Longcovid und Postcovid

Der Unterschied zwischen Post und Long-Covid ist rein zeitlich: Man spricht von Long-Covid, wenn Covid-19-typische Symptome über einen Zeitraum von vier Wochen nach der Infektion auftreten. Haben Patientinnen und Patienten drei Monate nach ihrer Erkrankung immer noch Beschwerden, spricht man von einem Post-Covid-Syndrom.

Post-Covid ist nicht selten und nicht harmlos

Eine aktuelle Metastudie von März 2022, die 81 Studien zusammenfasst, zeigt, dass 30% der Covid-Erkrankten nach 6 Monaten noch Erschöpfung verspüren und 20% an kognitiven Beeinträchtigungen leiden. Besonders bemerkenswert: Es gab kaum Unterschiede zwischen Hospitalisierten und mild Erkrankten.
Eine systematische Analyse, an der über 80 Forschungs­institute weltweit beteiligt waren, schätzt, dass etwa 6 Prozent der Infizierten drei Monate nach einer Infektion noch an Fatigue, kognitiven Störungen oder Atemwegs­problemen litten.

Dieses Bild hat ein leeres alt-Attribut; sein Dateiname ist me-cfs-nach-covid.jpg
mehr dazu weiter unten >

In der Post-Covid-Sprechstunde des Unispitals Zürich sind 80% weiblich und zwischen 25 und 40 Jahre alt. Frauen leiden doppelt bis dreifach häufiger an Post-Covid, da wohl ihr Immunsystem stärker reagiert als das der Männer.

Durch die Impfungen und die etwas weniger krankmachende Variante Omikron konnte das Risiko zwar deutlich gesenkt werden, wie jüngst eine Schweizer Studie herausfand. Spätfolgen sind aber nach wie vor relativ häufig. Sechs Monate nach einer Infektion mit Omikron leiden noch rund 11 Prozent der Geimpften an Symptomen. Bei der Wildtyp-Variante waren noch 25 Prozent betroffen. Dementsprechend haben sich 2022 die Wartezeiten in den zahlreichen Post-Covid-Sprechstunden kaum verändert, und Kranke müssen weiterhin monatelang auf einen Termin warten.

Das Risiko für Post-Covid ist während der Pandemie gesunken, bleibt aber hoch

Ob sich das Risiko von Post-Covid im Verlauf der Pandemie verändert haben, war bis dato unklar. Eine neue Studie zeigt, dass sich die kumulative Inzidenz solcher Beschwerden im Verlauf der Pandemie verringert hat. Doch absolut betrachtet ist das Risiko in Omikron-Phasen hoch, selbst für geimpften Personen.

Bei ungeimpften Personen lag die Häufigkeit für Post-Covid im 1. Jahr nach der Infektion bei 10,42 Ereignissen pro 100 Personen in der Prä-Delta-Ära, bei 9,51 Ereignissen pro 100 Personen in der Delta-Ära und bei 7,76 Ereignissen pro 100 Personen in der Omikron-Ära.

Bei geimpften Personen betrug die Häufigkeit 5,34 Ereignisse pro 100 Personen während der Delta-Ära und 3,50 Ereignisse pro 100 Personen während der Omikron-Ära. Sie hatten eine niedrigere Häufigkeit nach 1 Jahr als ungeimpfte Personen. Also während der Delta-Ära -4,18 Ereignisse pro 100 Personen und während der Omikron-Ära -4,26 Ereignisse pro 100 Personen.

Brain Fog, Erschöpfung und mehr…

6 bis 30% aller Covid-Kranken erleiden ein „Long Covid“ oder „Post Covid Syndrom“, was bedeutet, dass sie während 8–10 Monaten an Hirnfunktionsstörungen (Brain Fog) leiden. Viele davon sind nicht mehr in der Lage, zu lesen oder E-Mails zu beantworten. Laut der WHO liegt Long Covid vor, wenn die Beschwerden innert dreier Monate nach einer Infektion mit dem Coronavirus auftreten, mindestens zwei Monate andauern und nicht mit anderen Ursachen erklärt werden können. Einen monatelangen Verlust des Geruchssinns beklagen fast alle. Sehr typisch sind auch Depression und Angst, was vorher ein unbekanntes Problem für sie war. Vereinzelt kamen Wortfindungsstörungen vor oder die Unfähigkeit, einem Gespräch zu folgen. Beim Versuch einer körperlichen Aktivität erleben Betroffene anschliessend eine massive Verschlechterung der Erschöpfung, waren noch knapp in der Lage, den Briefkasten zu leeren. Sie konnten nur noch liegen und beim Aufstehen treten Pulsrasen und Ohnmachtsanfälle, ein sogenanntes POTS (Posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom), auf. Häufig leiden sie unter schweren Schlafstörungen, seltener unter andauernder Atemnot.

Eine Studie der Universität Oxford zeigte kürzlich, dass sogar Menschen, die sich nach ihrer Covid-Erkrankung wieder gesund fühlten, in kognitiven Tests schlechter abschnitten als Nichterkrankte. Vor allem das Gedächtnis und die Fähigkeit, sich über eine gewisse Zeit zu konzentrieren, litten nach Covid-19 während mindestens sechs Monaten. Schon letzten Sommer hatte eine britische Untersuchung Ähnliches gezeigt.

Weiterlesen über Brain-Fog: piqd.de/gesundheit/brain-fog-das-am-meisten-missverstandene-covid-symptom

Was ist nun bereits eine „krankhafte Erschöpfung“?

Hören Sie diesen Podcast von Radio Atlantic. Er zeigt Ihnen, dass krankhafte Erschöpfung einer normalen Erschöpfung so ähnlich ist wie ein leichter Regenschauer einem Tsunami, der alles niederreisst. Das ist nicht übertrieben. Der Wissenschaftsjournalist Ed Yong, der dazu intensiv recherchiert hat, sprach mit Menschen, die ernsthaft abwägen mussten, ob sie es sich leisten konnten, ein Glas Wasser zu trinken – weil sie später dann die Kraft aufbringen mussten, um zur Toilette zu gehen.

Neben der Tatsache, dass Yong die körperlichen Mechanismen hinter krankhafter Erschöpfung beschreibt, wie sie auch bei Long Covid auftreten kann, ist auch absolut wichtig, dass Menschen, die darunter leiden, genau die Dinge nicht helfen, die bei „normaler“ Erschöpfung gut tun: Schlafen, Ausruhen, Bewegung. Beziehungsweise: Schlafen und Ausruhen müssen sie sich, aber sie erfahren dabei längst nicht die gleiche Erholung wie Menschen, die sich einfach nur im Fitnessstudio überanstrengt haben oder überarbeitet sind. Ihre Körper sind zu dieser Erholung gar nicht fähig, manche sind sogar gleichzeitig total erschöpft und extrem angespannt.
Bewegung wiederum, das Mittel, zu dem selbst Ärzt:innen diesen Menschen raten, verschlimmert das Problem.
Was den Menschen am besten hilft, ist eine mühsam erarbeitete Mässigung, bei der sie genau wissen, wie viel Energie sie aufwenden können, bevor es zu viel ist.

