptoms and cardiovascular events in postmenopausal women.Szmuilowicz ED et al.)

Kurzfristig symptomorientiert ist noch die einzig vertretbare Form der Hormonanwendung nur transdermal, bioidentisch als Spray, Gel oder Pflaster über die Haut (und nicht mehr mit Tabletten über Magen-Darm und die Leber). Zudem nie länger als 5 Jahre – und nie über 60jährig aus.
Sehr vorsichtig sollte jede Frau mit folgenden Krankheiten in der Vorgeschichte sein:
Brustkrebs (selbst oder familiär); Thromboembolien; Cerebrovaskuläre Erkrankungen und KHK; Diabetes; adipöse oder auch magere, untergewichtige Frauen (Brustkrebsriskio mit Kombinationspräparaten höher); Juckreiz oder Gelbsucht in einer früheren Schwangerschaft oder durch Antibabypille; Leberkrankheit.

Es gibt bei milderen Formen eine Alternative: Östrogene pflanzlichen Ursprungs aus Traubensilberkerze (Cimicifuga). Wir müssen aber hier aufpassen, dass wir nicht wieder dieselben Fehler machen wie bisher mit dem Östrogen selber, da Langzeitstudien z.B. zur Brustkrebsgefahr fehlen! Dann auch Phytoöstrogene aus Soja- oder Jamswurzel-Steroiden oder auch aus dem Fenchelöl (8 Wochen lang täglich 2 x 100mg bessert angeblich Menopause-Symptome um 50%). Hier fehlen aber ebenfalls grössere Studien! Es schadet aber sicher nichts, wenn Sie viele Sojaprodukte essen.

  • Traubensilberkerze (Wurzelextrakt – Cimicifuga racemosa) v.a. gegen vegetative Beschwerden (50% verschwinden völlig, 30-40% besser) und psychische Störungen. Eignet sich aber nicht zur Osteoporose-Prophylaxe.
  • zu Beginn der Wechseljahre, wenn Symptome ähnlich wie bei PMS: Mönchspfeffer (siehe hier)
  • Nachtkerzenöl-Kapseln
  • Teemischung: 20 Teile Frauenmänteli, 15 Teile Johanniskraut, 10Teile Zitronenmelisse, 15 Teile Schafgarben, 15 Teile Rosmarin, 15 Teile Salbei
  • Durch Gewichtsabnahme zu weniger Beschwerden in den Wechseljahren:
    Um herauszufinden, ob es durch eine Gewichtsabnahme zu einer Verbesserung der Hitzwallungen von übergewichtigen Frauen in der Menopause kommt, haben US-amerikanische Forscher/innen eine randomisierte, kontrollierte Studie mit 338 übergewichtigen bis fettleibigen Frauen in der Menopause konzipiert. Sechs Monate lang absolvierten die Frauen entweder ein intensives verhaltenstherapeutisches Programm zur Gewichtsreduktion oder ein Aufklärungsprogramm über gesundheitliche Folgen von Übergewicht (Kontrolle).
    Ergebnis: Die Gewichtsabnahme verbesserte die Hitzewallungs- Symptomatik deutlich.
    Die Forscher/innen errechneten z.B. eine Verbesserung der Symptomatik von OR 1.32 pro 5kg Gewichtsabnahme.
    (Arch Intern Med 170(13):1161-1167, 12 July 2010 © 2010 to the American Medical Association: An Intensive Behavioral Weight Loss Intervention and Hot Flushes in Women. Alison J. Huang, Leslee L. Subak, Rena Wing, et al. Link zum Abstract: http://archinte.ama-assn.org/cgi/content/abstract/170/13/1161?etoc)

Trockene Scheide

  • viel eigenen Speichel benützen!
  • Schleimhautpflege: Leinsamen, -öl innerlich als Budwig-Creme und lokal Rheum rhaponticum D2 Salbe Weleda, tgl. 2 x anzuwenden, ev. mit Applikator auch vaginal einführen. Auch Dorins Yams-Zäpfle aus der Berg-Apotheke könnten geeignet sein. Zur akuten Linderung eine Woche lang täglich, dann 2x wöchentlich anzuwenden.
  • Achten Sie auf den Säurehaushalt. Die Ernährung soll zu rund vier Fünftel aus basebildenden und nur zu einem Fünftel aus säurebildenden Nahrungsmitteln bestehen. Milchprodukte sind zwar reich an Kalzium, sind aber säurebildend. Man sollte sie deshalb nicht im Übermass konsumieren. Listen mit säurebildenden Nahrungsmitteln erhalten Sie in guten Buchhandlungen.
  • Ergänzen Sie Ihren Menüplan mit Soja-Produkten. Soja und andere Bohnenarten besitzen Inhaltsstoffe, die eine östrogenähnliche Wirkung haben.
  • Vermeiden Sie Koffein und Alkohol im Übermass (2 bis 4 Gläser Alkohol wöchentlich)
  • Bewegen Sie sich häufig. Sportarten, die mehr Gewicht auf den Knochen bringen sind vor allem gut wirksam (Jogging, Springseilen,…). Kräftige Muskeln entlasten zudem das Skelett. Trainierte Menschen stürzen weniger und haben daher seltener Knochenbrüche.
  • Yoga, autogenes Training und Tai Chi helfen, psychische Schwankungen auszugleichen und geben ein gutes Körpergefühl.
  • Bauen Sie Stress ab. Nehmen Sie den Alltag im dritten Lebensabschnitt etwas gelassener.