Eine grosse Schwierigkeit dabei ist die fehlende Anerkennung einer Gesellschaft, die meint, Durchhalten, Durchbeissen und Überwindung sei das beste Mittel gegen Müdigkeit.

Post-Covid-Symptome sind vielfältig

Dieses Bild hat ein leeres alt-Attribut; sein Dateiname ist symptome-long-covid.jpg
Quelle: More than 50 long-term effects of COVID-19: a systematic review and meta-analysis

Wie lange muss ich bei einer Erkrankung mit Symptomen rechnen?

Die gute Nachricht: Bei den meisten Patienten tritt innerhalb von sechs bis zwölf Monaten eine Besserung ein. Nur ein kleiner Prozent­anteil wird chronische Beschwerden entwickeln, die Jahre andauern könnten und die dem sogenannten Chronic-Fatigue-Syndrom ähnelten.
Eine globale Analyse kommt zum Schluss: War die Covid-19-Erkrankung mild, so dauerte Long Covid bei der Hälfte der Patientinnen etwa vier Monate. Nach einem Jahr hatte nur eine von sieben Betroffenen noch Beschwerden.
Allerdings muss die Besserung nicht geradlinig verlaufen. Symptome können kommen und gehen. Nach einer Zeit der Besserung kann wieder eine Verschlechterung eintreten. «Corona-Coaster» nennen das Expertinnen und Betroffene – eine Corona-Achterbahn.

Gehören meine Symptome zu Post-Covid – und wie gross ist mein Risiko LC zu entwickeln?

Das Modell zur Einschätzung des Post-COVID-Risikos, Unispital Zürich USZ-Immunologie:
Sie (und auch Ärzt*innen) können mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens das Long-COVID-Risiko besser vorhersagen: pacs-score.com

Vorbedingungen, die eher zu Post-Covid führen

Diabetes mellitus & der Epstein-Barr-Virus. Sars-CoV-2 ist fähig, einen altbekannten Übeltäter zu reaktivieren, der untätig in uns schlummert: das Epstein-Barr-Virus. Der Auslöser des Pfeifferschen Drüsenfiebers wird mit zahlreichen Autoimmun­erkrankungen wie etwa der Multiplen Sklerose in Verbindung gebracht und gilt als mögliche Ursache für das chronische Erschöpfungs­syndrom (CFS).

Ursachen von Long- oder Post- Covid

Eine Hypothese ist, dass Post-Covid eine gesteigerte pathologische Immunreaktion zu sein scheint, bei der auch, wie bei vielen anderen Krankheiten, eine chronische Entzündung ein zentraler Mechanismus ist. Dieser Zustand ist durch Müdigkeit (Brain Fog), Überempfindlichkeit und Übererregbarkeit gekennzeichnet (siehe auch die Ähnlichkeit zur Neuroinflammation).

Daraus ergibt sich auch ein Lebensstil als Therapie, der entzündungswidrig ist – und eigentliche Resets für unseren Körper beinhaltet (siehe unten).

5 Hypothesen, was hinter Long Covid stecken könnte

Eine Möglichkeit ist, dass es sich bei Long Covid um eine anhaltende Virusinfektion handelt. Es gibt mehr als hundert Veröffentlichungen, in denen Forscher Teile des Virus oder seines Erbguts noch Monate nach der Infektion in verschiedenen Organen nachgewiesen haben.

Die zweite Hypothese ist die sogenannte Autoimmunität. Es ist bekannt, dass verschiedene Viren eine Immunreaktion auslösen können, die sich gegen den eigenen Körper richtet. Dazu scheint auch Sars-CoV-2 zu gehören.

Die dritte Möglichkeit ist, dass im Körper schlummernde Viren wie Epstein-Barr-Viren oder andere Herpesviren reaktiviert werden. Das ist bei einer Untergruppe von Long-Covid-Patienten definitiv der Fall.

Und die vierte Theorie ist, dass die akute Corona-Infektion zu chronischen Veränderungen und Schäden in verschiedenen Organen führt. Dazu gehört auch eine pathologische Veränderung unseres Pilz-Mikrobioms im Dickdarm.

Und last but not least:
Das sogenannte Komplementsystem. Dieses besteht aus mehr als 30 Proteinen und ist Teil des angeborenen Immunsystems. Es wird aktiviert, sobald eindringende Viren oder Bakterien bekämpft werden müssen, es sorgt auch dafür, dass beschädigte oder infizierte Körperzellen beseitigt werden. Normalerweise kehrt das Komplementsystem nach getaner Arbeit schnell wieder in den Ruhezustand zurück.
Nicht so bei den Long-Covid-Patienten. Bei ihnen bleibt das Komplementsystem überaktiv – und richtet dabei grosse Schäden an: Es aktiviert die Blutplättchen und begünstigt sogenannte Mikrogerinnsel, es schädigt die Innenwand der Blutgefässe, das sogenannte Endothel, es zerstört auch rote Blutkörperchen, die Sauerstoff transportieren. Ein weiterer interessanter Befund: Bei anfänglichen Long-Covid-Patienten, die nach sechs Monaten aber keine Symptome mehr hatten, war das Komplementsystem zum zweiten Zeitpunkt wieder zur Ruhe gekommen.
Die Zürcher Forschenden haben auch Hinweise darauf gefunden, was das Komplementsystem auf Trab hält: einerseits Antikörper gegen körpereigene Strukturen, sogenannte Autoantikörper, andererseits vermehrt zirkulierende Antikörper gegen schlummernde Viren wie das Epstein-Barr-Virus (EBV) oder das Cytomegalovirus (CMV).
Diese Erkenntnisse passen sehr gut zu den beschriebenen Symptomen von Long-Covid-Patienten: zur erhöhten Gerinnungsneigung, zur beobachteten Immunaktivierung, zur Unfähigkeit, Anstrengung zu tolerieren, oder auch zur Schädigung verschiedenster Zellen und Organe. 

ME/CFS

Die schwerste Form von Post-Covid ist eine bekannte, jedoch verdrängte Krankheit. Die Weltgesundheitsorganisation nahm sie schon 1969 in ihren internationalen Klassifizierungs-Katalog auf. Die ersten Fälle traten in den Fünfziger nach einer Polio-Epidemie in London auf. Viele Menschen, vor allem Frauen, wurden nach ihrer Polio-Infektion bettlägerig, litten unter unerklärlichen Schmerzen an unterschiedlichen Stelle und konnten nicht mehr aufstehen. Die Ärzte vermuteten damals, es sei eine Art »Pandemie-Hysterie«. Der Grund sei eine schwache Psyche.

Wir gehen davon aus, dass die sogenannten postakuten Infektionssyndrome, zu denen auch ME/CFS gehört, die Folge verschiedener Infektionen sein können. ME/CFS, das wussten wir schon vor Korona, kann von verschiedenen Viren, Bakterien und Parasiten getriggert werden, zum Beispiel von EBV und Grippe, nach Chlamydien, aber auch von Borrelien, die von Zecken übertragen werden. Korona ist nun ein weiteres Mitglied dieser Gruppe. Das zeigt, dass wahrscheinlich nicht ein einzelnes Oberflächenmolekül oder etwas Ähnliches für diese Infektionssyndrome verantwortlich sein kann. Die Infektionen sind nur eine Art Trigger.

Heute weiss man noch etwas zweites, dass ein Frauenüberschuss (Frauen erkranken doppelt bis dreimal so häufig wie Männer!) darauf hindeutet, dass es sich um eine übertriebene Reaktion des Immunsystems handeln muss. Denn Östrogene, von denen Frauen logischerweise mehr haben als Männer, stimulieren das Immunsystem; das weibliche Immunsystem ist also aktiver. Die Betroffenen haben Schmerzen, in Gliedern, Kopf und sonst wo. Viele können sich nicht konzentrieren, sind chronisch müde, haben Herzrasen oder Atembeschwerden, ertragen Licht nicht. Einhergehend mit dem Umstand, dass sich ihr Zustand verschlechtert, wenn sie sich anstrengen.

60% der Erkrankten sind arbeitsunfähig.

Die Erschöpfungskrankheit trägt den Namen ME/CFS, Myalgische Enzephalomyelitis mit Chronischem Fatigue-Syndrom.

Im Vergleich zu Krankheiten, die ähnlich häufig sind, ist ME/CFS wenig erforscht:

Dieses Bild hat ein leeres alt-Attribut; sein Dateiname ist crop_max_39-1684245439808-4026559146124232105.jpeg
Dieses Bild hat ein leeres alt-Attribut; sein Dateiname ist diagnose-me-cfs.jpg
Fortbildung USZ vom 19.03.2024

Das Chronische Fatigue-Syndrom trifft Millionen von Menschen, und es ist lange bekannt. Doch Patientinnen wurden psychologisiert, stigmatisiert und falsch behandelt. Erst Long Covid brachte ein Umdenken > super recherchierte Arbeit der Wissenschaftsjournalistin Theres Lüthi (Republik, 08.01.25)

Therapieansätze

Es gibt ein Vorbild für die Therapie bei Post-Covid, nämlich die Schmerztherapie. Früher wurden unerklärliche chronische Schmerzen mit immer stärkeren Medikamenten behandelt. Dem lag das einfache Modell zugrunde, dass Schmerzen einfach organisch abgestellt werden müssten. Heute geht man davon aus, dass im chronischen Schmerz sowohl die organischen Ursachen als auch die sozialen und psychischen Umstände mitberücksichtigt werden sollten. Bei dem einen mehr diese, bei der anderen mehr jene Komponente. In einer multimodalen Schmerztherapie werden Schmerzmedikamente, Physiotherapie und Psychotherapie also gemeinsam eingesetzt. Für die Patientinnen und Patienten ist genau dies womöglich der entscheidende Schritt, um mit Post-Covid besser leben zu können.

Mässige, aber regelmässige Bewegung hilft beim Post-Covid. Diese Muskelaktivität führt über diverse komplizierte Vorgänge (siehe folgende Abbildung, die sich auf die verwandte Neuroinflammation bezieht) zu einer starken Verbesserung.
Die übermässige, leistungsbetonte Bewegung (Leistungssport) verstärkt hingegen die Long- oder Post-Covid-Symptome durch Ausschüttung der Hormone Cortisol, Adrenalin und Entzündungsstoffe, wie die Zytokine! Deshalb spricht man bei der Bewegungsaufnahme bei Fatigue von Pacing:
Diese Tipps gegen die krankhafte Müdigkeit/Fatigue bringen Sie weiter:
altea-network.com/long-covid/ratgeber/fatigue/

Dieses Bild hat ein leeres alt-Attribut; sein Dateiname ist neuroinflammation-und-sport.jpg
(Copyright Prof. Jürgen Sandkühler, Zentrum für Hirnforschung, Medizinische Universität, Wien; http://cbr.meduniwien.ac.at)

Auch eine spezielle entzündungswidrige Ernährung, d.h. viele Pflanzen, wenig Alkohol und wenig Fleisch, viele Bitterstoffe (Polyphenole, wie schwarze Schokolade, Kaffee, bittere Öle (Lein-, Raps-, Olivenöl) verbessert die Post-Covid-Überreaktion. Dies entspricht in etwa der „mediterranen Ernährung“.
Die vegetarische (oder sorgfältig vegane) Ernährung ist hier optimal, auch dass unsere Darmflora besser wird.
Die Darmflora – das Mikrobiom – besteht aus Bakterien, aber auch aus Pilzen. Ein Ungleichgewicht dieser Darmpilze könnte für die überschiessenden Entzündungs­reaktionen bei Patienten mit schwerem Covid-19 oder Long Covid verantwortlich sein, wie Forscherinnen 10/23 im Fachblatt «Nature Immunology» berichteten. Sie beobachteten, dass Individuen mit schwerem Krankheits­verlauf eine erhöhte Konzentration von Darm­pilzen aufwiesen, was zu einer Aktivierung des Immun­systems führen kann. Besonders der Hefepilz Candida albicans spielt hier eine Rolle. Die Ergebnisse passen zu früheren Studien, die zeigen, dass ein verändertes Mikrobiom bei Covid-19 eine Rolle spielt, indem es die Schutzschicht des Darms durchlässiger für Pathogene macht.

Weiter verweise ich auch auf das 16:8-Kurzfasten, welches enorm entzündungshemmend ist und so auch gegen Post-Covid wirkt!