Gibt es ein Androgenmangel-Syndrom bei der Frau?

Just zu einem Zeitpunkt, wo der Nutzen und die Sicherheit einer langfristigen Östrogengabe nach der Menopause zunehmend hinterfragt werden, ist immer öfter die Rede von einem Androgenmangel-Syndrom der Frau. Nicht nur der alternde Mann, so plädieren die Verfechter des neuen Syndroms, sondern auch Frauen nach der Menopause fühlten sich in gewissen Fällen dank der Gabe männlicher Geschlechtshormone vitaler und hätten eine grössere sexuelle Spannkraft. Die Existenz eines solchen Syndroms – zumindest bei gesunden, älteren Frauen – ist in Fachkreisen allerdings äusserst umstritten, denn die Rolle der Androgene im weiblichen Organismus ist wenig untersucht, allfällige Mangelsymptome äussern sich unspezifisch und mit breiten individuellen Schwankungen. Vor allem die Abgrenzung der Symptome (vor allem Libidomangel) gegenüber dem Ausdruck einer unbefriedigenden partnerschaftlichen Situation, einer Depression oder weiterer Krankheiten ist äusserst schwierig. Es fehlen auch grosse Studien, weshalb hier gar nicht weiter darauf eingegangen wird.

Ersatz mit synthetischen, oral eingenommenen Hormonen erhöht Demenzrisiko

Eine kürzlich veröffentliche Fall-Kontroll-Studie (08/2023) bekräftigt erneut den Verdacht, dass in der Postmenopause verabreichte Hormone das Demenzrisiko erhöhen. Knapp 5600 Frauen, die an einer Demenz erkrankt waren, wurden einer zehnmal so grossen Kontrollgruppe gegenübergestellt. Man stellte fest, dass bei den demenzkranken Frauen signifikant häufiger eine Hormonsubstitution mit Östrogen und Gestagen durchgeführt worden war als bei denjenigen der Kontrollgruppe (HR 1,24 [1,17–1,33]). Der Unterschied war auch bei Frauen zu beobachten, die Hormone nur relativ kurz (maximal 1 Jahr) eingenommen hatten, sowie bei den Untergrupppen von Frauen mit einer Alzheimererkrankung und von Frauen mit einer Demenz, die nach dem 65. Altersjahr begann («Late onset dementia).
Kein erhöhtes Demenzrisiko fand sich bei den Frauen, die nur vaginal verabreichte Östrogene oder nur Gestagene verwendet hatten.
(Volltext der Studie aus dem BMJ: Menopausal hormone therapy and dementia: nationwide, nested case-control study)

Der Langzeitgebrauch von postmenopausalen Hormonen ist nun mehrmals in grossen Studien nachgewiesen, mit einem erhöhten Risiko für Alzheimer- Demenz assoziiert. Das Alter bei Therapiebeginn und das verwendete Gestagen scheinen keinen Einfluss auf das Risiko zu haben.
(z.B. Savolainen-Peltonen H, Rahkola-Soisalo P, Hoti F et al. Use of postmenopau- sal hormone therapy and risk of Alzheimer’s disease in Finland: nationwide case- control study. BMJ. 2019 Mar 6;364:l665.)

„Women´s Health Initiative“: Brustkrebs und Hormonersatztherapie bei postmenopausalen Frauen

Eine weitere Studie im Rahmen der „Womens´s Health Initiative“ untersuchte das Risiko des Auftretens von Brustkrebs im Zusammenhang mit der Einnahme einer Hormonersatztherapie. Die 16.608 eingeschlossenen postmenopausalen Frauen zwischen 50 und 79 Jahren wurden im Schnitt elf Jahre lang beobachtet.
Ergebnis: Frauen, welche Östrogen plus Progesteron einnahmen, erkrankten häufiger an invasivem Brustkrebs als diejenigen, welche Plazebo einnahmen (HR 1,25). Auch war der Brustkrebs unter Hormoneinnahme häufiger „node-positive“ (HR 1,78) und die Sterblichkeit am Brustkrebs war größer (HR1,96).
(JAMA 304(15):1684-1692, 20 October 2010 © 2010 American Medical Association
Estrogen Plus Progestin and Breast Cancer Incidence and Mortality in Postmenopausal Women. Rowan T. Chlebowski, Garnet L. Anderson, Margery Gass, et al.:  Link zum Abstract: http://jama.ama-assn.org/cgi/content/abstract/304/15/1684)