Retraining unseres Hirns – Neuroplastizität erhöhen

>>> Link: https://www.luks.ch/sites/default/files/2022-05/therapiemassnahmen_physio.pdf

Pacing
Im Allgemeinen geht es bei Betroffenen aber darum, ihren Alltag so zu gestalten, dass sie ihr eigenes Energie­niveau respektieren lernen. Das heisst: sich nicht zu einer Aktivität zwingen. Man spricht da von «Pacing». Wenn man sich schlecht fühlt, geht man normaler­weise vielleicht spazieren und fühlt sich danach besser. Bei Long Covid funktioniert das jedoch nicht. Wer sich zwingt, «etwas zu tun», dem kann es danach sogar noch schlechter gehen, und die Genesung dauert länger. Die so wichtige Rhythmisierung des Lebens wird hier noch wichtiger.

Pacing, aus dem Englischen für „sich selbst das richtige Tempo vorgeben“, ist keine heilende Therapie, sondern eine Technik. Sie lehrt Patienten, eigenständig mit ihrer begrenzten Energie und anderen Symptomen umzugehen. 
Pacing hilft, die eigenen Belastungsgrenzen zu erkennen, zu akzeptieren und im Alltag zu berücksichtigen. Dies erfordert Ausdauer, Geduld bei Rückschlägen und die oft mühevolle Akzeptanz der eigenen Grenzen. Trauer, Wut und Aggression gilt es anzunehmen. 
Ein Symptomtagebuch verdeutlicht die energetische Komplexität unserer Tätigkeiten. Die „Symptomampel“ und das Aktivitätsprotokoll zeigen, wie diffizil das Zusammenspiel von Tätigkeiten – auch Denken, Lesen, Schauen – und autonomem Nervensystem ist.

Pacing verspricht keine Wunder, sondern ermutigt die Erkrankten, sich konsequent ernst zu nehmen. Ideen zur mentalen Krankheitsbewältigung und seelischen Stärkung sind zentral.
(Wunderbare Anleitung: Andrea Brackmann, Katharina Jänicke: Long Covid und Chronisches Erschöpfungssyndrom lindern. Das Pacing-Selbsthilfebuch.)

Vorsicht: zu früh und zu viel Sport nach Covid kann auch Post-Covid fördern!

Dieses Bild hat ein leeres alt-Attribut; sein Dateiname ist sport-bei-long-covid.jpg
Copyright Sonntagszeitung

Medikamente gegen Post-Covid gibt es bisher nicht.

ZUSAMMENFASSUNG:

  • Ernährung entzündungssenkend: mediterran; auch vegetarisch oder (sorgfältig) vegan (bessere Darmflora!); Kurzfasten, wie 16:8.
  • Mehr Bewegung – mässig und regelmässig.
  • Soziale Isolation vermeiden…(Metastudie)
  • Was den Menschen am besten hilft, ist eine mühsam erarbeitete Mässigung, bei der sie genau wissen, wie viel Energie sie aufwenden können, bevor es zu viel ist (Pacing).
  • Mehr Beruhigung, Entspannung, Innerer Frieden…
  • Meditieren… Sie sind dadurch weniger gestresst und gereizt.

Was hat Ärztin und Spitzenradfahrerin Marlene Reusser bei ihrem Post-Covid geholfen?

Macht Covid ganze Gesellschaften dauerhaft kränker?

Es gibt beunruhigende Hinweise, dass Covid diverse Folgeerkrankungen nach sich zieht.
Expert*innen aus verschiedenen Teilen der Welt sind aber auch fast durchwegs der Meinung, dass die Pandemie wichtige und längst fällige Veränderungen im Gesundheitssektor angestossen hat.
Hat man vor der Pandemie Infektionskrankheiten getrennt von Zivilisationskrankheiten betrachtet, ist das nun anders. Inzwischen setzt sich die Meinung durch, dass die Trennlinien nicht so scharf gezogen werden können. Menschen, die Krankheiten haben, die mit dem Lebensstil assoziiert sind, wie zum Beispiel starkes Übergewicht oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, haben auch ein höheres Risiko, an Infektionskrankheiten zu sterben oder dauerhaft noch kränker zu sein. Das hat die Covid-Pandemie deutlich gezeigt. 
(Quelle: piqd.de/gesundheit/macht-covid-ganze-gesellschaften-dauerhaft-kranker)

Und Post-Vac? Also Long Covid nach der Impfung?

Hier muss zuerst einer der stärksten Denkfehler in der Medizin in Westeuropa erwähnt werden. Es ist die Kernüberzeugung, dass alles „Natürliche“ (eben auch eine Covid-Erkrankung) immer besser ist, als etwas „Wissenschaftlich-Technisches“ (die Impfung dagegen…): „Post-Vac“, also Long-Covid-Verläufe nach Impfungen kommen 500mal weniger häufig vor, als nach einer Covid-Erkrankung!

Long Colds

Von Long Covid hat mittlerweile fast jeder gehört. Aber wusstest du, dass es offenbar auch „Long Colds“ gibt? Das ist kein Corona, sondern „akute Atemwegsinfektionen mit Langzeitsymptomen“, wie Forschende festgestellt haben. Anders gesagt: Du hast eine Erkältung, Grippe oder Lungenentzündung  – und vier Wochen nach Beginn der Symptome sind sie immer noch nicht ganz weg.
Weiterlesen >>>

Letzte Aktualisierung durch Thomas Walser:
02. Februar 2025

Burnout

Psychisch-Physischer Erschöpfungszustand

Ich habe in meiner Hausarztpraxis den Begriff „Burnout“ wenig in den Mund genommen, da er meist für die betroffenen Menschen implizierte, dass sie alleine durch die Arbeit „ausgebrannt“ sind und selbst wenig dagegen tun können. Natürlich existieren klar Burnout-fördernde Arbeitsstellen und ist das Burnout eine Folge von chronischer Arbeitsbelastung, resp. eines chronischen Stresszustands – jedoch sind die eigenen Voraussetzungen, Ressourcen und Reaktionen darauf genau so wichtig. Es existieren also auch klare Eigenschaften, die wir mitbringen, die dann zu diesem „Psychisch-Physischen Erschöpfungszustand“ führen – und so habe ich dann das „Burnout“ sinnvollerweise bezeichnet.
Die Erschöpfung ist das zentrale Symptom.

Menschen brennen nicht aus, weil eine Tätigkeit zu anstrengend oder eine Verantwortung zu gross ist. Sie brennen aus, wenn sie keinen persönlichen Einfluss auf ihr Tun nehmen können, ohnmächtig sind. Mit Achtsamkeitsübungen und Entspannungsstrategien ist da oft nicht geholfen.
Statt die eigene Erschöpfung zu individualisieren, ist es für die Betroffenen hilfreicher, das „Empörungspotential ihres Burnouts“ (Ursula Nuber, Psychologie Heute, 01/2016) zu erkennen. Schliesslich wehrt sich unser Organismus gegen Überreglementierung, Ausbeutung und Allverfügbarkeit. Burnout ist daher eine Kompetenz. Wer ausbrennt, sollte sich das nicht als Schwäche oder Versagen auslegen, sollte nicht schamvoll den Kopf senken und schuldbewusst daran arbeiten, seine Akkus wieder aufzuladen. Schliesslich kann er stolz sein auf sein Engagement – „müdstolz„, wie es Peter Handke einmal nannte. Ein Müdstolzer weiss um seine Leistung und hat daher kein Problem damit, sich und anderen einzugestehen: „Ich kann unmöglich allem gerecht werden!“.

Die Arbeitswelt macht krank…

Es wäre entlastend, wenn man sagen könnte: Logisch bin ich gerade in einer Krise, denn die Welt ist es auch. Ich glaube, es wäre allgemein besser, wenn es bei psychischen Problemen nicht immer nur den Impuls gäbe, «nach innen zu schauen» und das Individuum in die Pflicht zu nehmen. Im letzten Jahrhundert (zu Beginn und vor allem in den Dreissigjahren) war es „in“ – und man konnte es ruhig zeigen, dass man häufig einen „Nervenzusammenbruch“ hatte. Die Welt war zu stressig für das Individuum und mit diesem Zusammenbruch schuf man sich, durch die Gesellschaft allgemein legitimiert, eine Auszeit, in der man wieder zu Kräften kam.
Wie wohltuend wäre auch heute wieder ein solches Narrativ. Eines, das psychische Probleme im Kontext der Zeit sieht und unterstreicht, wie schwierig es manchmal ist, nicht durchzudrehen. Eines, das Burnouts nicht nur kuriert, sondern auch fragt: Warum macht die Arbeitswelt krank? Eines, das Ängste nicht nur behandelt, sondern auch wissen will:
Wie machen wir dieses Welt weniger schrecklich?

Die Sinnlosigkeit der Arbeit

Der Ausdruck Burnout verschleiert, dass die Erschöpfung kein quantitatives Problem ist, sondern auch mit der Sinnlosigkeit der Arbeit zu tun haben könnte, damit, nicht selbst über die Ziele der Arbeit bestimmen zu können, damit, gegen die eigenen Interessen oder moralischen Über­zeugungen handeln zu müssen, oder mit dem Gefühl, nichts bewirken zu können. Er verschleiert auch, dass die Erschöpfung, die inzwischen ja selbst (oder gerade?) in Aktivistinnen­kreisen ein zunehmendes Problem darstellen soll, weniger eine Folge der Arbeits­menge als eine Folge der nagenden Furcht ist, letztlich könnte alles für die Füchse gewesen sein.

Was tun? Vielleicht könnten wir damit anfangen, wenigstens den Begriff Burnout fallen zu lassen. Denn wer sich selbst ein Burnout diagnostiziert, versteht sich, ohne es zu merken, als Dampf­maschine. Er spielt dabei den Mächtigen in die Hände, für die es weniger ermüdend ist, über Quantitäten zu streiten als über Inhalte, über Arbeits­mengen als über politische und soziale Konflikte.
(der erschöpfte Daniel Strassberg in der Republik, 14.06.22)

Arbeit kann Dein Hirn vergiften!

Es hat sich in einer seriösen Studie gezeigt, dass sich im Laufe eines anstrengenden Bürotages etliche toxisch wirkende Abfallstoffe im Gehirn ansammeln, die dazu führen, dass am Ende des Tages das allseits bekannte Erschöpfungsgefühl einsetzt. Auch Entscheidungen, die am Ende des Arbeitstages getroffen werden, sind generell als schlechter zu bewerten als Entscheidungen, die in der ersten Tageshälfte getroffen werden. Hinzu kommt die immense Bedeutung der Ernährung im Laufe des Tages. So werden mit einem Gefühl der Sättigung bessere kognitive Entscheidungen getroffen, während ein Hungergefühl eher der Feinmotorik dient. Konterkariert wird die Qualität der Entscheidung aber wiederum durch die vorherige Arbeitsdauer. Am Ende des Arbeitstages werden eher Entscheidungen bevorzugt, die einen geringeren Aufwand nach sich zu ziehen scheinen.
Die StudienautorInnen empfehlen mehr Pausen während eines Arbeitstages und eine Umstrukturierung der Aufgaben im Laufe dieser Arbeitstage, um den Einfluss der externen Faktoren positiver für sich zu nutzen.
(Studie: Wiehler A, Branzoli F, Adanyeguh I, Mochel F, Pessiglione M. A neuro-metabolic account of why daylong cognitive work alters the control of economic decisions. Curr Biol. 2022 Aug 22;32(16):3564-3575.e5. doi: 10.1016/j.cub.2022.07.010. Epub 2022 Aug 11. PMID: 35961314. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35961314/)

Totalerschöpfung

Burnout umfasst eine tiefe Identitätskrise, die oftmals ihren Ursprung in zu hohen Erwartungen an eine Situation hatte. Die letztendliche Totalerschöpfung ist das sozial akzeptierte Zeichen nach aussen, dass etwas nicht stimmt. Burnout ist allerdings mehr als Erschöpfung, die auch entstehen kann wenn man wegen Termindruck drei Wochen durcharbeitet oder fünf Freunden am Stück beim Umzug hilft. Burnout entsteht früher und geht tiefer. Wer selbst noch in der Lage ist, die Reissleine zu ziehen und aktiv Dinge zu tun, die einem gut tun, ist zum Glück noch ein Stück vom Burnout entfernt.

Fabienne Riener hat in ihrem wunderbaren Text (hier) beschrieben, wie Burnout entsteht: Meistens eben nicht von drei Nachtschichten in einer Woche, sondern eher dann, wenn man lange auf ein Ziel hinarbeitet und regelmässig seine Grenzen überschreitet. Ein spannender Text, den alle lesen sollten, die öfter mal länger arbeiten.
Chronischer Stresszustand (Dauer-Dysstress), viele Reize, grosse Anforderungen wirkt auf den Sympathikus, auf unsere katabole Seite des Vegetativen Nervensystem (via Cortisol vor allem) und kann in Verlust von Neuroplastizität des Hirns münden (Atrophie des Hippocampus, Schrumpfung der Hirnzellen)! Dies ist zwar schon reversibel (durch Entspannung, Bewegung,…), aber dennoch alarmierend.