Update 2021:
Das Schicksal der Frauen, die zwischen 1993 und 2004 an den Studien der Women’s Health Initiative (WHI) teilgenommen haben, wird weiter beobachtet. In diesen Studien erhielten bekanntlich hysterektomierte Frauen nach der Menopause doppelblind konjugierte equine Östrogene (CEE) oder Placebo; Frauen mit intaktem Uterus wurden dagegen, ebenfalls doppelblind, mit CEE in Kombination mit dem Gestagen Medroxyprogesteron oder Placebo behandelt. Die Behandlungsdauer betrug median 7,2 Jahre (CEE allein) bzw. 5,6 Jahre (kombinierte Hormone). Die vorliegende Arbeit befasst sich ausschliesslich mit den Brustkrebs-Fällen und Brustkrebs-bedingten Todesfällen. Fast alle 27’347 Frauen konnten median über mehr als 20 Jahre nach der Hormongabe nachbeobachtet werden. Die neuen Daten stimmen weitgehend mit den bereits bekannten überein. Frauen, die nur Östrogene (CEE) erhielten, erkrankten signifikant seltener an einem Brustkrebs (jährlich 0,30%) als diejenigen, die Placebo erhielten (jährlich 0,38%). Auch die Brustkrebssterblichkeit war unter CEE kleiner als unter Placebo. In der grösseren Studie bei Frauen mit intaktem Uterus kam es dagegen unter der kombinierten Hormontherapie signifikant häufiger zu einem Brustkrebs (jährlich 0,45%) als unter Placebo (0,36%). Auch Brustkrebs-Todesfälle waren häufiger nach der Hormontherapie, aber nicht signifikant.

Die gesundheitlichen Risiken einer Hormonsubstitution scheinen offensichtlich vorwiegend auf den Gestagenen zu beruhen. Ob es aber wirklich sinnvoll wäre, hysterektomierten Frauen über längere Zeit Östrogene als «Brustkrebsschutz» zu verordnen? Dabei muss man sich fragen, ob die heute verwendeten «reinen» Östrogene nicht nur hinsichtlich der Brusttumoren, sondern auch in Bezug auf kardiovaskuläre Probleme unbedenklich sind. Leider verfügen wir zu dieser Frage über keine Studien, die sich mit den WHI-Studien vergleichen liessen. Solange diese Wissenslücke nicht gefüllt ist, muss weiterhin zu einem sehr zurückhaltenden Umgang mit Östrogenen geraten werden.
(Etzel Gysling in infomed-screen 25 — No. 3, Copyright © 2021 Infomed-Verlags-AG)

Zeit des Ankommens

(Sabine Dermon am 30.05.22 im Tagesanzeiger)
Nun, ich erlebe die „Wechseljahre“ gerade als wundervolle Zeit des Ankommens. Und zwar bei mir selbst. Während sich meine Töchter gerade am Finden und auf der Suche nach sich selbst sind, weiss ich genau, wer ich bin, was ich kann, wo meine Stärken und Schwächen liegen. Ich fühle mich geerdet und stabil und erlebe eine nie da gewesene innere Gelassenheit dem Leben gegenüber. Ich fühle mich geborgen und in Frieden mit meinem «ich». Ich schätze nicht nur meine Schokoladenseiten, sondern akzeptiere auch Makel und Unvollkommenheit – etwa, dass ich einen katastrophalen Orientierungssinn habe.
Überhaupt nehme ich bezüglich Müssen und Sollen immer mehr den Fuss vom Gaspedal. Ich rücke mich und meine Bedürfnisse stärker ins Zentrum. Ja, ich erfinde mich neu! Das hört sich nun dramatisch an und ja, bei manch einer Frau in dieser Lebensphase wird das Leben gehörig umgekrempelt, den Job an den Nagel gehängt und der Mann verlassen; gottlob selten umgekehrt.
Bei manchen sind es allerdings nur Nuancen, kleine innere Weichen, die neu gestellt werden. Die Frage nach der inneren Zufriedenheit mit dem eigenen Leben steht da plötzlich ganz gross im Raum. Es ist auch eine Zeit des Infragestellens. Bewährtes möchte ich erhalten, Neuem einen Raum geben. Zeit, Entscheidungen zu treffen und eine erste Lebensbilanz zu ziehen. Für viele in diesem Alter sind entscheidende Phasen abgeschlossen – das Haus ist gebaut, die Kinder aus dem Gröbsten raus, der Berufsweg dümpelt vor sich hin, wie vielleicht auch das Eheleben.
Ich aber verspüre einen neuen Tatendrang, mein Leben zu optimieren! Möchte Neues anpacken und Routinen durchbrechen. Anders als früher, lasse ich die Dinge aber auch auf mich zukommen, statt alles steuern zu wollen.

Das Leben kann nur vorwärts gelebt werden.
Kürzlich las ich von 9 Dingen, welche eine junge Frau von einer gestandenen 50-Jährigen lernen könnte. Dinge wie, sich selber zur Priorität Nummer 1 zu machen, lernen «nein» zu sagen, aufzuhören darüber nachzudenken, was andere von einem halten, sich selber nicht zu ernst zu nehmen etc. All diese Phrasen kann ich unterschreiben. Aber – es ist ein Dilemma. Denn leider gelangt man zu diesen wunderbaren Erkenntnissen nur über Erfahrungen – nicht über Ratschläge! Ich merke dies jeweils, wenn ich mit neun-mal-klugen Lebensweisheiten bei meinen Teenietöchtern antanze und ihnen das Leben erklären will.
Die schauen mich dann bedröppelt an und denken sich wohl, die Mutter hat wieder ihre fünf Minuten und echt keine Ahnung vom anstrengenden Teenieleben – und was für uns gut und wichtig ist! Wieder eine Erkenntnis mehr: Das Leben kann nur vorwärts gelebt und vor allem durchlebt werden. Es gibt keine Abkürzung! Nur so gelangt man wie ich, irgendwann bis zur Mittelstation. Und die Aussicht da oben gefällt mir. Ich versuche, den Panoramaweg einzuschlagen und werte Stolpersteine als das, was sie sind: neue Aufgaben- und Übungsfelder. Schliesslich will ich ganz nach oben, bis zum Gipfel. Die Wanderschuhe sind geschnürt!
(Sabine Dermon am 30.05.22 im Tagesanzeiger)

Literatur zu den Wechseljahren:
vonOomen, Francine, „Francine und die total heiße Phase“ – Wechseljahre für Anfängerinnen; Knaur Verlag
Dr.med. Christiane Northrup, „Weisheit der Wechseljahre“; Goldmann Verlag, ISBN-10: 3-442-21907-8

Lesen Sie auch dies!
und über
die Wechseljahre beim Mann!
und über die Blütenjahre der jungen Frau!

Veröffentlicht am 13. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
11. September 2024

Testosteron – Anabolika

Männer in den Wechseljahren

Zuerst die Begriffsverwirrung: Andropause oder ADAM ( für: Androgen Decline in the Aging Male = Androgenrückgang beim alternden Mann) oder Klimakterium virile (virilis = männlich) oder Penopause?

Testosteron hat den Weg vom Schwarzmarkt zum Massenphänomen geschafft. Bislang haben das Hormon vor allem Sportler und Bodybuilder weitgehend illegal benutzt, um ihren Körper in Form zu bringen. Hinzu kamen Männer mit einer seltenen Unterfunktion der Hoden. Doch immer mehr Mediziner wollen uns ein mysteriöses Phänomen weismachen, dass jeden Mann irgendwann zum Kandidaten für eine Testosteron-Kur machen könnte: die «Wechseljahre des Mannes».
Doch die Wissenschaftler sind äusserst zerstritten.
Vorbild der neuen Theorie ist die Menopause der Frauen. Dann stellen die Eierstöcke die Produktion der Östrogene ein. Etwa eine von drei Frauen spürt den Rückgang der Sexualhormone als Wechseljahrsbeschwerden. Hier sind wir aber bereits viel weiter als beim Mann: Als hormonabhängiges Symptom wird nur mehr die (vor allem nächtlichen) Hitzewallungen als Krankheit anerkannt, gegen die sich viele Frauen zur Linderung das weibliche Sexualhormon verschreiben lassen. Darüber hinaus haben Östrogene aber schnell einen Ruf als Elixier ewiger Gesundheit erworben: Auch gegen Herzkrankheiten, Alzheimer und so weiter sollten die Hormone helfen (was ja nachweislich nicht stimmt – siehe!).

Altersbeschwerden nicht mit Hormondefizit verwechseln!

Ein echter Testosteronmangel bei Männern über 60 Jahre ist seltener als früher angenommen. Statt 10 bis 30 Prozent, wie noch vor wenigen Jahren vermutet, haben effektiv nur etwa 3 bis 5 Prozent der 60- bis 79-Jährigen einen wirklichen Testosteronmangel, der den Libidomangel und andere Symptome erklärt. Männer über 60 Jahre fühlen sich mitunter nicht mehr vital, die Muskelmasse schwindet, das Fettgewebe nimmt zu. Wenn dann noch die Libido nachlässt, mitunter sogar Hitzewallungen und depressive Verstimmungen dazukommen, fallen Medienberichte über die Folgen eines Testosteronmangels im Alter natürlich auf fruchtbaren Boden.
In diesen Berichten werden die Zusammenhänge allerdings stark vereinfacht. Altersbeschwerden werden generell auf einen Testosteronmangel zurückgeführt. Aber die dem Hormonmangel zugeschriebenen Beschwerden sind so zahlreich und unspezifisch, dass viele andere Ursachen in Frage kommen. Tatsächlich gibt es selbst für ältere Männer mit Testosteron-Überschuss genügend Gründe in eine «Midlife-Crisis» zu geraten. Kraft und Potenz lassen nun einmal mit dem Alter nach; die Rolle in der Familie ändert sich; man stellt fest, dass man seine Lebensziele doch nicht erreicht hat, im Beruf bedroht einen die jüngeren Konkurrenten und zudem kündigen sich Alterskrankheiten an – das kann schon mal auf die Stimmung drücken. Es gibt wenige Forschergruppen, die systematisch untersucht haben, ob sich ältere Männer mit niedrigeren Hormonwerten wirklich weniger fit sind. Eine ist die Gruppe um die Psychologen Annette Degenhardt und Andreas Thiele von der Universität Frankfurt. Bei ihrer Studie an 300 Männern zwischen 35 und 65 kam das Gegenteil dessen heraus, was Testosteron-Gläubige heute annehmen. Die Männer, die mit sich nicht zufrieden waren, hatten deutliche höhere Spiegel als diejenigen ohne Beschwerden. Trotzdem wundert es nicht, dass trotz dieser Wissenslücken der Glaube an das Hormon zunimmt. Zu perfekt passt Testosteron zum Zeitgeist. US-Studien zeigen, dass männliche Models in den letzten Jahren immer mehr an Muskelmasse zugelegt haben. Mancher Werbespot für Rasierwasser ist eher Reklame für Massen-Doping, weil Waschbrettbauch, Bizeps- und Brustumfang der Models nur mit Hilfe von Hormonen zu erreichen sind.