Vita activa vs. Vita contemplativa

Die Vita activa beschreibt eine Lebensform, bei der praktische Arbeit und soziale Betätigung im Vordergrund stehen. Die Vita contemplativa hingegen ist dem Betrachten und der Kontemplation gewidmet. Die Menschen definieren sich heutzutage oft über ihre Vita activa, indem sie viel arbeiten und danach noch für einen Triathlon trainieren.
Die Anerkennung für den Teil unseres Lebens, der der Vita contemplativa zugeordnet wird, fehlt oft, obwohl er genauso wichtig ist.
Es ist auch Teil der Sinnfrage, die sich die Menschen stellen. Sie fragen sich nicht nur, was der Sinn ihrer Arbeit ist, sondern auch, was der Sinn ihres Lebens ist.
Eine Möglichkeit, um mehr Vita contemplativa in den Alltag zu integrieren, ist pro Tag eine halbe Stunde in der Natur zu verbringen, zum Beispiel am See oder im Wald spazieren zu gehen. Der Wald ist zwar eine massive Reizüberflutung, aber er ist auch eine, die erdet. Ganz im Gegensatz zu einem iPad oder iPhone. Die Welt hier drin kann unser Gehirn nicht verstehen und mündet in einer Erschöpfung.

Burnoutsymptome

Das Standard-Messinstrument bei Burnout ist der Maslach Burnout Inventory, der 3 Dimensionen untersucht: Emotionale Erschöpfung, Depersonalisation und reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit.

Typische Burnout Symptome sind:

  • Konzentrationsprobleme, permanente Müdigkeit, Mattigkeit, Kraftlosigkeit und Erschöpfung – und dies alles nicht nur an einem besonders schlechten Arbeitstag, sondern oft.
  • Lustlosigkeit, Übellaunigkeit, Gereiztheit
  • Gefühle des Versagens, der Sinnlosigkeit, der Ineffektivität
  • Gefühl von Überforderung und Angst, den Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein
  • mangelndes Interesse am Beruf, Kunden/Patienten oder Aufgabenbereich, Gleichgültigkeit gegenüber Projekten, die man normalerweise spannend finden würde.
    Daraus resultierender Zynismus (bis Depersonalisierung)

Körperliche Symptome können ähnlich wie bei der Depression sehr vielfältig auftreten:

  • Schlafstörungen
  • Kopfschmerzen
  • Verspannungen
  • Rückenschmerzen
  • unspezifische Schmerzen
  • erhöhtes Schmerzempfinden
  • veränderter Blutdruck
  • Engegefühle in Brustkorb und Hals, Atemnot
  • Libidoverlust
  • Zyklusstörungen bei der Frau
  • Suchtverhalten (zur „Eigentherapie“ der psychischen Symptome…)
  • Atypische Gewichtsveränderungen
  • Magen-Darm Beschwerden

Stadien der Entstehung und begleitende Schlafstörungen

  • Stadium 1) STRESS: Einschlafstörungen
  • Stad. 2) BURNOUT: Ein- und Durchschlafstörungen
  • Stad. 3) FOLGEKRANKHEITEN – als Beispiel die Depression: Früherwachen

Burnout und Depression

Es ist umstritten, wo die Definition eines „Burnout“ beginnt und wo die einer „Depression“ aufhört. Überschneidungen sind gross – Unterscheidung nur partiell möglich. Die Prophylaxe beider Zustände ist ähnlich – die Therapie zum Teil und betrifft beim Burnout häufiger in Arbeitssituations-Verbesserungen (siehe weiter unten).
Als Musterbeispiel soll die weltweite Situation der Landwirte stehen: In einer Umfrage von 2018 soll in Deutschland jeder vierte Bauer Burnout gefährdet sein. Studien zur psychischen Situation von Landwirten zeigen dabei, dass (in Kanada) jeder vierte Landwirt, sein Leben nicht lebenswert findet oder in den vergangenen 12 Monaten an Suizid gedacht hat. Eine amerikanische Pilotstudie fand unter Landwirten heraus, dass 75 Prozent der Landwirte an einer Angststörung leiden, mehr als die Hälfte litt an Depressionen. In Frankreich nahmen sich im Jahr 2017 650 Landwirte das Leben. Die Suizidrate lag damit 50 Prozent höher, verglichen mit dem Rest der Bevölkerung.
Mehr über die Depression hier >>>

Burnout als Ende des Sebstoptimierungszwangs

Hierzu Juli Zeh, die selbst ein Burnout erlebte, in einem Interview mit dem Tagesspiegel vom 5.11.18:
Ab den 60er Jahren hiess es doch: Sei anders! Finde dich selbst!
Die Grundidee war, den Menschen von Zwängen und übergeordneten Mustern zu befreien, in die er hinein gepresst wird. Sei es die Religion, die patriarchale Familie, der hierarchische Arbeitgeber. Erst mal ein schöner Gedanke. Nur, was tun mit dieser individuellen Freiheit? Aha, Selbstverwirklichung. Diesen Raum muss man dann auch füllen. Dass das mit enorm viel Druck verbunden ist, haben viele nicht bedacht.
Die Chance wird zum Imperativ: Du musst deine Freiheit nutzen, du musst gut sein, glücklich sein. Das führt dazu, dass schon Dreijährige im Kindergarten Chinesisch lernen sollen, damit sie mit 24 Jahren einen guten Job bekommen. Die Biografie muss bis ins Letzte durchgeplant sein, nur keinen Fehler machen. Wie soll man sich denn entspannen, wenn man zu dieser Optimierung gezwungen ist, egal worum es geht, Sport, Sex, Liebe, Familie?
Dies führt unweigerlich irgendwann ins Burnout, in die absolute Erschöpfung!

Burnout, auch eine gestörte Fähigkeit zur Empfindung positiver Emotionen?

Die Realität eines Menschen wird durch seinen Fokus bestimmt. Ganz ähnlich ist es mit dem Gefühl, das seine Wahrnehmung beeinflusst. Ganz oft, wenn wir uns leer und ausgebrannt fühlen, vergessen wir, dass sich dadurch, was wir wahrnehmen, verändert und achten nicht mehr auf die übrige Welt um uns herum. So erinnern sich etwa Personen, die sich gestresst oder ausgebrannt fühlen, bei einer Reihe positiver, neutraler und negativer Bilder mit erstaunlicher Detailtreue an das, was auf den negativen Bildern zu sehen ist, wo hingegen sie keine Fakten von den positiven oder neutralen Bildern zu berichten wissen.
Aus evolutionsbiologischer Sicht möge das auch sinnvoll sein. Wenn Sie auf der Flucht vor einem Säbelzahntiger sind, achten Sie vielleicht darauf, wer Sie noch gerne zum Mittagessen hätte oder was Ihnen bei der Flucht im Weg ist, aber Sie werden wohl nicht innehalten und einen schönen Regenbogen bewundern. Für das Überleben unserer Art ist das auch gut so, doch für das individuelle Wohlbefinden und Glück ist das verheerend.
Burnout ist im Grunde die gestörte Fähigkeit zur Empfindung positiver Emotionen – und Interventionen, die bei Burnout erfolgreich sind, haben offenbar alle etwas gemeinsam: Sie alle steigern die Fähigkeit einer Person, positive Emotionen zu erleben: Weiterlesen.