Achtung: FDA-Warnung!
Die FDA verschärft ihre Warnung für alle Produkte, die Testosteron enthalten und warnt vor Risiken wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Unfruchtbarkeit, Depressionen und aggressivem Verhalten. Oftmals erfolgt die Testosteroneinnahme in Kombination mit der anaboler Steroide, wodurch die Risiken noch verstärkt werden. Beim Absetzen kommt es häufig zu Entzugserscheinungen wie Müdigkeit, Appetitverlust, Schlaflosigkeit usw. Überdies ziehen „normale“ Männer keinerlei Nutzen aus der Einnahme, haben jedoch dieselben Risiken… (FDA Safety Information and Adverse Event Reporting Program. Posted 10/25/2016. http://www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/ucm526206.htm)

Das grosse Problem bei jüngeren Männern, die Testosteron nehmen, ist es , dass das natürliche Testosteron nach der Einnahme häufig nicht mehr richtig in Gang kommt! Testosteron kann Dich für immer ruinieren: Es als Anabolikum zu nehmen birgt das bedeutende Risiko, dass die Hypophyse irreversibel einschläft und ein bleibender sog. „hypogonadotroper Hypogonadismus“ entsteht!

Libidomangel ist das Leitmotive des Testosteronmangels!

Alle Männern über 60 mit verminderter Libido und erektiler Dysfunktion rate auch ich zum Labortest – sowie Männer mit Übergewicht, erhöhtem Blutdruck, erhöhten Blutfetten und erhöhtem Blutzucker, bei denen es häufiger zu Potenzstörungen kommt. Gegen die Osteoporose nützt es nachweislich nur bei „hypogonaden“ Männern, also bei wahrem Testosteronmangel – siehe hier!
Studien, die Wirkungen von Testosteron auf einige Altersbeschwerden untersuchen sind zu klein und zu kurz, um wirklich aussagekräftig zu sein oder zeigen eine unbedeutende Wirkung (siehe hier). Im wesentlichen bestätigen sie die Wirkungen, die Bodybuilder das Hormon auf den Schwarzmarkt kaufen lassen: Testosteron ist ein Anabolikum. Auch Männer über 65 legen unter der Wirkung Muskeln zu. Medizinische Bedeutung hat das aber nicht unbedingt. US-Forscher haben in einer Studie an 108 Männern festgestellt, dass nach drei Jahren Testosteron-Therapie zwar deren Muskelmasse, aber nicht deren Kraft zugenommen hatte.

Was ist zuwenig Testosteron?

Der Testosteronspiegel des Mannes sinkt schon in früheren Jahren jedes Jahr um 1 bis 2 Prozent. Dieser natürliche Prozess hat meist keine spürbaren Auswirkungen.
Tatsächlich ist noch völlig offen, welche Bedeutung die Hormone für das Befinden eines Mannes hat. Wir wissen nicht einmal, wie viel Testosteron für einen älteren Mann normal ist. Aus Verlegenheit behilft man sich mit den Werten für junge Männer. Zur Zeit gibt es – aufgrund fehlender Studien und Langzeiterfahrungen – kaum verbindliche Richtlinien und Empfehlungen, ab welchem Spiegel etwa ein behandlungsbedürftiger Mangel vorliegt.
Das Institute of Medicine der USA hat 2004 beschlossen, dass die Wirksamkeit der Behandlung älterer Männer mit tiefnormalen Testosteronwerten (300-400 ng/dl oder 10-12 nmol/l) nicht genügend gesichert ist, um auf Langzeitstudien einer Testosteron-Verabreichung einzutreten. Eine grosse, gut kontrollierte und bestmöglich durchgeführte 6-monatige Studie zeigt 2007 keinerlei positive Resultate (Emmelot-Vonk MH et al. Effect of testosterone supplementation….JAMA 2008;299:39-52)!

Der durch Harmonisierung von Messdaten und einheitlicher Kalibrierung der Analysetechnik für gesunde, nicht adipöse (BMI < 30 kg/m2) Männer im Alter von 19 bis 39 Jahren berechnete Referenzbereich freien Serumtestosterons liegt zwischen 264 und 916 ng/dl.  (Travison TG et al.: Harmonized reference ranges for circulating testosterone levels in men of four cohort studies in the USA and Europe. J Clin Endocrin Metab 2017; DOI: 10.1210/jc.2016-2935).

  • Testosteron sollte nur bedacht werden, wenn bei einem älteren Mann über 60 Jahre das Gesamttestosteron eindeutig vermindert ist:  totales Testosteron: zweimal zwischen 6 bis 9 Uhr morgens gemessen: <9 nmol/l (je nach Studie aber auch erst <7 nmol/l!). Trifft dies zu, stellt sich die Frage, ob ein sog. primärer Hypogonadismus vorliegt (= LH hoch: genetisches Klinefelter-Syndrom) oder ein sekundärer Hypogonadismus (LH niedrig bis normal: d.h. andere Ursachen für diese Unterfunktion der Hoden suchen, z.B. in der Hypophyse oder Medikamenten-Nebenwirkung, z.B. Schmerzmittelabusus, Chronische Schmerzen, Adipositas, Stress, sehr viel Sport,…).
  • Patienten, die mit Testosteron therapiert werden, sind sorgfältig zu kontrollieren. Ziel der Therapie sind vorderhand Werte von 300-450 ng/dl, resp. 10,4-15,6 nmol/l.
  • Die Patienten sind auf Entgleisung testosteronabhängiger Erkrankungen (z.B. Prostatakrebs, Herzkreislauf, Leberschädigung etc.) zu kontrollieren. (Snyder PJ. Hypogonadism in elderly men – what to do, until evidence comes. N Engl J Med 2004;363:440-2 und 482-92). Immer Laborkontrollen von PSA und Hämatokrit während der Testosteroneinnahme.
  • Höchst wahrscheinlich verkürzt Testosterongabe das Leben durch Anstieg der kardiovaskulären Risiken!
  • Männer mit Prostatakrebs, vermehrten roten Blutzellen (Hämatokrit), unbehandelter obstruktiver Schlafapnoe oder unbehandelte Herzschwäche dürfen nicht mit Testosteron behandelt werden!
  • DHEA (Vorläufer des Testosteron) hat keinerlei Anti-Aging-Effekt!

Testosteron macht nicht mehr Lust, Gesundheit und Jugend!

Die einzigen nachweisbaren Effekte von Studien mit Testosteron sind unerwünschte Nebenwirkungen!!! >>>siehe hier!

Rolle der Pharmaindustrie

Hinzu kommt, dass die Pharmaindustrie diesen Trend geschickt aufgreift und die Idee von den männlichen Wechseljahren kräftig durch Werbe-Agenturen vermarkten lässt. In den USA zeigt sich der Erfolg: Dort erleben Testosteron-Präparate seit einigen Jahren bereits jährliche Umsatzsteigerungen um 30 Prozent. Und für die, denen Spritzen oder Pflaster bislang zu lästig waren, gibt es nun ein Testosteron-Gel: Wer den Eindruck hat, dass ihm etwas fehlt, kann sich mit Männlichkeit einreiben wie mit Sonnencreme. (Nebenwirkung von Gel sind u.a. auch unwillentliches Verschmieren und „Verbreiten“ an Nahestehende, an Frau und Kinder & es stinkt auch meist etwas…).
Vor dem Hintergrund solcher Trends klingen die Warnungen einiger Experten vor den Risiken einer Testosteron-Therapie wohl eher wie Besserwisserei. Manche von ihnen halten das Sexualhormon für eine der Ursachen, warum das starke Geschlecht einige Jahre früher als Frauen an Herz-Kreislauf-Krankheiten stirbt.

Warum Testosteron nicht als Ausrede taugt.

«Die Geschichte dieses Hormons wurde schon geschrieben, bevor man es chemisch isolieren konnte», sagen die Medizinsoziologin Rebecca Jordan-Young und die Kulturanthropologin Katrina Karkazis. Soeben ist ihr Buch «Warum ein Hormon nicht als Ausrede taugt» auf Deutsch erschienen. Darin räumen sie mit den gängigsten «Zombie-Fakten» über Testosteron auf. Und graben noch eine Schicht tiefer: Die Autorinnen decken auf, wie die wissenschaftliche Forschung zum Vielzweckhormon Testosteron gezielt in bestimmte Richtungen gelenkt und damit Politik gemacht wird. Zum Beispiel, indem Testosteron in der Finanzindustrie komplett anders und positiv dargestellt wird – Risikofreude! – als in Statistiken über Gewalt in Städten. «Man foltert Daten so lange, bis sie sprechen», sagen Jordan-Young und Karkazis im Interview mit Feuilleton-Autor Daniel Graf. Testosteron ist nicht das, was Männer an die Spitze sozialer Hierarchien bringt. Und auch nicht Schwarze ins Gefängnis.

Kann Testosteron das Leben verkürzen?!

Möglicherweise handeln sich die Männer mit der Testosteronsupplementation ein höheres kardiovaskuläres Risiko ein! Dies legt eine Beobachtungsstudie aus den USA nahe, bei der die Daten von etwa 9000 US-Veteranen mit Testosteronwerten unter 300 ng/dl (10,4 nmol/l) ausgewertet wurden. 20% der Männer ohne Testosterontherapie, aber 26% mit Therapie erlitten innert 28 Monaten Beobachtungszeit entweder den Tod, einen Herzinfarkt oder Hirnschlag, sogar obwohl die Männer in der Testosterongruppe im Durchschnitt etwas jünger und gesünder waren!
(Vigen R et al. JAMA 2013;310(17):1829-1836)
Die TOM-Studie (Basaria S et al., N Engl J Med 2010;363(2):109-122) wurde deshalb bereits vorzeitig abgebrochen! Dort war das Verhältnis des Risikos bereits innerhalb eines halben Jahres anstatt 5% bereits 22%!