Elternburnout

Manchmal geraten Eltern in eine Erschöpfung, die anders aussieht als das Jobburnout. Die Mütter und Väter entwickeln Fluchtfantasien, träumen davon, die Familie zu verlassen, vernachlässigen ihre Kinder, können keine emotionale Beziehung mehr zu ihnen aufbauen und neigen sogar zu Gewalt. Sie sind erschöpft davon, dass sie Eltern sind.
Zwei Studien erbrachten die Bestätigung, dass Elternburnout anders ist als Jobburnout. Fluchtgedanken etwa seien charakteristisch für Eltern – vielleicht weil sie sich nicht krankmelden und bei Erschöpfung nicht ohne weiteres erholen könnten. Die Wirkung auf die Kinder sei gravierend, schreiben die Autoren. Betroffene berichteten übereinstimmend von ihrem Scheitern, emotionale Bindungen zu den Kindern zu pflegen, und von ihrer Aggressivität.
Ob die Erscheinungsformen Ursache oder Folge des Elternburnouts sind, ist wissenschaftlich nicht geklärt. Es könne auch sein, dass es eine gemeinsame Ursache für die erhöhte Neigung gebe, bei Stress in Fluchtgedanken zu verfallen und die Kinder aus den Augen zu verlieren, etwa ausgeprägter Neurotizismus. Es gibt Hinweise auf Anfälligkeiten: etwa mangelnde Unterstützung des sozialen Netzwerks, der Wunsch, eine perfekte Mutter oder ein perfekter Vater zu sein, fehlende Unterstützung durch den Partner oder fehlende Fähigkeiten, mit Stress und heftigen Emotionen umzugehen.
(Moïra Mikolajczak u. a.: Parental burnout: What is it, and why does it matter? Clinical Psychological Science, 7/6, 2019. DOI: 10.1177/2167702619858430)

Abgrenzung zu Erschöpfung und chronischer Fatigue bei ME/CFS und weiteren Ursachen

Was hilft prophylaktisch und auch therapeutisch gegen das Burnout?

  • Nein sagen lernen! Sie können nicht immer allen alles recht machen, ob im Beruf oder in Beziehungen! Wer keine Grenzen ziehen kann, wird unzufrieden und hat bald das Gefühl, dass andere mehr über die eigene Energie und Zeit verfügen als man selbst. Lernen Sie ihre eigenen Bedürfnisse kennen und leben Sie danach.
    Die Arbeitsstelle scannen auf Situationen, in denen wir ohnmächtig sind: Überreglementierung, Ausbeutung und Allverfügbarkeit. Burnout ist eine Kompetenz. Wer ausbrennt, sollte sich das nicht als Schwäche oder Versagen auslegen, er kann stolz sein auf sein Engagement – „müdstolz„. Ein Müdstolzer weiss um seine Leistung und hat daher kein Problem damit, sich und anderen einzugestehen: „Ich kann unmöglich allem gerecht werden!“
    Er empört und wehrt sich an der richtigen Stelle.
    .
  • Seine Resilienz vergrössern. Die „Resilienz“ ist unsere Kraft zum „Gedeihen trotz widriger Umstände“.
    Dazu ausführlich hier: /krise/
    .
  • Dann ist in unserer Zeit des Dauerstress die Entspannung das A und O. Der Rhythmus von Spannung und Entspannung (Kontakt und Rückzug, etc.) sollte auch über die Arbeitswoche weg erhalten bleiben. Das optimale Modell für Dauerstressgeplagte und Leute mit Burnoutgefährdung ist eine 80%-Arbeit mit einem ganztägig freien Mittwoch!
    Ein tägliches Mittagsschläfchen von 30 bis 45 Minuten (nicht länger!) wäre natürlich optimal!
    Weiterlesen: /entspannung/
    Auch im Winter kann man saisongerechter Leben und sich bei kürzerem Tageslicht und grösserer Nachtlänge mehr zurückziehen, zur Ruhe kommen und länger Schlafen: also mehr erholen und entspannen (mehr dazu).
    Allgemein lässt sich sagen, dass ein Stärken des Parasympathikus (anabole Seite, regenerativ) hilft (für bessere Verdauung, gegen Schlafstörung und für optimale Reparation).
    .
  • In der «Müdigkeits­gesellschaft» gehen alle Mitglieder permanent an die Grenzen ihrer Mobilisierbarkeit, der Burnout wird zur Universal­pathologie, zum permanent drohenden Leistungs­infarkt. Dem setzt Byung-Chul Han in seinem neuen Buch „Vita contemplativa“ ein Ethos des Flanierens, des Schlenderns, des Verweilens entgegen.
    Denn alles, was der menschlichen Existenz nach Han einen wirklichen Sinn gibt – die Liebe, das Fest, die Kunst­erfahrung –, hat sein Geheimnis darin, nicht zweck­gerichtet zu sein, kein Ziel zu haben und Zeit zu beanspruchen für nichts als sich selbst. «Das Leben», schreibt Han, «erhält seinen Glanz erst von der Untätigkeit (…) Das wahre Leben beginnt in dem Moment, in dem die Sorge um das Überleben, die Not des schieren Überlebens aufhört. Der letzte Zweck menschlicher Anstrengungen ist die Untätigkeit.»
    Und das Zeremoniell der Untätigkeit – hier werden Hans Reflexionen unmittelbar politisch – ist auch ein Korrektiv für unser «instrumentales Natur­verständnis», das die Welt nur als Ressource betrachtet und unseren Zwecken unterwirft.
    Etwas überspitzt gesagt: Um die Natur zu schonen, die fossilen Brenn­stoffe im Boden zu lassen, müssen wir zuallererst unser Grund­ethos ändern. Um Ressourcen zu sparen, müssen wir wieder lernen, zu verschwenden: unsere Zeit. Wir müssen die Welt so annehmen, wie sie ist. Bei ihr verweilen. Um sie zu betrachten und zu feiern.
    (aus „Die Ökologie des Verschwendens“ von Daniel Binswanger, die Republik 01/23)

  • Distanz zur Arbeit erhöhen: Keine ständige Erreichbarkeit zu Hause, also keine Arbeitsmails, natürlich auch keine Telefons. Aber auch keine ununterbrochene Erreichbarkeit während der Arbeit! Um konzentriert zu arbeiten, müssen Perioden von 30 bis 40 Minuten völlig störungsfrei sein! Deshalb:
    – Zeitfenster festlegen, wann man erreichbar ist und wann nicht.
    – Antwortfristen festlegen (nicht sofort, sondern dann, wenn es passt).
    – Push-Nachrichten ausschalten.
    – Nein-Sagen, auch mal zum Chef, wenn es sein muss!
    .