Herzinfarkt unter Testosteron

Die Einnahme von Testosteron erhöht, zumindest in den ersten drei Monaten nach Beginn der Einnahme das Risiko eines Myokardinfarktes massiv! Das Risiko eines Myokardinfarktes unter Testosteronbehandlung steigt mit zunehmendem Alter. Bei unter 65 Jährigen mit einer bereits bestehenden koronaren Herzkrankheit steigt das Risiko eines Myokardinfarktes unter Testosteroneinnahme deutlich an. Das Risiko verdreifacht sich in den ersten drei Monaten unter Einnahme von Testosteron. (u.a. Finkel W.D. et al. Increased risk of non-fatal myocardial infarction following testosterone therapy prescription in men. Plos One 2014;9, e85805.)

Prostatakrebs

Hinzu kommt der Prostatakrebs, der häufigste Krebs älterer Männer.
Es ist nicht ganz klar, welche Rolle das Testosteron beim Entstehen von Tumoren in der Vorsteherdrüse spielt, aber es fördert eindeutig das Wachstum bereits bestehender Tumoren. Glücklicherweise wachsen diese Tumore meist so langsam, dass die meisten Männer sterben, bevor sie etwas von ihrer Geschwulst merken. Das könnte die Testosteron-Therapie ändern: Selbst Verfechter der Testosteron-Therapie raten deshalb dazu, laufend die Prostata zu kontrollieren.

Knochendichte

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt! Osteoporose ist eine Sorge nicht nur postmenopausaler Frauen. Sie trifft in 13% auch Männer über 50 Jahren. Und 30% aller Schenkelhalsfrakturen treten bei alternden Männern auf. Testosteron verbessert bei jungen hypogonaden Männern die Knochendichte (BMD). Sollten nicht auch ältere Männer davon profitieren? Mitnichten! Bei 448 Männern über 70 Jahre wurden (totales) Testosteron und Östradiol, luteinisierendes Hormon und Knochendichte über acht Jahre verfolgt. Überraschung: Beim betagten Mann sind nicht der altersbedingte Hypogonadismus, wohl aber verminderte Östradiolspiegel mit verminderter BMD assoziert. Therapeutische Konsequenzen aus diesen Resultaten zu ziehen, wäre allerdings verfrüht. (Amis S. et al. Association of hypogonadism and estradiol levels with bone mineral density in elderly men from the Framingham study. Ann Intern Med 2000;133:951-63 (Editorial 1002-4))

Phthalate (BPA oder Bisphenol A) = Weichmacher aus Plastik in unserer Umwelt und Testosteron / Spermazahl

Ein guter, aber auch erschreckender Übersichtsartikel hier: https://www.piqd.de/gesundheit/das-sperma-problem-das-ende-der-menschheit-kann-schneller-kommen-als-wir-denken?

Was kann man sonst tun

  • Meiden Sie Nikotin, Alkohol und Stress. Vor allem dieses Trio lässt den Hormonspiegel von Testosteron fallen. Erhöhen tut ihn aber Bewegung und Abspecken.
  • Regelmässige körperliche Bewegung, vor allem Sport, steigert die Produktion von Testosteron. Studien konnten zeigen, dass der Testosteronwert nach kurzer, intensiver Bewegung von 25 bis 45 Minuten um mehr als 25 Prozent ansteigt. Der Effekt ist aber nicht nur kurzfristig: Regelmässige Bewegung steigert den Testosteronwert erwiesenermaßen um rund 15 Prozent (Med Sci Sports Exerc., Hawkins et al, 2008).
    Im mittleren Lebensalter vernachlässigen viele Männer ihre Fitness zwischen Anforderungen von Familie und Karriere. Wenn man dann wieder anfängt, sich körperlich zu bewegen und etwas abzunehmen, kann das allein schon den Testosteronwert wieder auf ein normales Level heben.
    Das heisst: Nehmen Sie sich mindestens dreimal wöchentlich Zeit für eine halbe bis eine Stunde Ausdauertraining.
  • Achten Sie auf Ihre Ernährung: Sie sollte genügend Zink enthalten, weil dieser Mineralstoff für den Testosteronaufbau nötig ist. Zink gibt’s hauptsächlich in Käse, Fisch, Meeresfrüchten, Geflügel, Fleisch, Nüssen sowie in geringerem Masse in Getreide, Hülsenfrüchte und Gemüse.
  • Wer Übergewicht hat, sollte abspecken. Bei Männern mit ausgeprägtem Bauchfett ist ein Enzym im Fettgewebe besonders aktiv, es heisst Aromatase. Das Enzym wandelt das männliche Geschlechtshormon in weibliches Geschlechtshormon um – und trägt damit zu einem Abfall des Bluttestosteronspiegels bei. Wenn der Organismus durch regelmässige sportliche Aktivitäten zum Beispiel fünf Kilogramm Fett verliert, wird die Testosteronausschüttung automatisch gefördert (5 Kilo weniger bedeuten rund ein Drittel höheren Testosteronspiegel).
  • Regelmässig Sex wirkt sich positiv auf den Testosteronspiegel aus.
  • Männer, die sich am frühen Morgen hellem Licht aussetzen, vermögen damit ihre Testosteronspiegel zu erhöhen. Dazu benötigt Mann zwischen 5 und 6 Uhr eine Stunde lang 1000 Lux. Dabei kletterte das für die Testosteronbildung zuständige luteinisierende Hormon (LH) um fast 70% in die Höhe  (In-Young Yoon et al., Neuroscience Letters 2003;341:25-28). Ebenso wie Depressionen, folgern die Forscher, könnten sich Libidoverlust und gedämpfte Sex-Aktivität – die Depressionen bekanntlich oft begleiten – durch helles Licht günstig beeinflussen lassen. Eventuell ist dabei nun der Testosteronanstieg nur eine Folge der gesteigerten Sexaktivität und nicht eine direkte Folge des Lichteinflusses.
  • Auch Phytoandrogene haben einen Einfluss auf den Testosteronspiegel. Phytoandrogene sind pflanzliche Stoffe, die ähnlich wirken wie Androgene. Dazu zählen die Isoflavone, die auch eine östrogene Wirkung haben (enthalten zum Beispiel in Soja) sowie Ginseng, Brennnesselwurzel und Hafer. Von diesen gibt es Fertigpräparate. Die Brennnesselwurzel eignet sich auch sehr gut für Tee.
  • Milch hilft Muskeln wachsen: Wer beim Krafttraining an Muskelmasse zulegen will, sollte Milch trinken. Das zeigt eine Studie an Männern, die 12 Wochen lang Gewichte stemmten. Sie wurden in drei Gruppen aufgeteilt: Die erste trank nach dem Training fettarme Milch, die zweite einen Soja-Drink und die dritte kohlenhydrathaltige Getränke. Die Milchtrinker bauten am meisten Fett ab – und am meisten Muskeln auf (Hartmann JW et al, Consumption of fat-free milk after resistance exercise, Am J Clin Nutr. 2007 Aug;86(2):373-8).
  • Anti-Aging: Was man selbst tun kann!

Konstruiertes Konzept der binären Sexualhormone

Das vereinfachende Konzept der binären Sexualhormone bleibt hartnäckig in den meisten Köpfen: Die Östrogene machen die Frau und steuern die liebevolle Mutter am Herd – Testosteron macht den Mann und steuert den wilden Kerl im Krieg oder an der Börse.
Wie konnte diese Simplifizierung selbst in Studien namhafter Forscher weiter Bestand haben? Vor allem ist es die Macht kultureller Glaubenssätze, denn am Anfang jeder Wissenschaft steht ein Weltbild, das den Blick der Forschenden steuert. Die aufgeführten Beweise sind erdrückend, und es fällt schwer zu widersprechen, wenn die beiden schreiben: „Sie folterten ihre Daten so lange, bis sie endlich sprachen.“ (Rebecca M. Jordan-Young, Katrina Karkazis: Testosteron. Warum ein Hormon nicht als Ausrede taugt. 2020, 384 S.)

Existiert ein Östrogenmangelsyndrom beim Mann?

Nein! Nicht direkt… Es ist immer die Folge eines Testosteronmangels, welches das Prohormon des Östrogens beim Mann ist, d.h. das meiste Östrogen beim Mann wird aus seinem Testosteron gebildet. Ist dieses nun zu tief, zeigt sich auch ein Mangel des Östrogens. Eine Therapie mit Östrogenen ist deshalb beim Mann unsinnig, ja gefährlich, da Brustwachstum und Herz-Kreislaufkrankheiten entstehen oder verschlechtern können. Man sollte immer nur mit Testosteron behandeln!

Gibt es ein Androgenmangel-Syndrom bei der Frau?

Just zu einem Zeitpunkt, wo der Nutzen und die Sicherheit einer langfristigen Östrogengabe nach der Menopause zunehmend hinterfragt werden (darüber lesen Sie hier!), ist immer öfter die Rede von einem Androgenmangel-Syndrom der Frau. Nicht nur der alternde Mann, so plädieren die Verfechter des neuen Syndroms, sondern auch Frauen nach der Menopause fühlten sich in gewissen Fällen dank der Gabe männlicher Geschlechtshormone (auch DHEA) vitaler und hätten eine grössere sexuelle Spannkraft. Die Existenz eines solchen Syndroms – zumindest bei gesunden, älteren Frauen – ist in Fachkreisen allerdings äusserst umstritten, denn die Rolle der Androgene im weiblichen Organismus ist wenig untersucht, allfällige Mangelsymptome äussern sich unspezifisch und mit breiten individuellen Schwankungen. Vor allem die Abgrenzung der Symptome gegenüber dem Ausdruck einer unbefriedigenden partnerschaftlichen Situation, einer Depression oder weiterer Krankheiten ist äusserst schwierig. Es fehlen auch grosse Studien, weshalb hier gar nicht weiter darauf eingegangen wird.
Es gibt hier eine Ausnahme: Bei einem schweren Hirsutismus (männliche Behaarung einer Frau) und einem Testosteron über 5 ist eine Testosterontherapie angesagt.

www.bodytuning-check.ch

Veröffentlicht am 07. Juni 2017 von Dr. med. Thomas Walser
Letzte Aktualisierung:
17. April 2021