  • Ein Internet, welches mich beherrscht – und nicht umgekehrt, macht krank und brennt aus: Weiterlesen>
  • Aufgaben delegieren: Man muss nicht immer alles selber machen – und auch nicht sofort – und auch nicht perfekt!
    Perfektionismus (höchste Ansprüche an sich selbst, strenge Selbstkritik und die ständige Sorge, Fehler zu begehen) kann krank machen, depressiv und ausgebrannt. Therapeutisch hilft, dem „Inneren Kritiker“ mit Mitgefühl zu begegnen. Menschen, die trotz leistungsfordernder Gedanken in schwierigen Momenten achtsam und liebevoll zu sich waren oder eigene Misserfolge eher als Teil der menschlichen Entwicklung sahen, geht es darauf wesentlich besser.

Stellen Sie sich die dazu die Frage: „Wem gehört mein Leben?!“ (Robert Betz)

Wer nicht zum Burnout neigt

Menschen, die offen, fair, verträglich und gewissenhaft sind, haben ein geringeres Risiko, ein berufliches Burnout zu erleiden. Dies ergab eine Onlinestudie mit rund 500 Erwerbstätigen. Diejenigen, die laut dem Hexaco-Persönlichkeitsmodell bei diesen Eigenschaften höhere Werte erzielten, berichteten zum zweiten Befragungszeitpunkt seltener über Burnoutsymptome als die Personen mit hohen Werten beim Neurotizismus und mit höherer Emotionalität.
Das Forschungsteam schlussfolgert: Menschen mit den Eigenschaften Ehrlichkeit und Bescheidenheit, Verträglichkeit und Extraversion verhalten sich im Job anders. Sie engagieren sich, legen Wert auf wechselseitige Fairness und sind gut im Strukturieren und Organisieren. Sie sehen auch die negativen Aspekte ihres Jobs. Dies befähige sie, sich damit auseinanderzusetzen und aktiv etwas zu verändern.
Wer das nicht macht, neigt dazu, sich emotional zu distanzieren, schnell zu überfordern und erschöpft zu fühlen, und gerate so schneller in ein Burnout.
(Karolien Hendrikx u.a.: Personality and burnout complaints: The mediating role of proactive burnout prevention behaviors at work. Scandinavian Journal of Psychology, 2024. DOI: 10.1111/sjop.13005)

Aber wie sagt man es nun dem Chef?

Es erleben heute deutlich mehr Menschen als noch vor zwanzig Jahren chronische Erschöpfung durch Arbeit. Das ist nicht nur schlecht für persönliche Schicksale, sondern auch für die Produktivität von Unternehmen. Weswegen viel dafür spricht, dass nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Chefs verstehen, was Burnout ist.
Erraten kann er oder sie es nicht, selbst wenn er oder sie schon sensibilisiert ist? Drei gute Argumentationshilfen dazu können Sie hier finden.

Warum Ärztinnen mehr Burnout entwickeln als Ärzte

Der grösste Unterschied zwischen Ärztinnen und Ärzten besteht in der Erwartung, die wir an sie haben. Und das hat Folgen: Ärztinnen sind gefährdeter für Burnouts.
Wir (Patientinnen und Patienten) wünschen uns eine einfühlsame Behandlung nach den aktuellen medizinischen Erkenntnissen. Ärztinnen sind eher in der Lage als ihre männlichen Kollegen, beide Erwartungen gleichermassen zu erfüllen: Sie zeigen mehr Empathie im zwischenmenschlichen Umgang. Das lässt sich zum Beispiel daran erkennen, dass sie mehr Fragen stellen und sich mehr Zeit für Gespräche nehmen. In Ärztin-Patienten-Gesprächen geht es häufiger um Gefühle verglichen mit Arzt-Patienten-Gesprächen. Deshalb bekommen Ärztinnen häufiger das Prädikat „gut“ als ihre männlichen Kollegen.
Wenn sich aber ein Arzt als besonders einfühlsam zeigt, wird ihm im Gegensatz dazu eher das Prädikat „sehr gut“ verliehen. Allein schon deshalb, weil wir seltener die Erfahrung machen, dass Männer über Gefühle reden, sind wir positiv überrascht und schätzen in der Folge auch die fachlichen Qualitäten des Arztes höher ein. Diese Verknüpfung passiert bei Ärztinnen seltener und weniger stark.
Wie seltsam: Wir wünschen uns einfühlsamere Medizin, bewerten sie aber unterschiedlich, je nachdem, ob wir sie von einer Frau oder einem Mann bekommen. Wir schimpfen auf die kalte, unpersönliche Apparatemedizin und verurteilen gleichzeitig den sanfteren Ansatz als weniger kompetent, womöglich weniger hilfreich – zumindest tendenziell.
Relevant ist dieses Phänomen allein schon deshalb, weil inzwischen die Hälfte der Mediziner weiblich sind und zwei Drittel der Medizinstudenten. Frauen prägen die Medizin der Zukunft. Aber auch wir Patienten. (Quelle: Silke Jäger, piqd, 5.5.18).
Daraus entsteht eine Dynamik, die zur Folge hat, dass Ärztinnen schneller und anders ausbrennen als Ärzte. Der weiterführende Text erklärt sehr anschaulich, wieso: burnout-bei-aerztinnen.pdf
.

Millennials brennen speziell aus…

Das Gefühl permanenter psychischer Überlastung drängt vor allem die Generation der zwischen 1981 und 1996 Geborenen (Millennials) sowohl zum Dauerarbeiten, wie auch zum Dauerndwegwollen. Das Lesen dieses fundierten Essay lohnt sich natürlich auch für andere Geburtsjahrgänge:
www.buzzfeednews.com/article/annehelenpetersen/millennials-burnout-generation-debt-work

.

Zur Lektüre: Byung-Chul Han: «Vita contemplativa oder von der Untätigkeit». Ullstein, Berlin 2022. 128 Seiten, ca. 37 Franken.

Veröffentlicht durch Dr.med. Thomas Walser am 07. Mai 2018
Letzte Aktualisierung:
21. März 2024